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„Heutzutage wirken Horrorfilme doch eher wie ein safe place“ – Interview mit Jörg Buttgereit

Jörg Buttgereit ist Deutschlands Monsterexperte Nummer Eins. Er ist der Verfasser von mindestens zwei Büchern über japanische Filmmonster, für den Film Kondom des Grauens hat er viel Geld in die Hand bekommen, um die Monstereffekte zu basteln, und für eine Arte-Reportage ist er auch schon durch die Welt gereist und hat alle wichtigen Monsterbauer der Filmgeschichte besucht. Überhaupt ist er ein gefragter Mann. In mehreren Filmzeitschriften, darunter epd-Film und Deadline, hat er Kolumnen oder ist Redaktionsmitglied, er schreibt fürs Theater, macht Hörspiele – und inzwischen verfasst er auch die Captain Berlin-Comics für den Weissblech-Verlag. Überall schätzt man sein umfassendes Wissen über Filme und seine Underground-Credibility.

NekromantikBekannt geworden ist Buttgereit vor allem auch durch seine vier Independent-Filme Nekromantik, Todesking, Nekromantik 2 und Schramm. Legendär die Episode um den zweiten Nekromantik-Film, der 1991 bei einer Vorführung im Münchner Werkstattkino direkt aus der Vorführung heraus beschlagnahmt wurde. Mehr noch: Es wurde damals in München vom Fleck weg eine Hausdurchsuchung bei Buttgereit zu Hause angeordnet, um das Originalmaterial des Films aufzuspüren und zu vernichten (was zum Glück nicht gelang). Inzwischen ist das alles Ancient History: Nekromantik 2 ist rehabilitiert und genießt Kunststatus, wenn auch keine FSK-Freigabe. Der Folgefilm Schramm (1993) war sogar für den Max-Ophüls-Preis nominiert, allerdings ohne wirkliche Chancen, denn Buttgereits Name war zu jener Zeit zu skandalumwittert. Zudem haben sich Produzenten schlichtweg nicht getraut, mit ihm zusammenzuarbeiten (kann nachgelesen werden im Jörg-Buttgereit-Interview des Filmbuchs Splattermovies – Essays zum modernen Horrorfilm, Bertz + Fischer Verlag).

Das Interview wurde auf dem Comic-Salon 2016 direkt am Messestand des Weissblech-Verlags geführt. Als wir das Gespräch begannen, ging es dort gerade drunter und drüber. Vorne standen Fans zum Signieren an, von hinten wurden fehlende Hefte nachgereicht. Das Gespräch fand immer dann statt, wenn gerade kein Buttgereit-Fan ein Autogramm wollte. Aber natürlich kam es zu zahlreichen, teilweise recht unterhaltsamen Unterbrechungen.

(Die fettgedruckten Sätze sind durchgehend von mir, der Rest von Jörg Buttgereit. Davon abweichende Personen sind gesondert gekennzeichnet.)

me and Butti

Jörg Buttgereit (rechts) im Interview mit Christian Muschweck auf dem Comic-Salon 2016

Comicgate: Ist es stressig hier auf der Comicmesse, Jörg?

Na ja, ich mach ja immer nur so ein, zwei Stündchen (lacht herzlich). Ich seh das eher noch so als Hobby an.

Ich stell mir das gerade sehr stressig vor. Hinten drängelt der mit dem Interview, vorne stehen die Fans …

Ja, aber … is‘ ja schön, oder? Ich will mich nicht beschweren, dass die Leute Signaturen haben wollen.

Bist du überhaupt viel auf Festivals – oder ist das eher eine Ausnahme?

Um Filme zu promoten, mache ich das schon viel. Gerade wenn es was Neues gibt, fährt man schon viel rum, auch viel im Ausland. Selbst bei der Comic-Con in San Diego war ich mal mit einem Film, weil da ein Festival direkt angegliedert ist. Also ja, ich mach das schon oft. Ich reduziere das, wenn die Fliegerei zu anstrengend wird, aber innerhalb Deutschlands ist das immer machbar.  Zumal bei der Captain Berlin-Sache hier in Erlangen, weil ich ja auch Fan bin und mir das auch alles ansehen will.

