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Währenddessen… (KW 43)

In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Christian: Egal ob in CSI oder in der Krimiserie Bones: Seit vielen Jahren schon gehört es zum Repertoir moderner Krimiserien, dass die Verwesungsstadien einer Leiche sowie deren Insektenbefall ein oft entscheidender Bestandteil von Mordermittlungen ist. Auch in Dario Argentos Film Phenomena von 1985 helfen Insekten dabei, eine Mordserie aufzuklären. Dreh- und Angelpunkt der Handlung sind ein von Donald Pleasance gespielter Insektenkundler sowie dessen Vertraute, die Internatsschülerin Jennifer, gespielt von Jennifer Connelly.

Besonders wissenschaftlich geht es in der Filmhandlung allerdings nicht zu, denn Jennifer hat die Gabe, telepathisch mit Insekten in Kontakt zu treten. Ihre krabbelnden und schwirrenden Freunde helfen ihr gerne mal aus höchster Gefahr und unterstützen sie tatkräftig bei der Suche nach dem Mörder. Mal weist ihr ein durch die Nacht schwirrendes Glühwürmchen den Weg zu einem Beweisstück, mal zeigt ihr ein Abkömmling einer besonderen Fliegengattung, eine sogenannte Sarcophagus-Fliege, den Weg zum Tatort, indem diese zum Ort zurückfliegt, an dem sie einst als Made in die Welt kam. Doch wenn es auch Unfug ist, den Argento uns vorsetzt, dann ist es doch possierlicher Unfug. Zur Handlung tragen die Insektenmanöver indes nicht viel bei. Sie sind vielmehr schmückendes, poetisches Beiwerk. Aufgekärt wir die Mordserie, als Jennifer von ihrer Oberlehrerin enführt wird, so dass auf diese Weise ihr wahres Gesicht zutage kommt. Das ist dann doch sehr handfest.

Das Glühwürmchen kennt den Weg

Der Film überzeugt durch seine glasklare, intuitive, sehr märchenhafte Erzählstruktur, in der Logik weitgehend schnuppe ist. Die Naturaufnahmen sind sehr stimmungsvoll und in langen, epischen Einstellungen in Szene gesetzt. Am visuell schönsten ist jedoch die Szene, in der Jennifer versucht, sich aus dem Haus der bösen Lehrerin zu befreien. Just in der spannendsten Szene fällt Jennifer das Wählscheibentelefon durch den Fußboden in ein Erdloch, woraufhin sie dem Kabel folgt und sich zu einem unterirdischen Verließ vorarbeitet. Die Bilder, in denen sie sich durch den Gang kämpft, sind schön im Querschnitt durch die dunkle Erde zu sehen, ganz wie man für Zoobesucher das unterirdische Leben von Ameisen oder Wühlmäusen sichtbar macht.

Der von Claudio Simonetti (Goblin) komponierte Soundtrack wirkt in Teilen wie eine Blaupause für das, was einige Jahre später als Symphonic Metal (Nightwish) bekannt werden sollte. Manchmal bestimmt elegische Musik mit weiblicher Sopranstimme die Atmosphäre, Spannungsmomente und Jagdszenen hingegen sind mit Heavy Metal-Musik untermalt. Während die instrumentalen Passagen durchwegs sehr stimmungsvoll sind, wirkt es immer dann etwas billig, wenn Argento auf selbst produzierte Musik verzichtet und stattdessen auf eingekaufte Stücke von Iron Maiden oder Motörhead (unverzeihlicher Stilbruch) zurückgreift – wobei das Intro von Maidens „Flash of the Blade“ durchaus einen guten Effekt erzielt, solange Bruce Dickinson nur nicht singt. Sobald der Gesang einsetzt wirkt die Musik wie ein Fremdkörper.

