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Währenddessen… (KW 43)

Christian über die sehenswerte Dokumentation Brainwashed und das 70er-Jahre Sklavendrama Mandingo.

Christian: „Aggressiver als Mandingo; schockierender als Hinter der grünen Tür; erotischer als Deep Throat.“ Ja, nicht wenige haben diese Titel im legendären Kentucky Fried Movie zum ersten Mal gehört. Wir Kinder der ‘80er wussten ja nicht mal, dass es diese Filme tatsächlich gab und hielten das für genauso fake wie Katholische Schulmädchen in Not und Amazonen auf dem Mond. Ach unschuldige Jugend.

Mandingo ist, glaubt man dem Filmritiker Jean-Baptiste Thoret, so etwas wie der Heilige Gral für Cineasten. Der von Regielegende Richard Fleischer inszenierte Film, der vom Sklavenbetrieb der amerikanischen Südstaaten des 19. Jahrhunderts handelt, war damals ‘75 durchaus erfolgreich, von der damaligen Kritik wurde er aber größtenteils in die Tonne getreten und als rassistisch und reißerisch diffamiert. Es war das unrühmliche Ende von Richard Fleischers großer, Jahrzehnte überspannenden Karriere. Heute wird er von einigen Experten als Fleischers vielleicht wichtigster Film bezeichnet.

Der Filmexperte Jean-Baptiste Thoret erklärt uns plausibel in einem Feature der Koch-Media-DVD-Box, dass man Mandingo am besten als eine art Anti-Vom Winde verweht verstehen sollte. Ein Film, der in die dunklen Ecken und blinden Flecken hineinleuchtet, die von Gone with the Wind so himmelschreiend ignoriert werden. In Mandingo gibt es keinen Südstaatenglamour und die Sklaven stehen auch nicht in einem fast partnerschaftlichen Verhältnis zu ihren gutmeinenden Herren. Auch sind die Sklaven nicht liebenswert-naiv wie unschuldige Kinderchen, sondern wissen um ihre soziale Stellung im System und sind informiert. Warum aber ist trotzdem Mandingo der vermeintlich rassistische Film?

Es ist offensichtlich, dass Quentin Tarantinos Django Unchained von Mandingo beeinflusst war, ist doch in beiden Filmen der Kampf von eigens zu diesem Zweck trainierten Sklaven bis zum Tod ein tragender Bestandteil der Handlung. Tarantino allerdings inszeniert seine Südstaatenfamilie um Leo Di Caprio glamourös und kultiviert. In Richard Fleischers Film sind von der glamourösen Südstaatenkultur nur noch die weißen Fassaden übrig, die Bewohner sind aber nicht in der Lage, diese auch irgendwie lebenswert einzurichten. Karges Mobilar, keine Bücher, schon gar kein Alexandre Dumas; das Leben dreht sich lediglich darum, das System irgendwie am Laufen zu halten und die Nachkommenschaft zu sichern. Alles dreht sich um Sklavenhaltung, Sklavenhandel, Sklavenverwaltung, die richtigen Methoden, Sklaven zu führen, zu bestrafen, vielleicht ab und zu zu belohnen, vor allem aber zu manipulieren.

Mandingo handelt vom jungen Plantagenbewohner Hammond, der sich eine Frau suchen muss, um die Nachkommenschaft der Dynastie zu sichern. An sich kein völliger Unsympath, dieser Hammond, behandelt er doch seine Untergebenen fair und vermeidet drakonische Strafen, wo es nur geht, aber an ihm wird exemplarisch die Verkommenheit des Systems durchdekliniert. Hammond will freundlich sein, vor allem zu seiner Sklavenmätresse Ellen, mit der er die zärtliche Liebesbeziehung führt, die er seiner Ehefrau Blanche verweigert. Er erkennt nicht, dass Ellen viel besser versteht als er, dass selbst für privilegierte Sklaven jede Verweigerung einer Zuwendung und jede missverständliche Geste drakonischste Strafen nach sich ziehen kann. Blickkontakt zum Herren ist Sklaven verboten. Aber was ist, wenn der Herr Blickkontakt einfordert? Und: Sklaven dürfen nicht lügen. Aber was, wenn der Herr eine ehrliche Antwort einfordert, die ehrliche Antwort aber nicht gegeben werden kann, weil der Herr sie nicht hören will? Oder darf? Zwei Stunden dabei zuzusehen, wie die seelisch verkrüppelten Herren ihre Untergebenen subtil missbrauchen und diese das perfide Spiel zwar durchschauen, sich aber dennoch fügen müssen, weil sie sonst an den Füßen aufgehängt und ausgepeitscht werden, das ist unappetitliches, schwer erträgliches, aufschlussreiches Kino.