Was heißt überhaupt Filme promoten? Ich kann mich erinnern, dass Schramm der letzte große Film war und dann …

poster-1Na ja, German Angst war letztes Jahr. Ein Episodenfilm von drei oder vier Regisseuren, da hab ich einen Teil gemacht, und in San Diego war ich mit Monsterland. Das ist eine Dokumentation für Arte, für die ich quer über den Erdball hinweg Leute interviewt habe, die Monster bauen. H.R. Giger aus der Schweiz, in Tokyo war ich bei den Leuten von Toho, bei Godzilla-Darstellern, z. B. Haruo Nakashima, in den USA war ich bei Greg Nicotero, der die Walking Dead-Zombies macht, Rick Baker habe ich interviewt. Eigentlich richtig das, was man als Fan so gerne macht.

Du machst für Arte Filme, für den WDR regelmäßig Hörspiele, bist bei epd-Film und bei der Zeitschrift Deadline. Du bist ziemlich präsent, muss ich schon sagen.

Ich muss eben viele Sachen machen, weil ja nicht alles funktioniert. Manchmal funktioniert viel und dann hab ich halt viel zu tun. Ich mache viele Theaterstücke, in letzter Zeit jedes Jahr ein neues. Zuletzt in Dortmund, demnächst in Essen. Ich versuche immer Sachen zu machen, die mir Spaß machen, wie auch diese Comicnummer. Ich kann eigentlich nur arbeiten, wenn’s mir Spaß macht. Diese Theatersachen, da musste ich mich schon erst mal reinfinden. Von Captain Berlin gibt’s ja auch ein Theaterstück. Das waren ja die Anfänge meiner Theaterarbeit.

Der Film Captain Berlin ist ja auch ein abgefilmtes Theaterstück.

Genau. Ansonsten gibt’s auch noch die beiden Super 8-Filme aus den 80ern. Aber der Langfilm ist abgefilmtes Theater.

Ich musste da beim Ansehen an Gründgens denken. Dessen Faust ist ja auch abgefilmtes Theater.

(lacht) Ja, der würde sich wahrscheinlich im Grab umdrehen.

Reden wir mal über deine alten Sachen. Du hattest mit Nekromantik 2 und dessen Beschlagnahmung ein recht einschneidendes Erlebnis. Du hast aber auch danach noch Filme gemacht, oder? Todesking und Schramm kamen doch nach dieser Affäre.

Todesking kam nach dem ersten Nekromantik, dann kam Nekromantik 2 und dann Schramm.

Da war dann der Nekromantik 2-Prozess aber schon erledigt, oder?

Der Prozess lief noch während der Arbeit an Schramm.

Mit absehbarem Ausgang oder völlig offen?

Na ja, wenn man wegen Gewaltverherrlichung angeklagt ist, ist das immer offen. Aber man muss nur mal an Jan Böhmermann denken, wie merkwürdig das lief. Also ich muss im Nachhinein sagen, ich hatte da wohl Glück, dass das dann zur Kunst erklärt wurde, was ich da gemacht habe. Ob das bei Böhmermann so klappt? Also, ich hätte das nie in Frage gestellt. Jetzt erst merke ich, wie viel Glück ich wahrscheinlich hatte.

Das mit Böhmermann ist aber auch ganz schön aufgeblasen. Wenn da schon die türkische und die deutsche Regierung involviert ist? Höher kann sowas ja nicht mehr hängen.

Genau. Weil der sich eine Klage eingehandelt hat von einem politischen Oberhaupt. Und bei mir war’s ja nur – na ja – Bayern (lacht). Die Staatsanwaltschaft in Bayern war’s.

Naja, irgendwie ähnlich war’s schon: Ich hab mal gelesen, ihr wart mit Nekromantik 2 auf Tournee durch Deutschland und habt bewusst erst zuletzt Bayern besucht, weil ihr schon damit gerechnet habt, dass der Film da vielleicht einkassiert wird – und so war’s dann ja auch. Und Böhmermann hatte die Zensur ja ohnehin fest eingeplant. Das war in seinem Fall ja schon programmatisch.  

Ja, weil man aber im Endeffekt wirklich davon ausgeht, dass die Kunst frei ist. Nur wenn sich dann Leute darüber aufregen und in Zweifel stellen, dass es sich um Kunst handelt, hat man halt ein Problem.

Böhmermann hat die Grenzen sehr bewusst ausgereizt. Immer an der Grenze heißt aber auch, dass es immer eine 50/50-Entscheidung ist, in welche Richtung man zuletzt fällt. Bei dir war das ja nicht so bewusst. Das war ja zunächst mal wirklich „nur“ Kunst. Und dass das ein Problem geben könnte, war nur ein Nebengedanke, nicht die Hauptsache.

