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McCay

Nachdem zuletzt Joe Shuster und Walt Disney mit Comic-Biografien beehrt wurden, erscheint nun die Lebensbeschreibung eines weiteren Comic-Pioniers: Winsor McCay, der in diesem September 150 Jahre alt geworden wäre.

Alle Abbildungen: © Carlsen Verlag

Winsor McCay, so Kunsthistoriker und Comicexperte Alexander Braun, sei der „Übervater des modernen Comics schlechthin“, und mit dieser Meinung ist er keineswegs allein. Die Reputation des Schöpfers von Dream of a Rarebit Fiend (1904–25) und Little Nemo in Slumberland (1905–11) steht nicht zur Debatte: Seine Verdienste für anspruchsvolles Erzählen im Format des Zeitungscomics des frühen 20. Jahrhunderts neben (oder eher vor) Zeitgenossen wie George Herriman sind bis heute unbestritten. Comic-Historiker Thierry Smolderen hat McCay in seinem Buch The Origins of Comics (2014) ein eigenes Kapitel, und nun mit der vorliegenden Comic-Biografie McCay ein ganzes Buch gewidmet.

In dieser Comic-Biografie von Thierry Smolderen und Jean-Philippe Bramanti begleiten wir Winsor McCay als Varieté-Zeichner in Detroit 1889, wo er sein Geld mit dem Porträtieren von vergnügungsfreudigen Touristen verdient. Dort lernt er Silas kennen, einen anarchistischen Schausteller, dessen Attraktion darin besteht, Leute in die Illusion zu versetzen, dass sie in einer Schaukel säßen, wobei nicht die Schaukel sich bewegt, sondern der Raum, in dem sie sich befinden. Dessen Namen wird McCay später in Buch und Realität verwenden, um einige seiner Zeitungsstrips zu signieren.

Er begegnet auch dem exzentrischen Mathematiker Charles Howard Hinton, der an einem Buch über die vierte Dimension arbeitet und McCay darum bittet, die Illustrationen anzufertigen. Weitere historisch verbürgte Gestalten treten auf: der Entfesselungskünstler Harry Houdini oder etwa der Zeitungsverleger William Randolph Hearst. Aber diese vielen Sprengsel aus der Realität täuschen darüber hinweg, dass Smolderen eine ganz und gar fiktive Geschichte erzählt.

Dieser Comic ist keine gewöhnliche Lebensbeschreibung wie etwa Pablo von Julie Birmant und Clément Oubrerie (Reprodukt, 2018) oder Joe Shuster – Der Vater der Superhelden (Carlsen, 2018), in der die wohldokumentierten Ereignisse akkurat abgebildet werden, sondern erlaubt sich gravierende Freiheiten. McCays Bekanntschaft mit dem mysteriösen Silas, dessen Name McCay dann als Pseudonym gedient habe, ist ebensowenig überliefert wie McCays Berührungen mit der vierten Dimension. Und dass wir Leser nun zu wissen glauben, woher die Idee McCays für die Geschichte von Dream of a Rarebit Fiend stamme, ist natürlich nur die Folge einer naiven Lesart. So wie McCay seine Leser durch seine Traumwelten wandeln lässt und Fiktion und Wirklichkeit spielerisch durcheinanderbringt, so erzählen bzw. zeichnen auch Thierry Smolderen und Jean-Philippe Bramanti sein Leben als verspielte Melange aus Handbuchwissen und Fiktionsrealitäten.

Die Story ist düster, mutiert zu einer Detektivgeschichte in verschiedenen Dimensionen und verliert dabei leider auch den roten Faden. Die dunklen und etwas eintönigen Figurenzeichnungen von Bramanti tragen dazu bei, dass man sich Mühe geben muss, die Orientierung zu behalten, und auch die Einführung einer vierten Dimension inklusive der Erläuterungen Hintons erleichtern die Lektüre nicht.

Wenn ein Comic alles richtig macht, liest man ihn nach Abschluss der Lektüre gern noch einmal von Anfang an, um die Zusammenhänge nun besser zu verstehen. Bei McCay habe ich mich überwinden müssen, ihn erneut zu lesen. Zabus und Thomas Campi ist es mit Magritte – Dies ist keine Biographie (Carlsen, 2017) gelungen, Magrittes Kunst erlebbar zu machen, ohne dessen Leben nachzuerzählen. McCay versucht nicht, informativ zu sein. Wirklich fesselnd ist es aber auch nicht.

McCay ist eigentlich keine Neuerscheinung – lediglich die deutsche Ausgabe ist eine Novität. Ursprünglich erschien die Lebensgeschichte bei Delcourt in vier Alben zwischen Januar 2004 und Februar 2006 – identisch bis auf wenige ergänzende Seiten, auf die in der Neuausgabe verzichtet wurde, wohingegen einige (natürlich fiktive) Heftcover als Appendix hinzugefügt wurden.

Dass das halbrunde McCay-Jubiläum von 150 Jahren ebenso ungewiss ist wie Smolderens und Bramantis Comic, ist wiederum treffend: McCays genaues Geburtsdatum ist nicht überliefert. Der 26. September 1869 gilt als offizieller Geburtstag, ist allerdings ebenso unsicher wie alles, was Smolderen und Bramanti uns von McCay erzählen.

Unrundes Jubiläum

7von10McCay
Carlsen, 2019
Text: Thierry Smolderen
Zeichnungen: Jean-Philippe Bramanti
Übersetzung: Ulrich Pröfrock
224 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 36 Euro
ISBN: 978-3551733641
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