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Der Tod von Captain Marvel (Marvel Must-Have)

Marvels erste Graphic Novel konfrontiert uns im Gewand einer bunten Space Opera mit unangenehmen Themen wie der eigenen Sterblichkeit, der Akzeptanz des Unausweichlichen sowie den Mühen der Trauerbewältigung. Wie reagiert ein Held auf eine Krise, aus der er sich nicht – wie in Superheldencomics üblich – mit Fäusten freikämpfen kann? Panini bringt Jim Starlins Klassiker The Death of Captain Marvel (1982) in der Reihe „Marvel Must-Have“ in gewohnt professioneller Aufmachung auf Deutsch heraus, so wie es sich für dieses Meisterwerk der Comicgeschichte gehört. Eine Pflichtlektüre!

Cover der deutschen Ausgabe © Panini

Am Anfang war der Rechtsstreit

Dank der medialen Omnipräsenz der Disney-Marvel-Filme denken wir heute wahrscheinlich sofort an Carol Danvers (bzw. ihre Verkörperung durch die Schauspielerin Brie Larson) wenn wir den Namen Captain Marvel hören. Das war nicht immer so. Comicfans wissen, dass den Titel „Captain Marvel“ ursprünglich ein Mann innehatte. In den 50ern als Superman-Rip-Off im roten Kostüm und gelbem Blitz auf der Brust konzipiert, hatten Fawcett Comics bald eine Copyright-Klage von DC am Hals, die sich den Helden kurzerhand einverleibten. Zeitsprung ins Jahr 1967. Der Marvel-Verlag hat sich als ernstzunehmender Player im Comicbusiness etabliert, und da sich DC nicht mehr um die Marke ihres Captains kümmerte, akquirierte Marvel die Rechte an dem Namen – wohl eher aus Prinzip (schließlich ist es der gleiche wie der des Konzerns) als aus Überzeugung – und brachte eine eigene Captain-Marvel-Reihe heraus.

Diese ersten von Roy Thomas verfassten Geschichten der Marvel-Version des Captains sind ebenfalls im Panini-Band von Der Tod von Captain Marvel abgedruckt und stellen einen unerlässlichen Kontext für das bereit, was dann noch folgen sollte. Aus Captain Marvel wird Mar-Vell, ein Captain der hochentwickelten außerirdischen Kree, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Erde zu observieren, falls die Menschheit ihnen irgendwann Konkurrenz machen sollte. Mar-Vell wird als Beobachter entsandt, nimmt aber schon bald Anteil an den Menschen und stellt sich gegen die Kree-Besatzer, um als Superheld „Captain Marvel“ für Gerechtigkeit zu sorgen. Thomas‘ Skript für diese ersten Hefte macht auf heutige Leserinnen und Leser einen eher rudimentären Eindruck: Das Design für Mar-Vells grünes Kostüm wirkt lächerlich und die Geschichte etwas zu kindisch, wobei Gene Colans Zeichnungen ein wohliges Swinging-Sixties-Feeling versprühen, das an kultige Science-Fiction-Filme dieser Zeit erinnert.

Covers von Captain Marvel Vol.1 (1941) #4 (links, Zeichnungen: C. C. Beck, © DC) und dessen „Nachahmer“ Captain Marvel #1 (1968) (rechts, Zeichnungen: Gene Colan, © Marvel)