Klar, bei Böhmermann war das schon geplant, dass das ein Aufreger wird. Aber bei mir, bei Nekromantik 2, hatte ich damals nicht mehr damit gerechnet, dass da irgendwas passiert. Da war ich selbst überrascht. Ich hab das ja eigentlich gemacht, weil ich das wirklich für gut und wichtig erachtet habe – und ich hab halt Ärger bekommen. Aber man kann als Künstler nicht auf alle Befindlichkeiten Rücksicht nehmen. Sonst wird man ja irre.

Nekromantik 2 hat da eine gewisse Unschuld. Das ist einfach Kunst um ihrer selbst willen. Böhmermann dagegen ist bewusste Provokation.

Nekromantik 2 war ja auch keine Satire. Satire lebt halt davon, dass sie eine Attacke auf politische Umstände ist. Bei mir ging’s eher um Filmpolitik. Aber nicht, um etwa die Grenzen der Darstellbarkeit auszuloten. Das hatte ich, wenn überhaupt, eher beim ersten Nekromantik gemacht.

Filmpolitik? Inwiefern?

61APME62EkLWas ich damals gemacht habe, war eine Serie von Filmen, die überhaupt nichts mit dem deutschen Konsens, der deutschen Filmförderung oder irgendeiner Co-Finanzierung mit dem Fernsehen zu tun hatte. Also ein Gegenentwurf zu dem, was eigentlich sonst so in Deutschland produziert wird.

Was ja meistens auch sehr vorhersehbar ist. Das sind dann wohl entweder Krimis oder irgendwelche Konsensstücke.

Ja, weil es eben querfinanziert wird, weil’s sonst nicht funktioniert. Und man sieht ja auch, dass es nicht funktioniert. Bei dem Film German Angst, den ich zuletzt gemacht habe, haben wir uns wirklich mal den Luxus genommen und die Leute, die gearbeitet haben, bezahlt. Früher waren meine Filme halt nur finanzierbar, weil die Leute nicht bezahlt wurden, die da mitgespielt haben. Das war nicht Low-Budget, das war No-Budget.

Und es war Filmkritik, weil das ja so eine Art Gegenkultur war, die wir da angestoßen haben. In Amerika haben die damals geschrieben, dass ich so eine Art Untergrund-Horrorwelle in Deutschland ausgelöst hätte, mit Leuten, die danach auch noch kamen.

Olaf Ittenbach und so, war das danach? Ich hätte gedacht, das wäre parallel gelaufen.

Nee, nee, das war danach. Ich hatte ja auch wirklich in den 70ern schon angefangen mit Kurzfilmen.

Dann gibt’s auch noch den Regisseur von diesem Violent Shit ….

Der Andreas Schnaas. Ja, genau.

Aber das sind ja dann wirklich andere Kaliber. Das war wirklich nur noch Gore-Show.

Das würde ich auch denken. Aber Fangoria, so ein amerikanisches Magazin, hat mal eine zweiteilige Serie gemacht über deutschen Horrorfilm, und für die galt ich irgendwie als Initiator einer neuen Horrorwelle.

Das war eben auch tatsächlich eine Initialzündung. Man kann sich nicht immer aussuchen, wo man am Ende landet, in welche Schublade man einsortiert wird.

Genau.

Du sagtest gerade, deine Filme waren kein Low-Budget, sondern No-Budget. Aber so zehn-, zwanzigtausend Mark dürften’s unterm Strich dann doch gewesen sein, die diese Filme gekostet haben. Wo hattest du denn die Mittel und das Material her?

Ja, aber das konnte ich allein aufbringen, mit meinem Bekannten zusammen, der sich als Produzent da eingehend betätigt und die Technik zur Verfügung gestellt hat.

Das war Manfred Jelinski?

Genau. Heute ginge das alles natürlich sehr viel billiger. Wir mussten ja damals sogar noch Filmmaterial bezahlen. Heute könnte man mit dem Handy mehr machen, als wir damals konnten.

Ich denke, das macht die Dinge aber auch nicht wirklich einfacher, denn heute gibt’s halt die  Konkurrenz von zigtausend Nachwuchskünstlern, die ebenfalls ein Handy haben. Das Alleinstellungsmerkmal hat man dann, wenn man als einer von wenigen den Arsch hochkriegt und etwas macht, was nur wenige machen. Und das war bei dir der Fall. Aber jetzt mal zurück zu Jelinski. Der war Produzent für was?

Mit Jelinski habe ich zuerst den Dokumentarfilm So war das S.O. 36 gemacht und der hat später auch Nekromantik produziert.

