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Understanding the Punisher Teil 1 – Fünfzig Jahre Grenzüberschreitungen

Richtig weg war der Punisher wohl nie – zwischendurch hatte man aber den Eindruck (auch die Hoffnung), die Figur hätte sich überlebt. So zum Beispiel gerade im Jahr 2022: Es wird einem unwohl bei dem Gedanken, dass es Polizisten gibt, die sich mit dem Punisher-Skull schmücken, steht der Skull doch als Symbol für Selbstjustiz und den Zusammenbruch von Recht und Ordnung. Kein gutes Symbol für Polizisten, denn das Tragen des Skulls erhält dadurch den Charakter des Tragens verfassungsfeindlicher Symbole. Es wundert wenig, dass auch Rechtsextreme den Skull für sich entdeckt haben, die Sichtungen während der Erstürmung des Kapitols 2021 sind da aufschlussreich.

Der amerikanische Comic-Künstler Nate Powell hat in seinem Comic-Essay About Face eindrucksvoll dargelegt, wie auch White Supremacists den Skull vereinnahmen und der Skull als Symbol für die Spaltung Amerikas gelesen werden kann (Comicgate-Besprechung hier). Mike Baron, der in den 1980er und 90er Jahren den Punisher geschrieben hat, arbeitet schon seit geraumer Zeit nicht mehr für die Mainstream-Verlage; er schätzt die Bedeutung des Punisher-Skulls erwartungsgemäß völlig anders ein. Auf der rechten Webseite „Bounding into Comics“ erklärt er, der Skull stehe als Symbol dafür, dass den Schwachen geholfen werde, die sonst keine Stimme haben:Cops and military who adopt the Punisher symbol do so because they understand it means standing up for those who can’t stand up for themselves.“

Im folgenden Aufsatz werde ich verschiedene Ansätze, mit denen sich Autoren der Figur annähern, genauer betrachten. Ich habe dafür die frühen Punisher-Geschichten der 1970er Jahre gelesen, eine repräsentative Menge an Heften der ausgehenden 1980er- und 1990er-Jahre, die Neuentdeckung des Punisher erst im Rahmen des Marvel-Knights- später des Marvel-MAX-Imprints sowie einen repräsentativen Querschnitt durch diverse Marvelserien des neuen Jahrtausends. Vielleicht lässt sich die Problematik, aber auch die Faszination dieser Figur danach etwas besser verstehen.

Good man with a gun. Alle Abbildungen © Marvel Comics. Artwork: Mitch Gerads. Text: Nathan Edmondson.

Auch im Jahr 2000 war der Punisher fast schon mal abgemeldet, bis Garth Ennis und Steve Dillon seine neuen Abenteuer mit viel Humor und Ironie erzählten und so der Figur neues Leben einhauchten. Wie wir alle wissen, war die ironische Phase nur vorübergehend, schon 2003 zog eine extreme Härte und Humorlosigkeit in die Comics ein. Mit der Zeit mehrten sich aber auch die Anläufe, dem Punisher auch im regulären Marvel-Universe wieder Präsenz zu geben. Im Zeitalter der Relaunches waren das naturgemäß stets recht kurzlebige Runs, darunter durchaus ambitionierte Action-Stories etwa von Greg Rucka (2011) oder Nathan Edmondson (2014), während man die „World War Frank“-Storyline von Matthew Rosenberg (2018) wohl eher als Action-Komödie mit Gewaltspitzen sehen sollte. 