Als Jim Starlin die Reihe 1972 übernahm, hatte Mar-Vell bereits sein charakteristisches Aussehen im roten Kostüm angenommen und mit Rick Jones einen Sidekick eingeführt, mit dem er die Plätze tauschen kann, sobald er seine Armbänder zusammenschlägt. (Ein Seitenhieb auf DC, dessen Captain-Marvel-Nachfolger Shazam auf ähnliche Weise mit dessen Alter Ego Billy Batson verbunden ist.) Es ist Starlin, der Captain Marvel sein eigentliches Profil verleiht, ihn in Abenteuer kosmischen Ausmaßes verstrickt und dabei Figuren wie Thanos oder Adam Warlock aus der Taufe hob: Marvels große, ambitionierte Science-Fiction-Stories, sie bleiben untrennbar mit dem Namen Jim Starlin verbunden. Als die Verkaufszahlen für Captain Marvel jedoch weiterhin stagnierten und Marvel beschloss, eine neue Figur (Monica Rambeau) seinen Namen tragen zu lassen, galt es, ein würdiges Ende für unseren Helden zu finden. Starlin war die logische Wahl für diesen Job. Dass eine Geschichte, die aus einer verlegerischen Notwendigkeit heraus geboren wurde, aber einen derartigen Eindruck hinterlassen würde, damit hätte dann wohl doch niemand gerechnet.

Schon das Format von The Death of Captain Marvel war ungewöhnlich. Größer und mit mehr Seiten als die üblichen Hefte orientierte sich diese von Marvel-Verleger Jim Shooter zum ersten Mal so betitelte „Graphic Novel“ am europäischen Albumformat, eine Form, die noch zahlreiche Nachfolger im US-Superheldengenre nach sich ziehen sollte (etwa Chris Claremonts bahnbrechende X-Men-Graphic-Novel God Loves, Man Kills kurze Zeit später). Jim Starlin schrieb nicht nur die Geschichte zu The Death of Captain Marvel, sondern steuerte auch Zeichnungen und Tusche bei – womit der graphische Roman ein offensichtliches Herzensprojekt des Autors darstellte. Da sich Starlin kurz vor Beginn der Arbeit an dem Buch seinen Finger verletzt hatte, war es ihm unmöglich, lange, fließende Linien zu zeichnen. Die daraus resultierende kurze, fragmentierte Tusche-Strichführung lässt die Zeichnungen sofort herausstechen. Die Tatsache, dass Starlin mit dem Tod von Captain Marvel den Tod seines eigenen Vaters an Krebs verarbeiten wollte, verleiht den konzentriert geführten Linien – fast so, als hätte er einem Zittern vorbeugen müssen – eine unheimliche Authentizität.

Die für Rückblenden an den Ecken klassisch abgerundeten Panels umrahmen Starlins Figuren, welche durch die kurze Tuschestrichführung sofort hervorstechen. (© Panini)

„O Captain! my Captain! our fearful trip is done” – Walt Whitman

Dass ein Superheld an Krebs sterben kann und dies ins Zentrum einer Geschichte zu rücken, dazu gehört Mut und kann leicht schief gehen. Umso bewundernswerter mit welcher Sensibilität sich Starlin dem Thema annähert. Der Comic beginnt so, dass der um seinen bald bevorstehenden Tod wissende Captain Marvel seine Geschichte auf Tonband spricht. Dieser Bericht, der durch traditionell an den Ecken abgerundete Panels bebildert ist, wird immer wieder von einer aktuellen Mission unterbrochen, in der Mar-Vell gemeinsam mit dem außerirdischen Herrscher Mentor und dessen Sohn Eros den versteinerten Leichnam von Thanos (dem anderen Sohn Mentors) zurück auf den Mond Titan zu bringen versucht. Bei einer Konfrontation mit ein paar übriggebliebenen wahnsinnigen Gefolgsleuten Thanos‘, bleiben Mentor und Eros die Hustenanfälle Mar-Vells nicht verborgen. Der Captain klärt seine Mitstreiter darüber auf, dass er bei einer vergangenen Mission einem Nervengas ausgesetzt war (in Captain Marvel #34, dankenswerterweise ebenfalls abgedruckt im vorliegenden Panini-Band), das ein Karzinom zur Folge hatte. Damit ist es zum ersten Mal ausgesprochen: Mar-Vell wird an Krebs sterben und es gibt nichts, was er dagegen tun kann. Nach und nach erfahren Freunde und Heldenkollegen von seinem Schicksal. Besonders stark: Eine Szene, in der Mar-Vell seiner Geliebten Elysius von seinem bevorstehenden Tod erzählt. Die Seite kommt komplett ohne Textblasen aus, wir erfahren nur durch die Mimik und Gestik der beiden Liebenden, was vor sich geht – bis heute eine der eindrucksvollsten Beispiele stummer sequenzieller Erzählkunst.