Italienischer Wusel-Grusel. Achtung: Gleich kommt von hinten eine Hand

Der Showdown am Seeufer gegen Ende des Films wirkt dann sehr Freitag-der-Dreizehnte-inspiriert und ist entsprechend grobschlächtig. Hier fliegt ein Kopf, da wird ein Mensch von Fliegen aufgefressen und zuletzt noch jemand von einem Affen (!) mit einem Rasiermesser gekillt. Alles viel zu sehr Geisterbahn, als dass er in irgendeiner Form bedenklich sein könnte. Phenomena ist herrlicher Eskapismus und vielleicht Dario Argentos schönster Film.

Niklas: Das Schöne am Aussortieren ist, dass ich noch mal Bücher aufschlagen kann, die ich sonst nie wieder lesen würde. Robert Silverbergs Science-Fiction-Roman Es stirbt in mir (Dying Inside im Original) ist so ein Buch. 1976 schlägt sich David Selig damit durch, Semesterarbeiten für Studenten zu schreiben. Selig ist ein deprimierter und rassistischer Snob, der mit einer besonderen Gabe geboren wurde: er kann Gedanken lesen. Dass das aber mehr Fluch denn Segen für ihn ist, zeigt sich immer wieder im Buch und Seligs größter Feind bleibt immer er selbst.

Die ersten sechzig Seiten von Es stirbt in mir sind brillant geschrieben. Leser*innen erhalten einen guten Einblick in Seligs Innenleben, der als Ich-Erzähler vor allem sich selbst bemitleidet und an Sex denkt. Sex den er hatte, Sex den er haben möchte und Sex den er haben wird, da er dank seiner Gabe die Frauen ausfindig machen kann, die ihn attraktiv finden. Das erfüllt ihn nicht, denn im Grunde seines Herzens ist er einsam, da er zwar in jeden reinschauen kann, aber nicht in der Lage ist, tiefe Beziehungen aufzubauen. Am Ende gibt es nur einen Menschen, auf dessen Gedanken Selig wirklich achtet, nämlich seine eigenen. Er könnte als Universitätsabsolvent etwas aus sich machen, aber dazu hasst er sich zu sehr. Mit seiner Gabe könnte er vielleicht die Geschicke der Welt beeinflussen, aber er schaut lieber in den Kopf seiner Partnerinnen rein, wenn diese gerade einen Orgasmus haben. Das ist auf jeden Fall realistisch, aber mit der Zeit verliert das Buch dadurch immer mehr an Kraft, genau wie Davids liebstes Körperteil.

Ach ja, und seine Gabe schwindet, das habe ich ganz vergessen. Das passiert mir recht schnell, denn mit der Zeit spielt das Gedankenlesen eine immer geringere Rolle oder wird nur als Metapher für das Alter benutzt. Selbst die Szenen in denen Selig es noch einsetzt, könnte man so umschreiben, dass dem Roman nichts fehlen würde. Letztendlich will Es stirbt in mir nicht die Geschichte von jemanden erzählen, der sich durch Andersartigkeit von anderen entfremdet, sondern von jemanden, der nicht aus dem eigenen Kopf rauskommt und der weiß, was für ein unangenehmer Mensch er ist. Das Buch geht davon aus, dass Selig selbst Schuld an seinem eigenen Leid trägt und die Gabe höchstens ein Werkzeug ist, um schlechte Eigenschaften und Neurosen zu pflegen, die er schon seit frühster Kindheit besitzt. Es wiederholt sich alles nur. Schade, denn hier und da deuten sich einige interessante Ideen an, wie zum Beispiel Seligs Begegnung mit einem weiteren Gedankenleser, einen skrupellosen Mistkerl.  Diese Begegnung ist am Ende nur eine weitere Episode im vom Stillstand geprägten Leben der Hauptfigur. Zum Glück lenkt er sich mit Sex ab.

Meine Ausgabe war ein altes Buch von Heyne, inzwischen wurde eine ungekürzte Ausgabe auf Deutsch veröffentlicht. Ich weiß nicht, was in meinem Buch fehlt, ich muss es auch nicht nachschlagen. Es stirbt in mir war eine interessante Erfahrung, aber jetzt kommt es in die Bücherzelle.

Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.

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