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George Orwell

George Orwell, der Autor der kanonischen Überwachungsdystopie 1984, ist von Pierre Christin und Sébastien Verdier in einer Comic-Biografie porträtiert worden – schwarzweiß gezeichnet, aber nicht schwarzweiß dargestellt.

Alle Abbildungen © Knesebeck Verlag

Eingangs diskutiert der Erzähler, dass man die Geschichte auf verschiedene Arten beginnen könnte: als Hymne auf den Imperialismus, als Familiensaga, als exotische Geschichtensammlung oder als feministischer Roman. Christin und Verdier entscheiden sich für eine unprätentiöse Geschichte ohne Kitsch.

George Orwell wird 1903 unter dem Namen Eric Blair in Bengalen geboren. Sein Vater ist Kolonialbeamter im Dienste der britischen Krone und seine Mutter reist kurz nach der Geburt mit den Kindern zurück nach England. Orwell wird eine gute Schulbildung an verschiedenen Internaten zuteil, darunter auch an der Elite-Schule Eton. Den lesewütigen und erfahrungssüchtigen Orwell treibt es aber in die exotische Ferne: Er geht nach Burma, um dort eine Polizeiausbildung zu absolvieren. Längst hat er eine Abneigung gegen das Establishment entwickelt, seine Entwicklung zum überzeugten Sozialisten, dem jeglicher Totalitarismus suspekt ist, nimmt hier ihren Anfang.

Er kehrt nach Europa zurück und lernt nun das einfache Leben kennen, zunächst als einfacher Tellerwäscher in Paris, dann als Obdachloser in London. Mit seiner Ausdrucksweise kann er seine Herkunft nicht verbergen, und überhaupt ist seine Wertewelt nicht widerspruchsfrei, wie Christin ihn selbst feststellen lässt: „Wir stecken eben alle voller Widersprüche.“

Zum Comic-Fan wird er aber nicht – Christin lässt ihn über einige Romane und Comics sprechen, darunter auch Superheldencomics: „Wer wollte ein Kind großziehen und ihm unerschrocken diese bunten Comic-Hefte geben, in denen unheimliche Wissenschaftler in versteckten Labors Atombomben herstellen, während Superman zwischen den Wolken hindurchfliegt und Gewehrkugeln an seiner Brust abprallen wie Erbsen, oder wo platinblonde Frauen von Robotern aus Stahl und 15 Meter langen Dinosauriern vergewaltigt werden?“ Direkte Orwell-Zitate sind typografisch hervorgehoben.

1936 zieht er in den Spanischen Bürgerkrieg, um gegen die Franco-Truppen für eine bessere Zukunft des Landes zu kämpfen. Kämpfen wird er dort dann aber nicht, nur vieles beobachten. Schließlich wird er angeschossen und kehrt 1937 nach Europa zurück. Seine Erlebnisse publiziert er in dem Buch Mein Katalonien (1938). In den kommenden Jahren gelingt es ihm, sich als Journalist und auch als Schriftsteller zu etablieren. Seinen Durchbruch feiert er mit Animal Farm (1946), und das kurz vor seinem Tod im Januar 1950 vollendete 1984 sollte  seinen literarischen Nachruhm begründen.

Pierre Christin ist hierzulande vor allem für seine Zusammenarbeit mit Jean-Claude Mézières an der SF-Serie Valerian und Veronique (seit 1967), deren bislang 23 Ausgaben bei Dargaud erschienen sind, berühmt. Seine mehr als 100 weiteren Comics, die er als Szenarist mit Comic-Legenden wie Enki Bilal verfasst hat, sind in Deutschland weitgehend unpubliziert. 2010 wurde er im Rahmen des Comic-Salons Erlangen mit dem Max-und-Moritz-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet, im Januar 2019 wurde er in Angoulême mit dem Prix Goscinny geehrt.

Mit Sébastien Verdier hat Christin schon mehrfach zusammengearbeitet, bei Ultimate Agency (2004/06) und Recontre sur la Transsaharienne (2014). Die feinen Schwarzweiß-Zeichnungen lassen die Welt von George Orwell im Detail auferstehen und werden von einigen wenigen Farbpointen unterbrochen. Verdier hat versucht, durch farbige Elemente manche Aspekte hervorzuheben, wobei sich dieser Effekt doch eher als Spielerei erweist und sich nur selten als gewinnbringende Pointierung verstehen lässt. Viel prägnanter sind die plötzlichen Stilwechsel, mit denen Verdier auf Einzel- oder Doppelseiten besondere Ereignisse hervorhebt.

Christin und Verdier zeigen nicht genau den George Orwell, der als mahnendes Schlagwort durch den Diskurs reitet, jenen 1984-Orwell, dessen Dystopie die Blaupause für so viele gesellschaftliche Überwachungsphantasien war. Stattdessen haben die beiden einen etwas unbekannteren Orwell porträtiert, den politischen Intellektuellen, den ehemaligen Soldaten, den Kolonialismuskritiker Orwell. Vielen Dank dafür. Dass Christin mit journalistischem Vorgehen wohlvertraut ist, kommt dem Comic sehr zugute.

George Orwell ohne 1984

8von10George Orwell
Knesebeck, 2019
Text: Pierre Christin
Zeichnungen: Sébastien Verdier
Übersetzung: Anja Kootz
152 Seiten, schwarz-weiß (punktuell farbig), Hardcover
Preis: 25 Euro
ISBN: 978-3957281548
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