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Der leuchtende Trapezoeder

Mit Der leuchtende Trapezoeder von Gou Tanabe legt Carlsen einen weiteren, in sich abgeschlossenen Band in einer ganzen Reihe von Lovecraft-Adaptionen dieses Künstlers vor. Zwei verstörende Erzählungen lang erfahren wir durch präzise unscharfe Bilder und langsame,  folgerichtige Schocks, was in den Tiefen des Meeres oder unter einer alten Kirche vor sich hindämmert.

Alle Abb. © Tanabe, Carlsen

H. P. Lovecraft und seine düstere Kosmologie müssen vermutlich kaum noch vorgestellt werden. Vor gar nicht allzu langer Zeit war der amerikanische Horrorautor der 1920er und 1930er Jahre nur ein Thema für Fans, oder, brutaler: für die Nerds unter den Nerds.

Etwa seit der Jahrtausendwende hat sich sein Modell des Horrors beinahe als Standard für Gruselerzählungen etabliert: Hinter unserer Welt lauern uralte, widerliche und stumpfe, trotzdem ehrfurchtgebietende böse Götter oder Unwesen, besonders gerne hinter scheinbar sakralen Orten oder in scheinbar unberührter Natur. Und wer sich von ihnen anlocken lässt, wird es bereuen.

Die späte Etablierung Lovecrafts bringt allerdings einige Probleme mit sich. Nicht zuletzt deswegen, weil der menschenfeindliche Autor ein furchtbarer Rassist war, der furchtbar rassistische Sätze schrieb. Unzweifelhaft benutzt Lovecraft für die Beschreibung seiner grotesken Kreaturen ein ähnliches Vokabular wie für andere Ethnien, die er offensiv als minderwertig darstellt.

Lovecraft war zu Lebzeiten allerdings ein in allen Lebensbereichen beinahe völlig erfolgloser Sonderling, der sich kaum vor die Tür wagte und auf nichts und niemandem nennenswerten Einfluss hatte, bis auf ein paar Brieffreunde, größtenteils angehende Schriftsteller (die, soweit ich weiß, durch die Bank keine Rassisten wurden). Der Rassismus nimmt in seinen vor bizarren Ideen überquellenden Texten deutlich weniger Raum ein als u.a. seine Verspottung von Religion, seine Skepsis gegenüber der Wissenschaft oder die Frage, wie wir uns das für uns nicht sichtbare Farbspekturm vorzustellen habem. Das in Deutschland sogar ausgesprochen linksintellektuelle Fandom thematisierte und kritisierte Lovecrafts politische Ansichten früh und schlug sie widerwillig seiner allgemeinen Seltsamkeit zu. Für seine beispiellosen Tauchgänge ins Unbewusste brauchte es dieser Sichtweise nach vielleicht eine gescheiterte Existenz, bzw. einen verrückten Künstler, der in gesellschaftlichen Fragen einfach nicht für voll genommen werden konnte, sich bei seinen Experimenten zusätzliche Macken einfing und einfach ein bisschen zu klein für sein Werk war.

Dazu sind seine „weißen“ Antihelden durch die Bank vermessene Idioten, die, gerade, wenn sie autobiographisch angelegt sind, froh sein können, das Ende einer Erzählung wenigstens gebrochen und wahnsinnig noch zu erleben. Umgekehrt lassen sich seine Monster, die scheinbar verführerischen und objektiv ekelerregenden „großen Alten“, übersetzt in eine schnöde Realität als Metapher für Faschismus begreifen.

Nun aber hallt sein Werk in allen popkulturellen Echokammern nach. Das komplexe, dabei auf jeden Fall unangenehme Verhältnis von Horrorideen und aggressiver Xenophobie in Lovecrafts Literatur besitzt dadurch eine neue Brisanz (und provoziert bspw. in meinen Augen misslungene Umkehrungen wie Lovecraft Country). Tanabe klammert diesen Aspekt aus, ohne ihn zu verschweigen: ein einziges Panel zeigt die Welt seines zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend in die Binsen gegangenen Protagonisten als paranoiden Alptraum eines Rassisten. Das ist ehrenwert abstoßend gestaltet und kaum missverständlich. Aber wer in diesen aufgewühlten Zeiten von einer Lovecraft – Adaption ein flammendes Statement erwartet, wird einmal mehr enttäuscht werden.

