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Spider-Man: Reign 1 + 2

Eine Fortsetzung von Spider-Man: Reign? Echt jetzt? Warum der berüchtigte Klassiker sehr wohl ein Sequel verdient hat und Panini recht daran tut, die beiden Teile von Kaare Andrews‘ düsteren Spidey-Vision kurz hintereinander zu veröffentlichen.

Covermotiv von Spider-Man: Reign. Alle Abbildungen © Marvel + Zeichnungen, sofern nicht anders angegeben: Kaare Andrews

Schreibt man heutzutage dystopische Superheldencomics, kommt man um Frank Miller nicht herum. Mit The Dark Knight Returns (1986) legte dieser damals den Grundstein für alte, verbitterte Heldenfiguren, die sich in einer von Totalitarismus und Medienpropaganda geprägten Gesellschaft wieder zum Kampf für mehr Gerechtigkeit aufschwingen. Wo DC das erzählerische Potenzial derartiger alternativer Zukunftsvisionen (nicht zuletzt dank seines „Elseworlds“-Label) für sich zu nutzen wusste, ließ auch Marvel nicht lange auf sich warten, um auf den Zug aufzuspringen. Tatsächlich ist der Einfluss von Millers revolutionärem Batman-Comic bei Marvel bis heute zu spüren, etwa in der jüngst erschienenen Reihe Avengers: Twilight (2024). Kaum jemand scheint seiner Vorlage aber derart sklavisch verpflichtet zu sein, wie Kaare Andrews in Spider-Man: Reign – einer Miniserie, die von Dezember 2006 bis März 2007 lief und die Storyelemente von Dark Knight teilweise Beat für Beat wiederholt. Angesichts des Reign-Sequels brachte Panini die Reihe nun kurz vor Erscheinen der Fortsetzung auf Deutsch heraus.

Spider-Mans radioaktives Sperma

Peter Parker ist in Reign nicht einfach alt, er ist ein Greis. Als Angestellter in einer Blumenhandlung lässt er sich von seinem Chef anschreien, während ihm die Kundschaft – die nicht von ungefähr aussieht wie Peter und Mary Jane als junges Paar – auf der Nase herumtanzt. Manhattan hat sich in eine Art Polizeistaat verwandelt, in dem eine Soldatentruppe namens „Reign“ die Straßen patrouilliert und Jagd auf Jugendliche macht, die sich anhand von Graffiti-Tags („Where Did u Go?“) nach jenen Superhelden sehnen, die in einer trostlosen Welt wie vom Erdboden verschluckt sind. Peter wird in einen Zwischenfall mit Reign verwickelt, als diese gerade einen Buben zusammenschlagen. Anstatt einzugreifen, agiert er passiv, wobei ihm Brille und Arm gebrochen werden. Zuhause angekommen, spricht er mit seiner (keinen Tag gealterten) Ehefrau Mary Jane und es wird klar, dass sie nicht mehr am Leben ist, sondern ihm nurmehr als Geist erscheint. Wenn da nicht sein alter Zeitungschef J. Jonah Jameson wäre (warum dieser angesichts von Peter Parkers Greisenalter immer noch am Leben ist, bleibt ungeklärt) – dieser klopft an seiner Tür und will, dass Peter wieder zu Spider-Man wird. Seine alte Maske hat er auch dabei. Peter schlägt ihm jedoch die Tür vor der Nase zu. Wieder auf der Straße, fällt auch Jonah Reign in die Hände. Da kann Peter nicht mehr weiter zu sehen, stülpt sich die Maske über und sagt dem Regime den Kampf an.

Auch mit gebrochenem Arm und in Boxershorts kann man das Böse bekämpfen.

