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Spider-Man – Familientradition (Marvel Must-Have)

Peter Parker als Geheimagent? Mit Familientradition von Mark Waid und James Robinson erscheint ein wenig beachteter Klassiker aus Spideys bewegter Geschichte in Paninis Reihe „Marvel Must-Have“. Eine Empfehlung für alle, die ihre Bibliothek vervollständigen wollen oder einfach nur auf der Suche nach einer Story für zwischendurch sind.

Cover (© Panini)

Eines gleich vorweg: Familientradition wurde von Marvel 2014 bewusst als „Graphic Novel“ herausgebracht, das heißt als abgeschlossene Geschichte in Buchform, die relativ unabhängig von den Geschehnissen in Spider-Mans Heftreihe gelesen werden kann – was nicht heißt, dass die Story ohne Folgen für die Kontinuität der Reihe geblieben ist, aber dazu gleich mehr. Wer Familientradition einfach aufschlägt, muss sich nicht groß darum kümmern, was in Spider-Mans Universum der 2010er Jahre gerade los ist. Das macht die Geschichte besonders geeignet für Neueinsteiger in die Welt der Superhelden allgemein und in Spideys Welt im Besonderen.

Action und Slapstick: Willkommen in Spider-Mans Welt! (Zeichnungen: Gabriele Dell’Otto, Werther Dell’Edera, © Marvel Comics)

Peter Parker steht im Regen. Das Geschäft, in dem er seine Stromrechnung zahlen will, muss ausgerechnet jetzt Pause machen. Und dann fährt auch noch ein Lieferwagen mit illegaler Schieberware vorbei. Peter zieht sich widerwillig seine Spider-Man-Maske über, um den Dieben Einhalt zu gebieten. Dass es sich bei der illegalen Ware um Waschmittel handelt, macht die Absurdität der Situation noch deutlicher. Spider-Man springt auf die Motorhaube, und der Wagen crasht am Rande der Straße. Das alles ist als Ballett aus Pistolenschüssen, Spinnennetzen und herumspritzender Seife inszeniert, die dann Spider-Mans Halt erschwert. Die atemlose Actionsequenz bietet genau jene Mischung aus sorgsamer Choreographie, Slapstick und pointierten Onelinern („Was habt ihr geschnüffelt? Lenor?“), die jeden guten Spider-Man-Comic auszeichnet. Auch neue Leserinnen und Leser werden sich hier gleich zuhause fühlen.

Zurück im Apartment wird Peter prompt der Strom abgedreht. Und dann überfällt auch noch ein Spezialkommando die dunkle Wohnung. Bevor Peter weiß, wie ihm geschieht, wird er per Seil in einen Helikopter gezogen. Er kann sich von der Leine befreien, stürzt in die Tiefe und landet auf dem Beifahrersitz eines Cabriolets. Die junge Frau am Steuer, die ihn auffing, stellt sich auch gleich vor: „Teresa Parker, deine … Schwester.“

Erster Auftritt von Peter Parkers (angeblicher) Schwester Teresa. (Zeichnungen: Dell’Otto/Dell’Edera, © Marvel Comics)

Peter ist völlig baff, schließlich wurde er in dem Glauben erzogen, Einzelkind zu sein. Dass Peters früh verstorbene Eltern als Geheimagenten tätig waren, wurde bereits im Spider-Man Annual #5 (1968) etabliert, dass es aber möglicherweise noch eine Schwester gibt, die denselben Karriereweg wie ihre Eltern einschlug, ist eine Erfindung von Familientradition. Auch sie erfuhr erst kürzlich von der Existenz ihres Bruders und meint nun, ihn beschützen zu müssen. Wie sich herausstellt, liegt der Grund, warum Peter zur Zielscheibe wird, an einem Versteck der Eltern, das nur Peters DNA öffnen kann. Vor allem die Tatsache, dass der Gangsterboss und Spider-Mans alte Nemesis Wilson Fisk (der „Kingpin of Crime“) auch hinter dem Versteck her ist, macht die Lage besonders gefährlich.

Das alles gibt Anlass für eine abwechslungsreiche Spionagestory irgendwo zwischen Indiana Jones und James Bond, in der doppelte Identitäten, Intrigen, Verfolgungsjagden und verborgenes Nazigold nicht fehlen dürfen. Der Comic wimmelt dabei nur so vor Anspielungen an alte Spionagefilme: In einer wunderbaren Szene müssen Peter und Teresa im berühmten Casino in Monte Carlo Informationen beschaffen. Peter trägt dabei denselben Anzug wie Sean Connery in Goldfinger (1964), nur geht ihm die nötige Coolness für seine neue Rolle völlig ab. James Bond hätte Roulette jedenfalls nicht mit Baccara verwechselt. So stolpert Peter auf ungewohntem Terrain von einem Fettnäpfchen ins Nächste, ist dabei um einen Witz auf seine eigenen Kosten aber nie verlegen.

