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Klassiker der Filmgeschichte

Als Sergio Leone 1966 in Francos Spanien den Film The Good, the Bad and the Ugly drehte, standen Pioniere der spanischen Armee zur Verfügung, die zwei Wochen lang nur eine Brücke vorbereiteten und mit Sprengstoff präparierten, nur um diese dann für eine besonders spektakuläre Szene zu sprengen. Auf Grund eines Missverständnisses aber fand die Sprengung zu früh stattt: zwar wurde die Szene gefilmt, aber es waren noch nicht alle Kameras bereit. Sergio Leone schäumte. Er erreichte, dass die Pioniere die Brücke erneut bauten, aber nachdem diese dann – diesmal im geordneten Vorgang – gesprengt wurde, entschied er sich doch für die erste, nur notdürftig aufgezeichnete Version. Die Explosion war einfach beeindruckender.

Wissensvermittlung über Dialog ist effizient, aber selten elegant. Stefano Mastrantuono zeichnet die Episode zu „The Good, the Bad and the Ugly“. Alle Abbildungen © Splitter

Dies ist nur eine von vielen Anekdoten aus der Filmgeschichte, die Eingang in den vorliegenden Band Klassiker der Filmgeschichte gefunden haben, kenntnisreich zusammengetragen von den beiden Filmjournalist*innen Alexis Thébaudeau und Elsa Gambin. Beide moderierten jahrelang eine Kinosendung für den französischen Radiosender Radio Prun‘, aber auch anderweitig sind sie schon durch Engagement für Film und Kino aufgefallen. Alexis Thébaudeau zum Beispiel ist Gründer einer Institution, die sich vor allem „hochwertigen“ Filmen verschrieben hat, die noch nie im Kino gezeigt wurden. (Wie definiert sich eigentlich „hochwertig“?)

Die von insgesamt 30 unterschiedlichen Künstler*innen gestalteten, je dreiseitigen Episoden sind allesamt wohl am ehesten als Seitenblicke auf legendäre Filmproduktionen einzuordnen. So wird uns beispielsweise erzählt, wie tatsächlich das Casting von Vivien Leigh für Gone with the Wind vonstatten ging, wie Dennis Hopper und Peter Fonda über eine Schlüsselszene bei Easy Rider stritten oder aber auch, wie George Méliès‘ Die Reise zum Mond nach seinem Verschwinden aus der Öffentlichkeit von einigen Filmverrückten wiederentdeckt und Méliès persönlich eine Filmrolle (zurück)gegeben wird, obwohl er den Film selbst längst für zerstört gehalten hatte. Das sind alles schön ausgesuchte Geschichten, die auch dem eingefleischten Kinofreund noch einiges Neues erzählen können.

Gut kuratiert finden sich hier kommerzielle Blockbuster wie Joe Dantes Gremlins oder Steven Spielbergs Der weiße Hai neben cineastischen Geheimtipps wie Godards Außer Atem oder Vittorio De Sicas Fahrraddiebe. Die Art und Weise, wie die Episoden in Szene gesetzt sind, ist indes bisweilen hölzern und zu sehr darauf bedacht, die Figuren Informationen aufsagen zu lassen, die vielleicht besser als Erklärtext zu präsentieren gewesen wären. Es wirkt wenig glaubwürdig, wenn Signor De Sica am Set von Fahrraddiebe zuerst das Schauspieltalent der Römer lobt und dann in einem fiktiven Dialog kurz und knapp seine Sicht auf Kino darlegt und mit dem Glamour von Hollywood kontrastiert. Das ist Wissensvermittlung mit dem Holzhammer – ein leider häufig gewähltes Stilmittel.

Natürlich darf man auch nicht ausschließen, dass darüber offen geplaudert wurde. Joel Legars visualisiert die Episode über „Fahrraddiebe“.

Neben der je dreiseitigen Comics gibt es auch je einen ebenfalls dreiseitigen Infoteil mit Texten und Bildern. Diese sind zwar stets informativ, manchmal kommt auch Lust auf eine Vertiefung auf, in Summe sind die Fakten aber zu random, wenn nicht banal. Die Erwähnung des Mia-Farrow-Skandals bei Woody Allen war natürlich absolut zu erwarten, aber in der Häufung wirken diese Texte apologetisch in dem Sinne, dass man über diese problematischen Typen zwar natürlich schreiben darf, aber nur, wenn man die ungeschriebene Regel berücksichtigt, dem Me-Too-Anteil der Biografie genügend Raum zu geben. Aber muss man wirklich Gerard Depardieus Nähe zu Putin thematisieren, wenn man über Die Ausgebufften von 1974 schreibt? Und noch randständiger erscheint mir die Erwähnung von Uma Thurmans Beinahe-Unfall bei den Dreharbeiten zu Kill Bill. Skandalöses muss man in der Geschichte des Kinos weiß Gott nicht lange suchen und ließe sich zu wohl jedem der vorliegenden Kapitel ans Tageslicht bringen.

Andererseits wird D.W. Griffiths Birth of a Nation fast schon als Fußnote abgetan, sozusagen als kleiner rassistischer Fehltritt der frühen Phase, den Griffith mit dem Monumentalwerk Intolerance korrigieren konnte. Zur Erinnerung: Birth of a Nation, ein wegweisender Stummfilm über die Restitutionsära nach dem amerikanischen Bürgerkrieg hatte zur Folge, dass der Ku-Klux-Klan 1917 neu gegründet wurde. So sehr ich den Impuls verstehe, einen skandalösen Teil des Gesamtwerks nicht als absolut über ein Lebenswerk zu stellen, so hilflos kommt mir der wiederholte Versuch vor, auf zwei knappen Seiten eine große Klammer zu finden, die allem gerecht wird.

Gute Arbeit: für „Psycho“ gehen Hitch und sein Team mit den rigiden Tabus des amerikanischen Kinos auf Konfrontation. Wer die Kloschüssel ins Bild bringt, der ist zu allem fähig. Bilder von Paolo D’Antonio.

An anderer Stelle halte ich die Einschätzung, dass das Marvel Cinematic Universe im Kino das hält, was es verspricht, für kurzsichtig und zu sehr dem Hype verpflichtet; da schlägt schon sehr die Lust durch, sich als Filmspezialist so sehr der Verführungskraft des Kinos hinzugeben, dass der analytische Blick verloren geht. Analyse scheint aber auch nicht das Anliegen von Thébaudeau und Gambin zu sein. Den beiden geht es stets in erster Linie ums Finden, Sichten, Entdecken, Bewahren und der völligen Hingabe an die Kunstform.

Als Liebhaberprojekt und persönliche Zusammenstellung von Lieblingsanekdoten zweier Filmbuffs geht das Buch natürlich voll in Ordnung. Die üppige Zusammenstellung von Fun-Facts ist hoch anschlussfähig und sollte problemlos den Weg zu Filmliebhabern finden. Immer wieder findet sich Erhellendes, zudem geht man jede Episode mit der freudigen Erwartung an, ob sich nicht doch ein paar schöne neue Infos finden.

Zwei Sammler und Bewahrer teilen ihre Filmbegeisterung mit uns.

6von10Klassiker der Filmgeschichte
Splitter, 2023
Texte: Elsa Gambin und Alexis Thébaudeau
Zeichnungen: verschiedene
Übersetzung: Christiane Bartelsen
192 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 35,00 Euro
ISBN: 978-3987211591
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