Punisher 2014: „The only crime in war is to lose“

In Nathan Edmondson und Mitch Gerads bemerkenswerten Run wirkt Frank Castle verjüngt. Er trägt zwar immer noch den Skull auf der Brust, für seine Strafaktionen setzt er nun aber auch eine Totenkopf-Sturmhaube auf, was ihn besonders unheimlich, aber auch ziemlich paramilitärisch wirken lässt. Trotz zunächst sehr realistisch wirkendem Setting in Mexiko – Frank Castle im Drogenkrieg gegen eine Bande, die aus Los Angeles eine Terrorhochburg machen möchte – setzt Edmondson auf das übliche Gut-Böse-Schema, um Frank Castle in ein vermeintlich vertretbares Licht zu rücken, denn er killt ja nur die ‚Bösen‘. Als Frank Castle Zeuge wird, wie eine Polizistin einer Streetgang nicht gewachsen ist, rettet er sie durch schnelles Handeln und mit kurzem Prozess. Castles innerer Monolog dabei ist aufschlussreich: „Someone once said that any fool can make a rule, and any fool can follow it. The cops mean well. But this is war. And someone else said, the only crime in war is to lose“. Alle anderen Verbrechen – Selbstjustiz, Folter, Erpressung etc. – sind in diesem Krieg also erlaubt? Das mag typische Punisher-Rollenprosa sein, überschreitet aber auch 40 Jahre nach dem ersten Auftritt Frank Castles 1974 in Amazing Spider-Man eine unsichtbare Grenze.

Über Kriminelle hat Frank Castle eine eindeutige Meinung. Artwork: Mitch Gerads. Text: Nathan Edmondson

Ein wiederkehrendes Motiv in 50 Jahren Punisher-Folklore ist, dass Frank Castle im Knast ‚geparkt‘ wird, bis ein Geheimdienstler beschließt, ihn wieder von der Leine zu lassen. In Nathan Edmondsons Gefängnisszenario 2014/15 erlaubt das einen weiteren inneren Monolog, der als konstanter Baustein des Charakterdesigns gesehen werden kann: „I never thought much of prisons. Usually when I deal with criminals, they don’t get the luxury of the penal system. Revolving doors, second chances, all that crap. A rehabilitated criminal is a criminal who got a trip to the motel with three free meals a day for his crime.“ Ist das aber noch Rollenprosa oder doch schon Hate Speech?

Der Punisher nimmt einem Polizisten den Skull weg und spricht eine deutliche Warnung aus. Aus: Street by Street, Block by Block. Punisher 2019 (Rosenberg, Kudranski).

Im Kontrast dazu wirkt Matthew Rosenbergs Plot seiner „World War Frank“-Story fast schon leichtfüßig. Rosenberg inszeniert seinen Punisher so over the top, dass sich automatisch Distanz ausbildet. Die Verbrecherorganisation Hydra will einen anerkannten Staat gründen und wird dabei vom Punisher nach Kräften torpediert. Im Verlauf der Geschichte landet dieser dabei in einem Hydra-Gefängnis und sitzt dort ein, bis ihm ein langer Bart wächst. Irgendwann finden sich aber Gefährten für einen Prison Break, und was dann folgt, ist purer Overkill, denn da im Hydra-Land Bagalia nur Verbrecher leben, kann Frank natürlich alles platt machen. Das ist Action-Fun-Stuff ohne große Ansprüche, aber immerhin mit einem denkwürdigen Moment, als der Punisher einigen Polizisten erklärt, dass er es nicht schätzt, von Gesetzeshütern bewundert zu werden – sicher eine der wichtigsten Punisher-Momente des ganzen Jahrzehnts, ein erster Versuch von Seiten der Comics, die Deutungshoheit über den Skull zurückzuerobern. 

