Es beginnt wie ein gespielter Witz: eine Polizeieinheit fällt ins Frauenfreibad ein, um eine vermeintliche Schlägerei aufzulösen, dabei waren es doch nur ein paar türkische Damen, die laut diskutiert haben. Typisch südeuropäisches Temperament.
Doris Dörrie und Paulina Stulin greifen für ihren gemeinsamen Comicwurf Freibad, der parallel als Comic und als Film produziert wurde, tief in die Mottenkiste der Klischees und Vorurteile. Tatsächlich clashen in ihrer Freibaderzählung nicht nur auf Erzählebene die Kulturen, die beiden Künstlerinnen inszenieren ihren ganz eigenen Kulturclash, wenn sie mit ihrer doch etwas altbackenen Fernsehspieldramaturgie die heißesten Diskurse unserer Zeit aufs Korn nehmen. Das kann doch gar nicht gut gehen – also Popcorn raus und zuschauen, wie das an die Wand fährt.
Da hätten wir zum Beispiel Gabi und Eva, zwei Ladies, die ihre besten Jahre hinter sich haben und sich hier jeden Tag in der Sonne grillen. Die beiden lästern und philosophieren gern und viel, über laute muslimische Mütter und Vollschleier tragende Araberinnen, die sich seit Neustem im Bad tummeln, ebenso aber auch über die rundliche Paula, von Gabi gern auch „Wackelpudding“ genannt. Währenddessen schockt die junge Türkin Yasemin ihre Verwandtschaft mit ihrem neuem Burkini, Anlass genug für die türkische Fraktion, zu streiten, was denn dieses Kleidungsstück in ihrer Kultur zu suchen habe und ob dies ein rebellischer Befreiungsschlag gegen die soziale Kontrolle der Familie sei oder doch schon Radikalisierung – oder beides. Einig sind sich jung und alt immerhin darüber, dass man den Araberinnen überlegen ist. Man ist ja quasi schon Deutsch.
Body-Shaming, Islamophobie, Transphobie, Racial Profiling, Sexismus, Essen haram und halal, Ageism, Generationenkonflikt, kulturelle Aneignung, Stehpinkeln und Pussy Riot. In der Kampfzone Freibad eskaliert einfach alles, und stets ist es – Witz komm raus – professionell und routiniert auf Pointe getrimmt. Dabei ist das Figurenpersonal aber durchaus nachvollziehbar differenziert, zum Beispiel die burkinitragende Yasemin, die aus vermeintlich emanzipatorischen Gründen den Burkini trägt und dabei auch noch als einzige korrekt mit Glottisschlag gendert. Hier scheint schon sehr deutlich der Feminismus 2.0 durch, der in Alice Schwarzer nur mehr den islamophoben Dinosaurier sieht und selbst als inklusiv-kritisches Korrektiv auftritt. Der Balken im eigenen Auge bleibt indes stets unsichtbar, während man selbst bei allen anderen Spreißel sieht. Das ergibt immer wieder aufs Neue eine zuverlässige Pointe – und doch wirkt Freibad als Groteske in formstrenger Einheit von Zeit, Raum und Handlung etwas angestaubt.
Man erkennt, dass Paulina Stulin sichtlich Spaß an der Realisierung des Drehbuchs von Doris Dörrie und ihren Co-Autorinnen Karin Kaçi und Madeleine Fricke gehabt haben muss, denn in Freibad erzählt sie in einer völlig anderen Tonalität als in ihren bisherigen, eher grüblerisch-introspektiven, stets lesenswerten Arbeiten (Bei mir Zuhause, The Right Here Right Now Thing, Mindestens eine Sekunde). Mit ihrem flächigen, an Kreidebilder orientierten Stil gelingt es ihr trefflich, stillere, gefühlvolle Erzählpassagen mit der burlesken Grundstimmung in Einklang zu bringen. Die Typen sind durchweg gut getroffen, die Figuren innerhalb weniger Panels plausibel und wahrhaftig charakterisiert, trotz der einen oder anderen Schablonenhaftigkeit.
Am Ende der Geschichte – so viel sei verraten – haben alle Figuren ordentlich Federn gelassen und hoffentlich gelernt, dass man einige Konflikte besser nicht austrägt, sondern ruhen lässt. Das trifft vor allem den einzigen Mann der Story hart, der sich selbst als „post-gender“ bezeichnet und in dem ganzen irren Reigen zwar die Stimme der Vernunft ist, am Ende, als sich die Wellen des Chaos legen, aber doch als einziger nicht ins Frauenbad hineindarf. „Das kriegen wir auch noch hin“, tröstet ihn die queer/non-binär/transidente Liz, das sei alles „nur eine Frage der Zeit“. Doris Dörrie ist Filmprofi genug, dass dieses Ende wohl nicht ganz zufällig auf die Schlussszene von Manche mögens heiß verweist, die mit dem Spruch „Nobody is perfect“ ja ebenfalls queer-doppeldeutig gehalten ist.
Gleichzeitig schimmert die Erkenntnis durch, dass die Abschaffung alles Männlichen doch kaum der Weisheit letzter Schluss sein kann, was dem Ende doch eine erstaunlich weitreichende Ambivalenz verleiht. So schließt sich der Vorhang.
Im Freibad werden die wichtigen Dinge ausgehandelt
Jaja-Verlag, 2022
Text: Doris Dörrie, Karin Kaçi und Madeleine Fricke
Zeichnungen: Paulina Stulin
296 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 29 Euro
ISBN: 978-3-948904-38-8
Leseprobe