Der argentinische Science-Fiction-Comic El Eternauta aus den 1950er Jahren zählt zu den großen Genreklassikern und gilt im Heimatland als vielleicht wichtigstes Werk der dortigen Comicgeschichte. Im Jahr 2016 veröffentlichte der Avant-Verlag erstmals eine deutschsprachige Ausgabe, die auch viel Beachtung fand. Wir sind ein bisschen später dran, haben den dicken Band dafür gleich von zwei Rezensenten betrachten lassen:
Die Besprechung von Christian Muschweck:
Als 1957 in Argentinien die ersten Folgen von Eternauta erschienen, herrschten dort paradiesische Zeiten für Comics. Kein europäisches Land konnte mit dem argentinischen Output mithalten, im Gegenteil war Argentinien eher noch ein Magnet für italienische Autoren, die dort ideale Arbeitsbedingungen vorfanden. Das sollte nicht lange währen. Die politische Lage in Argentinien wurde bald ungemütlich und gefährlich, spätestens als die Militärdiktatur in den 70er Jahren ähnlich wie der tödliche Schnee in Eternauta alles gesellschaftliche Leben unter einer Decke der Angst und des Schweigens begrub. Von Hector Oesterheld, dem Verfasser von Eternauta, heißt es, er hätte mit seiner Metapher des todbringenden Schnees die Diktatur antizipiert oder zumindest eine Ahnung kommender Verwerfungen gespürt.
Natürlich wird Eternauta heutzutage vor allem politisch gelesen. Sowohl als Parabel auf den Untergang des gesellschaftlichen Lebens Argentiniens als auch auf Oesterhelds persönliches Schicksal. Er und seine vier Töchter wurden von der Militärjunta als Widerstandskämpfer gefangen, gefoltert und ermordet. Es ist die gängigste und leider Gottes auch reizvollste Lesart, denn die Verschränkung von Oesterhelds Schicksal mit seinem Werk ist zweifellos faszinierend und trifft in unserer politisierten Zeit mitten ins Herz des Lesers. Nicht umsonst gab es ja auch eine Ausstellung zu Eternauta und einen ausführlichen Aufsatz im Zeit-Magazin, der auch in der Buchausgabe des Avant-Verlags abgedruckt ist. Außerdem ist die Figur des Eternauta, der sich in einem Taucheranzug aus seinem Familienhaus hinaus in die lebensfeindliche Welt wagt, zu einem argentinischen Sinnbild geworden, das auch heute noch als Graffiti zahlreiche Hauswände ziert.
Aber diese politische Lesart schmerzt, denn man liest Eternauta immer vom bösen Ende her. Eine unschuldigere, unpolitisierte Annäherung erscheint dagegen fast unmöglich. Es ist ein bisschen wie mit den Filmen, in denen Sharon Tate mitspielt. Man kann sich Tanz der Vampire fast nicht ansehen, ohne dabei unweigerlich an Charles Manson denken zu müssen, und je mehr man versucht, den Gedanken an ihn und seine Family auszublenden, desto stärker drängt er sich in den Vordergrund. Man kann die Vorstellung nur abkapseln und ignorieren, abtöten lässt sie sich nicht. Gerade deswegen bemühe ich mich dennoch, Eternauta aus der Perspektive der 50er Jahre zu lesen. Ich möchte Oesterheld als Verfasser von Science Fiction erleben, nicht als Märtyrer, und ich möchte mich fragen: Ist Eternauta auch ohne politische Aufladung ein guter Comic?
Zunächst fällt auf, wie wenig Plot Eternauta hat. Im Gegensatz zu modernen Comics, die von der ersten Seite an ein Gesamtpanorama von Haupt- und Nebenfiguren entwerfen müssen, da sie sonst das Interesse der anspruchsvollen Leserschaft nicht gewinnen können, gibt es in Eternauta eine einzige schlichte Grundprämisse: Dem Comicautor Oesterheld erscheint aus heiterem Himmel ein Mensch in seiner Wohnung, der sich Eternauta nennt und ihm die Geschichte einer außerirdischen Invasion erzählt. Diese Invasion wirkt wie eine schnell entworfene Storyskizze von Stephen King: Tödlicher Schnee fällt vom Himmel und eine Gruppe Menschen versucht zu überleben. Das ist alles. Die Story entwickelt sich dabei teilweise fast absurd langsam. Jede kleinste Handlung wird minutiös ausgebreitet. Allein die Entscheidungsfindung, wer von den Hausbewohnern als erstes austesten soll, ob man mithilfe eines Taucheranzugs in der tödlichen Umwelt überleben kann, geht über mehrere Seiten. Zwei Seiten lang wird nichts anderes gemacht, als ausgewürfelt, wer gehen darf – und diese zähe Sequenz ist kein Einzelfall. Aber die Langsamkeit fasziniert auch, denn sie zwingt zur Empathie mit den Figuren und macht die Hoffnungslosigkeit der Situation spürbar. Es ist ein stetes Wechselbad aus totalem Horror und aufkeimenden Hoffnungsschimmern, die nach einiger Zeit wieder zerplatzen.
