Am Samstag, dem 3. März 2018 fand im Erlangener Metal-Club New Force eine Podiumsdiskussion zum Thema „Lovecraft in der Popkultur“ statt. Veranstalter war die Deutsche Lovecraft Gesellschaft e.V. Die fünf Podiumsteilnehmer waren Philipp Hermann, Huan Vu, Andreas Hartung (in Comickreisen als aha bekannt), FuFu Frauenwahl und Levin Handschuh.
- Philipp Hermann: ein Illustrator, der eine Lovecraft-Bibel mit dem Titel Encyclopedia Necronomica in kleiner Auflage veröffentlicht hat. Alleinstellungsmerkmal: Der Umschlag des Buchs ist in schiefen Winkeln. Very Lovecraftian.
- Huan Vu: Filmemacher, der eine viel beachtete Verfilmung von Lovecrafts Story Die Farbe aus dem All gedreht hat und derzeit gerade erfolgreich mit Crowdfunding die Verfilmung zu Lovecrafts Traumgeschichten vorbereitet hat.
- Andreas „aha“ Hartung: Ein Comickünstler (Epidermopyhtie), der gemeinsam mit seinem Dunwich Orchestra an der fünfteiligen musikalischen Comicshow The Colour out of Space arbeitet. Zwei Folgen sind bereits fertig.
- FuFu Frauenwahl: Herausgeber und Künstler der Comicanthologie Echo des Wahnsinns und schon lange Zeichner sehr cthulhuoider Comics. Auch als Illustrator diverser Rollenspielbücher in Erscheinung getreten.
- Levin Handschuh: Theaterwissenschaftler, der auf der diesjährigen anRUFung (Treffen der Cthulhu-Fans) eine Installation zur Geschichte Pickman’s Model ins Leben rief und derzeit an seiner Lovecraft-Oper Native Outsiders arbeitet.
Die Diskussion und das anschließende Publikumsgespräch waren ebenso unterhaltsam wie aufschlussreich. Da ich hier ein reines Gedächtnisprotokoll anfertigen muss, sind die Aussagen leider nicht mehr einzelnen Personen zuzuordnen. Es handelt sich aber um die Quintessenz dessen, was ich von diesem Nachmittag mit nach Hause nehme. Heiß diskutiert wurde unter anderem über Lovecrafts Frauenbild und seinen Rassismus, aber auch weniger kontroverse Themen führten zu interessanten Erkenntnissen.
Lovecrafts Frauenbild: In Lovecrafts Geschichten sind Frauen absolut unbedeutend. Sie spielen schlichtweg keine Rolle. Eine Zuschauerin meinte, Lovecrafts Erzählungen benötigen privilegierte Figuren, die sich wenig mit den Tücken des Alltags herumärgern müssen. Menschen, die ungehindert in ein Auto steigen und 200 km wegfahren können. Nichts darf von der Essenz der Story ablenken. Lovecraft selbst wurde ja in seiner Kindheit in Mädchenklamotten gesteckt. Ab 1924 war er zwar verheiratet und versuchte, sich in New York eine Existenz aufzubauen, doch scheiterte die Ehe. Die Scheidung wurde nie vollzogen, doch verbrachte er die letzten Lebensjahre mit seinen Tanten in seinem Geburtsort Providence. Misogyn war er sicher nicht, denn er unterhielt Zeit seines Lebens Brieffreundschaften mit Frauen. Sexualität dürfte ihm dennoch unangenehm gewesen sein.
Lovecrafts Rassismus: Es ist bekannt, dass Lovecraft Rassist war. Dazugelernt habe ich, dass es wohl vor allem die Lebensphase in New York war, die seinen Rassismus triggerte, denn dort gab es zu dieser Zeit viele Migranten und Flüchtlinge, was ihm Angst bereitete. Zu Hause in Providence soll er offener in seinem Denken gewesen sein. Sein latenter Rassismus ist vor allem in der Geschichte The Shadow over Innsmouth von 1931 omnipräsent.