Peter Parker (rechts, © Marvel Comics) auf den Spuren von Indiana Jones (links, © 1984 Lucasfilm, Ltd.) und James Bond (mitte, © Metro Goldwyn Meyer Studios Inc.).

Nicht zuletzt aufgrund seines Humors bleibt Familientradition genauso wie sein Held Spider-Man stets zugänglich und ausgesprochen leserfreundlich. Nichtsdestotrotz spicken Waid und Robinson ihre Story mit weit zurückreichenden Referenzen an den Spider-Man-Kosmos, die dem geneigten Fan spezielle Freude machen dürften, für das Verständnis der Geschichte aber unerheblich sind. In der besagten Casinoszene tritt etwa der französische Superschurke Cyclone auf, der Mobiliar und Besucher buchstäblich „aufwirbelt“ und das Einschreiten Spider-Mans unerlässlich macht. Im Kampf mit Cyclone merkt Peter, dass es sich nicht um denjenigen Cyclone handeln kann, mit dem er vertraut ist (dieser starb in der ersten Clone Saga aus den 70ern), sondern dass die Version, mit der er es hier zu tun hat auf eine spezielle Technologie angewiesen ist, um seine Stürme zu erzeugen. Man kann sich dieses Kontexts als Leserin oder Leser bewusst sein, muss es aber nicht.

Teresa nimmt ihre Schwesternrolle an. (Szene aus Giant-Size Amazing Spider-Man Annual #1 (2021), Zeichnungen: Marcelo Ferreira, Carlos Gómez, Ze Carlos und Ig Guara, © Marvel Comics)

Obwohl Familientradition eine für sich stehende Geschichte präsentiert, stellt sich die Frage, wie die Geschehnisse der Graphic Novel mit der Hauptkontinuität der Heftreihe verbunden sind. Waids und Robinsons Idee dürfte gewesen sein, Teresa Parker einzuführen und zu schauen, ob andere Autoren die Figur irgendwann wieder aufnehmen wollen. Bis zum Schluss von Familientradition bleibt außerdem unklar, ob es sich bei Teresa wirklich um Peters Schwester handelt oder alles nur auf eine Täuschung des Mutanten Mentallo (noch so ein altes Stück Comicgeschichte) zurückzuführen ist. Tatsache ist, dass Teresa 2017 während Chip Zdarskys Spider-Man-Run als S.H.I.E.L.D.-Agentin wiederauftaucht. Letzter Stand: Giant Size Amazing Spider-Man: The Chameleon Conspiracy #1 (2021) geschrieben von Nick Spencer und Ed Brisson. In einer Konfrontation mit dem Superschurken Chameleon bietet ihr dieser einen Tausch an. Für ein von Peter entwickeltes Hellsehergerät würde Teresa im Gegenzug alles über ihre Herkunft erfahren. Teresa lehnt den teuflischen Pakt jedoch ab, und entscheidet sich dafür, dass Peter ihr Bruder ist, biologische Eltern hin oder her.

Lens Flares und Unschärfeeffekte evozieren einen fotorealistischen Stil. (Zeichnungen: Dell’Otto/Dell’Edera, © Marvel Comics)

Eingefangen wird die charmante Spionagegeschichte rund um unser ungleiches Geschwisterpaar von den beiden italienischen Zeichnern Gabriele Dell’Otto und Werther Dell’Edera. Die gemäldeartigen Panels strotzen nur so vor Details, wobei die Grenze zum Fotorealismus mehr als einmal überschritten wird: Lens Flares und Unschärfeeffekte evozieren oft eher Fotostrecken als gezeichnete Bilder. Wo dieser Stil für statische Bildkompositionen gut geeignet ist, stößt er bei dynamischeren Actionszenen jedoch manchmal an seine Grenzen. So wie schon bei den barock anmutenden Gemälden eines Alex Ross sind es vor allem die eingefrorenen Posen idealisierter Superheldenfiguren (man denke nur an Ross‘ Obsession mit Superman), welche die Stärken dieses Stils vor Augen führen. Bei einer bodenständigen Thrillerstory mit viel Action scheint diese Zugangsweise weniger angebracht. Letztendlich ist das aber Jammern auf hohem Niveau.

Zur Panini-Ausgabe: Einmal mehr überzeugt die „Marvel-Must-Have“-Reihe mit einem gut gebundenen Hardcover. Der informative Bonusteil versorgt vor allem Einsteiger hervorragend mit Hintergründen zu Spider-Man, Kingpin, Teresa Parker sowie zum gesamten Schöpferteam. So wünscht man sich die Aufbereitung eines Klassikers! Und der Preis ist sowieso unschlagbar.

Das Debüt von Spider-Mans Schwester als amüsantes Spinoageabenteuer

8von10Spider-Man – Familientradition (Marvel Must-Have)
Panini, 2023
Text: James Robinson, Mark Waid, Zeichnungen: Gabriele Dell’Otto, Werther Dell’Edera
Übersetzung: Michael Strittmatter
116 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 19,00 Euro
ISBN: 978-3741-633898
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