Und was hatte Jelinski für einen Hintergrund?

Der war ein Achtundsechziger. Der hat jede Menge Musikfilme gemacht, wie eben diesen S.O.36-Film, und hat sich eben auch vor diesem Punk-Hintergrund etabliert. Jelinski hat die Strukturen für Independent-Filmmaking geschaffen. Nekromantik ist ein Super-8-Film, und den konnten wir in Spielfilmlänge drehen.

Dann ist Jelinski deutlich älter als du?

Der ist zehn, fünfzehn Jahre älter als ich, genau.

Du warst ja damals noch richtig jung. 19, 20 Jahre?

Bei Nekromantik war ich 23.

Das macht Sinn. Ein bisschen persönlichen Hintergrund braucht man halt schon, um einen Film wie Nekromantik zu drehen. Ich hatte damals deine Nekromantik-Filme auf VHS gesehen. Den und andere Sachen, wie Evil Dead, Fulci-Zombies und so, das wurde damals an der Schule unter der Hand getauscht.

Nicht gekauft? Pfui.

So war’s halt. Wir waren jung. Kennst du das nicht?

Ja, doch, klar. Wenn man Sachen in Deutschland nicht bekommen hat, hat man auch mit Kopien vorliebgenommen. Aber Nekromantik gab’s ja auf Deutsch. Wir haben ihn ja selbst rausgebracht. Wir hatten extra einen Vertrieb gegründet dafür, also hätte man ihn nicht raubkopieren müssen. Man hätte ihn einfach bei uns kaufen können und uns damit unterstützen.

Hattest du Evil Dead zum Vorbild? Sam Raimi war ja auch so ein Undergroundfilmer.

Ja, den fand ich schon super. Von wann ist denn Evil Dead, der erste?

1980 oder so.

Den hatte ich auf jeden Fall schon gesehen, ja. Für mich war eigentlich immer John Waters ein großes Vorbild, Pink Flamingos und so. Diese Sachen hab ich damals gesehen, die liefen in Berlin auch auf Deutsch. Das war auf jeden Fall auch ein Einfluss.

Ja, der ist auch experimentell und dann trotzdem irgendwie ein Schocker.

Genau. Weil man eindeutig gesehen hat, dass der da sein eigenes Ding macht und nicht auf irgendwelche Konventionen zurückgreift.

Ein Besucher lässt sich German Angst signieren. Das sieht mit rotem Lackstift auf dem schwarzen DVD-Cover richtig gut aus.

Hier, das ist German Angst. Den kannste überall kaufen, der hat FSK.

Das sind Kurzfilme, ja?

Das ist ein Film, der aus drei Teilen besteht.

Aber doch wieder so ein richtiges Indie-Teil.

Ja, aber sehr viel teurer, weil eben alle bezahlt wurden. Also der hat ungefähr so viel gekostet wie alle meine alten Filme zusammen.

Freitag 13Von so Sachen wie Freitag, der 13. hältst du nicht so viel, hab ich mal gelesen.

Ach, wenn ich die heute sehe, kann ich denen schon was abgewinnen, weil die ja schon was sehr Naives haben. Die sind ja eigentlich für Teenager gemacht. Was ja auch nichts Schlechtes ist, weil Horrorfilme sind ja eigentlich immer für Teenager gemacht. Das ist ja eines der großen Missverständnisse in Deutschland, dass viele dieser Horrorfilme ab 18 sind, während das Zielpublikum in Amerika Teenager sind. Horrorfilme guckt man in der Regel, wenn man pubertiert, wenn man Probleme wälzt, und das ist nun mal eher in der Jugend.

Zwischenspiel: Ein Fan unterbricht das Gespräch und stellt eine interessante Frage: „Jetzt muss ich mal was fragen: Captain Berlin gab’s doch damals als Kurzfilm. Ich hab mal gehört, dass da irgendwo der Bela B. mitgespielt hat.“ Darauf Jörg Buttgereit: „Der spielt da mit. Der spielt den Gegner, den ferngesteuerten Mutanten.“ -„Und der hat so ’ne Hulk-Maske auf.“ – „Die zieht er aber am Schluss ab und dann sieht man ihn kurz. 1982 wurde der gedreht, da war noch nicht abzusehen, dass der Mann mal so berühmt wird. Sonst hätt‘ ich ihm die Maske nicht aufgesetzt. (lacht) Und es gibt auch Hörspiele für den WDR. Bei Captain Berlin vs Dracula spricht er den Dracula.“ – „Aber bei Captain Berlin vs Hitler hat er dann nichts mehr gemacht?“ – „Nein. Ich hab ihn auch mal gefragt, ob er den Dracula da spielen will, aber das ging dann nicht.“ – „Na ja, trotzdem super Sache. Ansonsten: Mit Nekromantik und so kann ich ja leider nicht so viel anfangen, das ist mir zu krass.“ – „Zu krass?“ Jörg guckt ihn an. Der Fan trägt ein Punisher-T-Shirt und hat zahlreiche Tätowierungen. „Das hätt‘ ich jetzt nicht vermutet. Na, deswegen mach ich ja jetzt auch Comics für Kinder.“ Jörg Buttgereit sieht, dass der Fan eine große Futurama-Figur unterm Arm trägt. „Schöner Bender. Ooh, mit auswechselbaren Augen!“ – Fan: „Ja, aber ich glaub‘, ich lass‘ die bösen.“

