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Deadly Class: 1987 – Reagan-Jugend

Landet ein Rezensionsexemplar nach der Lektüre wieder auf meinem Lesestapel (oder eher: darunter), ist der Grund meist ganz lapidar, dass ich mir auf den ersten Blick kein klares Urteil bilden konnte bzw. mochte. Die Hoffnung, dass sich dies beim zweiten Lesen ändern könnte, dass irgendwelche imaginierten Scheuklappen abfallen und sich mir auf einmal eine klare Meinung geradezu aufdrängt, wird jedoch meist enttäuscht. Tief im Innern weiß ich das, und der ganze Prozess ist demnach wohl nur ein Akt der Prokrastination, um mich nicht sofort mit einem Comic auseinandersetzen zu müssen, der nicht einfach und bequem in die Kategorien gut/okay/schlecht fallen will, sondern eine differenziertere Meinung verlangt.

© Panini Comics

So auch im Fall von Deadly Class – Tödliches Klassenzimmer: 1987 – Reagan-Jugend, dem ersten Sammelband einer Serie des umtriebigen Rick Remender (Black Science, Devolution), gezeichnet von Wes Craig, der auch als Co-Autor genannt wird. Pointiert auf den Punkt bringen kann man die Story mit „Breakfast Club trifft auf Sin City“. Oder vielleicht doch eher „Harry Potter trifft auf Wanted“? 1987, mitten in der Reagan-Ära, wird ein vierzehnjähriger obdachloser Waisenjunge mit tragischer Vergangenheit an einer geheimen Akademie für Nachwuchs-Killer aufgenommen, macht sich dort Freunde und Feinde und gerät schließlich auf einem Roadtrip mit MitschülerInnen nach Las Vegas (wo natürlich jemand ermordet werden soll) in richtig dicke Probleme.

Mögen kann man als ComicleserIn vieles an diesem Band. Er ist smart und energetisch erzählt. Bilder und Worte harmonieren bestens, und ich habe mich beim Lesen nicht einen Moment gelangweilt. Autor Remender und Zeichner Craig hatten sichtlich Freude bei der kreativen Zusammenarbeit. Craigs Seitenlayout ist oft kleinteilig, was gut zu der Menge an Ideen und Details in Remenders Geschichte passt. Die Zeichnungen haben dabei zum einen etwas retrohaftes und lassen an 1980er Arbeiten von damals hippen Noir-Comic-Zeichnern wie Frank Miller und David Mazzuchelli denken, andererseits wirken sie zugleich frisch und gegenwärtig. Eine große Rolle spielen dabei auch die Farben von Lee Loughridge. Auf ihre matte, meilenweit von Hochglanz-Digitalkolorierung entfernte Art erinnern sie ebenfalls an die 1980er und tragen eine Menge zur noirischen Atmosphäre bei. Vor allem, wenn Loughridge Szenen einen starken einfarbigen Grundton gibt. Zeichnerischer Höhepunkt ist ein viele Seiten andauernder Acidtrip der Hauptfigur, aus dem Craig so einige schöne Ideen herausholt.

© Image Comics

Klingt doch alles nach einer äußerst gelungenen Lektüre. Warum ich trotzdem meine Probleme damit hatte, den Comic zu bewerten? Es ist wohl weniger ein „trotzdem“ als viel eher ein „gerade deswegen“. Gerade deswegen, weil der Comic visuell und vom Storytelling her stark ist, fiel es mir schwer, das immer wieder beim Lesen aufkeimende Gefühl der Unzufriedenheit genauer zu verorten. Letztendlich lässt es sich wohl am besten folgendermaßen auf den Punkt bringen: So gekonnt der Comic auch gemacht ist, vieles darin nehme ich ihm bzw. den Figuren und damit letztendlich den Autoren einfach nicht ab.

Remender und Craig schaffen es beispielsweise nicht, mich davon zu überzeugen, dass die „Kings-Dominion-Schule für tödliche Künste“ existiert, nicht mal in ihrem Comicuniversum. Sie wirkt nicht wie ein lebendiger Ort, den es schon lange gab, bevor Marcus, die Hauptfigur, dort auftaucht, sondern nur wie eine hastig errichtete Kulisse für seine Geschichte. Widersprüche, wie dass Drogen und Sex dort rigoros – und bei drakonischsten Strafen (die Lehrer sind schließlich allesamt hochklassige Attentäter) – verboten sind, aber offensichtlich viele minderjährige SchülerInnen sich nicht darum scheren (um auf die Leserschaft noch härter und verruchter zu wirken), verstärken das noch.