Tarantino war es nicht, der mein Interesse geweckt hat an Mandingo, Kentucky Fried Movie auch nicht. Nina Menkes war es mit ihrer sehenswerten Dokumentation Brainwashed über Sexismus in Hollywood und den Male Gaze in der Überzahl der Inszenierungen (epd-Kritik hier). Nina Menkes gelingt es, den Blick für subtilen Sexismus zu schärfen, argumentiert immer wieder aber auch tendenziös bis manipulativ, was der Fülle an guten Beispielen jedoch nichts nimmt. Über Mandingo sagt sie, dass dies kein A- oder B- sondern eher ein F-Film sei, eine Aussage, die schon mal wegen ihres Snobismus gegenüber kleinen Produktionen diskutabel ist, was hier aber nichts zur Sache tut. Sie geht in ihrer Einschätzung mit dem Filmkritiker Roger Ebert d’accord, der Film sei „racist trash“, dennoch zeigt sie einen Ausschnitt daraus, weil an ihm exemplarisch die Mechanismen sichtbar werden, die gemäß ihrer Theorie eine Frau im Kinobild zum passiven Objekt reduziert, während der Mann als aktives Subjekt in Szene gesetzt ist. Die Bestätigung für diese These findet sie darin, dass die Kamera hier den Sklaven als Objekt in Szene setzt, der einer demütigenden Szene durch seine Herrin ausgesetzt ist. Die Umkehrung der Rollen bestätigt, dass es nicht die Präsenz einer Frau ist, die den Blick des Zuschauers beeinflusst, sondern die seduktive Kameraführung, die von der objektifizierten Person stets nur Ausschnitte zeigt, vom handelnden Subjekt aber stets die volle Präsenz ins Bild nimmt.

Die Auswahl dieses Ausschnitts aus Mandingo hat mich mehrfach beeindruckt. Einerseits stimmt alles, was Nina Menkes über Bildsprache sagt, über passive Objekte und vollwertige Subjekte. Auf der anderen Seite kann ein Film, der sich seiner Mittel so bewusst ist, doch unmöglich schlecht inszeniert sein und sicher kein F-Movie. Der Sklave IST Objekt. Der Sklave DARF nicht handeln. Selten hat die bewusste Objektifizierung durch die Inszenierung mehr Sinn gemacht. Frauen werden, folgt man Menkes Argumentation, in unzähligen Filmen durch den Inszenierungsstil zu Objekten degradiert, weil das Kino sexistisch ist. In Mandingo aber wird der Sklave als Objekt inszeniert, weil hier ein Statement über himmelschreiendes Unrecht untermauert wird. Das ist gut gemacht.

Aus der Doku „Brainwashed“. Die Bildgestaltung hält die existierende Machtdynamik der Gesellschaft aufrecht.

Sofort war ich der Überzeugung, dass Menkes in ihrer Argumentation ganz offensichtlich den Wald vor Bäumen nicht sieht, sondern Mandingo eher nach so schlichten Kriterien wie Sprachcodes und exzessive Brutalität bewertet. Oder kurz gesagt: dieser Film ist wohl nicht ihr Ding.

Jean-Baptiste-Thoret vertritt die Meinung, dass Mandingo ein Kind seiner Zeit ist und heute nicht mehr in dieser Form gedreht werden könne. Der derzeit angesagte, zeitgemäße 12 Years a Slave sei im Gegensatz zu Richard Feischers Film aber deutlich akademischer und kälter, weniger sinnlich. Richard Fleischer wagte mit seinem Film gleich mehrere Tabubrüche und vermied verlogene Zurückhaltung und Ästhetisierung, wo es nur ging. In gewisser Weise steht er hier auch in einer Linie mit dem ähnlich gearteten Soldier Blue – Das Wiegenlied vom Totschlag. Bei Soldier Blue, einem Film über ein Massaker an Indianern, hat Buffy Saint Marie, eine indigene Musikerin, das Titellied gesungen. Der Titelsong von Mandingo ist von der Blues-Legende Muddy Waters. Beide Filme verbindet also nicht nur eine ähnliche Drastik in der Inszenierung, beide Filme sind mit eigens für sie komponierten Titelsongs durch Nachkommen der Betroffenen auf gewisse Weise als engagiertes Kino beglaubigt.

Dass Mandingo trotz seiner offensichtlichen Engagiertheit so völlig missverstanden worden ist, halte ich für tragisch. Der Film zeigt sämtliche Akteure der selbsterklärten Herrenrasse als versehrt, zerrüttet und degeneriert; die Schwarzen dagegen, die von ihnen dominiert werden, werden zwar immer wieder in entwürdigenden Szenen gezeigt, trotzdem wird ihnen von der Inszenierung die Würde und Charaktertiefe zugestanden, die den weißen Herren so offensichtlich fehlt. Das nicht zu erkennen, lässt auf eine verantwortungslose Voreingenommenheit schließen. Gut, dass man heute die Gelegenheit erhält, sich vom Gegenteil zu überzeugen. Die 3-DVD-Box von Koch-Media ist nicht mehr so einfach günstig zu finden, die Ausstattung und die zahlreichen aufschlussreichen Begleitfeatures rechtfertigen gleichwohl den Erwerb.

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