Lovecrafts Atheismus und Materialismus: Lovecrafts Universum ist sinnlos und der Mensch völlig unbedeutend. Beherrscht wird es von den Großen Alten. Besser man trifft sie nicht und bleibt unwissend, denn die Begegnung mit ihnen führt zum Zusammenbruch der Realität und endet im Wahnsinn. Meine Frage war, ob sich auf diese Prämisse überhaupt ein interessanter Erzählkosmos entwickeln kann. Ist es nicht vielmehr so, dass nur Lovecraft diese Idee bedienen kann, da sie ein sehr persönliches Weltbild ist und wenig Spielraum bietet? Die Antworten darauf waren vielseitig und aufschlussreich: Natürlich ist Lovecrafts Ansatz vielfältig variierbar. Sehr von Lovecraft inspiriert sind ja unterschiedlichste Horrorfilme. Neben Adaptionen wie Roger Cormans Die Folterkammer des Hexenjägers (The Haunted Palace, Adaption von Der Fall Charles Dexter Ward) gibt es ja auch sehr individuelle Ansätze, beispielsweise Ridley Scotts Alien und Prometheus oder John Carpenters The Thing, Prince of Darkness sowie In the Mouth of Madness. Auch die dritte Staffel von Twin Peaks soll sehr lovecraftisch sein, obwohl David Lynch selbst das nicht beabsichtigt haben soll. Es gibt sehr vielfältige Herangehensweisen, so dass von einer Einengung keine Rede sein kann. Es ist eher ein bestimmter Blick auf die Dinge, der eine Erzählung lovecraftisch wirken lässt. Außerdem lädt Lovecraft auch dazu ein, sich an ihm zu reiben und ihm zu widersprechen.
Lovecrafts Aktualität: Der Umstand, dass Lovecrafts Rassismus durch Migranten und Flüchtlinge ausgelöst wurde, erinnert an die politische Situation heutiger Tage. Aber auch das Unbehagen an technischen Entwicklungen hat eine lovecraftische Dimension, beispielsweise die schleichende Umprogrammierung der menschlichen Kommunikation durch soziale Medien und Filterblasen. Witzig war auch folgendes Beispiel: Gerade soziale Medien ermöglichen ja, dass sich sogar Menschen vernetzen, die beweisen wollen, dass die Erde doch eine Scheibe ist. Das Argument für deren Beharren ist kosmischer Horror in Reinform. Wäre die Erde keine Scheibe, so wäre man doch ganz allein auf einer winzigen Kugel im unendlichen All. Da das nicht sein darf, bleibt nur eine Alternative: Die Erde ist eine Scheibe und alles was im Fernsehen und Internet das Gegenteil behauptet, ist schlichtweg Humbug.
Lovecraft vs Cthulhu: Schadet es der Sache, dass H. P. Lovecrafts Cthulhu inzwischen als Witzfigur in Southpark sein Unwesen treibt und auch sonst einige plüschige Versionen unterwegs sind? Die Podiumsteilnehmer sehen das gelassen. Ich persönlich habe ja schon das Gefühl, dass Lovecrafts Visionen in Comics oft keinen rechten Biss haben und in Comics wie Hellboy eher drollig wirken. Von daher empfand ich die Diskussion als eine echte Bereicherung, weil sie den Horizont öffnete und eine ernsthaftere Betrachtung des Materials nahelegt.
Alan Moores Providence: Man ist unisono der Meinung, dass Alan Moores Providence herausragend ist, jedoch ist nicht jeder ein Fan von Jacen Burrows nüchternen Zeichnungen. Verglichen mit einem Zeichenstil, wie ihn beispielsweise Mike Mignola pflegt, halte ich Burrows aber durchaus für die richtige Wahl, weil er dem Thema die notwendige Erdung verleiht. Einzig die Kolorierung würde ich mir bunter wünschen.
Soweit mein Gedächtnisprotokoll und persönliches Fazit der schönen Veranstaltung. Sie war gut besucht und hatte im Heavy-Metal-Club eine passende Örtlichkeit. Ich bezweifle zwar, dass Lovecraft Metal-Fan gewesen wäre und persönlich empfinde ich die Musik des Dunwich-Orchestras als zu doomig. Aber es ist eine legitime Herangehensweise und das Endergebnis ist in seiner Komposition stimmig und kraftvoll. Zudem lässt es sich nun mal nicht leugnen, dass Lovecraft bereits zahllose Heavy-Metal-Stücke und -Musiker inspiriert hat. Entsprechend ging die Veranstaltung ab 20:00 Uhr in eine Heavy-Metal-Party über, in der nur Lovecraft-inspirierte Stücke gespielt wurden.
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