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Der Tod ist nicht das Ende

Vor 30 Jahren erschütterte Supermans Tod das DC-Universum. Ein neuer Comicband erinnert daran – und versammelt noch einmal das originale Schöpferteam für eine gelungene Kompilation neuer kurzer Geschichten rund um das epochemachende Ereignis. Doch was hatte es mit Supermans Sterben damals auf sich? Eine Re-Lektüre zum Jubiläum.

Coverart zu Funeral for a Friend von Tom Grummett und Doug Hazlewood (alle Abbildungen © DC Comics)

„Puh, ich werde alt.“ So kommentierte der Wiener Comichändler meines Vertrauens das soeben von mir erworbene Death of Superman 30th Anniversary Special, als er es zum Preisscan über den Ladentisch zog. „30 Jahre soll das schon her sein? Kaum zu glauben!“ Dass sich der Tod des zur Ikone gewordenen „Man of Steel“ so ins kollektive Gedächtnis einbrannte, hat seine Gründe. Hohe Druckauflagen, eine offensive Marketingkampagne und Sondereditionen mit schwarzer Armbinde sorgten 1993 für einen Hype sondergleichen: Jeder musste eine Ausgabe haben. Aufgrund der hohen Auflagen sind die Comics heute jedoch selbst in Mint-Condition kaum etwas wert.

Eingefleischte Comicfans wussten natürlich schon damals, dass der Tod von beliebten Superhelden alles andere als dauerhaft war. Bereits 1986 wurde Jean Grey wiederauferweckt, nachdem sie in der Dark Phoenix Saga (1980), von einer kosmischen Macht besessen, ganze Planeten und Zivilisationen mit sich in die Vernichtung riss. Speziell die X-Men bewiesen über die Jahre eine starke Fluktuation an wundersamen Wiederauferstehungen – teilweise im Einjahrestakt – und tun das bis heute. Spätestens seit den 80er Jahren scheint der Tod in Mainstream-Superheldencomics jedwede Bedeutung verloren zu haben.

Was bleibt also von Supermans Tod? Ein geschickter Marketing-Gag oder doch eine brauchbare Geschichte, wo etwas auf dem Spiel steht? Liest man die Storyline heute und quasi aus dem Zusammenhang gerissen, so fällt der Zugang zunächst alles andere als leicht. Sofort wird man mit den Eigentümlichkeiten im DC-Universum der frühen 1990er Jahre konfrontiert. Das fängt schon bei der Besetzung der Justice League an: No-Names wie die Superheldinnen Fire und Ice, eine Alien-Prinzessin namens Maxima, der mysteriöse Bloodwynd, der vom Green-Lantern-Corps abtrünnige Guy Gardner, sowie die (etwas bekannteren) Gesichter von Blue Beetle und Booster Gold. Maxima wurde damals eingeführt, um ein zusätzliches Love-Interest für Superman bereitzustellen, Bloodwynd war in erster Linie dazu da, um die Leserschaft über seine wahre Identität rätseln zu lassen (wie sich später herausstellt, handelt es sich um den Martian Manhunter) und Guy Gardner gab den unsympathischen bad boy, mit dem sich aufsässige männliche Teenager identifizieren sollten.

Diese bunt zusammengewürfelte Truppe erfüllte vor allem den Zweck, Superman bei einer echten Bedrohung nicht wirklich beistehen zu können. Denn die Kreatur, die sich in der Death-of-Superman-Storyline unbarmherzig auf Metropolis zubewegt und einen Pfad der Verwüstung hinterlässt, macht mit der Möchtegern-Justice-League bald kurzen Prozess. Da hilft auch die Unterstützung des Guardian nichts, der in den Diensten der geheimen Regierungsorganisation Cadmus steht.