Captain Berlin panel

Panel aus Captain Berlin 2. Zeichnung von Fufu Frauenwahl. © Weissblech Comics

Wie du schon sagtest, Horrorfilme sind für Teenager. Aber jetzt schauen wir doch mal in die jüngere Vergangenheit, so 2003, 2004, auf Filme wie die Saw-Serie oder Hostel, fandest du das zu arg?

Was soll schon zu arg sein? Ich meine, heutzutage wirken Horrorfilme im Gegensatz zur Realität doch eher wie ein „safe place“, wo der Böse am Ende ja sogar manchmal besiegt wird. Also dieser Schrecken von Horrorfilmen hat sich so relativiert, dass Horrorfilme eigentlich nicht mehr zu hart sein können.

Aber diese Omnipräsenz von diesem Horrorthema damals … Da gab’s ja meterhohe Pappaufsteller von diesem Hostel-Plakat, der Typ mit der Bohrmaschine im Mund.

Ist doch schön, wenn sich das so verbreitet. Hätte man früher von geträumt.

Aber ist die Verkaufszeile beim Drogeriemarkt Müller nicht der falsche Kontext für so was? Kann man nicht sagen, harter Horror ist vielleicht doch eher was für die Schmuddelschiene, wo er dann ruhig wachsen und gedeihen darf? Sollte man nicht Mainstream und sowas Extremes voneinander getrennt halten? Wo ist der Sinn in einer Durchmischung? Wenn man am Ende nicht mehr wissen kann, ob man jetzt beispielsweise beim neuen Batman etwas wie Batman hält die Welt in Atem bekommt oder aber The Dark Knight? Oder jetzt auch Suicide Squad, der ist ja offensichtlich noch extremer. Das Extreme ist doch sehr stark in den Mainstream eingesickert.

Das liegt aber natürlich daran, dass die Leute heute mehr bzw. andere Ängste haben. Und die zu reflektieren, im Film oder in Comics, braucht es halt dann härtere Bandagen. Einen Batman-Film wie Batman hält die Welt in Atem würde dir doch heute keiner mehr abnehmen. Die Leute würden dich auslachen, wenn du so was machen würdest. Es sei denn, es wäre eine Parodie. Etwas wie Batman hält die Welt in Atem funktioniert heute nur noch in der Retro-Schiene. Und die Comics, diese Frank-Miller-Sachen, die Dark Knight-Comics, waren ihrer Zeit ja schon etwas voraus. Der hat noch Grenzen ausgetestet, die in den Comics so nicht vorgesehen waren. Deswegen kann ich das nur begrüßen. Die Tatsache, dass das im Mainstream gelandet ist, war ja für Frank Miller jetzt auch nicht unbedingt abzusehen. Also schlecht finden kann ich das nicht, dass jetzt mehr Leute das sehen.

Beim Film The Dark Knight ist das bei mir so eine Hassliebe. Ich bin davon schon auch fasziniert, vermisse nur ein bisschen die Unschuld von damals.

Aber die gibt’s ja immer noch. Die alte Serie gibt’s auf BluRay und DVD und ist überall zu haben. Ich hab jetzt mal versucht, die alle durchzugucken, aber das gelingt natürlich auch kaum, denn das ist schon wieder irgendwie zu harmlos. Sehr niedlich und skurril, aber es funktioniert halt nur als Retrospektive.

Du bist ja auch bekannt als Mainstream-Fan. Es gibt doch diese Kolumne von dir,  „Buttis Mainstream-Corner“.

