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Superman: Exile & Other Stories – Omnibus (US)

Superman steht an einer Gletscherspalte im ewigen Eis der Antarktis, in der Hand einen der mächtigsten und geheimnisvollsten Gegenstände, den die Welt je gesehen hat: Den Eradicator, ein Erbe aus Krypton, dessen Geheimnisse Superman noch nicht annähernd erfasst hat. Superman weiß, dass von diesem Gerät eine ständige Gefahr für seine Freunde ausgeht. So wurde Jimmy Olsen, sein jugendlicher Fotografen-Freund vom Daily Planet, durch Kontakt mit dem Eradicator vorrübergehend in ein elastisches Wesen ohne Kontrolle über seinen Körper verwandelt. Doch nicht nur das: Matrix, ein Wesen aus einem untergegangenen Alternativwelt-Krypton wurde vom Eradicator in den Glauben versetzt, der richtige Superman zu sein. Ein Riesenproblem für Supie, da er Matrix einst geretttet hat und eigentlich dafür sorgen wollte, dass es ihm – oder ihr, Matrix kann beides verkörpern, Mann und Frau – in seiner (ihrer) neuen Heimat an nichts fehlt. Aber natürlich darf es nur einen Superman geben.

Alle Abbildungen © DC-Comics. Panel aus „The Adventures of Superman“ 450. Artwork: Jerry Ordway.

Dieser mächtige Omnibus-Band ist mit Händen ebenso schwer zu fassen wie vom Inhalt her. Er enthält sämtliche Superman-Geschichten von Oktober 1988 bis November 1989, die in Zusammenhang der beliebten Superman: Exile-Story stehen, eine Chronologie, so ausufernd, dass sie über sämtliche Superman-Serien dieser Ära ausgebreitet wurde: Superman ebenso wie Adventures of Superman und Action Comics. Das waren zwei bis drei Hefte pro Monat. Obwohl mehrere Autoren involviert waren, hauptsächlich Jerry Ordway und Roger Stern, gelegentlich auch Dan Jurgens und George Perez, ist die pralle Storyline, die unter der Federführung des „grande honcho“ Mike Carlin ans Licht der Welt kam, auch heute noch enorm lesenswert.

Zentrales Handlungselement ist die Exile-Story, die den neu gestarteten Superman der 1980er Jahre erstmals in die Tiefen des Weltalls führt. Die Handlung setzt direkt nach John Byrnes Run von 1986 bis 1988 ein, einer prägenden Ära, die Superman fest in der Gegenwart der 1980er Jahre verortete. Es dürfte der erfolgreichste und einflussreichste Relaunch des DC-Verlags gewesen sein, alles was danach kam, waren eher Versuche, den Glanz dieser Tage noch einmal zurückzubekommen.

Als John Byrne die Serie verließ, hinterließ er einen schwer angeschlagenen Superman. Erstmals hatte sich der Stählerne nicht anders zu helfen gewusst, als seine Gegener zu töten, um die Welt vor einer tödlichen Gefahr durch drei kryptonische Superschurken, darunter General Zod, den man auch aus diversen Superman-Filmen her kennt, zu schützen. Das zehrt an Supermans Selbstverständnis und bereitet ihm zunächst schlaflose Nächte und später eine handfeste Persönlichkeitsspaltung. Nachts ist er bald als brutaler Vigilant Crimebuster unterwegs und greift zu drastischen Mitteln, tagsüber ist er weiterhin der strahlende, gute Superman. Clark Kent dagegen ist, wenn er denn noch zu sehen ist, aus nachvollziehbaren Gründen extrem unausgeschlafen und schlecht gelaunt.

Das „Action Comics Annual“ 2 von 1989 bereichert die Story mit Flashbacks aus vergangenen Tagen auf Krypton. Artwork: Mike Mignola.

Ein Füllhorn an Situationen wird in diesen Heften ausgebreitet. Nebenplots und Nebenfiguren sind ebenso wichtig wie die Haupthandlung, so dass einen, liest man die Geschichten am Stück, schon manchmal das Gefühl von Überwältigung beschleicht. Aber der lange epische Atem und immer wieder sehr schön strukturierte Action-Sequenzen geben der Geschichte eine große Vitalität. Jede Geschichte enthält spätestens zum Zeitpunkt ihrer Auflösung bereits den Keim der Konflikte der nächsten und übernächsten Geschichte, so dass ein dichtes Geflecht an Plots entsteht, das bereits andeutet, was serielles Erzählen in den nächsten Jahren groß machen würde.