Supermans Kampf gegen Doomsday. Echte Story oder nur Marketing-Gag? (Ausschnit von Seite 138 der US-Paperback-Ausgabe, Zeichnungen: Jon Bogdanove)

Wie alles anfing

Die ersten Panels der Story zeigen eine behandschuhte, geballte Faust, die unnachgiebig auf eine Metallwand eindrischt. Dazu lesen wir: „… Doomsday is coming!“ Der Handschuh löst sich zunehmend auf, es wachsen weiße Spitzen an den Knöcheln aus der Faust, die Metallwand gibt nach. „Unrelentingly … Doomsday is coming!“ Das wiederholt sich so lange, bis sich die Faust ihren Weg ins Freie gebahnt hat. „Doomsday is here!“ Diese Panels waren damals auf jene fünf Titel verstreut, die sich in den 90ern mit Superman als Hauptfigur schmücken durften: Superman, Superman: The Man of Steel, The Adventures of Superman, Action Comics und Justice League of America. Die Death-of-Superman-Storyline über fünf Titel hinweg zu erzählen, bedeutete einen enormen logistischen Aufwand für die beteiligten Autorinnen und Autoren Dan Jurgens, Roger Stern, Louise Simonson, Jerry Ordway und Karl Kesel, die sich ständig miteinander absprechen mussten. (Zu diesem Zweck wurde der so genannte „Superman Summit“ ins Leben gerufen.)

Um die Verkaufszahlen der Comics anzukurbeln, war klar, dass bald etwas Großes passieren musste. Da die schon länger geplante Heirat zwischen Superman und Lois Lane von der Fernsehserie Lois & Clark (1993–97) quasi vorweggenommen werden sollte, wollte man in den Comics noch ein wenig damit warten (da geschah die Hochzeit erst 1996). Stattdessen scherzte Jerry Ordway einmal beiläufig, sie sollten Superman doch einfach umbringen. Ordway war dann geschockt, dass seine Idee ernsthaft aufgegriffen wurde. Die Idee für Doomsday war geboren.

Doomsday bahnt sich seinen Weg ins Freie (Seiten 3 und 12, Zeichnungen: Jon Bogdanove).

Die verstreuten Panels in den fünf Superman-Reihen bildeten die ersten, spärlichen Anzeichen für Supermans zukünftige Nemesis. Wir werden noch lange (über Supermans Tod hinaus) im Unklaren darüber gelassen, wer Doomsday eigentlich ist, woher er kommt oder warum er unter der Erde in einem Metallbehälter eingesperrt war. Tatsache ist, dass er sich jetzt befreit hat, eine Kreatur mit Schläuchen umwickelt, die Augen hinter roten Schutzgläsern verborgen, einen Arm noch am Rücken fixiert. Die Kreatur wird ihre Fesseln sukzessive loswerden, derweil steht sie noch auf einem Hügel und überblickt die Landschaft. Ein Vogel fliegt in ihre ausgestreckte Hand und wird prompt zerquetscht. Das Monster kann dabei nur lachen.

Auch im Verlauf der späteren Geschehnisse wird Doomsday kaum ein Wort von sich geben. Im Gegensatz zu Supermans intelligenten und hinterlistigen Gegenspielern wie Lex Luthor oder Brainiac steht Doomsday für die reine, primitive Zerstörungswut. Er ist die Verkörperung eines Prinzips von Gewalt, die ohne Rücksicht auf Verluste alles plattmacht, was sich ihr in den Weg stellt.

Supermans Tod im Kontext

Die Art und Weise, wie die Geschichte auf die Konfrontation zwischen dem zur Urgewalt stilisierten Monster und dem strahlenden Helden zusteuert, hat dann die Konsequenz einer griechischen Tragödie. Superman gibt gerade ein Fernsehinterview, während die Justice League versucht, dem wie aus dem Nichts auftauchenden „Doomsday“ (es ist Booster Gold, der der Kreatur zum ersten Mal ihren Namen verleiht) Einhalt zu gebieten. Die Brutalität, mit der Doomsday die Liga außer Gefecht setzt, dürfte auch heutige Leserinnen und Leser überraschen: Blue Beetle wird ins Koma geprügelt, während Guy Gardner sein Gesicht so eingedrückt bekommt, dass er nichts mehr sehen kann.