Ein Held in Rente, Polizeigewalt, Totalüberwachung und eine verwahrloste Jugend. So viel zum Thema sklavische Abarbeitung an den Beats von The Dark Knight Returns. Andrews ist es auch nicht zu blöd, den Fernsehmoderator, der von dieser dystopischen Welt berichtet, „Miller Janson“ zu nennen – eine Zusammenlegung der Namen Frank Miller und Klaus Janson (dem Inker von The Dark Knight). Damit auch wirklich jeder kapiert, in welche Fußstapfen man hier tritt. An einer gut gemachten Hommage ist prinzipiell nichts auszusetzen, schade ist nur, dass Andrews Millers Vision wenig hinzuzufügen hat. Anstatt eine eigenständige Story zu erzählen, scheint es Andrews Ziel gewesen zu sein, seine Geschichte mit immer noch widerlicheren Details anzureichern: Es werden Kinder ermordet, Leichen ausgegraben und Kehlen aufgeschnitten, dass es eine wahre Freude ist. Seinen Höhepunkt dürfte der Ekel bei der Leserschaft dann erreichen, wenn die Ursache von Mary Janes Tod offengelegt wird. Sie starb an Krebs, weil der von einer radioaktiven Spinne gebissene Peter sie unwillentlich radioaktiv vergiftet hatte. „Ich war es. Mein radioaktives Blut. Und jede andere Flüssigkeit. Meine Liebe…hat dich…umgebracht.“ (Übersetzung: Reinhard Schweizer) Da haben wir es also schwarz auf weiß: Mary Jane starb durch Peters radioaktive Spermien. Diese Idee ist so bescheuert, dass sie schon fast wieder originell genannt werden könnte – das Problem ist nur, dass sie so gut wie alles untergräbt, wofür diese Figuren eigentlich stehen. Peter Parker als verbitterten alten Mann zu zeigen, der den Krebs seiner Frau ausgelöst hat und mit der Schuld nicht leben kann – das gehört einfach in keinen Spider-Man-Comic und hat zurecht viel Kritik hervorgerufen. Spider-Man stand immer schon dafür, angesichts noch so schwerwiegender Krisen den Humor nicht zu verlieren. Bei Andrews werden Spider-Mans Scherze im Elend Peter Parkers erstickt.

Drei berüchtigte Panels: Spider-Mans Spermien töteten Mary Jane. © Marvel

Was man bei der Lektüre von Reign sehr schön sehen kann, ist, dass The Dark Knight keine Formel bereitstellt, die man beliebig auf jede Figur übertragen kann. Was bei Batman stimmig ist, kann bei Spider-Man absolut fehl am Platz sein. Das ist eine Lektion, die anhand von Andrews Reign offenkundig wird.

Und dennoch finden sich im Buch ein paar gute Ansätze. So ist die Idee, dass Doc Ocks verwesender Leichnam nur mehr von seinen immer noch aktiven, mechanischen Armen getragen wird, originell, unheimlich und poetisch zugleich. In einem Panel schwingt er sich mit dem lädierten Spider-Man als Silhouette vor dem Hintergrund eines gigantischen Mondes über die Stadt. Die gelungene Hommage an Dark Knight, in solchen Momenten blitzt sie dann doch auf.

Einer der wenigen Momente einer gelungenen Hommage an Dark Knight Returns.

Ein Sequel, nach dem niemand gefragt hat

Marvels Ankündigung im August 2023, dass es ein Sequel zu Reign geben würde – wieder mit Kaare Andrews als Autor und Zeichner – konnte einen schon stutzig machen. Warum ausgerechnet diese kontroverse Story fortgeführt werden sollte, und das knapp 20 Jahre später, blieb ein Rätsel. Jetzt erschien auch Reign 2 bei Panini und nach der Lektüre muss man zugestehen: Besser hätte es nicht laufen können! Andrews findet nach all der Misere des Vorgängers endlich zu einer eigenen Stimme. Das Ergebnis ist eines der aberwitzigsten Comics der letzten Jahre.

Kannibalismus meets Cyberpunk: Noch nie hat der Kingpin so grotesk ausgesehen.

