Rezensionen
Schreibe einen Kommentar

Quentin Tarantino

Ob das Silver-Surfer-Plakat in Reservoir Dogs, das Krazy-Kat-Shirt in Pulp Fiction oder der Comic-Shop in True Romance: Quentin Tarantino war schon immer comic-affin. Aber muss deswegen die Comic-Biografie über ihn auch gut sein?

Zunächst einmal ist Amazing Amezianes Comic-Biografie über Quentin Tarantino ein wunderschöner Bilderbogen. Einige – recht wenige – Seiten bestehen aus talking heads, unvermeidlich wohl bei dieser Art von Comic, und es ist ja auch ein tarantinoeskes Stilmittel. Aber Ameziane sieht sich in der Pflicht, uns visuell auf keinen Fall zu langweilen, also gibt’s Stilbrüche und Einschübe zuhauf, knallige Splash-Panels, Plakatkunst, Bildzitate, Cartooneinlagen und Verfremdungen. Stilistisch passt das wunderbar zu dem collagierenden Stil von Tarantino, was ja nicht nur seine Soundtracks umfasst, sondern sich auch anderweitig in den Filmen niederschlägt, in der Manga-Einlage bei Kill Bill beispielsweise, oder auch beim dreisten Shaw-Brothers-Intro (ebenfalls Kill Bill).

Quentin und Roger Avary. Alle Abbildungen © Splitter

Im Auftakt vorliegender Biografie gibt QT den Barkeeper einer Mexican Bar, wo er auch gleich auf dicke Hose macht und uns von seinem IQ und von seiner Genialität erzählt. Wer so viel Eigenlob zum Kotzen findet, sollte immerhin bedenken, dass der Kerl kaum da stünde, wo er jetzt steht, wenn er nicht maßlos darin wäre, über sich und seine Arbeit zu sprechen. Mit Freunden wie Harvey Keitel und Samuel L. Jackson kann ihm sowieso keiner was. Erfolg und Anerkennung sind eben das bessere Koks.

Ach, die frühen 90er: Reservoir Dogs, Pulp Fiction, Killing Zoe. True Romance. Sogar Natural Born Killers, obwohl Quentin hasst, was Oliver Stone daraus gemacht hat – aber war es nicht die geilste Phase, damals, als er gemeinsam mit seinem Kumpel Roger Avary ein Drehbuch nach dem anderen strickte und diese herrlich ungezügelten Filme machte? Und war es nicht genau zu dem Zeitpunkt vorbei, als die Zusammenarbeit mit Robert Rodriguez losging? Erst Desperado, dann die Hauptrolle in From Dusk Till Dawn – und was gerade noch neu und aufregend war, wirkte auf einmal bloß noch wie aufgeblasenes Gepose und cooles Getue. Der Effekte-Meister Tom Savini war dabei – ja, ist nice –, aber auch das ändert nichts an den öden CGI-Effekten und den faden Pussy-Sprüchen. Außer der höllisch heißen Salma Hayek und Quentins charmanten Reißzähnen ist From Dusk Till Dawn doch all zu arg in seine eigene Coolness verliebt.

Robert Rodriguez, From-Dusk-Till-Dawn-Ära.

Amazing Ameziane aber interessiert sich nicht für Distanzierung oder Kritik und bleibt loyal an Quentins Seite, was der Biografie überraschenderweise sehr gut tut. Alles an QT wird in dieser Biografie gleichermaßen wertgeschätzt, gleichzeitig aber gerade nicht akademisch überhöht, wie das beispielsweise der Kritiker Wolfgang M. Schmitt gerne macht. Wenn hier einer Kritik an Tarantino übt, dann ist es immer nur Tarantino selbst (passiert selten), wenn Tarantino gelobt wird, ebenso. Genau hier gelingt Ameziane das überragende: Er macht die inneren Kämpfe Tarantinos plausibel. QTs Karriere war eben nicht geplant oder vorgezeichnet. Manchmal verzettelt er sich, scheitert, rappelt sich wieder hoch, macht weiter, brütet neue Ideen aus. Was man mit einem IQ von 160 halt so macht.

Da kann man gut verstehen, dass Pam Grier sich erstmal verarscht fühlt, als QT ihr eine Hauptrolle verspricht; ebenso, dass jeder es für eine Marotte hält, wenn er nach John Travolta für seinen Jackie Brown schon wieder abgemeldete has-beens vor die Kamera zerrt, während QT alle Hände voll damit zu tun hat, zu beweisen, dass es ihm tatsächlich darum geht, gegen das Hollywood-System anzukämpfen, das Stars verheizt und ihnen das Älterwerden nicht verzeiht. Aber wie konnte QT je die Idee gut finden, für sein Grindhouse-Projekt (Planet Terror, Death Proof) Fake-Trailer und Filme zu produzieren, die mit voller Absicht Auslassungen und Fehler enthalten? Auch hier ist es die Liebe zum alten Kino und eine tiefe Melancholie darüber, dass wir dabei zusehen müssen, wie die Trägermaterialien und Projektoren für die schönste Nebensache der Welt vor unseren Augen verschwinden und durch gesichtslose, kalte Digitaltechnik ersetzt werden. Quentins Beharrlichkeit darin, die verblassende Unterhaltungskultur nicht sterben zu lassen, ist anrührend, selbst wenn manche seiner Entscheidungen fragwürdig sind.