Spider-Man 1974: „Something tells me that man’s got problems that make mine look like a birthday party.“

Gerry Conway war es, der den Punisher in einer Spider-Man-Geschichte 1974 ins Leben rief. Zunächst war Frank Castle unwissend der Partner eines Schurken, aber bald bekam Frank Castle ein Eigenleben als Held mit zweifelhafter Vorgehensweise. Die erste ‚richtige‘ Punisher-Story kam ein Jahr später in einer Ausgabe des Magazinformats Marvel Preview Presents, das ohne Comics-Code-Approval, einer freiwilligen Selbstkontrolle zum Schutz der Jugend, erscheinen konnte. Die Story in Marvel Preview Presents enthielt keine Superhelden und war eher ein Tasten in Richtung zeitgenössischer Actionfilme wie Death Wish (1974) oder Diry Harry (1971). Der Vietnam-Hintergrund und der traumatisierende Mord an Frank Castles Familie wurden hier komplett ausformuliert, ebenso schon viele von Franks denkwürdigen inneren Monologen, die sein tiefes Misstrauen gegenüber dem System offenlegen. Frank verhindert den Mord an einem Lokalpolitiker durch einen Kriegsveteranen, einen ehemaligen Kampfgefährten Frank Castles, der nach dem Krieg keinen Zugang mehr zur Gesellschaft gefunden hat, ein negatives Spiegelbild Frank Castles. Kriminelle haben diesen gegen einen Politiker aufgehetzt, und nur der Punisher kann ihn stoppen. 

Eine frühe, erwachsenere Annäherung an den Punisher in den 1970ern. In der Regel ist der Punisher damals nur als Nebenfigur in den Spider-Man-Comics aufgetreten. Aus: Marvel Super Action 1. Story: Gerry Conway. Zeichnungen: Tony Dezuniga.

Völlig nachvollziehbar, dass man sich 1975 von Superheldenstoffen freischwimmen wollte. Ich habe nicht schlecht gestaunt, als sich Frank Castle in einem Marvel-Super-Action-Magazin, 1975 ohne Code erschienen, eine Prostituierte ins Haus kommen lässt. Nun mag man von Prostitution halten, was man will, aber dies wäre eine gute Gelegenheit für erzählerische Ambivalenzen gewesen, wo sich dieser Comic doch ohnehin an erwachsene Leser richtet. Aber, wie leider zu erwarten war: die Dame erweist sich als Killerin und ist von Frank auch nur aus eben diesem Grund gerufen worden, um sie zu erschießen. Das ist schade, bestätigt es doch den Allgemeinplatz, dass Töten und Selbstjustiz völlig in Ordnung ist, Sexualität mit Prostituierten aber selbstverständlich Tabu, auch wenn es sich um ein Marvel-Magazin für Erwachsene handelt. Man will den gerechten Rächer doch nicht beschmutzen. 

Punisher zu Spider-Man 1981: „I could put the next bullet between your eyes. I’d rather not. You’re not evil … merely soft. Stupid.“

Um Amazing Spiderman #201 herum (1979) beginnt der Punisher, mit sogenannten Mercy Bullets zu schießen. Das sind Patronen, die betäuben, aber nicht töten. Das wirkt unmotiviert und wie ein Kunstgriff, um überhaupt noch Team-Up-Geschichten mit Figuren wie Spider-Man erzählen zu können – sonst würde Spider-Man sich noch der Beihilfe zu Mord schuldig machen. Eine halbgare Lösung, vom damaligen Autor Marv Wolfman wenig überzeugend gelöst. So zweifelhaft die Figur Punisher auch ist, sie sollte doch rigoros und kompromisslos erzählt werden.  

Keine Sorge. Der Punisher schießt auf Spider-Man nur mit einer seiner Mercy Bullets. Die tun auch gar nicht weh. (Amazing Spider-Man 1979, Marv Wolfman, Keith Pollards)

Frank Miller und Denny O’Neil dagegen ist es in Amazing Spiderman-Annual #15 (1981) gelungen, einen weit furchterregenderen Frank Castle in Szene zu setzen, diesmal in angemessener Distanz zu einer strahlenden Figur wie Peter Parker. Frank Castle überlegt in dieser Geschichte gar, dass es vielleicht an der Zeit wäre, Peter Parker nicht länger nur mit Mercy Bullets auf Distanz zu halten, sollte er ihn noch länger bei seinem heiligen Krieg gegen das Verbrechen behindern: „[Spider-Man]’s been a thorn throughout this whole mission. Can’t let him interfere again. If he tries I’ll have no choice but to …“ Bevor Frank Castle diesen Gedanken auch nur zu Ende formulieren kann, wird er aber von der Polizei gestellt und verhaftet. Als er Richtung Gefängnis abgeführt wird, sagt er: „One nice thing about prison, though … There are lots of criminals there. Lots of them.“

