Rezensionen
Kommentare 8

Ms. Marvel 1

Geht eine neue Superheldenserie an den Start, wird dies äußerst selten von Mainstream-Medien begleitet. Im Fall von Ms. Marvel überschlugen sich diese jedoch schon lange vor Serienstart mit Meldungen darüber, dass die Titelfigur in diesem Fall eine muslimische Superheldin sein würde. Fast war man ob des Rummels versucht zu glauben, die neue Ms. Marvel sei der erste muslimische Zuwachs für die Superheldenriege amerikanischer Comicgroßverlage.

© Panini Comics

Dabei sauste bei Marvel schon seit den frühen 1980ern der – zugegeben arg stereotype – Arabian Knight mit Turban und magischem Krummsäbel auf seinem fliegenden Teppich umher. (Erst in seiner dritten Inkarnation 2006 durfte er sich endlich etwas zeitgemäßer kleiden.) Unter den unzähligen X-Men-Mutanten tummelt sich zudem seit 2002 auch die Niquab-tragende Afghanin Sooraya Qadir alias Dust, und ihrer Mutanten-Kollegin M wurde von Autor Peter David nachträglich ein muslimischer Hintergrund gegeben. DC hingegen schickte mit Simon Baz, einem Amerikaner libanesischer Abstammung, 2012 die erste muslimische Green Lantern in den Ring, nachdem bereits ein Jahr zuvor der algerisch-französische Superheld Nightrunner Batman beim Schurken-Verkloppen in Paris unterstützen durfte.

Das sind zugegebenermaßen weder beeindruckend viele noch sonderlich bekannte Figuren – und eine eigene Serie wurde keiner von ihnen zuteil. Ebenso wenig der Name einer altgedienten Superheldin, der auch noch den Verlagsnamen enthält. Insofern ist die Medien-Aufgeregtheit durchaus verständlich. Die Figur, die damit von Anfang an eine Menge Aufmerksamkeit und Erwartungen auf ihre schmalen Schultern aufgebürdet bekam, ist die sechzehnjährige Jugendliche Kamala Khan, Tochter pakistanischer Einwanderer, die mit ihrer Familie in Jersey City lebt. Sie ist nerdig, schreibt Superhelden-Fanfiction, verehrt die Rächer und vor allem die Heldin Captain Marvel (die früher mal Ms. Marvel hieß). Soweit, so sympathisch.

Dass es in diesem Comic nicht darum gehen solle, was es bedeutet, Muslim, Pakistani oder Amerikanerin zu sein, betonte die verantwortliche Redakteurin Sana Amanat in einer Pressemitteilung. „Das sind nur die kulturellen Eckpunkte, welche die sich ständig verändernde Welt, in der wir leben, reflektieren sollen. Letztendlich ist dies eine Geschichte darüber, was es bedeutet jung zu sei, mit den großen Erwartungen anderer an sich konfrontiert zu werden und wichtige Entscheidungen für sich zu treffen.“

© Panini Comics

Im ersten Sammelband mit den Abenteuern der neuen Ms. Marvel bleiben diese guten Absichten jedoch etwas auf der Strecke. Denn es wird trotz der obigen Beteuerung einfach übermäßiges Gewicht auf die Tatsache gelegt, dass Kamala Muslim und pakistanischer Abstammung ist – und wie sehr sie damit hadert. Sie würde gerne ihr versagtes Schweinefleisch kosten, langweilt sich im samstäglichen Moscheeunterricht und gerät immer wieder mit ihren stereotyp-konservativen Eltern aneinander. Autorin G. Willow Wilson, die als Studentin zum Islam konvertiert ist und einige Jahre in Ägypten verbrachte, schwingt voll guter Absicht leider zu sehr den narrativen Holzhammer. Weniger wäre mehr gewesen. Es gibt zwar ein paar gelungene Differenzierungen, wie der Umstand, dass Kamalas ultrareligiöser Bruder mit seinen Frömmeleien sogar den Eltern auf den Nerv geht, aber insgesamt ist die Fixierung auf diese Aspekte zu stark.