Stumme Erzählkunst: Mar-Vell klärt seine Geliebte Elysium über seine tödliche Erkrankung auf. (Zeichnungen: Starlin, © Panini)

Die Reife, mit der Starlin sein schwieriges Thema angeht, kommt aber nicht nur in seinen Zeichnungen zum Vorschein, sondern auch auf inhaltlicher Ebene. So reagiert die Heldencommunity ganz unterschiedlich auf die Hiobsbotschaft, wobei die verschiedenen Stadien der Trauer – von Verweigerung, Zorn, Depression, bis hin zur Annahme – dabei zum Ausdruck kommen: Während Beast, Dr. Strange und Mr. Fantastic trotz aussichtsloser Lage weiterhin nach einer Heilung suchen, ist Spider-Man mit der Situation so überfordert, dass er am Sterbebett Mar-Vells kein Wort herausbringt. Was es bedeutet, alle Trauerphasen zu durchlaufen, wird anhand von Captain Marvels ehemaligem Sidekick Rick Jones gezeigt, der zunächst mit Wut reagiert und sich jeder Kommunikation verweigert – nur um dann am Ende doch den Tod der Vaterfigur zu akzeptieren. Zum Schluss löst Starlin das Geschehen noch einmal in einer Kampfszene auf – einer Nahtodvision Mar-Vells, die ihrer eigenen surrealen Traumlogik folgt und einen Mann im Konflikt mit seinen eigenen inneren Dämonen zeigt. Wie anders gestaltet sich dieser Kampf als man es in Superheldencomics gewohnt ist: Es geht hier nicht darum, den Bösewicht zu besiegen (in Mar-Vells Koma-Fantasie kämpft er noch einmal gegen Thanos), sondern darum, mit der eigenen Sterblichkeit fertig zu werden. Damit hebt Starlin seine Geschichte thematisch auf ein anderes Niveau und eröffnete neue Möglichkeiten, die Helden in bunten Kostümen in Szene zu setzen. Captain Marvel auf seinem Sterbebett, umgeben von seinen Freunden, Konkurrenten und Geliebten, evoziert kunsthistorische Darstellungen der ars moriendi eher als ikonische Posen kämpfender Halbgötter. Wenn es ein Indiz für das Erwachsenwerden der Superheldencomics in den 80er Jahren gibt, dann dieses.

Captain Marvel auf seinem Sterbebett (links, Zeichnungen: Starlin, © Panini) evoziert mittelalterliche Darstellungen der ars moriendi (rechts, Kupferstich von Meister E.S., Public Domain).

Zur Panini-Ausgabe: Wie man es von der Marvel-Must-Have-Reihe gewohnt ist, wird der Comicklassiker sehr schön aufbereitet, Einleitung, Bonusteil und Kurzbios zum Schöpferteam inklusive. Die eigentliche Leistung bildet aber die sorgsame Auswahl der frühen Captain-Marvel-Ausgaben, welche die Graphic Novel exzellent kontextualisieren. Die Leserinnen und Leser werden so mit den wichtigsten Eckpfeilern aus Mar-Vells Lebensgeschichte versorgt. Auch wenn man zuvor noch nie etwas von dieser Figur gehört hat, wird einen der Tod von Captain Marvel nach der Lektüre dieses Bandes wohl kaum kalt lassen.

Ein würdiger Abschied für Marvels kosmischen Helden

9von10Der Tod von Captain Marvel (Marvel Must-Have)
Panini, 2024
Text: Jim Starlin, Roy Thomas, Stan Lee u.a., Zeichnungen: Gene Colan, Jim Starlin, Pat Broderick
Übersetzung: Michael Strittmatter, Carolin Hidalgo
196 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 29,00 Euro
ISBN: 978-3-7416-3683-7

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