Mit Neal Adams (1941–2022) hat die Comicwelt Ende April eine ihrer bedeutendsten und einflussreichsten Künstlerpersönlichkeiten verloren. Der legendäre Batman-Zeichner galt innerhalb der Szene auch als Gallionsfigur gesellschaftspolitischen Engagements. Eine Würdigung.
Die Spuren eines Lebens nachzuzeichnen, entbehrt nicht einer gewissen Verantwortung, egal ob es sich dabei um eine reale Person oder eine fiktive Figur handelt. Im Falle von amerikanischen Superheldencomics scheint diese Verantwortung besonders schwer zu wiegen. Zu einer Zeit, in welcher der US-Amerikaner Neal Adams seine Karriere als Zeichner begonnen hat – eine Ära, die man heute als das „Silberne Zeitalter“ (Silver Age of Comic Books, 1956–70) bezeichnet –, schleppen alteingesessene Figuren wie Superman oder Batman bereits eine jahrzehntelange Geschichte mit sich herum, deren quasi mythologischem Erbe es erst einmal gerecht zu werden gilt. Dies muss auch Adams gespürt haben, als er sich Ende der 1960er Jahre gemeinsam mit dem Autor Dennis O’Neil aufmachte, DCs „dunklen Ritter“ Batman auf eine Art anzulegen, die sowohl Kanes und Fingers ursprünglichem Entwurf der Figur Tribut zollt, als auch diese radikal umdeutet.
Der Weg für Adams, überhaupt dorthin zu gelangen, war ein steiniger. Nach seinem Abschluss 1959 an einer High School in Manhattan versuchte er bereits, bei DC eine Anstellung als Zeichner zu erhalten, und wurde prompt abgelehnt. In der Folge schlug sich Adams mit Jobs bei Archie Comics sowie als Illustrator des Ben-Casey-Strips durch, bis er 1967 doch noch bei DC landete. Er bekam die Chance, als Zeichner und Inker einige Seiten der Anthologie-Reihe Our Army at War zu gestalten. Auch im Nachhinein hat Adams immer mit diesem Auftrag gehadert, galt er doch als entschiedener Gegner der militärischen US-Intervention in Vietnam, die in diesen Comics dargestellt und teilweise verherrlicht wurde. Dennoch, durch sein Debüt bei DC hatte er es geschafft, den Fuß in die Tür eines der wichtigsten Verlagshäuser in Sachen Comic zu bekommen. Ein paar schöne Covers für Action Comics und Superman’s Girlfriend Lois Lane waren die Folge.
Bei DC kam er auch in Kontakt mit Dennis O’Neil, einem jungen aufstrebenden Autor, der sich einen Ruf damit erworben hatte, unpopulär oder altmodisch gewordene Figuren durch eine Neuinterpretation wieder aus der Versenkung zu holen. Die Arbeit an Batman, mit der O’Neil und Adams betraut wurden, zählt wohl zu den bedeutendsten Kooperationen der Comicgeschichte. Man kann sie in einem Atemzug mit den Kreativduos Stan Lee/Jack Kirby oder Marv Wolfman/George Pérez nennen. In einer Zeit, in der Batmans Image stark von der bunten, klamaukhaften Fernsehserie mit Adam West geprägt war, besannen sich Adams und O’Neil auf die düsteren und abgründigeren Züge dieser Figur. Auf optischer Ebene wurden Batmans Ohren länger, die Fledermaushaube dunkler, und das Lächeln schwand zunehmend. O’Neils und Adams’ frühe Beiträge zu den Heftreihen Detective Comics und der monatlichen Batman-Serie verorteten Batman klar in der Schauerromantik: Sie spielten häufig auf verlassenen Friedhöfen und in düsteren Schlössern. Die Geschichten waren zudem nicht selten mit übernatürlichen Elementen angereichert.
Die Story, mit der O’Neil und Adams schließlich in die Annalen eingehen sollten, begann mit Batman #232 im Jahr 1971 und wurde mit #243 und #244 im darauffolgenden Jahr fortgesetzt. Die 1971er Ausgabe, betitelt mit „Daughter of the Demon“, bescherte einem der faszinierendsten Gegenspieler Batmans seinen ersten Auftritt: Ra’s al Ghul. Der mysteriöse Anführer einer weltweiten Verbrecherorganisation durchschaut nicht nur sofort Batmans geheime Identität als Bruce Wayne, der alternde Ra’s versucht Batman auch als seinen Nachfolger zu akquirieren. Zu allem Überfluss muss sich Batman der Avancen von Ra’s’ Tochter Thalia, die sich in den dunklen Ritter verliebt, erwehren.
Die Art, wie Adams diese Geschichte einfängt, ist schlicht atemberaubend: Komplexe Körperhaltungen, ausdrucksstarke Gesichter und ein deutlicher Hang zum Makabren prägen Adams Stil, perfekt ergänzt durch die Tusche von Dick Giordano. Wenn man bedenkt, wie andere Inker Adams’ markante Bleistiftstriche zu glätten versuchten – Tom Palmers Tusche für Adams’ X-Men-Phase bei Marvel ist so ein Beispiel –, dann lernt man die behutsame Art, mit der Giordano die Zeichnungen Adams interpretiert, umso mehr zu schätzen. Herausragend ist auch Adams’ Gestaltung von Batmans Umhang, der stets ein komplexes Eigenleben zu führen scheint und das Geschehen auf ungeahnte Weise dynamisiert.
