Raffington Event ist die skandalöseste Comicpublikation des Jahres: Diese grandiosen Kriminalminiaturen mit ihren düster-komischen Zeichnungen hätten niemals enden dürfen, vor allem nicht nach 56 Seiten. Schreiber & Leser beschert uns mit der aktuellen Andreas-Renaissance ein wunderbares Geschenk.
Raffington Event ist der Name des titelgebenden Detektivs, eines bedächtig durch die Landschaften schwankenden Helden, der hier in zehn sehr individuellen Kurzkrimis ermittelt. Der Auftakt, „Jim“, führt den Leser in eine nahe Vergangenheit, mutmaßlich die 1960er Jahre, als Ufos und die mutmaßlichen Entführungen treusorgender Familienväter noch ein heißdiskutiertes Thema in den Medien waren. Ein solcher Vater wird entführt, und während die Polizisten sehr schnell sicher sind, dass Aliens die Täter seien (und damit jegliche Investigationen unnötig), sucht Raffington Event nach weiteren Spuren. Was für ein glücklicher Zufall, dass der vermisste Jim durch die extraterrestrische Zwangsreise seinem Haftbefehl wegen illegaler Einwanderung entgeht. Wie sorgfältig dahindrapiert die ufologische Fachliteratur auf dem Wohnzimmertisch erscheint. Wie unwahrscheinlich, dass die in den Vorgartenrasen gebrannten Kreise aussehen, als hätte etwa der Sohn den Schneidbrenner aus dem Gartenschuppen verwendet. Andreas lässt Raffington Event ermitteln, und zwar gründlicher als die Polizei, aber die Schlussfolgerungen lässt er die Leser selbst treffen. Die Auflösung in diesem stummen Comic erfolgt nicht mit dem Holzhammer, sondern lässt Fragen offen, inwiefern die Ehefrau und Auftraggeberin von Raffington Event anfangs nur Krokodilstränen weint oder nur der Sohn in das Verschwinden des Vaters einbezogen ist. Wie schon in Rork und Capricorn stellt Andreas hier mehr Fragen an den Leser als er ihm Antworten bietet.
Die Geschichten in Raffington Event sind stilistisch höchst unterschiedlich: Arbeitet Andreas in dem stummen Comic „Jim“ noch mit groben Rasterpunkten zur Graustufenskalierung, sind die anderen Geschichten koloriert und nicht stumm. „Kid“ ist eine Geschichte um einen Jungen, der so flapsig spricht, dass es den Detektiv ständig aufregt: „Mein Alter ist futsch.“ – und Raffington Event korrigiert: „Ich habe meinen Vater verloren.“ Da die Handlung sich in der Nacht abspielt, sind die Figuren nur als schwarze Schemen zu erkennen. In „Warum hier? Warum ich?“ sehen wir 59 Panels, die allesamt nur das sich im Gespräch wandelnde Gesicht des Titelhelden zeigen. Die Handlung erschließt der Leser sich somit nur aus der Mimik und den Textboxen.
Andreas hat in Cromwell Stone, Rork und Capricorn, die von Schreiber & Leser zuletzt neu aufgelegt worden sind, spektakulär mit der Seitenarchitektur experimentiert. Die Kurzdistanz, wie er sie in den Horror-Kriminalgeschichten von Raffington Event versucht, kommt ihm fast noch mehr entgegen, weil er seine Vielseitigkeit noch konsequenter umsetzen kann. Die Geschichten sind zeichnerisch hinreißend und erzählerisch fesselnd – die Lektüre der Comics von Andreas ist ein besonderes Moment in der Lektürebiografie eines Comiclesers, auf jeden Fall in meiner persönlichen.
Andreas brilliert auf der kriminalen Kurzdistanz
Schreiber & Leser, 2018
Text und Zeichnungen: Andreas
Übersetzung: Harald Sachse
56 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 16,95 Euro
ISBN: 978-3-946337-41-6
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