„Lots of Criminals“: Denny O‘ Neil, Frank Miller und Klaus Janson haben dem Punisher 1981 eine dämonische Aura verliehen.

Frank Miller ist einer der wenigen Künstler, der auch fremde Texte in Szene setzen kann, als wären es seine eigenen. Zwei kleine Panels nur, subtil, in klaren präzisen Worten, unaufgeregt und doch mit maximalem Effekt. Die kleine Ansprache („lots of criminals“) transportiert mehr bedrohliche Brutalität als sämtliche sonstigen Auftritte des Punishers bis zu eben diesem Zeitpunkt, die Magazinausgaben ohne Comics Code eingeschlossen. Vielleicht sind diese Panels aus dem Annual #15 die besten Punisher-Panels, die in den 50 Jahren der Reihe je gestaltet worden sind. Sie etablieren den Punisher endgültig als Figur, die in Opposition zu den strahlenden Heldenfiguren steht, was bis zu diesem Zeitpunkt alles andere als eindeutig war. Nach 1981 dürfte jedes Comicheft, das den Punisher enthielt, sofort Aufmerksamkeit generieren. Die Präsenz eines Punishers sollte im wortwörtlichen Sinn Spannung und Irritation generieren.

Punisher 2009: „Hacksaw it is“

2009, nicht zuletzt dank Ennis‘ Punisher-MAX-Approach, hat sich die Figur vom puren Selbstjustiz-Vigilanten entfernt und zu einer Art Michael Myers der Unterwelt entwickelt, die Death-Wish-Erzählung hat längst einen deutlichen Schwenk Richtung Torture-Porn vollzogen. Jason Aaron etabliert seine Version des folternden Frank Castle ebenfalls überdeutlich in den ersten Heften seiner Marvel-MAX-Reihe. Essentiell wichtig für Aarons Story ist Steve Dillons Artwork, meines Erachtens der einzige Künstler überhaupt, der in der Lage war, Aarons Geschichte auf angemessene Art und Weise Leben einzuhauchen. Dillons klare Linie verleiht den Figuren stets diesen subtilen tongue-in-cheek-Look, woraus sich ein Gefühl von „Das kann doch nicht euer Ernst sein“ einstellt. Dessen bewusst drehen Aaron und Dillon den Level an Brutalität noch mal hoch. Der bizarre Humor dieser Punisher-Version steckt in der Übertreibung und der Frage, welche Grenze wohl als nächstes gerissen wird.  

„He’ll make you wish that you didn’t exist …“ Punisher 2010 von Jason Aaron (Story) und Steve Dillon (Zeichnungen)

Anders als Ennis‘ Depressiv-Punisher ab 2003 bieten Aaron und Dillon eigenwilligen Eskapismus, anders als Ennis‘ Punisher vor 2003 erzählen Aaron und Dillon aber eine stringente, epische Geschichte. Die Schönheit und Klarheit von Steve Dillons Bildern ist dabei angesichts der Grausamkeit der Handlung irritierend, zudem liefert Dillon ausgefeilte Panelfolgen mit ästhetischen Parallelmontagen, Spiegelungen und einem Wechselspiel von Action und seitenlangen Dialogpassagen, was gut und gern Dillons visuell ambitionierteste Arbeit sein dürfte. Diese Version des Punisher ist eine aberwitzige Mischung aus grotesk und verspielt.  