Superman beschließt, nachdem er sich seiner Persönlichkeitsspaltung bewusst wird, die Erde für immer zu verlassen. Aber natürlich gibt es auch im Weltall Abenteuer zu bestehen. Aufregend wird es, als er in Gefangenschaft des Tyrannen Mongul gerät, der ihn als Gladiator auf seiner Kriegswelt kämpfen lässt. (Die Figur des Mongul wurde bereits in der Pre-Crisis-Ära 1980 von Len Wein und Jim Starlin eingeführt und hat hier erst ihren zweiten Auftritt.) Während dieser Episode erhält Supie auch den Eradicator von einem außerirdischen Kleriker, der Zeuge des Niedergangs des Planeten Krypton war. Was zunächst wie ein Gimmick in einer in sich abgeschlossenen Weltraum-Episode wirkt, sollte sich im Nachhinein noch als Plot-Device für viele Nachfolgehefte erweisen, denn natürlich ist auch die Versenkung des Eradicators in der Antarktis nicht das Ende der Geschichte. Der Eradicator verwandelt sich in eine kryptonische Zentrale im ewigen Eis und holt aus einer anderen Dimension Material, um ein neues Krypton auf der Erde entstehen zu lassen.

In der Antarktis, wo die Sonne am hellsten strahlt, sind die Schatten am schwärzesten. Artwork von Keith Giffen. Aus „Action Comics“ 646,

Es ist episch, monströs und groß, was in Exile passiert – und es ist doch nur ein Ausschnitt aus dem großen Ganzen, das den Superman dieser Ära ausmacht. Das alles wäre dennoch nicht der Rede wert, wäre es nicht durch hervorragende Künstler gestützt, die man zum Besten zählen darf, was der Mainstream dieser Zeit zu bieten hatte. Gerade Kerry Gammill fällt mit dynamischen Actionszenen und flotten Seitenlayouts auf. So richtig entfalten die Seiten ihre Kraft aber erst durch das Lettering, eine Disziplin, die in den deutschen Übertragungen bis in die späten 1980er überhaupt keine Rolle spielte und die Comics von DC auf deprimierende Weise unter Wert präsentierte. (Die Exile-Episoden, die 1990 bei Hethke erschienen hatten allerdings erstmals ein gutes Lettering und eine engagiertes Lektorat. Leider gab es nur sechs Hefte, bevor man auf ein ungünstiges, schlecht verarbeitetes und zu teures Alben-Format umstellte).

Sehr schön auch, dass sich im Exile-Omnibus zwei von Mike Mignola gestaltete Episoden befinden, die schon von dessen hohem Stilwillen geprägt sind, aber noch nicht den festegefahrenen, repetitiven Look seiner späteren Hellboy-Arbeiten haben. Ebenso sticht ein Heft von Keith Giffen hervor, das konsequent im Neun-Panel-Raster gestaltet ist. Die Wirkmächtigkeit seiner Licht-und-Schatten-Spiele wurde auch von den Herausgebern des vorliegenden Omnibus-Bandes erkannt. Giffens Designs zieren die Zwischenseiten, die die Einzelhefte voneinander abtrennen und die Kapitel markieren. Auch das unter dem Schutzumschlag befindliche Buchcover ist im Giffen-Design.

Schuss – Gegenschuss. Die beiden Seiten aus „Superman“ 27 und „The Adventures of Superman“ 450 haben alles, was die Comics dieser Phase so unwiderstehlich macht: Soundwords, kreatives Lettering, mitreißende Panels, die man jedes für sich genommen rahmen könnte, und einen Cliffhanger nach allen Regeln der Kunst. Artwork links von Kerry Gammill, rechts von Jerry Ordway. Buchstaben von John Constanza und Albert Deguzman.

Viele Panels sind in der Rückschau wie prädestiniert dafür, dass sie, herausgelöst aus ihrem eigentlichen Habitat, als singuläre Bilder das Artwork noch einmal neu erstrahlen lassen. Um wieviel schöner ist es jedoch, die ursprünglichen Geschichten für sich entdecken zu dürfen. Aber egal ob man dieses Superman-Buch nun liest und sich darin vertieft oder ob man nur die Bilder anguckt. Superman: Exile ist auf jeden Fall eine Beschäftigung wert.

Superman: Exile stellt eindrucksvoll die Vitalität des amerikanischen Mainstreamcomic der 1980er aus.

8von10Superman: The Exile & Other Stories – Omnibus
DC Comics, 2018
Text und Zeichnungen: Roger Stern, Jerry Ordway, Dan Jurgens, Kerry Gammill, Mike Mignola, Keith Giffen, George Perez et al.
912 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 125,00 US-Dollar
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