Es hilft, sich vor Augen zu halten, dass Eternauta in Fortsetzungshäppchen anders wahrgenommen wurde als nun in gebundener Form, denn tatsächlich kann man die Erzählung nicht in einem Rutsch durchlesen. Es wäre zu zermürbend. Die Science-Fiction-Elemente sind spürbar gealtert: Der Kalte Krieg ist, wie so oft bei Invasionsszenarien dieser Zeit, omnipräsent, und natürlich ist Eternauta auch Military-SF. Die Darstellung militärischer Strukturen ist in Eternauta besonders reizvoll, denn ab dem Zeitpunkt, zu dem sich der Eternauta einer militärischen Einheit anschließt, um die Invasoren zu bekämpfen, bringen uns Oesterheld und sein Zeichner Francisco Solano Lopez in einer beispielhaft detaillierten Darstellungsweise das Innenleben eines Soldaten in aussichtslosem Kampf bedrückend nahe. Natürlich kann man gerade einem Comic wie Eternauta unterstellen, dass er an dieser Stelle die komplexe Situation eines Kriegs unzulässig vereinfacht, indem er die gegnerische Seite als dämonische Aliens zeigt, was das Töten legitimiert (ein Vorwurf, der auch bei vielen Zombie-Stories greift). Andererseits schaffen es Oesterheld und Lopez meisterhaft, zu zeigen, was es für den Menschen bedeutet, wenn sein Dasein sich allein aufs Kämpfen und Überleben reduziert. Im Grunde sind diese Soldaten nur noch lebende Tote.
Interessant ist Eternauta aber auch immer dann, wenn die Phantastik-Elemente durchscheinen, beispielsweise wenn die Aliens Waffen einsetzen, die den Soldaten ihre eigenen Ängste vorspiegeln oder wenn sich herausstellt, dass die vermeintlichen Anführer der Aliens ihrerseits bereits Sklaven sind, die von einer noch einmal übergeordneten Macht zum Kampf gezwungen werden. Und immer wieder, wenn die Hauptfiguren meinen, einen Hoffnungsschimmer zu sehen, tun sich neue Ungeheuerlichkeiten auf, die ihre Welt noch weiter verdunkeln. Aber am Ende der Erzählung findet Juan, die Hauptfigur der Erzählung, eine Zeitmaschine, und damit einen letzten Hoffnungsschimmer, die Katastrophe ungeschehen zu machen. Aber lässt sich damit ungeschehen machen, was über 300 Seiten hinweg in breiter Epik geschehen ist? Eternauta lässt den Erfolg der Zeitreise in der Schwebe. Stattdessen wird mit diesem Kunstgriff ein neuer Ton angeschlagen, der die Erzählung in einem neuen Licht erstrahlen lässt.
Eternauta ist zweifellos ein großer Comic. Er zeigt, was aus einer schlichten Prämisse herauszuholen ist, er funktioniert als Stimmungsbild der 50er Jahre, er ist ein furioser wie ernüchternder Kriegscomic und darüberhinaus schlichtweg ein Paradebeispiel für entschleunigtes Erzählen. Trotz ihrer Langsamkeit wirkt die Erzählung fokussiert und geradlinig. In Sachen Realismus war der Comic darüber hinaus seiner Zeit weit voraus, vor allem auch weil er seine Figuren so konsequent im argentinischen Alltag verankert hat. Eben diese Tatsache ist es letztlich auch, die Eternauta im Nachhinein so gespenstisch visionär wirken ließ. Trotz mancher Längen ist es ein Erlebnis, Eternauta lesen zu dürfen.
★
Zweite Meinung – die Besprechung von Gerrit Lungershausen:
Manche Bücher entwickeln ein seltsames Eigenleben, wenn die Realgeschichte die Fiktion rechts überholt und den Text danach in etwas anderes verwandelt. Als Michel Houellebecqs Roman Unterwerfung am 4. Januar 2015 in die französischen Buchhandlungen ausgeliefert wurde und islamistische Attentäter die Redaktion von Charlie Hebdo angriffen, geschah genau das und verband Roman und politisches Ereignis miteinander. Bei Eternauta liegt der Fall ähnlich und doch ganz anders.