Doch nimmt man andererseits Kamalas kulturell-religiösen Hintergrund weg, bleibt kein sonderlich interessanter oder gar herausragender Comic übrig: Ein etwas linkisches, sympathisches Nerd-Mädchen erhält, nachdem die Stadt in mysteriösen Nebel getaucht wird (Terrigen-Nebel, um genau zu sein; erfahrene Marvel-Leser wissen, was das für die Figur bedeutet), Superkräfte. Um genau zu sein: Sie kann ihre Gliedmaßen strecken und verformen sowie ihren ganzen Körper vergrößern und schrumpfen. Also ein wenig originelles und beliebig wirkendes Amalgam der Kräfte altbekannter Helden. Das wird auch nicht dadurch interessanter, dass die gestaltwandlerischen Kräfte vermutlich als Metapher für die Jugendzeit gedacht sind, in der sich Menschen eben verbiegen, verändern und ausprobieren. (Warum Kamala nach Kontakt mit dem Nebel vorübergehend nicht nur das Aussehen, sondern auch das alte Kostüm der von ihr verehrten Ex-Ms. Marvel Carol Danvers bekommt, bleibt dabei übrigens ziemlich schleierhaft.) Sie vollbringt im Anschluss gleich ihre erste Heldentat und weil Kamala Superhelden so toll findet, wird sie halt auch eine. Eine größere Motivation fehlt hier leider genau so sehr, wie spannende Herausforderungen oder interessante Antagonisten für die Neu-Heldin. Dass einer ihrer Gegner „I’m a bad guy“ auf seinem Hemd stehen hat, ist natürlich witzig gemeint, spiegelt aber ironischer Weise zugleich diese Einfallslosigkeit wider.

Was andere Autoren von Superheldenserien um jugendliche Protagonisten, wie Brian Michael Bendis mit Ultimate Spider-Man oder Brian K. Vaughan mit Runaways, erfolgreich geschafft haben – den Leser am Kragen zu packen und in das sich auf den Kopf stellende Leben der Junghelden reinzuziehen – gelingt Wilson trotz ein paar guter Ansätze nicht. Dazu wirkt alles eine Spur zu didaktisch und der Geschichte fehlen Antriebskraft und ein roter Faden. Es mag jedoch gut sein, dass jugendliche LeserInnen, an die sich dieser Comic mit Sicherheit hauptsächlich richtet, sich weniger daran stoßen und trotz dieser erzählerischen Mängel in der leichtfüßigen Coming-of-Age-Geschichte der ansprechenden Hauptfigur aufgehen.

© Marvel Comics

Für die Umsetzung von Wilsons Script zeichnet mit Adrian Alphona immerhin jener Künstler verantwortlich, der schon Vaughans Runaways erfolgreich in Szene setzte. Sein Stil hat sich weiterentwickelt, ist weniger glatt, sondern lockerer, skizzenhafter und lebendiger, inklusive handgezeichneter Panels. Das kommt der Hauptfigur zugute, die umso mehr als quirliger und teils tollpatschiger Teenager erscheint und nicht wie ein erwachsenes Mannequin, wie es im Superheldengenre allzu häufig der Fall ist. Die unzähligen witzigen Details und schrägen, funny-artigen Figuren, mit denen Alphona sie in den Panels oft umgibt, sind zwar vergnüglich anzusehen, wollen jedoch nicht immer zum zwar humorvollen, aber doch semi-realistischen Ton, den die Autorin anschlägt, passen. Selbst Figuren aus dem Hauptensemble wie Kamalas Vater und Bruder wirken in manchen Bildern auf irritierende Art wie verzerrte Karikaturen. Auch Kamalas Kräfte harmonieren nicht so ganz mit Alphonas Zeichenstil: Oft sehen ihre vergrößerten Hände oder verlängerten Gliedmaßen eher nach Perspektivproblemen des Künstlers als nach einer Superkraft aus.

Der große Wurf ist dieser Sammelband mit den ersten fünf Ms. Marvel-Ausgaben plus einer Kurzgeschichte insgesamt also nicht. Was unterm Strich bleibt, ist aber ein gewisser Charme und eine sympathische Hauptfigur mit Potenzial für bessere und packendere Geschichten. Wenn es dabei gelingt, Kamala zuerst als Teenage-Superheldin, die unter anderem auch Pakistani und Muslim ist, darzustellen und nicht als muslimische Superheldin mit Migrationshintergrund vorzuführen, wäre schon einiges gewonnen. Damit lassen sich vielleicht nicht so tolle Schlagzeilen machen, aber der Comicserie und dem eigentlichen Gedanken dahinter würde es ungemein helfen.

Sehr gut gemeint, aber (noch) nicht wirklich überzeugend

PS: Dass Panini für diesen Band das eher generische Superheldin-post-herum-Cover von Ms. Marvel #3 anstatt des viel gelungeneren Hingucker-Covers von Ms Marvel #1 verwendet hat (das wenigstens für die Variant-Ausgabe zum Einsatz kam), halte ich für eine marketingtechnische Fehlentscheidung. Gerade das letztere, superhelden-untypische Cover könnte eine junge weibliche Zielgruppe ansprechen, die diesen Comic wahrscheinlich zu schätzen wüsste.