Jason Aarons Plot ist ebenso reduziert und klar wie Dillons Grafik, vor allem aber ist seine Psychologie so reduziert, als wäre man immer noch in den 1970er Jahren, nur dass inzwischen eine völlig andere Zielgruppe anvisiert ist: Bullseye, der tödlichste aller Killer, wird angeheuert, um Frank Castle endlich zu besiegen. Er erhält von seinem Auftraggeber freie Hand und reichlich Helfer, was der geisteskranke Auftragskiller nutzt, um sich – ähnlich einem Method Actor – völlig in sein Ziel, den Punisher einzufühlen. Er orchestriert ein Reenactment des Frank-Castle-Erweckungserlebnisses: Dazu sucht er sich eine Bilderbuchfamilie, wie Frank Castle sie hatte, tötet den Familienvater und zwingt die Mutter und Kinder dazu, mit ihm im Park zu picknicken. Im Park dann tauchen die bestellten Mafia-Killer auf, um Frau und Kinder umzubringen, danach kniet der durchgeknallte Bullseye neben den Leichen und versucht, Gefühle zu evozieren – aber es gelingt ihm nicht: „It didn’t work. I don’t feel it. I don’t feel anything“, und „We’ll have to do it again.“

Das ist auf bizarre Weise vielschichtig: 

  1. Die Vorbereitung an dem Mord an Kindern und Familie wird genüsslich-schamlos das ganze Heft über vorbereitet. 
  2. Jason Aaron nutzt das Arrangement für pechschwarzen Humor („We’ll have to do it again“).
  3. Nachdem Bullseye noch einige Familien auslöscht, wird es sogar seinem Boss, dem Kingpin, zu viel.
  4. Aber die Bullseye-Methode funktioniert. Bullseye fühlt nicht deshalb ’nichts‘, weil sein Plan völlig schwachsinnig wäre, sondern weil Frank Castle tatsächlich keine Gefühle empfand, als seine Familie ausgelöscht wurde: Frau und Kinder waren zu diesem Zeitpunkt das Einzige, was Frank Castle, den natural born killer, noch daran hinderte, seiner wahren Berufung nachzugehen. 
  5. Jason Aaron nutzt seine haarsträubende Psychologie, um den Figuren Tiefe zu verleihen. 
  6. Trotzdem gelingt es Bullseye nicht, die durchaus vorhandene Menschlichkeit den Punishers zu durchdringen. Aber er kommt ihm nahe, kriecht unter seine Haut und erzielt damit einen Sieg. 
  7. Bullseye lernt, wie eine Künstliche Intelligenz lernen würde: empathielos und völlig abgekoppelt vom tatsächlichen menschlichen Erfahren. 

Solche Bizarrerien und Extravaganzen ziehen sich durch die komplette Storyline und machen Aarons Punisher tatsächlich zum Leseerlebnis. Die bitterste Pointe jedoch hat er sich für den Epilog aufgehoben: Als der Punisher stirbt, wird zunächst das Fazit gezogen, sein Kampf sei vergebens gewesen und das Verbrechen vital wie immer. Aber dann kommen erste Meldungen von Bürgern, die sich nicht mehr länger von Gangs schikanieren lassen wollen. Überall in New York beginnen nun Vigilanten, sich zur Wehr gegen Korruption und Verbrechen zur Wehr zu setzen – mit seinem Tod hat der Punisher die Menschen inspiriert.  

Übles Missbrauchsszenario: Bullseye spürt dem Familienidyll Frank Castles auf seine Weise nach. Punisher 2010, Jason Aaron und Steve Dillon.