Aus den Trümmern des alten Regimes erhebt sich eine von Spider-Mans besten Schurkenfiguren, der Kingpin. Im ersten Teil war er noch vom Machthaber der Reign ausgehungert worden, zu Beginn von Reign 2 konsumiert er diesen mit Haut und Haaren. Gleich mit einer Kannibalen-Szene in eine Geschichte einzusteigen, das macht Andrews so schnell niemand nach. Wir springen in die Zukunft: Der Kingpin ist zum „König“ von New York aufgestiegen und mithilfe von zahlreichen technischen Erweiterungen zu einem grotesken Blob mutiert – der schwebende Baron Harkonnen aus Dune lässt grüßen. Unliebsame Bürger hat der Kingpin in Pod-Farmen an eine virtuelle Realität angeschlossen. Dazu gehört auch Peter, der gerade noch in einer traumartigen Simulation Mary Jane zu einer Ausstellungseröffnung begleiten durfte. In echt hängt er aber an allen möglichen Schläuchen, in Kreuzigungspose samt VR-Helm und techno-futuristischem Lendenschurz. Über eine Röhre wird er mit Käfern (!) gefüttert, als diese aber undicht wird, gibt es (ähnlich wie bei Neo aus The Matrix) ein unsanftes Erwachen. Bevor er wieder von Kingpins Schergen an seine Traumrealität angeschlossen werden kann, befreit ihn eine junge Lady im Katzenkostüm. Sie stülpt Peter seine Maske über und gemeinsam gelingt ihnen die Flucht.

Peter Parker als techno-futuristische Jesusfigur.

Das ist nur der Beginn einer dermaßen verrückten Story, deren zahlreiche Wendungen kaum Sinn ergeben – sie macht einfach nur Spaß! Irgendwann schaltet man am besten sein Hirn ab und gibt sich der kruden Fantasie Andrews‘ hin, die mehr mit einem assoziativen Drogentrip als einer linearen Erzählung zu tun hat. An einem Punkt wird Spider-Man vom Green Goblin gar zurück in die Zeit geschickt, damit dieser eine Bombe platziert, die dann Jahre später in der Gegenwart hochgehen soll.

Rechts Todd McFarlanes Original, links Andrews‘ Pastiche.

Andrews lässt uns mitten in die Todd-McFarlane-Ära springen, nur um die entscheidende Begegnung Mary Janes mit Venom über die Ausgaben von Amazing Spider-Man #299 und #300 (1989) auf seine Weise umzudeuten. Andrews schafft es, Farlanes Stil auf perfekte Weise zu imitieren: Nicht nur trägt Mary Jane dasselbe Outfit wie in der damaligen Spider-Man-Ausgabe, Andrews ahmt sogar die Punkte des Druckrasters alter Comichefte nach. Dieses Pastiche wäre an sich nichts Besonderes, würde Andrews es nicht immer wieder schaffen, die bekannte Ikonographie Spider-Mans durch neue visuelle Details zu bereichern. Über die meiste Zeit sehen wir Peter mit weißem Rauschebart, Maske und Trenchcoat durch diesen Comic stolpern und schwingen – so als ob ein greiser, obdachloser Weihnachtsmann gerade versucht, sich in einer immer verrückter werdenden Welt zurechtzufinden.

Es bleibt zu hoffen, dass diese Spider-Man-Variante festen Einzug in den Kanon klassischer Marvel-Figuren hält. Wir wissen jedenfalls jetzt, wen wir beim nächsten Spider-Verse-Event sehen wollen: Old Spider-Man Santa Claus! Er wird uns an die Zeit erinnern, als uns das Sequel zu einem fragwürdigen Dark-Knight-Rip-Off mit seiner Wucht dermaßen überrumpelt hat, dass wir nicht mehr wussten, wo oben und unten ist.

Old Spider-Man Santa Claus schwingt sich zu neuen Taten auf.

Ein fulminantes Sequel rettet das fragwürdige Original

4von10Spider-Man – Reign 1 
Panini, 2025
Text & Zeichnungen: Kaare Andrews
Übersetzung: Reinhard Schweizer
160 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 20,00 Euro
ISBN: 978-3-7416-4129-9
9von10Spider-Man – Reign 2
Panini, 2025
Text & Zeichnungen: Kaare Andrews
Übersetzung: Reinhard Schweizer
120 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 16,00 Euro
ISBN: 978-3-7416-4105-3

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