Ms. Marvel 1: Meta-Morphose
Panini, 2015
Text: G. Willow Wilson
Zeichnungen: Adrian Alphona
Übersetzung: Carolin Hidalgo
124 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 16,99 Euro
ISBN: 978-3957983381
Leseprobe

8 Kommentare

  1. Lieber Andi,

    ich habe die Serie auch gelesen und sehr viel Freude dabei gehabt. Die Zeichnungen und die Dialoge in diesem Comic sind großartig. Natürlich bin ich auch nur, wie die gesamte Presse, mit auf den Zug aufgesprungen, weil die Superheldin in einer muslimischen Familie aufwächst. Und wenn ich deine Besprechung lese, muss ich eingestehen, dass es vielleicht zu direkt und in-your-face ist.

    ABER:

    Auf der anderen Seite haben wir aber auch keine Lust auf einen weiblichen Thor, nur um Zielgruppe zu befriedigen, einen Mexican-American Spider-Man, nur um Zielgruppen zu befriedigen, homosexuelle Superhelden, die heiraten, aber die gesellschaftlichen Zwänge nur oberflächlich anzukratzen. Dort könnte ich deine Kritik verstehen.

    Meine Frage: Regst du dich auf, dass die kulturelle Identität in diesem Comic zu sehr auf die Spitze getrieben wird? Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass die Religion im Zentrum eines Superhelden-Comics steht. Meine Kritik wäre eher, die Tatsache, dass die Religion zu kritisch betrachtet wird, aber das steckte ja auch in deiner Rezension drin. Kamala will sich befreien aus dieser Gemeinschaft, die wesentlich mehr Menschlichkeit verdient hätte. Es hätte eine positive muslimische Identifikationsfigur geben MÜSSEN.

    Aber wie schlecht ein Comic wirklich sein kann, sieht man erst an dem zweiten Story-Arc: Kamala trifft Wolverine. Da bin ich ausgestiegen! Ab diesem Zeitpunkt gab es 0 von 10 Punkten.

  2. Benjamin Vogt sagt:

    „Wenn es dabei gelingt, Kamala zuerst als Teenage-Superheldin, die unter anderem auch Pakistani und Muslim ist, darzustellen und nicht als muslimische Superheldin mit Migrationshintergrund vorzuführen, wäre schon einiges gewonnen.“

    Ein wahres Wort. Einen ähnlichen Eindruck hatte ich nach dem Lesen des Comics auch. Der kulturelle und religiöse Hintergrund wurde für meine Begriffe viel zu stark in den Vordergrund gerückt um als Superheldencomic zwanghaft „anders“ oder „neuartig“ zu sein.

    Dass die Serie für die Eisners nominiert wurde, lässt sich meines Erachtens schon ein gutes Stück weit damit erklären, dass die muslimische Teenagerheldin medial Aufsehen erregt hat. Mit Qualität hat das wohl weniger zu tun…

  3. Lars K. sagt:

    gut die Bewertung ist subjektiv, also halt ich da mal die Füße stil…

    ABER kein Wort dazu, dass diese Serie für 2015 bei den Eisner Award Nominations erscheint als „Best New Series“ !!!

    Vielleicht doch erst mal lesen und informieren, diese spricht nämlich nicht nur die junge weibliche Zielgruppe ab!

    1. Andreas Völlinger sagt:

      Hallo Lars, andere Meinungen sind natürlich gerne willkommen. Ich kann jedoch nicht nachvollziehen, warum die Erwähnung der Nominierung für den Eisner Award irgendetwas an meinen Kritikpunkten geändert hätte. Darf man einen Comic nicht fair kritisieren, weil andere – gar Mitglieder einer Jury – ihn gut finden? Falsche Ehrfurcht vor einem Preis ist hier sicherlich nicht angebracht. Und was soll ich „erst mal lesen“ und wo mich noch „informieren“? Ich habe den Comic eingehend gelesen und mich über dessen Entstehungshintergründe informiert. Was muss ein Rezensent deiner Meinung nach noch leisten?

      Dass dir der Comic zusagt, ficht übrigens überhaupt nicht an, dass er nun mal für eine junge weibliche Zielgruppe konzipiert ist und von dieser insgesamt wahrscheinlich am besten angenommen wird. Zitat der Autorin „“It’s for all the geek girls out there“. Ich mag ja auch einen Kindercomic wie „Ariol“, der seine größte Anhängerschaft aber wahrscheinlich unter jüngeren Lesern hat.

