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Währenddessen… (KW42)

Im Mikrokosmos hört dich niemand schreien.

Erst „sense of wonder“, dann „absolute horror“. Nicks Abenteuer im Mikrokosmos.

Christian: Größe ist relativ. Zeit auch. Als Hansrudi Wäschers Raumfahrer Nick zum ersten Mal sein Raumschiff mit den neu entwickelten Strahlen (siehe Währenddessen von KW 40) verkleinert, wird es so klein, dass Bakterien im Gegensatz dazu zu Monstern mutieren. Aber das reicht unseren Teufelskerlen Nick, Tom und Xutl nicht. Sie verkleinern weiter und weiter, bis sich der alte Bezugsrahmen auflöst: ein neues Universum entsteht vor ihren Augen, unendlich wie das alte Universum, alles innerhalb eines Metallwürfels. Ob es eine Rolle spielt, dass Metalle einen gitterförmigen Atomaufbau haben und Elektronen sich frei im Metallgitter bewegen können? Jedenfalls kommt es, kaum ist man im atomaren Universum angekommen, beinahe zu einer Kollision mit einem Himmelskörper, den Nick sogleich als Alphateilchen identifiziert.

Allzulange hält sich Hansrudi Wäscher allerdings nicht mit dubiosen physikalischen Details auf und setzt stattdessen ganz auf den Schrecken der grenzenlosen Einsamkeit des Alls, das durch die unendliche Potenzierung noch unfassbarer wird. Auf sich selbst zurückgeworfen, droht erst, eine Routinereparatur an der Raumschiffhülle schiefzugehen, danach findet man sich auf einem Planeten mit Methanatmosphäre, wo eine einzige Flamme das Verbrennen der Atmosphäre zur Folge hätte. Dort erforschen sie eine geheimnisvolle Pyramide und geraten in eine Falle, denn die Pyramide wurde einzig zu dem Zweck erstellt, dass allzu neugierige Raumfahrer sich dort verfangen wie Fliegen im Spinnennetz. Die bösen Aliens, die die Falle gestellt haben, sind allerdings nur allzu menschlich und Herren einer Diktatur, die ein ganzes Sonnensystem umspannt. Sie verurteilen die gefangenen Helden zu lebenslanger Zwangsarbeit und deportieren sie in Arbeitslager. Jeden auf einen anderen Rohstoffplaneten.

In der Hölle von Gor. Aus Nick 54 (Verraten!)

Wir erleben als Leser nun zunächst nur Nicks weiteren Weg, der von nun an in der Hölle von Gor täglich ein zermürbendes Arbeitspensum zu erfüllen hat, da er nur nach getaner Arbeit die Nacht in einer belüfteten Unterkunft verbringen und sich erholen darf. Die Herrscher von Gor haben Standards definiert, so dass den Arbeitenden keine Alternative bleibt: Arbeit oder Vernichtung, da bleibt kaum Zeit, über Revolution auch nur nachzudenken. Die vollautomatisierte Überwachung ist lückenlos, außerdem gibt es unter den Mitgefangenen auch Spitzel. Aber natürlich gelingt unserem Helden trotzdem die Flucht. Zahlreiche Cliffhanger säumen den Weg dorthin.

In Heft 59 erinnert Nick mahnend daran, dass auf seinem „Planeten in einigen Ländern ähnliche Zustände geherrscht [haben], bevor die Welt-Regierung gegründet wurde“, was sicher als klarer Bezug auf den Nationalsozialismus verstanden werden darf. Und die Geschichte bleibt auch nach Nicks Flucht düster, auch wenn er mit seinem Raumschiff ab und an recht lustige Sachen macht, unter anderem sich verkleinert und durch die Lüftungsschächte der feindlichen Festung fliegt. Aber als die Fremden die Hinrichtung von Nicks Kumpel ankündigen, bläst er sich zu Übergröße auf und droht damit, einen ganzen (unbewohnten) Planeten mit den Waffensystemen des Sternenschiffs zu sprengen. Da sogar im Angesichte von Nicks monströsem Ultimatum der Feind jedoch auf Arglist setzt und – als alle Felle davonschwimmen – sogar zum Volkssturm bläst, sprengt Nick, dessen Schiff dem Todesstern ohnehin erstaunlich ähnlich sieht, seinen ersten Planeten. (Stell dir vor, jemand sprengt Pluto.) Die Eskalationsdynamik, die Wäscher hier über viele Monate – Woche für Woche – am laufen hält, ist atemberaubend, und lässt Wäschers Comics hier um einiges dringlicher wirken als beispielsweise Helmut Nickels eher volkskundlich ambitionierte Stories derselben Ära. Ist Wäschers Fantasie vielleicht doch der höhere Trumpf?