Der Comic, der zwischen 1957 und 1959 erschien, hat eine Nachgeschichte, die für viele interessanter scheint als die eigentliche Handlung: Das Mysterium des später verschwundenen Autors erlaubt eine Lektüre des Science-Fiction-Comics als politische Allegorie auf das Argentinien der 1970er Jahre. Das ist natürlich nicht ganz fair, weil es den Comic erst nachträglich mit Bedeutung auflädt und ihn einerseits überhöht, andererseits nicht ernst nimmt. In erster Linie ist er keine Allegorie, sondern die SF-Geschichte einer Alien-Invasion. Punkt. Und was taugt er als solche?
Aliens sind ein alter Hut: Wir begegnen ihnen zahlreich in der frühneuzeitlichen Literatur, allerdings agieren sie dort meist friedlich und dienen eher dazu, die Eigenarten der Menschheit zu illustrieren: In den posthum erschienenen Romanen Cyrano de Bergeracs (1657 und 1662) fungiert die Begegnung zwischen Mensch und Außerirdischem als unterhaltsame Adelssatire, und bei anderen Autoren wie Eberhard Christian Kindermann geht es stets auch um irdische Probleme. Außerirdische Invasoren aber kennt die Welt erst seit H. G. Wells‘ War of the Worlds (1898), und seit der Erfahrung mehrerer Weltkriege ist die säbelrasselnde Variante des interstellaren Kulturkontakts eher zur Regel geworden: So wie es den Kommunisten, Imperialisten, Faschisten etc. um die Weltherrschaft geht, so auch stets den Aliens. E.T., Alf und Mork vom Ork bleiben natürlich auch retrospektiv friedlich, cool und nerdig-liebenswert. Aber gegen die vielen Varianten feindlich gesonnener Fremdplanetarier sind sie eine Minderheit. In den 1950er Jahren dienten Erde-All-Konflikte ganz wunderbar der Illustrierung des Kalten Krieges wie etwa Filme wie The Day the Earth Stood Still (1951), Invaders from Mars (1953) oder Invasion of the Body Snatchers (1956).
In diesem Kontext ist Eternauta zuhause.
Die Außerirdischen in Oesterhelds und López‘ Invasionscomic sind nicht die eigentlichen Feinde: weder der tödliche Schnee, die massenhaften Käfer, die angsteinflößenden Hände, noch die kolossalen Gurbos. Wie eine Karawane der Bedrohung ziehen diese „Anderen“ durch die Story, aber verbergen damit nur den Blick auf den eigentlichen Feind, der stets unsichtbar im Hintergrund bleibt und die Fäden in der Hand behält. Soweit, so banal, denn Gut und Böse sind hier nicht allzu differenziert dargestellt, die menschlichen Figuren bleiben autobiografisch und psychisch so blass, dass sie so schwarz-weiß bleiben wie die herrlichen Zeichnungen. Vielleicht ist das einzig Raffinierte an dieser Freund-Feind-Konstellation, dass das Ultimativ-Böse völlig abstrakt und damit ein hohles Gefäß bleibt, das die einzelnen Figurengruppen mit ihren Ängsten füllen. Alle Außerirdischen, die anfangs als böse erschienen, erweisen sich bald als Täter und Opfer zugleich, als ferngesteuert, als Getriebene ohne Wahlmöglichkeit. Und wenn es dem Comic gelungen wäre, dieselbe Grauzone auch bei den Menschen auszuloten, wäre viel gewonnen gewesen, weil dann das Gut-Böse-Schwarz-Weiß-Denken tatsächlich von einem systemischen Ansatz überdeckt worden wäre. Stattdessen entkommt die Figurengestaltung und -entwicklung doch nicht ganz der Massenware: Auch wenn der Feind nicht wirklich der Feind ist, bleibt der Held doch stets der Held.
Mich haben einige der Zeichnungen sehr begeistert, die Handlung aber sticht nicht aus dem Fundus der vielen Geschichten hervor, die auch in den 1950ern schon zum Alltag gehörten. In der Medienkonkurrenz zu Literatur und Film setzt Eternauta keine besonderen Akzente. Die deutsche Veröffentlichung (ohne die Fortsetzungen von 1969/75) mag als Testament einer biografischen Tragödie eindrucksvoll sein, als Lektüreerlebnis scheint sie mir überschätzt.
Avant-Verlag, 2016
Text: Hector Oesterheld
Zeichnungen: Francisco Solano Lopez
Übersetzung: Claudia Wente
396 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 39,95 Euro
ISBN: 978-3-945034-35-4
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