Etwas Nachhilfe in Sachen „unterschlagener Film“ gefällig?

Dank Amezianes geschmeidiger Erzählweise erfahren wir sehr viel über die zahllosen Inspirationen, die gerade dem Film Kill Bill zugrunde liegen: allein schon die fünf Akteurinnen des Deadly International Vipers Assassins Squad (DIVAS) verkörpern je eine der Gattungen Italo-Western, Samurai-Film, Yakuza-Exploitation, Kung-Fu, Rape and Revenge, und da sind die Bezüge zur französischen Nouvelle Vague und den früheren Tarantino-Flicks noch nicht berücksichtigt, ebensowenig die Frage, ob Kill Bill in der realen Welt der Reservoir Dogs spielt oder nicht eher einer der Filme ist, die sich die Reservoir Dogs im Kino ansehen würden, was noch mal eine neue Ebene einzieht. Gleichzeitig lässt der Soundtrack den Film noch mehr in alle Richtungen gleichzeitig ausfransen, vom Ennio-Morricone-Soundtrack über Santa Esmaralda bis hin zu James Last, Krautrock und Neu. Amezianes Bilderbogen fächert so farbenfroh die Querverbindungen zu den obskursten Filmen auf, dass wir noch mehr Staunen als damals 2005 im Kino: Es ist ein einziger Rausch der Liebe zum dreckigen Kino.

Aber der Joyride endet, als der ganz reale Quentin Tarantino Uma Thurman bei den Dreharbeiten zu einer riskanten Autoszene überredet, bei der sie verunglückt und dabei dem Tod um Haaresbreite entgeht. Ameziane findet dankenswerter Weise auch für die dunklen Flecken in Tarantinos Biografie die richtige Stimmung. Es folgen Inglourios Basterds und Django Unchained. Langsam gesellt sich in QTs Schaffen die Hybris dazu, besonders „gerechte“ Filme zu machen, in denen beispielsweise die verfolgten Juden und die amerikanischen Sklaven zu ihrem Recht kommen. Ich bin überzeugt, dass es viel mehr dieses Sendungsbewusstsein ist als die ständige Verwendung des N-Worts, was Spike Lee so auf die Palme bringt. Rape and Revenge sind eben keine gute Antwort auf geschehenes Unrecht und geschieht sicher nicht im Namen derer, die Unrecht erlitten haben.

Aber einigen wir uns doch auf Unentschieden, schließlich war es trotzdem Tarantino, der Samuel L. Jackson stets aufs Neue zu Höchstleistungen inspirierte und auch Mandingo, Richard Fleischers großartiger Anti-Vom-Winde-Verweht ist erst nach Django Unchained wieder ins Gespräch gekommen.

The Maestro.

Ein gewöhnlicher Biografie-Comic würde sich mit einer ausgewogenen Darstellung der Höhen und Tiefen im Leben seines Gegenstands zufrieden geben. Améziane Hammouche aber, wie Amazing Ameziane eigentlich heißt, weiß, was es bedeuetet, ein Fan zu sein. Alle seine eigenen Vorlieben, egal ob für Soul-Musik, die Comics von Frank Miller oder die Filme von Sergio Leone, stehen in loser Verbindung zu Tarantinos Kunst. So konnte ihm gar nicht entgehen, was an Tarantinos achtem Film, The Hateful Eight, grundliegend anders ist:

„Sie wollen also nicht mehr Teile meiner alten Stücke verwenden?“

fragt ihn Maestro Ennio Morricone verwundert, als Tarantino ihn um Mitarbeit bittet.

„Nein, Maestro. Ich will eine Originalmusik, denn mein Film wird keine Liebeserklärung an den Italowestern wie Django Unchained. Sondern ein echter Western. Mit Ultra 70mm im Schnee gedreht.“

Ultra 70mm ist ein Filmmaterial, das seit Ben Hur mit Charlton Heston nicht mehr verwendet wurde. Die Vermessenheit, in diesem Format zu drehen, lässt selbst Morricone nicht unberührt, und so willigt er ein, sich an einem letzten Film zu beteiligen, obwohl er eigentlich schon im Ruhestand sein wollte. Es sollte ihm seinen ersten Oscar einbringen. Und Tarantino seinen besten Film.

Nur am Rande soll erwähnt werden, dass auch Once Upon a Time in Hollywood noch ausführlich thematisiert wird. Zum Vorwurf, dass QT darin respektlos mit dem Ansehen von Bruce Lee umgeht, findet Ameziane überzeugende Gegenargumente, die hier nicht gespoilert werden sollen. Überhaupt findet Ameziane immer die richtigen Worte, die richtigen Bilder, das richtige, oft an Frank Millers beste Arbeiten erinnernde, Layout. Damit gelingt ihm nebenbei das Kunststück, die Comic-Biografie dem klassischen Filmbuch als mindestens ebenbürtig gegenüberzustellen. Bei aller Verdichtung hat man nicht das Gefühl, dass wichtige Fakten fehlen oder zu oberflächlich angegangen wurden. Visuell wie inhaltlich ist das kaum zu toppen.

Eine ausufernde Biografie meisterhaft eingefangen: Quentin Tarantino ist genial.

10von10Quentin Tarantino
Splitter Verlag, 2024
Text und Zeichnungen: Amazing Ameziane
Übersetzung: Christoph Haas
240 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 35,00 Euro
ISBN: 978-3987212697
Leseprobe

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.