65 Jahre Nick, der Weltraumfahrer! Christian findet, die Weltraumserie ist schwer unterschätzt.
„Als 1971 ein Übungsbomber mit einer Wasserstoffbombe über London abstürzte und die Metropole in glühenden radioaktiven Gasen versank, erkannte die Welt endlich das verderbliche ihres Tuns.“
So steht es jedenfalls in Hansrudi Wäschers ersten Nick-Heft von 1958 gleich im Textvorspann, bevor die Comic-Erzählung ihren Lauf nimmt. Der Kalte Krieg fand danach schnell sein Ende und die Blöcke bilden seither eine friedliche Weltregierung, welche vernünftig ist und an die Wissenschaft glaubt. Der Sprung ins All wird nun nach Kräften gefördert, denn die Erde ist befriedet. Auf zu neuen Grenzen. Aber trotz aller Utopie: das Verbrechen ist deswegen nicht überwunden. Bereits im ersten Nick-Heft stehlen Schurken die Pläne von Professor Raskins erstem interplanetarischen Raumschiff, was Raskin und seine Crew, bestehend aus dem Piloten Nick, dem Biologen Tom und einem weiteren Wissenschaftler namens Bentley aber nicht von ihrer ersten Mission zur Venus abhält. Neun Tage dauert die Reise dank Raskins revolutionärer Antriebstechnik nur. Man will Uran auf der Venus schürfen.
Ich kann nicht sagen, dass die erste Nick-Story (Heft 1 – 14) ein besonders guter Comic ist: Im Hauruckverfahren gibt es erstmal eine Gangsterjagd und krude Cliffhanger, in denen beispielsweise ein Komet mal eben so frontal auf das Raumschiff zusteuert und es heißt, „[k]ann die Raumschiffbesatzung gar nichts tun, um den Zusammenprall zu verhindern?“ Doch, kann sie, weil Nick hinter dem Rücken vom Professor doch noch ein paar Abwehrwaffen (Desintegratoren) in die Forschungsrakete bauen hat lassen. Man weiß ja nie.
Bis an die Zähne bewaffnet aber sind die Schurken, denn die haben gleich eine Atombombe an Bord, als sie einige Tage später, ebenfalls im Uranfieber, mit einem Nachbau des Sternenschiffs auf der Venus aufkreuzen. Schon krass, zu was für Mitteln die Schurken in dieser befriedeten Welt der damaligen Zukunft doch zu greifen bereit sind. Genauso kurios aber ist es, dass unserem Helden Nick im zweiten Abenteuer (14 – 28), als er vorübergehend von der Polizei gejagt wird, gleich der elektrische Stuhl angedroht wird. Findet hier wirklich das barbarischste aller Hinrichtungswerkzeuge einen Platz in dieser wunderschön-progressiven Utopie?
Aber zurück zur ersten Storyline, die, wie bereits erwähnt, ganz schön holpert: zwar gibt es schöne Einzelszenen, einen atmosphärischen Raketenstart in der Nacht sowie eine reizvoll-geheimnisvolle Tier- und Pflanzenwelt auf der Venus, aber dann kommt noch ein seltsames Kriegsszenario dazu, das die Unterwasserbewohner des Venusmeers auszufechten haben, und die eingangs erwähnte Diebesbande mit ihrem Raketennachbau mischt auch noch mit und findet dort oben doch bloß ihr Ende mit ihrer leichtfertig mit an Bord genommenen Atombombe. Am Ende ist das Raumschiff der Helden so schwer beschädigt, dass ein Flug zwar noch möglich ist, ein Landen auf der Erde allerdings ausgeschlossen. Auf dem Mond allerdings ist Landung und Reparatur möglich, weil dort ja die Schwerkraft ziemlich gering ist. Also fliegt man dorthin und stolpert sogleich in die nächste Storyline – und die ist richtig gut:
Nick und seine Crew treffen „Die Anderen“ auf dem Mond, das sind grünhäutige Marsmenschen, die sämtliche Mondstationen besetzt haben. Auch der Wissenschaftler Bentley entpuppt sich jetzt als Verräter, denn sein Gesicht war nur eine perfekte Gummimaske, in Wahrheit ist darunter ein Marsmensch namens Xutl. Schon lange haben die Marsianer die ersten Schritte der Menschen ins All mit Argwohn beobachtet. Den Flug zum Mond haben sie noch als lächerlich abgetan, aber als Raskin sich zur Venus aufmachte, traten die Marsianer in Aktion. Nie soll es den aggressiven Erdlingen gestattet sein, invasiv im Weltall zu werden, die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts zeigt schließlich deutlich, zu welchen Exzessen das führen kann. Stattdessen werden alle interplanetarischen Raumschiffe eingeschmolzen und Professor Raskin auf den Mars verschleppt. Sämtlichen Piloten und sonstigen Mitarbeitern aber ist die Erinnerung zu löschen, bevor wieder ein Unglück geschieht. Nick, Tom und Raskin befinden sich also mit einem Mal auf der falschen Seite und die Marsianer sind mit ihren guten Zielen die Anständigen.
