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Währenddessen… (KW 43)

Sex and Violence im neuen Währenddessen. Niklas empfiehlt Point Blank (Violence), Christian ist eher für Sex Education (well, Sex).

(c) DC-Comics, Panini-Verlag.

Niklas: Alle Jahre wieder hole ich immer mal wieder Ed Brubakers und Sean Phillips vierbändige  Comicserie Sleeper aus dem Regal und bin immer noch erstaunt, wie gut die Mischung aus Agententhriller, Superheldengeschichte und Film Noir funktioniert. Die Vorgeschichte Point Blank, wieder mit Brubaker als Autor, aber mit Colin Wilson als Zeichner, gefiel mir dagegen nie so sehr. Aber Wunder geschehen immer wieder, dieses Mal hat es Klick gemacht.

Es liegt nicht an der Handlung. Die stoppt nach dem ersten Heft, als Superagent Lynch angeschossen wird und sein Freund, Superheld Grifter in seiner zivilen Identität als Cole Cash, zu ermitteln beginnt. Nein, was Point Blank so spannend macht, ist die Analyse von Cashs Persönlichkeit, der ja auch eines der Urgesteine des alten Wildstormuniversums war. Cole ist kein großer Denker oder Philosoph. Zeig ihm, wohin er schießen muss, und er schießt. Wenn er das nicht tut, säuft er sich das Hirn weg und denkt alles nieder, was nicht seinem toxischen Bild von Männlichkeit entspricht, gerade wenn es um schwule Männer geht. Damit entspricht er genau der Art von Actionheld, die man mit Charles Bronson und Arnold Schwarzenegger als Vorbild nahm.

Im Gegensatz zu deren Figuren ist Grifter aber nicht kompetent. Wenn er jemanden tötet, löst das nicht das Problem, sondern erzeugt nur ein weiteres. Aber Töten ist nun einmal das eine Ding, was er kann und solange ihn niemand ein paar Krümel vorwirft, kommt er auch mit den Ermittlungen nicht voran. Ich bin mir nicht sicher, ob das Brubakers Intention war, immerhin wurde das Buch in den frühen 2000ern geschrieben, aber als Dekonstruktion des klassischen Machohelden liest sich Point Blank richtig gut. Denn Cole mag sich über die stumpfen Ideale der Leute in Strumpfhosen lustig machen, er selbst hat aber nicht einmal das. Keine Hobbies, keine Familie, nur ein paar alte Kumpels aus der Zeit beim Militär, die auch immer weniger werden. Soldatenehre und emotionale Distanziertheit haben Cole ausgebrannt zurückgelassen, ein aussterbender Dinosaurier in einer Welt, die sich nicht für ihn interessierte, weil er sich auch nicht für sie interessierte.

Die Zeichnungen sind immer noch hervorragend. Colin Wilson zeichnet gerade im ersten Heft eine richtig beeindruckende Szene, in der Cole kopfüber auf eine Gruppe von Bikern schießt und sein Stil passt zur Geschichte. Seine Frauen haben zwar alle etwas von Supermodels, aber seine Männer sehen alle verwaschen, knurrig und brutal aus. In ihrer Kleidung scheinen sie auch alle zu schlafen, so faltig und knitterig ist die. Das alles passt größtenteils auch zur Geschichte, aber es beißt sich mit einer Figur, die später auftritt. Die sieht nämlich genauso macho und verkniffen aus wie der Rest des Casts, ist aber vom Alter und der Ästhetik her eher jugendlich. Das wird Sleeper später besser machen.

Man muss Point Blank nicht gelesen haben, um Sleeper zu verstehen, aber ich finde, dass es den Genuss steigert sie gelesen zu haben, gerade in den späteren Heften. Aber auch ohne die Fortsetzung steht diese Geschichte wunderbar für sich.

Nächstes Mal geht es dann um den Hauptkurs, wenn schlafende Agenten darauf warten, endlich aus ihrem Alptraum zu erwachen.

Christian: Die dritte Staffel der Netflix-Serie Sex Education ist fantastisch. Nachdem die Moordale-Highschool in der zweiten Staffel den konservativen Headmaster Groff verschlissen hatte, übernimmt nun die zunächst progressiv auftretende Hope Haddon das Ruder. Ihr erster Autritt in der Aula, kalkuliert lässig, sorgt für völlig unangebrachte Euphorie unter den Schülern und bei einigen wenigen Misstrauen – oder wie Eric dazu treffend zu Otis sagt sagt: „She’s cool. Teachers aren’t supposed to be cool.“

Ms Haddon verwandelt die Moordale-Highschool über Nacht mit den allerbesten Absichten in ein Regime mit „Don’t Ask, don’t tell“-Mentalität und treibt einen Keil in das jahrelang gewachsene Vertrauensverhältnis zwischen Lehrern und Schülern. Very British führt sie Schuluniformen ein und vehindert damit nur vordergründig die offensichtlichsten Eitelkeiten und Gepose, während der Kessel umso mehr brodelt. Im Sexualkundeunterricht herrscht ab sofort Geschlechtertrennung, was natürlich sofort in der Frage seine Zuspitzung findet, wo die non-binären Schüler denn ab sofort ihren Platz finden sollen. Die Story könnte an dieser Stelle belehrend und thesenhaft werden, schafft aber stets den mehrfachen Spagat, auf der Höhe der Zeit zu sein, die Probleme ernst zu nehmen und trotzdem immer anschlussfähig und witzig zu bleiben.

Der Zusammenprall der Denkweisen – alte Ordnung hier, modernes Denken da – ist spot-on und macht Sex Education zur spanndesten Serie dieser Tage. Nie herrscht Leerlauf und es gibt keine sinnlosen Nebenplots, stattdessen bleibt Sex Education dicht gewoben, erstaunlich spannend, vielschichtig, relevant, überragend gespielt, überragend besetzt und sehr lustig. Dabei ist die Serie fast noch englischer als bisher (nicht nur, aber auch wegen der Dresscodes) und damit ziemlich das Gegenteil von beliebig, was ja bei der Frage nach Diversität bisweilen unterstellt wird. Der Kontrast zwischen dem konservativen Schulsystem und den Teenagern, die sich einen Weg gegen alle Widerstände suchen, weil das nunmal die Augabe von Kids ist, das zu tun, ist so lustvoll ausgespielt, dass man jegliche Scheu vorm Thema sofort vergisst und sich nur noch zurücklehnt und freut. Eine vierte Staffel ist sicher.

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