Mit Der nasse Fisch präsentiert uns der Carlsen Verlag den ersten großen Hingucker des Jahres. Es ist die Adaption des gleichnamigen Romans von Volker Kutscher, ein Roman, der so erfolgreich war, dass er neben seiner Comicbearbeitung auch noch eine Fernsehauswertung erfährt (Regie: Tom Tykwer). Das grenzt fast schon an crossmedialem Overkill, und sicher haben bei der Entstehung der Adaption die beiden Brüder Planungssicherheit und Risikovermeidung ein Wörtchen mitgeredet. Aber ist das ruchbar? Gestaltet wurde die Adaption von Arne Jysch, der vor ein paar Jahren mit seinem Debut Wave and Smile, das vom Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan handelte, teilweise heftige negative Reaktionen evoziert hat. Aber dazu später noch mehr.
Der nasse Fisch handelt von einem jungen Kommissar, Gereon Rath, der zur Zeit der Weimarer Republik von Köln nach Berlin versetzt wird, um dort die Chance auf einen Neuanfang zu erhalten. Kaum dort, gerät er in eine Verschwörung um einen angeblichen russischen Goldschatz und schon bald bringt ihn sein hemdsärmeliges Vorgehen in große Schwierigkeiten, ja nahezu unlösbare Zwangslagen. Ein schöner Krimiplot, vielleicht etwas zu kunstvoll konstruiert, aber das gehört zum Genre und macht durchaus einen Teil des Lesevergnügens aus.
Das Schöne an der Adaption ist, dass Arne Jysch mit seiner konsequenten Straffung des Romans ein enormes Erzähltempo erreicht. Die Erzählung entwickelt schnell eine fiebrig treibende Atmosphäre, und spätestens wenn der Held gegen Ende der Geschichte nach allen Regeln des Genres ramponiert ist, erfüllt er auch die letzten Anforderungen an jeden anständigen Noir- und Actionprotagonisten. Drogenbenebelt, verkatert, gefoltert und blutend weckt er Erinnerungen an Heldenfiguren wie Bruce Willis, wie dieser in blutverschmiertem Unterhemd barfuß über den Nakatomi-Tower humpelt. Das ist natürlich klischeehaft, aber Volker Kutscher greift in seiner Vorlage ohnehin tief in die Wühlkiste der bewährten Versatzstücke, wie er mit der ausgehenden Weimarer Republik natürlich auch einen Schauplatz gewählt hat, der wie geschaffen für eine Noir-Erzählung ist. Die Endzeitstimmung ist zu jeder Zeit greifbar und die Nationalsozialisten scharren schon unruhig mit den Hufen. Jede Hoffnung verbietet sich aufgrund des bekannten weiteren Verlaufs der Weltgeschichte von selbst, was die Handlung schon fast zwangsläufig zum Tanz am Abgrund werden lässt.
Gut möglich, dass Volker Kutscher mit seinem Plot eher Handwerk als große Kunst abliefert, aber Arne Jysch zieht auf diesem hohen Niveau gleich und liefert perfektes grafisches Storytelling. Nicht auszuschließen, dass eine deutsche Graphic Novel mit diesem Hintergrund auch im Ausland Aufsehen erregt. Ob kalkuliert oder nicht, den Machern wäre dieser Erfolg zu gönnen.
Damit beantwortet sich natürlich auch die Frage „Warum schon wieder eine Romanadaption?“ von selbst. In einem Produkt dieser Art ist das interessierte Publikum vorinstalliert, denn der Name Volker Kutscher allein erzeugt schon Resonanz. Schade natürlich, dass die Gattung Comic wie schon zu oft in den letzten Jahren nicht zeigen kann, dass sie aus sich heraus neue Erzählungen entwickeln kann. Stattdessen liegt der Fokus wieder einmal darauf zu zeigen, WIE ein bekannter Stoff interpretiert und variiert werden kann. (Irgendeinen Grund muss es ja geben, dass der Comic existiert und sich der Roman nicht selbst genug ist.) Damit rückt die Wahrnehmung des Comics von Anfang an auf eine Metaebene. Es sei denn, man ignoriert die offensichtliche Tatsache, dass es sich um eine Adaption handelt, völlig. Aber das erfordert fast schon Autosuggestion. Das alles tut der hohen Qualität des Resultats keinen Abbruch. Man fragt sich nur manchmal, ob es überhaupt noch (deutsche) Comics geben kann, die aus sich selbst heraus wirken und ihrerseits eine Strahlkraft haben, die vielleicht sogar – in Umkehrung des derzeit Üblichen – andere Medien zur Adaption einladen.
In einem ist sich Arne Jysch aber treu geblieben. Wie in seinem Erstling Wave and Smile arbeitet er mit zugespitzten, sehr geradlinigen Figuren. In Wave and Smile wurde ihm das ja angekreidet, wobei leider oft übersehen wurde, dass Wave and Smile als Actionstory mit kolportagehaften Zügen sehr gut funktioniert. Als ernsthafte Auseinandersetzung im Stile eines Joe Sacco durfte man diese Abenteuerstory um einen deutschen Hauptmann im Alleingang sicher nicht lesen, als Edelschund mit einigen unerwarteten Wendungen finde ich Wave and Smile beachtenswert und mutig. Denn wir brauchen mutige Comics, die sich mehr trauen als nur Trittbrettfahrer eines Erfolgsrezeptes zu sein. Deshalb hoffe ich, dass Arne Jysch nicht den Rest seiner Karriere mit weiteren Adaptionen von Volker-Kutscher-Romanen zubringt. Da darf gerne noch die eine oder andere Überraschung kommen.
Eine atmosphärische und mitreißende Noir-Erzählung mit enormem Erzähltempo
Carlsen Verlag, 2017
Text und Zeichnungen: Arne Jysch, nach einer Vorlage von Volker Kutscher
216 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 17,99 Euro
ISBN: 978-3-551-78248-9
Leseprobe
Eine Adaption bedeutet nicht unbedingt das es sich um etwas schlechtes Handeln muss, wenn die Adaption ein eigenständiges Kunstwerk darstellt. Hitchcock hat ja durchgehend Bücher verfilmt und verformt bis zum gehtnichtmehr.