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Alfred Hitchcock 1 – Der Mann aus London

„Mr Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ ist wohl der unvermeidlichste Satz, wenn man sich mit Hitchcock beschäftigt. François Truffaut stellte diese Frage in den 1960er Jahren mehrmals seinem Idol und machte ein ganzes Buch daraus. Jenes „Interview, das François Truffaut in seiner devoten ‚Herr Lehrer, ich weiß was‘-Attitüde mit dem Regiesseur geführt hat“, schreibt der Filmkritiker Ulrich von Berg überzogen boshaft, aber nicht völlig verkehrt, im Hitchcock gewidmeten Bertz-Filmbuch von 1999. Einerseits sollte man von Berg auf den Mond schießen, da er seine Hitchcock-Häme gerade über Torn Curtain (dt. Titel Zerrissener Vorhang) ausgießt, einen Film, den ich trotz seiner offensichtlichen Defizite liebe. Auf der anderen Seite aber liegt von Berg goldrichtig: Man kann die Verehrung von Hitchcock guten Gewissens ablehnen.

Der Hitchcock-Comic von Noel Simsolo, einem Filmhistoriker, und Dominique Hé, einem alten Comicveteranen, hierzulande am ehesten durch seine Abenteuerserie Die Abenteuer des Marc Marell bekannt, bleibt in der Haltung gegenüber Hitchcock indifferent. Am deutlichsten herausgearbeitet wird Hitchs Misanthropie im Kapitel über die Dreharbeiten seines tatsächlich sehr unterhaltsamen Films The 39 Steps, als er Madeleine Carroll und Robert Donat mit Handschellen aneinanderkettet und sie den ganzen Tag nicht mehr aus dieser Zwangslage befreit. Vor seiner Sekräterin, die er natürlich verehrt, weil sie blond ist, doziert er zu dieser Gelegenheit: „Umso besser, wenn es ihren Stolz tötet, denn Schauspieler sind nur Vieh.“ Einer von vielen Allgemeinplätzen über Hitchcock, die den Weg in den Comic gefunden haben.

Bei den Dreharbeiten zu The 39 Steps. Alle Abbildungen © Splitter

Auch Hitchcocks perverse Vorliebe für Blondinen wird angerissen, seine Selbstverliebtheit, seine Lust am Voyeurismus, seine Innovationslust, seine Maßlosigkeit, sein Hang zur platten Psychoanalyse und – bei weitem am unangenehmsten – sein ständiges Dozieren über sich und sein Genie, im vorliegenden Comic auf denkbar ungünstige Weise mit der Erzählprämisse von Noel Simsolo verbandelt. Irgendwie muss man dem Leser die Fakten ja vermitteln, mag Simsolo gedacht haben, und da erklärende Textblöcke für den modernen Comicschreiber offensichtlich immer noch ein No-Go sind, muss Handlung eben über Dialog erzählt werden – und so erzählt Hitch dem armen Cary Grant während der Dreharbeiten zu Über den Dächern von Nizza sein Leben und doziert und belehrt.

Mag Hitch aber auch ein Scheusal gewesen sein, so verstand er doch eine Menge davon, wie man eine Geschichte strukturiert und aufbaut. Viel auf Noel Simsolo abgefärbt hat davon offenbar nicht, denn der greift mit dem Stilmittel der Faktenvermittlung durch Dialog zum abgedroschensten erklärerischen Stilmittel, wenn man auf Erklärtexte verzichten möchte. Sicher hat Simsolo seine Hausaufgaben gemacht und reichlich fundiertes Detailwissen eingearbeitet. Aber wird man Hitchcock gerecht, wenn man sich ihm so kreuzbrav annähert?

Die Erfindung der Suspense.

Das Paradigma – anders kann man davon nicht sprechen – Handlung allein über Bilder und Dialoge zu entwickeln, sollte wenigstens bedingen, dass die Dialoge geistreich und pointiert sind. Leider entbehren die Texte jeglicher Spritzigkeit, ebenso wie Dominique Hés klare Linie, die mancherorts völlig unangemessen mit dem Stil von Tim und Struppi gleichgesetzt wird. Das mag bei den Hintergründen noch angehen, aber Dominique Hés bemühte Mimiken haben wenig mit Hergés brillanten Punkt-Punkt-Strich-Gesichtern zu tun. Aber wir wollen nicht unfair sein: Nicht jeder Comic muss das Zeug zum stilprägenden Jahrhundertwerk haben und Hergés unerreichte Situationskomik war auch nie Dominique Hés Anliegen. Eher schon die Eleganz des Klare Linie-Stils, wie man sie von Edgar P. Jacobs her kennt.

Ich werde wohl nie verstehen, warum erzählende Texte im Comic so ein Schattendasein führen und die Panelfolge das alleinige Maß der Dinge ist. Das ständige Anwanzen an einen filmischen Stil nervt, vor allem, wenn vergessen wird, wie wichtig Mimik, Gestik, Ausstrahlung und Sprechweise im Film ist und wie schwer sich Comic tut, hier mitzuhalten. Solange Comic nur als verkapptes Storyboard behandelt wird, ist es eine Kunstform, die gerne weg kann. Ich feiere jeden Comic, der Text nicht als störend, sondern als gestalterisches Element wahrnimmt, gerne in Form von inneren Monologen oder Denkblasen, gerne auch mit einem Lettering, das uns zeigt, das Text eben nicht nur Information ist, sondern einen ästhetischen Mehrwert hat, optisch, inhaltlich und stilistisch. Die besten Comics sind unverfilmbar.

Alfred Hitchcock – Der Mann aus London interessiert sich nicht für Textgestaltung und erzählt mit der visuellen Innovationskraft eines Storyboards. Die reduzierte Grafik bleibt gefällig und zweckmäßig. Nur für welchen Zweck? Dieser Comic ist von der ersten bis zur letzten Seite bieder.

Gepflegte Langeweile. Hitchcock würde sich gruseln.

4von10Alfred Hitchcock 1 – Der Mann aus London
Splitter, 2021
Text: Noel Simsolo
Zeichnungen: Dominique Hé
Übersetzung: Tanja Krämling
160 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 24 Euro
ISBN: 978-3962195854
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