Stimmt. Ich bin eben auch mit Spider-Man-Comics aufgewachsen und habe Godzilla-Filme angesehen, und das war eben Mainstream damals. Vielleicht in Deutschland nicht. Aber weil du eben auch sagtest, diese Saw-Geschichten, ob die jetzt bei der Drogerie Müller gut aufgehoben sind – in Amerika gab’s das schon immer. Die Horrorkultur wurde da immer gut gepflegt und hat einen ganz normalen Bestand im Mainstream – was hier nicht so ist. Allein die Tatsache, dass die Deutschen so ein Problem mit dieser Horrorkultur haben, ist ja schon beschämend. Das ist auch eine Sache, gegen die ich ein bisschen ankämpfe und auch immer wieder thematisiere. Deswegen hab ich auch mal Nosferatu als Theaterversion gemacht. Also diesen alten Nosferatu, der ja die Initialzündung überhaupt für den Horrorfilm war. Wenn man das in diesem Licht betrachtet, haben wir eigentlich den Horrorfilm erfunden. Wir sind nur nicht stolz drauf. Das ist ja das Traurige dabei.

Aber die Horrorfans gäbe es bei uns ja schon. Das liegt einfach an den Strukturen hier, wahrscheinlich vor allem an der altehrwürdigen Instanz der BpJM [Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien], die jederzeit gerufen werden kann. Es hat ja tatsächlich jeder Bürger die Möglichkeit, einen Antrag zu stellen, und wenn das gelingt, ist halt mal wieder irgendein Werk – mehr oder weniger willkürlich – vom Markt genommen.

Willkürlich nicht, man kann sich schon dagegen wehren. Aber oft wehren sich die Leute halt nicht.

Zwischenspiel 2: Ein Fan kommt, kauft die Captain Berlin-Hefte und lässt sie sich signieren. Jörg Buttgereit meint zu ihm: „Der Zeichner, der Geier [i.e. Jürgen Speh], der rennt hier übrigens auch rum. Wenn du von dem auch ein Autogramm kriegst, dann bist du ein Held. Da drüben steht er, in dem grauen T-Shirt. Der gibt nämlich nicht gerne Autogramme.“

Ich hab das Gefühl, dass du Filme inzwischen aus einer Art Außenperspektive siehst und eher soziologisch betrachtest. Man merkt, dass du jeden Film, der rauskommt, als Zeitdokument betrachten kannst und darin auch den Wert siehst. Eigentlich dann auch beim größten Schund.

(lacht) Ja, ich bemühe mich natürlich. Dadurch, dass meine Filme international ausgewertet werden, also auch in Asien und Amerika oder in Skandinavien, sehe ich, dass die in diesen Ländern auch total anders verstanden werden. Dass auch die Grenzen, die man mit diesen Themen überschreitet, in jedem Land anders wahrgenommen werden. Das relativiert natürlich total viel. Wenn in Deutschland Nekromantik 2 Probleme hatte, weil ein Staatsanwalt sich dachte, das wäre Gewaltverherrlichung, dann lachen die in Amerika darüber. Die schreiben dann auf die Videokassette „In Deutschland verboten“ und verkaufen gleich noch mehr deswegen. Die Perspektive ist einfach eine andere und die Sicht wird dann automatisch globaler, wenn man sieht, wie das eigene Werk anderswo rezipiert wird. Das gibt mir einfach eine Außenperspektive. Und dadurch, dass ich eben auch viel über Film schreibe, habe ich natürlich die Aufgabe, manche Sachen auch relativ nüchtern zu besprechen.

Du musst aber doch auch subjektiv sein. Sonst ist eine Kritik ja auch irgendwie sinnlos.

Ja?! Mag sein. Aber ich schreibe ja auch für die epd-Film [die Film-Zeitschrift des Evangelischen Pressedienstes], das ist ein wissenschaftliches Magazin. Die Wissenschaft muss sich möglichst einer geschmäcklerischen Wertung enthalten, sondern einfach, wie du gerade schon so schön gesagt hast, diesen kulturellen Wert da rauszirkeln. Darum geht’s eigentlich. Das heißt, ich kann sagen, um jetzt bei meinem alten Vorbild John Waters zu bleiben, Pink Flamingos ist ein Film, der eigentlich handwerklich ziemlich schlecht ist, aber das ist scheißegal, weil der inhaltlich damals so wichtig war, für mich zumindest, dass es trotzdem ein guter Film ist. Der ist schlecht und gut zur gleichen Zeit.  Auch Ed Wood: Alle sagen, der machte schlechte Filme, aber das ist einfach ein Missverständnis. Beziehungsweise hat Ed Wood damals selbst gedacht, er macht ganz großes Kino und hat damit aus Versehen eine Trash-Ästhetik etabliert, die man erst Jahre später so definieren konnte. Aber der Mann wollte großartige Filme machen. Der wollte ja keinen Trash machen.

