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Chiisakobee – Die kleine Nachbarschaft 1 und 2

Auf dem Cover sieht der bärtige Typ mit seiner Sonnenbrille und seinem schmal geschnittenem Denim-Shirt ja tatsächlich super aus. Wie ein Standbild aus einem Wes-Anderson-Film; lässig, cool und topmodern. Man braucht aber nur etwas hineinblättern ins erste Buch der Reihe Chiisakobee, und dieser Eindruck fällt in sich zusammen. Dieser Kerl ist nicht cool. Der trägt einen Rucksack an Problemen mit sich herum.

Alle Abbildungen © Carlsen Manga

Shigeji heißt der ungepflegte Schrat, um den es in Minetaro Mochizukis Serie geht. Soeben hat er seine beiden Eltern in einem Großbrand verloren und muss nun deren Baugeschäft übernehmen und wiederaufbauen. Wird er dieser Mammutaufgabe gewachsen sein? Zur Seite steht ihm eine junge Frau namens Ritsu, die ihm im Haushalt hilft. Sie kümmert sich ehrenamtlich auch um eine Gruppe von Waisenkindern, was in das Leben des ebenso verschrobenen wie introvertierten Shigeji Chaos und Dynamik bringt, denn die Kinder sind alles andere als leicht zu haben und pubertieren heftig.

Aber vielleicht ist diese Konfrontation mit dem prallen Leben ja die Heilung für Shigeji, denn der wirkt zum Anfang der Erzählung wie ein trauriger Zombie – und das hat nicht nur mit dem Verlust der Eltern zu tun. Zwar hat er pflichtschuldig das Handwerk des Vaters studiert und in dessen Firma gearbeitet, gleichzeitig hat er sich dabei aber in eine Gesichtsbehaarung geflüchtet, die eigentlich nur als Ablehnung der herrschenden Umstände gedeutet werden kann. Ein ums andere Mal stößt er besorgte Mitmenschen vor den Kopf, wenn er beispielsweise den Hausaltar seiner verstorbenen Eltern schließt, finanzielle Hilfen ablehnt oder eine Trauerfeier für seine Eltern verweigert.

In einem zweiten Erzählstrang wird Yoko, die Hauslehrerin der Kinder, eingeführt. Die grundsympathische junge Frau ist die Tochter eines in der Gemeinde engagierten Bankfilialleiters, mit dem Shigeji und Ritsu über das Sorgerecht für die Waisenkinder verhandeln müssen. Soweit wäre das alles harmlos, würde der Banker nicht immer wieder anzügliche Bemerkungen über den Körper seiner Tochter machen und Shigeji intime Fotos von ihr zuschieben. Vielleicht ist hier der Schlüssel für Shigejis Ablehnung gegenüber gesellschaftlicher Gepflogenheiten zu suchen. Denn hat es nicht etwas Anstößiges, stets die Fassade zu wahren, zu lächeln und geschäftsmäßig zu bleiben, wenn man damit stillschweigend die Abgründe seiner Umwelt billigt und zementiert? Es verwundert nicht, dass Shigeji auf seine Weise nach einem Ausweg tastet.

Aus der Rahmenerzählung – introvertierter Bücherwurm wird mit dem wahren Leben konfrontiert – hätte sich ohne Weiteres auch eine Feel-good-Komödie erzählen lassen. Chiisakobee dagegen bietet ein persönliches Drama der leisen Töne. In jeder Szene schwingt die innere Unruhe der Figuren mit, bereits kleine Gefühlsäußerungen und Gesten transportieren Gewicht und Spannung. Inzwischen sind bereits zwei Bände der Reihe erschienen, und je weiter ich mich in die Reihe hineinlese, desto mehr wachsen mir die Figuren ans Herz. Ich fiebere dem Moment entgegen, an dem Shigeji aufhören wird, mit seiner schwarzen Bartfrisur das Licht seiner Umgebung wie ein schwarzes Loch in sich aufzusaugen. Tatsächlich bin ich voller Vertrauen darauf, dass Shigeji seine Gefühle und Kämpfe in etwas nachhaltig Positives verwandeln kann. Eines ist aber jetzt schon sicher. Langweilig wird dem Leser bei dieser Transformation nicht werden.

Elegant und gefühlvoll erzählt. Minetaro Mochizuke beherrscht die leisen Töne.

9von10Chiisakobee – Die kleine Nachbarschaft 1 und 2
Carlsen Manga!, 2018
Text & Zeichnungen: Minetaro Mochizuki
Übersetzung: Cordelia Suzuki
212 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 14,90 Euro
ISBN: 978-3551720955
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