      1. Lars K. sagt:

        Kein Frage was die Aufzeichnungen oder Nominierungen angeht,
        man muss keine falsche Ehrfurcht haben, das ist ja auch nicht mein Problem mit der Bewertung, aber wenn ich ganz offen sein darf bitte.

        Aber du machst einfach viele Aussagen, unterstellst dem Buch
        viel ohne jedoch näher zu erläutern oder aufzuzeigen, wie du zu dieser Annahme kommst, das klingt dann zwar kernig, geht aber über die bloße Behauptung nicht hinaus.

        Was ich nicht nachvollziehen kann, sind folgende Aussagen
        die einfach im leeren Raum stehen und bei denen kein Beispiel kommt

        1. „schwingt voll guter Absicht leider zu sehr den narrativen Holzhammer“ gute Absicht auf der einen Seite, die dann zu plump umgesetzt wird, weder wird gesagt welche Absichten verfolgt werden noch was in der Ausführung zu plump ist..

        2. “ Weniger wäre mehr gewesen.“ was ist denn zu viel?

        3. “ Doch nimmt man andererseits Kamalas kulturell-religiösen Hintergrund weg, bleibt kein sonderlich interessanter oder gar herausragender Comic übrig:“ gut, ABER nimmt man, zugegeben ein plumpes Bespiel, Superman all seine Kräfte ist eben nur ein Mann, mit guten Absichten der gegen das Böse kämpft, ein quasi Gesetzeshüter…
        Bei welcher Art der Erzählung kann man den Kernaufhänger wegnehmen und der ist hier nun mal der kulturell -religiösen Hintergrund und behält die gleiche Aussage, dann kann es doch nicht der Kern sein und Religion, der Umgang damit, die Sichtweise eigene und fremde, ist eines der Hauptthemen dieses Comic oder nicht?

        4. “ muslimische Superheldin mit Migrationshintergrund vorzuführen“, wohl eine deiner Kernaussagen, der ja auch B. Vogt zustimmt, aber auch hier frag ich mich, wo genau du das Gefühl hast sie wird vorgeführt, was dir ja unterstellt negativ aufstößt

        in meinen Augen fehlen als Beispiel oder konkrete Bezüge die die Aussagen nachvollziehbar machen, so bleiben es am Ende einfach nur Behauptungen die ohne „Beweis“ im luftleeren Raum schweben

      2. Benjamin Vogt sagt:

        „ABER nimmt man, zugegeben ein plumpes Bespiel, Superman all seine Kräfte ist eben nur ein Mann, mit guten Absichten der gegen das Böse kämpft, ein quasi Gesetzeshüter…
        Bei welcher Art der Erzählung kann man den Kernaufhänger wegnehmen und der ist hier nun mal der kulturell -religiösen Hintergrund und behält die gleiche Aussage“

        Interessanter Aspekt, Lars. Was wiederum die Frage aufwirft, warum es denn so einen sich in den Vordergrund drängenden Kernaspekt innerhalb eine Superheldencomics braucht. Dann hätte man einen Comic über eine muslimische Teenagerin machen können ohne dass man sich dem Marvel-Universum bedienen müsste. Insofern hinkt der Vergleich etwas. Superman ist ein zuvorderst ein Superheld, nimmt man diesen Aspekt komplett weg, hat das mit dem Genre nichts mehr zu tun. Ms. Marvel wurde meines Erachtens zu allererst mit der Intention gestartet, ein muslimisches Mädchen zu porträtieren, der Superhelden-Aspekt ist hier fast vernachlässigbar.

      3. Lars K. sagt:

        “ Ms. Marvel wurde meines Erachtens zu allererst mit der Intention
        gestartet, ein muslimisches Mädchen zu porträtieren, der
        Superhelden-Aspekt ist hier fast vernachlässigbar.“ ?

        eher nicht, da: “ The character was originally conceived as a female counterpart to Captain Marvel. Like Captain Marvel, most of the bearers of the Ms. Marvel title gain their powers through Kree technology or genetics.“

        Ms. Marvel hat Kräfte und ist als Figur eben Pakistani-American mit dem ganzen Relegiösen / Kulturellen Überbau, das porträtieren eines muslimisches Mädchens steht da wohl eher nicht im Fokus, denke ich, sondern ist nur interessanter Teil der Geschichte.

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.