Adaptionen von Lovecrafts sperrigem Werk bieten sich allerdings an. Unter den bedeutenden Schriftstellern ist er der mit dem vermutlich schlechtesten Stil. Seine Lieblingsausdrücke (in deutscher Übersetzung: „abscheulich“, „blasphemisch“ und „widernatürlich“) benutzt er so verschwenderisch, als habe er eine Wette verloren oder große Angst, eine zu verlieren. Er beschwert seine Geschichten vollkommen unironisch mit einem eitlen, altmodischen und überladenen Stil. In seinen besten Texten (wie Berge des Wahnsinns, das Tanabe bereits adaptiert hat, das meiner Meinung nach nicht adaptiert werden müsste) entfaltet das eine hypnotische Wirkung, in seinen weniger gelungenen verklebt es den Blick auf die Geschichte.

Ein Comic, zumindest in schöner Aufmachung (wie der vorliegende Manga im Prestigeformat von Carlsen) der Inbegriff eines „verbotenen Buchs“, eignet sich hervorragend für Lovecrafts Phantasien über u.a. verbotene Bücher. Seine gleichzeitig bewegungslosen und dynamischen Bildwelten eigenen sich hervorragend zur Darstellung der erstarrten Welten und der stummen Schrecksekunden entsetzlicher Klarheit, von denen Lovecraft erzählt.

Tanabe verzichtet ganz auf die grotesken Deformationen und den Bodyhorror anderer Mangaka im Horrorbereich. Er zeigt uns vor allem immer wieder die halb sehnsüchtigen, halb entgeisterten aufgerissenen Augen seiner glücklosen Anti–Helden.

Ansonsten: Hier eine silbrig glänzende Schuppe, dort eine archaische Fratze, immer wieder organisch aussehende Steine, lebendig wirkende, viel zu alte Apparate, „heimtückisch“ (auch das ein typisches Lovecraftwort) lockende Treppen aus Holz oder als schmale, klamme Stufen durch ein Felsgemäuer. Die Zeichnungen sehen aus wie aus vermoostem Holz geschnitzt oder präzise in brüchigen Stein geätzt und manchmal wie aus einem zum Glück vergessenen urzeitlichen Biologiebuch herausgerissen.  Auf einer dunklen Doppelseite am Anfang des Bandes lassen sich mindestens fünf verschiedene Strömungen im unnachgiebig schwarzen Meer voneinander unterscheiden. Die Geschichten bestehen, streng genommen, nur aus gleichzeitig zögerlichem und gehetzten Herantasten an ein unheimliches Phänomen und dem jähen, zu späten Wegzucken.

Wichtiger als die vergleichsweise wenigen deutlichen Horrorszenen ist Tanabe die Ausgestaltung des typischen Lovecraftgefühls, das er stilsicher pointiert wie noch niemand vor ihm: Plötzlich liegt die Welt taghell in abweisender, wuchernder Fremdheit vor dir, als würdest du aus einem halbwegs angenehmen Dämmerzustand in einen entsetzlichen Klartraum erwachen. Mitten in der gottverlassenen Leere eines aufgewühlten Meeres oder einer unheimlich öde vor sich hin brütenden Kleinstadt tut sich eine für einen Moment lang beinahe anheimelnde Unterwelt ohne Geheimnis, ohne Verständnis und ohne Interesse an dir auf, vor der du Reißaus nehmen könntest, wenn du nur eine Sekunde früher deine angewiderte Ehrfurcht abschütteln könntest.

Was machen wir nun mit Lovecraft, seinem alten und seinem neuen Kultstatus, seinen unentschuldbaren Bemerkungen, seiner schrecklichen Weltsicht und seinen hochgradig ambivalenten Ideen?

Ich wollte, ich wüsste es. Aber falls es eine Möglichkeit geben sollte, die vergifteten Schätze aus seinem Werk ohne den weltanschaulichen Morast, aus oder mit dem sie entstanden sind, zu bergen, wird Tanabe sie finden. Und vielleicht hat er sie sogar schon gefunden.

Stimmige Verwandlung von abgelegeneren Lovecraft-Erzählungen in kleine surreale Meisterwerke

8von10H. P. Lovecrafts Der leuchtende Trapezoeder
Carlsen, 2020
Text und Zeichnungen: Gou Tanabe
Übersetzung: Jens Ossa
170 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 12,00 Euro
ISBN: 978-3-551-72829-6
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