O’Neils und Adams’ Vision für Batman war düster, keine Frage, dennoch vergaßen die beiden nicht, ihre Geschichten immer wieder durch heitere Elemente aufzulockern, die den Charme klassischer Abenteuergeschichten versprühen. Bei all dem zur Schau gestellten Heldenmut, den verführerischen Frauen und dem ständigen Wechsel exotischer Schauplätze wähnt man sich als Leser:in beinahe inmitten der jüngsten Mission von Geheimagent 007. Wer Batman einmal skifahrend im Himalaya oder mit einem Leoparden ringend in Kalkutta sehen will, dem/der sei Adams’ Batman der frühen 1970er noch einmal wärmstens ans Herz gelegt.
Nachdem Adams mehrere Jahre sowohl für DC als auch für Marvel Erfolge feiern konnte, verabschiedete er sich 1978 mit dem prachtvollen Band Superman vs. Muhammad Ali für einige Zeit von der Mainstream-Comicszene, um sich zur Gänze der zusammen mit Giordano gegründeten Firma „Continuity Associates“ zu widmen, welche unter anderem Storyboards für Filmproduktionen bereitstellte. Das 72-seitige Epos erzählt die Geschichte von Superman, der sich mit dem Boxchampion Ali verbünden muss, um eine feindlich gesinnte Alien-Rasse zurückzuschlagen. Adams präsentiert sich hier einmal mehr auf der Höhe seiner Kunst. Ähnlich wie für Batman war Adams auch für die Darstellung Supermans entscheidend. Das berühmte Bild vom durchs All fliegenden Sohn Kryptons schaffte es nicht zuletzt auf unzählige Lunchboxen von Schulkindern.
Bei aller künstlerischen Perfektion stand Adams immer auch dafür ein, dass man als Zeichner und Illustrator eine gewisse Verantwortung trägt. Sei es die ästhetische Verantwortung gegenüber dem vorgefundenen Material (zum Beispiel einer etablierten Darstellungsform oder dem über Jahre sich entwickelnden Mythos einer Figur), sei es die ethische Verantwortung gegenüber der potenziellen Bewusstseinsbildung einer zukünftigen Leserschaft. Adams’ Arbeit für DC in den 1970ern zielte dementsprechend nicht nur darauf ab, eine schlüssige, dem Helden treu bleibende Geschichte zu illustrieren, sondern verfolgte auch einen gewissen pädagogischen Anspruch.
Bis heute unvergessen bleiben #85 und 86 der Green-Lantern-Reihe (1972, ebenfalls mit O’Neil als Autor), in dem Green Arrow von seinem Superheldenkollegen Green Lantern erfahren muss, dass sein Schützling Speedy heroinabhängig geworden ist. Diese Hefte waren bahnbrechend, weil sie von der amerikanischen Gesellschaft häufig tabuisierte Themen wie Drogenkonsum oder Rassismus offen anprangerten.
Innerhalb der Comicindustrie engagierte sich Adams außerdem politisch, indem er sich dafür einsetzte, dass sich Comickünstler gewerkschaftlich organisieren und die Rechte an ihrem originalen Artwork behalten, anstatt der Willkür der Verlage ausgeliefert zu sein. So erreichte er etwa auch, dass die Bilder von Dina Babbitt vom Staatlichen Museum Ausschwitz-Birkenau an die Künstlerin zurückerstattet wurden. Um dem KZ zu entgehen, hatte Babbitt einige Zeichnungen von Roma für den Nazi-Arzt Josef Mengele angefertigt, die dieser dazu benutzen wollte, um seine pseudowissenschaftlichen Theorien über rassische Unterlegenheit zu illustrieren. Überhaupt sorgte Adams nachhaltig dafür, die Schrecken des Holocaust ins öffentliche Bewusstsein zu bringen.
In dem Animationsprojekt They Spoke Out: American Voices Against the Holocaust (2010), das Adams zusammen mit dem Professor für jüdische Geschichte Rafael Medoff initiierte, werden Amerikaner porträtiert, die aktiv gegen den Nationalsozialismus rebellierten oder Juden zur Flucht verholfen haben. Ein Begleitbuch zu diesem Projekt (mit einem Vorwort von Stan Lee) leistet außerdem dadurch Pionierarbeit, dass es klassische amerikanische Superheldencomics zusammenträgt, die sich direkt mit dem Holocaust auseinandersetzten, und zwar lange, bevor dieser Thema im Schulunterricht wurde.
Neal Adams war nicht nur ein genialer Künstler, der bis zum Schluss seinen Stil perfektionierte und sein Publikum mit fantastischen Geschichten begeistern konnte, er verkörperte auch das Ethos jenes Zeichners, der gegenüber der Gesellschaft die Verantwortung verspürt, Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir vermissen ihn sehr.
Zum Nachlesen:
Batman – Neal Adams Collection Bd. 1
Panini, 2019
Autoren: Harlan Ellison, Mike Friedrich, Dennis O’Neil, Len Wein, Bernie Wrightson
Zeichnungen: Neal Adams, Dick Giordano
Sprache: deutsch
Übersetzung: Steve Kups, Jürgen Zahn
244 Seiten, Farbe, Paperback
Superman vs. Muhammad Ali
Panini, 2012 (nur mehr antiquarisch)
Autor: Dennis O’Neil
Zeichner: Neal Adams
Sprache: deutsch
100 Seiten, Farbe, Hardcover
We Spoke Out: Comic Books and the Holocaust
Yoe Books, 2018
Autoren: Craig Yoe (Herausgeber), Rafael Medoff, Neal Adams, Stan Lee (Einleitung)
Zeichner: Diverse
Sprache: englisch
280 Seiten, Farbe, Hardcover