Rezensionen
Schreibe einen Kommentar

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Wer von Will Eisner eigentlich gar nichts kennt, wird doch zumindest von den Eisner Awards schon gehört haben, jenen hochgeschätzten internationalen Ehrungen von Comic-Künstler*innen, die nach Will Eisner benannt worden sind. Alexander Braun hat Eisners Werk eine Ausstellung gewidmet und diese in einem wundervollen Katalog dokumentiert.

Alle Abbildungen © avant-verlag 

Will Eisner (1917–2005) schuf mit seinen Comics um die Figur des spärlich maskierten Spirit in den 1940er Jahren eine experimentierfreudige Comic-Serie mit Höhen und Tiefen, vor allem aber mit dem nötigen Einfallsreichtum, von dem ein ganzes Lebenswerk zehren kann. Wer den Spirit nur am Rande oder durch die missratenen Verfilmungen (1987 und 2008) kennen gelernt hat, wird aber wohl kaum um Ein Vertrag mit Gott (1978) herumgekommen sein. Mit diesen im New York der 1930er situierten Comics hat Eisner den Begriff „Graphic Novel“ popularisiert.

Will Eisner – der Pate. Mit dem Titel seiner Monographie (man möchte bei Alexander Brauns epischen Sachbüchern fast von ‚Monumentalographien‘ sprechen) spielt Braun auf die Eisner-Werkschau von Paul Levitz an: Dessen Champion of the Graphic Novel (2015) wächst unter der Lupe des Kunsthistorikers Alexander Brauns zum „Godfather“. Mit seiner Titelbezeichnung Eisners als Paten bzw. als Namenspatron für die Eisner Awards trägt Braun Eisners Stellenwert für die Entwicklung des Comics bzw. der Graphic Novel Rechnung.

Neben den Fußstapfen von Paul Levitz (Präsident von DC Comics 2002–09) tritt Braun aber vor allem in seine eigenen: Mit seinen großformatigen und schwergewichtigen Büchern über Winsor McCay und Krazy Kat hat Braun zwei Meilensteine in der Dokumentation von Comic-Klassikern verfasst, die beide mit je einem Eisner Award prämiert wurden.

Es ist übrigens ein weit verbreitetes Missverständnis, dass Eisner den Begriff „Graphic Novel“ erfunden habe: Der Begriff kursierte im Laufe der 1960er und 1970er Jahre neben diversen Variationen (comics novel, visual novel etc.) und setzte sich seit 1974 zunehmend gegen die konkurrierenden Bezeichnungen durch. Als Will Eisners A Contract with God 1978 erschien, setzte Eisner mit seinem Untertitel „A Graphic Novel“ auf ein erfolgversprechendes Pferd. In seiner Monographie Dreaming the Graphic Novel (2020) zeigt der amerikanische Comic-Experte Paul Williamson, dass Eisners Comic zunächst gar nicht so stark unter dem Paradigma „Graphic Novel“ wahrgenommen wurde.

Das Buch ist begleitend zu der Ausstellung im Dortmunder Schauraum, die im Juni 2021 zu Ende ging, erschienen. Die Ausstellung zeigte mit rund 70 Exponaten, die aus Eisners Nachlass und verschiedenen Privatsammlungen stammen, die ganze Breite von Eisners Schaffen. Kurator Alexander Braun legt großen Wert darauf, dass Ausstellungen auch ansprechend dokumentiert werden, damit das Wissen nicht für die nächsten Generationen verloren gehe, wie er in einem Interview mit der Comixene anlässlich der Carl-Barks-Ausstellung 2019 ausführte.

Wer die anderen Arbeiten Brauns kennt, wird dessen Akribie ebenso zu schätzen wissen wie sein umfassendes Wissen um die Comicgeschichte und sein Vermögen, seine Expertise scheinbar mühelos in sehr lesbare Texte zu verwandeln. Die Veröffentlichungen Alexander Brauns zeichnen sich allesamt durch einen Fokus auf die Materialität der Comics aus: Braun widmet sich längst nicht nur der Ästhetik der Comics, sondern auch deren Produktionsbedingungen und Distributionsverhältnissen. Ganz egal, ob Braun über Winsor McCay, George Herriman oder Will Eisner schreibt: Stets lernt man als Leser*in zugleich Wertvolles über das Umfeld der Personen, die im Rampenlicht stehen.

So etwa zeigt eine zweiseitige Abbildung ein Skript des Spirit-Autors Jules Feiffer auf der Rückseite einer anderen Story, weil vermutlich im Studio gerade kein anderes Papier zur Hand war. Aus dem Fundstück, das fast ausschließlich aus Textblöcken besteht, zieht Braun die Schlussfolgerung, dass der „Ursprung aller Geschichten im Text liegt, nicht in der Zeichnung“.

Braun marschiert in elf Kapiteln durch Leben und Werk des amerikanischen Zeichners. Angefangen bei dessen Gründung eines eigenen Studios und die Arbeit am Spirit, unterbrochen von seiner (auch künstlerisch produktiven) Militärzeit im Zweiten Weltkrieg, über seine Arbeiten für die US Army mit American Visuals bis hin zu den sehr produktiven letzten Jahrzehnten seines Schaffens.

Den Abschluss stellt ein Interview Brauns mit Eisners langjährigem Verleger Denis Kitchen (Kitchen Sink Press) dar, das er im Spätherbst 2020 führte. Als plötzlich die Rede auf einen Bartender-Ratgeber kommt, der ebenso wie Ein Vertrag mit Gott 1978 erschien, erfahren die allermeisten Leser*innen etwas über Will Eisner, was sie garantiert noch nicht wussten … Und auch das schwierige und wechselhafte Verhältnis zwischen Art Spiegelman und Will Eisner beleuchtet Denis Kitchen mit spannenden Anekdoten.

Der Gegensatz zu dem Buch von Paul Levitz könnte kaum größer sein: Zwar bietet auch dieses viele ganzseitige und farbige Abbildungen, allerdings fallen Levitz‘ Texte doch weitaus weniger umfangreich und auch weniger detailfreudig aus. Mit den Ausführungen Brauns wandert man durch die Comicgeschichte nicht nur der 1970er Jahre – und nicht nur anhand von Anekdoten. Ohne Frage: Dies wird man noch lange Zeit als Eisner-Standardwerk zu Rate ziehen.

Jetzt schon ein Klassiker

10von10Will Eisner – Graphic Novel Godfather
avant-verlag, 2021
Autor: Alexander Braun
384 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 39,00 Euro
ISBN: 978-3964450500
Leseprobe

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.