Jarro 1Jarro 2Oft ist es wohl auch so, dass man einfach mal anfängt und sich dann anschaut, was dabei rauskommt – und lernt, während man es macht. Es gibt ja die eine oder andere Comicserie, wo es genau so lief. Zum Beispiel bei dem Künstler deines letzten Captain Berlin-Heftes, bei Geier. Der ist mal eingestiegen in der Serie Jarro, der Mann des Dschungels, die in ihren Anfängen ebenfalls ein reines Ausprobieren war.

Ich kannte den gar nicht vorher. Levin [Kurio, Verleger von Weissblech-Comics] hat den an Land gezogen und ich war gleich ziemlich geflasht von ihm. Aber ich wusste gar nicht, was der davor gemacht hat.

Das waren so Selfmade-Piccolos damals, so Retro-Sachen, und die eine Serie hieß Jarro, der Mann des Dschungels. Die ersten zwölf Hefte waren vom Autor selbst gezeichnet, von Dieter Böhm. Diese ersten Hefte waren noch ziemlich schlecht gezeichnet, so als würde ich selbst die Männchen malen, sehr einfach gehalten. Das wurde dann stilistisch besser, dann wieder schlechter – und dann kam Geier für zwölf Episoden und plötzlich wurde das gut, weil Geier damals schon einen total sicheren Stil hatte. Und nach Geier kamen andere interessante Künstler, z.B. Horus Odenthal, damals noch unbekannt. Der durfte dann später bei Egmont auch ein paar große Alben machen, beispielsweise diesen Schiller-Comic. Jarro war eine ziemlich coole Serie damals. Und die kam eigentlich so richtig aus dem Schrott, kann man sagen.

Animal ManIch kam auch aus dem Schrott mit meinen Filmen damals.

In den USA gab es in den 80ern die Serie Animal Man von Grant Morrison.

Die hab ich auch gelesen. Hab ich gesammelt damals. Weil ich ein totaler Brian-Bolland-Fan bin, und der hat ja damals die Cover gemacht.

Bei Animal Man ist es auch so: Eigentlich ist es die totale Schundserie, die überhaupt nicht verschleiern will, dass sie nur ein „doofer Comic“ ist – und später kommt raus, da steckt ja eigentlich noch was ganz anderes drin.

Ja, aber Animal Man fand ich damals irgendwie extrem ökologisch. Heute würde man fast sagen, so gutmenschlerisch. Aber ich hab das total geliebt. Und darauf aufmerksam geworden bin ich durch Brian Bolland, einfach weil die Cover so toll waren. Ich habe alle alten Ausgaben. Ich war schon ein Brian-Bolland-Fan, weil ich Judge Dredd total geliebt habe, in den 80ern. Ich bin da mal nach London gefahren, um Comics einzukaufen.

BollandDu hast damals 2000 AD-Hefte gekauft? Cool.

Genau.

Ich hab so ’nen Stapel 2000 AD-Hefte daheim (meterhohe Geste), die hat mir mal jemand aus seinem Keller verkauft. Da gibt es so einen total langen Zyklus, wie hieß der doch gleich? Es gab sogar mal ein Lied von Anthrax drüber … – „The Cursed Earth“!

Da hat Bolland leider relativ wenig gemacht. Aber die hab ich neulich erst mal wieder gelesen. Ich hab die als Paperback.

Bei Animal Man kommt dann irgendwann dieser Twist. Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst, da schreibt sich dann Grant Morrison selbst in die Geschichte.

Ja, der war irgendwann auch auf dem Cover.

Genau. Er schreibt dann einfach die Geschichte um. Irgendwann im Lauf der Story wird die Familie des Helden ausgelöscht, und am Ende sind dann einfach alle wieder da. Das war rührend. Und richtig toll erzählt.

Ja, das stimmt.

Im Grunde wertet Morrison mit diesem Twist jeden Schund auf. Seit Morrison kann man quasi sagen, alles was je in einem Comic mal erzählt wurde, ist real und irgendwo auch wichtig.

Aber so schundmäßig waren die eigentlich gar nicht.