Raumfahrt also canceln? Nicht mit Nick und Tom. Die beiden fliehen und kapern gleich noch ein Raumschiff von der Erde, so dass sie jetzt auch auf dem Heimatplaneten noch als kriminell und vogelfrei eingestuft werden – aber gibt’s dafür wirklich gleich den elektrischen Stuhl? Jedenfalls sind sie jetzt von allen gehetzt und müssen nebenbei noch eine Möglichkeit finden, die interplanetare Raumfahrt zu retten. Da sämtliche Forschungsstationen aber derzeit in schrecklichen Explosionen enden, verliert auch der Weltsicherheitsrat zu Hause das Vertrauen in die Raumfahrt, die wissen ja nicht, dass hier Marsianer Sabotage betreiben und vermuten stattdessen, dass die Technologie ganz einfach nicht sicher ist. Für so alte Piccolo-Heftchen ist das ganz schön viel Politik und außerdem so weitsichtig, dass vieles heute noch zeitgemäß wirkt.
Nick sucht einen alten Kumpel auf einer entlegenen Insel auf, der Geld und Prestige hat, und gemeinsam stampft man eine Fake-Forschungsstation aus dem Boden, nur um die Marsianer wieder nervös zu machen, die sich das sicher aus der Nähe anschauen wollen. Nach einer nicht völlig nach Plan verlaufenen Begegnung geraten die Freunde dann aber selbst in die Gewalt der Marsmenschen und werden in deren UFO auf den Mars verschleppt, auf dem gerade sehr unverhofft ein tragischer Umsturz stattfindet. Alte Aggressionen brechen auf und werden jetzt auf die Spitze getrieben. Erste Atombomben werden geworfen, auf dem Planeten kämpfen alle gegen alle, und weil die Atmosphäre auf dem Mars nur dünn ist, verbrennt zuletzt die Luft und der Mars wird leider von nun an unbewohnbar sein – wurde so etwas Ähnliches nicht auch befürchtet, kurz bevor Edward Tellers erste Wasserstoffbombe gezündet wurde?
Nick-Heft 24 dürfte gut und gerne das düsterste Heft sein, das Hansrudi Wäscher je gestaltet hat, denn Nicks Flug über den sterbenden Mars, auf dem die Bevölkerung sich im Endkampf befindet, ist episch und nimmt gut und gern den Umfang eines ganzen Streifenhefts ein. Xutl, ehemals Bentley, wird fortan der letzte Überlebende Marsianer sein und als Zeitzeuge davon berichten können, was Hybris anrichten kann. Aber halt: einen weiteren Marsianer aber gibt es noch auf der Erde, dem allerdings auch nichts anderes einfällt, als noch einen letzten Anschlag auf eine Rakete zu verüben und dabei sein Leben zu lassen.
Diese zweite Nick-Storyline ist ohne Übertreibung sehr spannend und hintergründig geraten. Den Helden bleibt bis zuletzt keine Pause vergönnt, sie blicken in den Abgrund, und wenn man dann meint, dass alles vorbei ist, kommt doch noch mal ein Terrorist um die Ecke. Das ist – ganz ohne Ironie, der man sich bei Texten über Wäscher immer wieder gerne befleißigt – Adrenalin pur. Es ist wohl an der Zeit, dass man sich noch einmal intensiv mit Wäschers Oeuvre auseinandersetzt. Andreas C. Knigge hat mit seinen beiden Büchern für den Comics etc- Verlag ja schon einen guten Anfang geleistet. Ich bin gerne mit dabei.
1 Kommentare