Zur gleichen Zeit beantwortet Superman vor laufender Kamera Fragen von Highschool-Schülern. In einer grotesken Parallelmontage fragt eine Schülerin Superman: „What about all that, y’know, hitting and violence? Don’t you get tired of it? I mean, isn’t there a better way to work things out than carving in someone’s head?“ – und das während Doomsday andernorts Blue Beetles Kopf gegen zahlreiche Metallgegenstände rammt. Autor und Zeichner Dan Jurgens spielt mit dieser ironischen Gegenüberstellung auf den damals omnipräsenten Vorwurf der Gewaltverherrlichung an, und reflektiert mit einem Augenzwinkern über die Tendenz von Superheldencomics, komplexe menschliche Konflikte in die archaische Konfrontation von Gut gegen Böse zu übersetzen.

Ein ironischer Selbstkommentar? (Seite 45, Zeichnungen: Dan Jurgens und Rick Burchett)

Die restliche Story besteht demensprechend aus einer einzigen langgezogenen Kampfszene. Superman rast vom Fernsehsender zum Ort der Verwüstung, um der Justice League zu Hilfe zu kommen. Nebenbei rettet er einer Familie das Leben, die zwischen die Fronten gerät. Am Boden, unter Wasser und in der Luft tobt ein Kampf zwischen Superman und Doomsday, während die Welt zuschaut. Da wäre auf der einen Seite das Stammpersonal eines jeden echten Superman-Comics: Reporterin Lois Lane, die um ihren Geliebten bangt, Jimmy Olsen auf der Suche nach dem perfekten Schnappschuss oder Polizistin Maggie Sawyer, die versucht, Ordnung ins Chaos zu bringen.

Die anderen Zaungäste dürften weniger bekannt sein und haben mit der seltsamen Situation Anfang der 90er zu tun. Warum hat Lex Luthor zum Beispiel lange rote Haare? Und warum steht Supergirl an seiner Seite? Bei Lex mit der roten Mähne handelt es sich um einen Klon des (totgeglaubten) Lex Luthor, der das Gehirn des originalen Luthor transplantiert bekommen hat und sich nach außen hin als dessen Sohn ausgibt – Comicbuchlogik, man muss sie einfach lieben! Auch Supergirl ist in Death of Superman nicht die Version, mit der wir heute vertraut sind. Nach Crisis on Infinite Earths (ein Event von 1985/86, bei dem das alte Supergirl Kara Zor-El starb und DC sein Universum komplett rebootete) ist Supergirl nicht mehr Supermans Cousine vom Planeten Krypton sondern „Matrix“, eine von Lex Luthor aus synthetischem Protoplasma geschaffene Lebensform. Bei Matrix handelt es sich um eine Gestaltwandlerin, die Supergirls Äußeres annimmt und ihrem „Schöpfer“ Lex Luthor hörig ist. Wer diesen Hintergrund nicht in Betracht zieht, wird ihr Verhalten in Death of Superman (und auch in den nachfolgenden Storylines Funeral for a Friend und Reign of the Supermen) kaum nachvollziehen können. Die Tatsache, dass es sich bei Supergirl eigentlich um Matrix handelt, macht auch klar, warum sie sich in eine unförmige graue Gestalt verwandelt, nachdem Doomsday ihr Gesicht buchstäblich zu Brei geschlagen hat.

Supergirl und Lex Luthor in ihren Post-Crisis-Inkarnationen (Seiten 89 und 131, Zeichnungen: Tom Grummett, links und Jon Bogdanove, rechts).

Sieht man von diesen eigentümlichen Nebensträngen und -figuren einmal ab, ist die Story erstaunlich geradlinig. Doomsday bricht aus, macht sich auf den Weg nach Metropolis und liefert sich mit Superman einen erbitterten Schlagabtausch, der die Stadt in ein Kriegsgebiet verwandelt. Der Kampf selbst ist spektakulär inszeniert und auch für heutige Verhältnisse ungewöhnlich brutal. Um die Zensur zu umgehen, wurde das Blut häufig schwarz eingefärbt, damit der blutüberströmte Superman nicht ganz so übel zugerichtet aussieht. Er endet damit, dass sich die beiden gegenseitig zu Tode prügeln. Superman stirbt in den Armen der weinenden Lois Lane, Jimmy Olsen macht ein letztes Foto, das abgerissene Cape weht wie eine Fahne im Wind. The End.