Klar. Grant Morrison hat immer eine gewisse Klasse. Aber es wertet auch den Run davor auf. Jede kleine Story von Animal Man, egal wie abwegig, hat auf einmal ihren Wert und ihren Platz in der Continuity, und Widersprüche spielen keine Rolle mehr. Eigentlich eine geniale Strategie.

Aber davon haben die sich jetzt wieder befreit, oder? Es gibt ja jetzt wieder neue Animal Mans. Ich hab die nur nicht gelesen.

Berlin CoverJa, das wurde immer wieder umgeworfen, schon direkt nach Morrison. Da kam dann Jamie Delano und hat das alles mehr oder weniger in die reale Welt versetzt.

Wir haben übrigens bei uns am Comicgate-Stand auch schon über Captain Berlin diskutiert. Ich hab gesagt, die Serie wäre ziemlich gut. Mein Kollege meinte, gut wär’s schon, aber ihm fehle da irgendwie die Meta-Ebene. Ich bin der Meinung, das hat schon eine Meta-Ebene, man muss nur richtig hinschauen.

Die Meta-Ebene ist, dass es in Deutschland keine Superhelden gibt.

Nicht nur. Nimm nur mal die Dutschke-Geschichte in Nummer 4. Da kommt der Attentäter mit dem Gewehr und zielt auf Dutschke. Das wirkt alles ziemlich authentisch. Das ist nicht nur ein Bildwitz, das ist eine richtige Geschichte. Ihr ironisiert da wenig rum. Ihr nehmt das irgendwo ernst.

Seite aus Captain Berlin 4

Seite aus Captain Berlin 4. Text von Levin Kurio, Zeichnungen von Rainer F. Engel. © Weissblech Comics.

Ja, genau. Und jetzt, wo wir bei fünf Heften sind, nehmen wir die Sache noch ernster, weil das alles auch ineinander funktionieren muss. In Heft 1 zum Beispiel kann er nicht fliegen, in der neuen Geschichte, die heute spielt, kann er fliegen. Tja, da kam dann auch ein Leserbrief und hat da mal nachgefragt. Das löst sich dann in der Hiroshima-Geschichte auf, da gibt’s die erste Vorstufe zum Fliegen (liest aus Heft 4 vor): „Die Strahlen der Atombombe haben mit meinem biologisch manipulierten Körper reagiert und neue Mutationen hevorgerufen. Ich habe neue unvorstellbare Kräfte. Es ist, als könnte ich die Schwerkraft selbst beherrschen“. Er fliegt da noch nicht los, aber es ist ein Indiz dafür. Das ist etwas, was wir nachliefern mussten.

Das ist auf der einen Seite Retro, hat aber auf der anderen Seite doch den modernen Anstrich.

Wir bewegen uns da immer zwischen der ersten Szene 1945 und der letzten, das ist Fukushima 2011. Und alles andere dazwischen versuchen wir langsam aufzufüllen. Dahinter wollen wir nicht. Denn die Gegenwart ist gefährlich.

Wie lange gibt’s die Serie jetzt schon?

Das erste war 2013, das war die Beilage zum Film. Und dann haben wir jetzt zwei Jahre gebraucht für fünf Hefte. Aber die Abstände werden kürzer. Ich habe Levin ja mehr oder weniger gezwungen. Die erste Story war ja schon fertig, da wir die für die DVD gemacht hatten. Die zweite Geschichte hatte ich eigentlich fürs Web gemacht mit meinem Freund Martin Trafford. Ich hab dann einfach zu Levin gesagt, das erste Heft ist schon fertig, das kostet erst mal nichts. Und dann haben wir’s gemacht. Und jetzt ist es schon in der dritten Auflage.

Jörgs Agentin tritt auf und gibt zu verstehen, dass Jörg vor seiner Abreise noch ein bisschen Comics kaufen wollte. Auf ihren Vermerk, dass das Gespräch jetzt schon ganz schön lange ginge, meint Jörg dann auch: „Ja, das wird hier ewig so weitergehen.“

Na, dann sollten wir das wohl langsam beenden.

Du kannst ja noch mit Levin weiterreden.

Sorry, aber ich fürchte, bei mir hat sich’s jetzt erst mal ausgeredet. Mir fällt gar nichts richtiges mehr ein.

Na, umso besser. (Levin Kurio und Jörg Buttgereit wirken sehr vergnügt.)

Dann möchte ich mich nur noch recht herzlich für das schöne Gespräch bedanken. Und ich hoffe, ich war nicht zu aufdringlich.

Ach, und wenn schon. So was ist egal. Das ist schließlich alles für die Kunst. Und deswegen ist das auch wichtig.

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