Die Figur Marcus macht es einem ebenfalls nicht leicht. Einem vierzehnjährigen(!) Waisenjungen, der jahrelang in Heimen und auf der Straße lebte, kaufe ich die ultra-tiefgründigen inneren Monologe über Politik und Religion sowie seine wiederholte Selbstanalyse einfach nicht ab. Ich glaube ihm auch nicht, dass er Hunter S. Thompson gelesen hat, über dessen Drogenerfahrungen er sinniert (und der während der Acid-Sequenz auch einen Cameo-Auftritt hat). Hier spricht zu deutlich der erwachsene Autor Remender. Die Gruppe Schüler, mit der sich Marcus schließlich auf eine eigenmächtige Aktion nach Las Vegas begibt, ist Breakfast Club-mäßig divers und voller klar unterscheidbarer (Stereo-)Typen, aber warum die zu ganz unterschiedlichen Cliquen gehörigen JungkillerInnen in dieser Gruppe befreundet sind, bleibt völlig unklar und somit willkürlich und unglaubwürdig. Vor allem Angesichts der Tatsache, dass die verschiedenen Clans an der Schule und deren gegenseitige Feindseligkeiten zuvor eindeutig etabliert werden. Auch bei diesen Figuren tragen die beiden Co-Autoren so dick auf, dass kaum das Gefühl aufkommt, es noch mit Jugendlichen zu tun zu haben, Killer-Akademie hin oder her. (Am schlechtesten kommen dabei – natürlich – wieder mal die weiblichen Figuren weg.) Und wo wir schon bei „dick auftragen“ sind: Marcus‘ selbsternannter Erzfeind soll augenscheinlich dem Prinzip „Der Böse in einer Geschichte voller moralisch mehr als fragwürdiger Hauptfiguren muss diese weit übertreffen“ folgen, geht aber in seiner Überzogenheit voll in die Hose und wirkt eher wie eine klischeeüberfrachtete Parodie auf einen psychopathischen Erzschurken.

© Image Comics

Die explizite Gewalt in diesem Comic scheint Remender mit den tragischen Geschichten von Marcus und manchen seiner Freunde auf gewisse Art rechtfertigen zu wollen. Er inszeniert sie als Opfer von Gewalt, die in Folge selbst gewalttätig werden. So weit, so gut. Das beißt sich jedoch mächtig damit, dass er und Wes Craig die überzogene Gewalt in Deadly Class in stylisch choreographierten Szenen Panel für Panel abfeiern. Von einem Comic über eine Killer-Schule Gewaltfreiheit zu erwarten, wäre natürlich paradox. Der Fehler liegt hier darin, dass die Künstler versuchen, diese Gewalt zu erklären und zu entschuldigen, was in dieser Form aber scheinheilig wirkt und nicht über ein unglaubwürdiges Feigenblatt hinauskommt. Die Autoren wollen eben beides: auf der einen Seite die High-School-Außenseiter-Geschichte inklusive dem Suchen und Finden von Freunden, Liebe und dem warmen Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinschaft; auf der anderen Seite die „Schaut her, wie krass“-Gewaltszenarien und „Cool, es gibt eine Schule für Attentäter“-Attitüde – und das will nicht zusammenpassen. Breakfast Club und Sin City zu verbinden mag als Idee schwer attraktiv geklungen haben, die Umsetzung offenbart die Probleme darin. Für andere mag Remenders und Craigs Storywelt trotz alledem bestens funktionieren, für mich nicht. Trotz einiger wirklich großartiger Comicsequenzen.

Ich hätte diese Rezension beinahe damit geschlossen, dass dies einer dieser typischen Over-the-top-Stoffe ist, der – wenn überhaupt – eigentlich nur im Comic angehend glaubwürdig funktionieren kann, und dass Comics nach wie vor das einzige Medium für derartige Genre-Experimente sind. Aber dann musste ich lesen, dass die Rechte für eine TV-Serienadaption von Deadly Class bereits vergeben sind. Nun ja, mit Kick-Ass hat man es ja auch gemacht…

Handwerklich toller Comic, inhaltlich so problematisch wie Ronald Reagans Wirtschaftspolitik

Deadly Class – Tödliches Klassenzimmer Bd. 1: 1987 – Reagan-Jugend
Panini Comics, 2015
Text: Rick Remender
Zeichnungen: Wes Craig
Übersetzung: Marc-Oliver Frisch
160 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 19,99 Euro
ISBN: 978-3957982933

Disclosure/Offenlegung: Übersetzer Marc-Oliver Frisch schreibt gelegentlich für Comicgate.

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