Wieder stellt sich die Frage, ob das Aarons Ernst sein kann. Oder ist das nur der inneren Logik seines Kunstmärchens geschuldet, das erzählerisch einer so reduzierten wie verfremdeten Quasi-Realität verpflichtet ist, der einzige Ort, an dem solche Entwicklungen einen Sinn ergeben? Man muss sich die Frage gefallen lassen, wie man überhaupt auf die Annahme kommt, dass Comics etwas über die Realität aussagen. Die hintergründigste Ambivalenz dabei ist, dass Jason Aaron damit die rechte Propaganda einiger Punisher-Texte unterläuft, indem er lustvoll mit Pseudo-Logik erzählt, postmodern, artifiziell, teils gar nahe am magischen Denken – denkbar weit entfernt auch vom pragmatischen Realismus der Frank-Miller-Ära. Bleibt zu hoffen, dass Aaron das Erwachen des amerikanischen Vigilantentums nicht doch für ein Happy end hält.  

1991: The Punisher invades ‘Nam 

Als Garth Ennis seine Punisher-MAX-Story Born schrieb, hob er seine Sichtweise hervor, dass der Punisher nicht erst mit dem Tod seiner Famile zum Bestrafer wurde, sondern die Anlage zum Killer schon vorher bestand. Dabei ist dieser Ansatz bereits in den 1980ern in der Marvel-Serie The ‘Nam etabliert worden.  

Die Nam-Serie war eine sehr sachlich-realistische Serie über den Soldatenalltag in Vietnam, die sich konsequent dem Marvel-Kosmos verschloss. In #41 wird eine kritische Sichtweise auf Kriegspropaganda diskutiert, #51 bricht mit dem realistischen Prinzip und führt den Punisher in die Serie ein. Die Akzentverschiebung ist extrem.

Ursprünglich war ‘Nam sehr realistisch angelegt, dem realen Erleben des gewöhnlichen General Infantryman mehr verpflichtet als dem Abenteuer und damit dem 1950er War-Comic-Klassiker Two-Fisted-Tales nicht unähnlich. Einige Geschichten sind zu Unrecht vergessene Klassiker des Kriegscomics, so #15, das von einem Heimkehrer handelt, der mit der alten Heimat nichts mehr anfangen kann, aber auch The ‚Nam #41 ist bemerkenswert; darin schlägt die Serie erstmals eine Brücke zum gewöhnlichen Superheldencomic. Thor, Captain America und Iron Man treten auf, aber nur um zu verdeutlichen, wie anders die Realität doch ist. Höhepunkt ist eine mehrseitige Schmähung des kriegsverherrlichenden John-Wayne-Films The Green Berets (1968), was der Reihe durchaus gut steht. 

Zehn Hefte später jedoch kommt es zum ersten Crossover zwischen The ‚Nam und Punisher. ‚Nam, die Serie, die bisher ohne Helden auskam – wenn auch nicht ohne Pathos – bricht aus kommerziellem Kalkül mit alten Tugenden. Der Punisher wird als hartes Kampfschwein mit großer Expertise im Töten eingeführt, womit im Grunde bereits alles erzählt ist, was auch Aaron und Ennis in ihren Runs so gerne aufgreifen. Frank Castles Familie und deren tragisches Ende sind schon fast irrelevant geworden in diesem Ansatz. Die letzte Sicherung sozusagen.

Punisher invades ‚Nam (1991). Story: Roger Salick. Art: Mike Harris.

Was uns noch mal zu Jason Aaron 2011 führt. Aaron ist es hoch anzurechnen, dass er diesen Aspekt der Castle-Erzählung in seiner 22-teiligen MAX-Erzählung erzählerisch weiterentwickelt. Ein zentrales Kapitel seines MAX-Runs erzählt vom Vietnamrückkehrer Frank Castle und wie er verzweifelt versucht, ein normales Leben zu führen. Aaron gelingt hier ein episches Tableau, fast wie aus einem Bruce-Springsteen-Song. So schrill seine Bullseye-Episode auch geraten ist, so zweifelhaft sein Finale – an dieser Stelle beweist er eben doch, dass er zu den großen Comicautoren unserer Ära zählt. 

Fortsetzung und Schluss in „Understanding the Punisher 2: Der Wutbürger“. Coming soon!

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