Supermans Ende als letzte große Splashpage (Seiten 166 und 167, Zeichnungen: Dan Jurgens und Brett Breeding)

Neubewertung und Hommage

Wie kalkuliert Supermans Tod (und seine eventuelle Wiederauferstehung) aus verlegerischer Perspektive auch gewesen sein mag, man kann auch heute nicht umhin, zu bewundern, mit welcher Konsequenz Death of Superman erzählt ist. Die Story steuert mit gnadenlosem Tempo auf ihr unvermeidbares Ende zu, sodass man zunächst gar nicht richtig realisiert, was eigentlich passiert. Superman hat auch gar keine Zeit, angemessen auf die Situation zu reagieren, alles geht zu schnell und er kann nur mehr Schadensbegrenzung betreiben. Dass man nichts über Doomsday und seine Beweggründe erfährt, macht Supermans Tod in diesem Moment noch tragischer, unbegreiflicher und schwerer zu akzeptieren. Auch nach 30 Jahren verfehlt die Lektüre ihre Wirkung nicht.

Variant-Cover der 30th-Anniversary-Ausgabe von Dan Mora (links) und John Henry Irons in action, Zeichnungen: Jon Bogdanove (rechts)

Umso schöner, dass es dem 30th Anniversary Special gelingt, nicht nur den Geist des Originals einzufangen, sondern auch potenziell neue Leserinnen und Leser an Bord zu holen. In „The Life of Superman“, der ersten Story des Specials aus der Feder von Dan Jurgens, wird Lois und Clarks gemeinsamer Sohn Jon als Teenager damit konfrontiert, dass sein Vater noch vor einigen Jahren als tot gegolten hat. Währenddessen macht ein neues Doomsday-Monster die Stadt unsicher und Superman muss erneut einschreiten.

Schön, wie Jurgens die Countdown-Panelstruktur beibehält, die von 4, 3 und 2 Bildern pro Seite in der finalen Konfrontation Supermans mit Doomsday schließlich nur mehr ein großes Bild pro Seite beinhaltet – das war schon im Original so. Vielleicht eine Spur zu sentimental ist Jerry Ordways Beitrag „Above and Beyond“ geraten, der Supermans Kampf in Metropolis aus der Perspektive seiner Zieheltern Martha und Jonathan Kent schildert, welche das Schicksal ihres Sohnes übers Fernsehen mitverfolgen. Dabei lassen sie Revue passieren, wie vielen Menschen ihr Sohn ermöglicht hat, ihre Träume zu verwirklichen. Roger Sterns „Standing Guard“ erzählt von den sich ankündigenden Querelen darüber, was mit Supermans und Doomsdays Leichnamen passieren soll. Wir sehen, wie sich der Guardian mit Maggie Sawyer und Inspektor Turpin verbündet, um sich gegen den skrupellosen Direktor Westfield vom Projekt Cadmus zu stellen, der Supermans Körper für geheime Experimente missbrauchen will. Als solches stellt „Standing Guard“ ein bisher fehlendes Bindeglied zwischen Death of Superman und dem sich daran anschließenden Storyarc Funeral for a Friend dar. Highlight des Jubiläumsbandes ist aber zweifellos Louise Simonsons Abschlussgeschichte „Time“. Darin versucht der schwarze Hüne John Henry Irons (wie bereits in den 90ern markant eingefangen von Zeichner Jon Bogdanove) verzweifelt, Superman im Kampf gegen Doomsday zu Hilfe zu eilen. Unterwegs trifft er aber ständig auf Leute, die seine Hilfe benötigen: Sie müssen aus zerquetschten Fahrzeugen befreit oder aus brennenden Häusern gerettet werden – sodass Superman bereits tot ist, als er schließlich bei ihm ankommt. Irons, der in Reign of the Supermen selbst zum Superheld im Stahlkostüm wird, hält Supermans Erbe paradoxerweise dadurch aufrecht, indem er ihn erst erreicht, als bereits jede Hilfe zu spät ist. Stattdessen Menschen das Leben gerettet zu haben, ist aber genau das, was Superman gewollt hätte. Es geht eben doch nicht immer nur darum, dem bösen Monster eins mitzugeben.

Im November 2023 ist auch eine deutsche Ausgabe der Jubiläums-Veröffentlichung bei Panini erschienen (100 Seiten, 25 Euro).

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