 

Nick greift an. Dafür macht er sich sogar für Mikrokosmosverhältnisse nochmal klein. Aus Nick 59 (In den Sümpfen des Tam)

Aus Nick 60 (Das Todesfeld)

Eskalation total in Nick 64 (Das Ultimatum).

Todesstern in Stellung gebracht. Nick 65 (Das System bricht zusammen)

Und überhaupt: Weltraumdiktatur. Deportation. Arbeitslager bis zum Tod… – Hansrudi Wäscher arbeitet sich hier schon recht offensichtlich an der deutschen Vergangenheit ab, und nicht das einzige Mal. Er hat sich vergleichsweise oft dem Komplex Nazi-Deutschland und Weltkrieg gewidmet, so dass dieses Motiv gerne gleichwertig neben den bekannten Allgemeinplätzen über Verliese, Urwälder und Burgen eingeordnet werden darf. Das ging schon 1955 in Sigurd los, als um Piccolo 140 herum Sigurd in einen Feldzug gegen die Barbaren gepresst wird. Als ehrlicher Vermittler suchen die Helden verbotenerweise den „Feind“ auf und empfehlen deren Häuptling, seine Dörfer freiwillig den Invasoren zu überlassen und weit ins Landesinnere ziehen zu lassen. Das entspricht zwar eher Tolstois Erzählung von Napoleons Russlandfeldzug, trotzdem waren solche Stories damals ’55 sicher Tagesgespräch. 1959/60 kam dann die Nick-Story um Arbeitslager, lückenlose Überwachung und der Zwangherrschaft im atomaren Universum, ca. 2 Jahre später variierte und verfeinerte Wäscher einen ähnlichen Plot in einer Story um einen korrupten Überwachungsstaat im Urwald, in der ein weißer Herrscher, von Wikingern abstammend, sein Volk zur Militarisierung verführt und ein Spitzelsystem etabliert. Gekrönt wird Wäschers Arbeit an diesem Komplex aber durch eine um ’64/’65 erschienene Story, in der Sigurds jugendlicher Freund Cassim den Lügen eines Revolutionärs aufsitzt, der mit einer Armee von We(h)rwölfen das friedliebende System stürzen und sich selbst doch nur bereichern will. Da Cassim aber in treuem Glauben dem Lügner in den Kampf gefolgt ist, dürfte er als Mitläufer als nur minderschwer belastet eingestuft werden.

Lügen, Lügen, Lügen. Sigurd 168 (Der verhängnisvolle Pfeil)

Nicks Abenteuer im Mikrokosmos endet mit einer überaus grausamen Form der Verbannung für die unverbesserlichen Diktatoren. Nick nimmt die Machtclique gefangen und macht mit ihnen einen kleinen Rundflug in die übergeordnete Dimension, und als er wieder mit ihnen in den Mikrokosmos zurückkehrt, ist die Menschheit auf deren ehemaliger Heimat bereits ausgestorben und die Sonne zum roten Riesen angewachsen. Die Relativität der Zeit sorgte dafür, dass innerhalb des Metallwürfels Millionen von Jahre vergehen konnten, während in der übergeordneten Dimension lediglich ein paar Minuten verstrichen sind. Bleibende Freundschaften lassen sich für Nick unter diesen Bedingungen natürlich nicht im Mikrokosmos schließen. Die bösen Herrscher allerdings werden den Rest ihres Daseins in unwiderruflicher Isolation verbringen, „zum Leben verurteilt“.

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