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Dem Dativ-Comicsalon-Tagebuch 2016, zweiter Tag

Alle zwei Jahre bildet der Comic-Salon Erlangen für vier Tage den Nabel der Comicwelt. Wir sind natürlich auch dort und präsentieren an unserem Stand die neueste Ausgabe des Comicgate-Printmagazins zum Thema „Text in Comics“. Von dem, was sonst so passiert, berichten wir in diesem Messetagebuch: Im täglichen Wechsel schreiben CG-Redakteure über den vergangenen Tag, aus ihrer persönlichen, subjektiven Sicht und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Heute: Björn Wederhake über den zweiten Salon-Tag, Freitag, den 26. Mai
(und hier geht es zu Tag 1, Tag 3 und Tag 4)

Rundgang, Schundgang

Was ist das Erste, was auf dem Salon auffällt? Dass fast alles ist wie immer, nur anders. Tokyopop ist jetzt Panini, dafür hat Panini den gesamten Wust an Kleinst- und Selbstverlegern aus dem kleinen Saal vertrieben und verströmt mit dem übertrieben großen Stand jetzt, fein in die Ecke gedrängt, exakt den lieblosen Fabrikhallencharme, den auch die Panini-Lizenzcomics ausstrahlen. Wenn White Space im Buchdesign der heiße Scheiß ist, dann kann es für Standdesign ja nicht falsch sein. Davon dürfen die Kleinstverlage mit der messie-artig (nicht Lionel) vollgerümpelten Grabbeltischästhetik lernen, die jetzt im Durchgang zwischen Hochschulen und dem Großen Ratssaal angesiedelt wurden, die dort eigentlich erwartete Ausstellung ersetzen und zu für Anthropologen hochspannenden Reibungsmomenten mit den bienenfließig arbeitenden persönlichen AssistentInnen des Bürgermeisters sorgen, die dort ihre Büros haben und hin und wieder irritiert in Richtung des Messewahns blicken.

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Ebenfalls in dem kunstvoll mit Beamtenteppich ausgelegten Korridor findet sich Animexx, das – siehe Fülekis Anmerkungen weiter unten – tatsächlich schon den Peak hinter sich haben dürfte, kommt man doch den ganzen Tag problemlos durch den hier vorhandenen Flaschenhals, statt sich durch quiekende Gewinnspiel-Mangos und -Mangetten quetschen zu müssen, wie das vor ein paar Jahren noch der Fall gewesen wäre. Vielleicht ist es aber auch nur ein weiteres Symbol der – erneut, siehe unten – auch nach 14 Jahren immer noch brennenden Frage, ob der Salon nicht diese komischen Mangas etwas besser integrieren könnte.

Ein klassischer Chokepoint bleibt die Kunst-, Kommerz- und kommerzielle Kunstecke in der Nähe des Pressebüros, wo sich zwischen Carlsen, Delfinium und Avant die Messebesucher stapelnd staunen ob der schieren Nummer an „mit einem Preis ausgezeichnet“, „vielleicht mit einem Preis ausgezeichnet“, „bald mit einem Preis ausgezeichnet“ und „so gut, dass es keine Preisauszeichnung braucht“-Schildern. Wenn Avant jetzt noch anfängt, die in wochenlanger Kleinarbeit zurechtgebratenen Max-und-Moritz-Brote dort als Knabberware auszulegen, dann können wir den Teil der Messe ganz offiziell zum Autobahnkreuz Egelsbach-Oberursel der Heinrich-Lades-Halle erklären.

Im Generellen kann man sich aber mit einem Messeplan aus dem Jahr 2014 zurechtfinden. Ob Weissblech, Kwimbi, Gringo, Schwarzer Turm, Mosaik, Mondfähre, Ehapa, Rotopol, Zwerchfell, Reprodukt: Man kennt den Stand, man kennt die Gesichter. Die „familiäre Atmosphäre“, von der Bodo Birk im Comicgate-Interview gesprochen hat, ist hier tatsächlich zu erleben. Es ist ein „Heimkommen“, so als ob die zwei salon-freien Jahre nur die kurze Pause wären, ehe wir alle für vier bis fünf Tage wieder in die Welt eintauchen, wie sie sein sollte. Sollte die Lades-Halle 2018 tatsächlich renovierungsbedürftig geschlossen sein, wird das in vielerlei Hinsicht sehr, sehr spannend aber auch sehr, sehr seltsam. So als wenn man den Papa nach der Scheidung zum ersten Mal in seiner neuen, kleineren Wohnung besucht.

Im Handelsquadranten der Messe, eingeleitet von einem „welcher PR-Praktikant hat euch hierher geschickt“-3D-Puzzle-Hersteller und dem bierseligen Stand des Comicfestivals München, hat sich gefühlt mehr getan: Inzwischen scheint man die überschüssigen Marvel-Paperbacks, die seit gefühlten zehn Jahren von Messe zu Messe immer wieder auftauchten, endlich losgeworden zu sein, zumindest sind die Paperback-Grabbelhandelsstände geschrumpft. Dafür explodiert die Anzahl der Händler für lieblos aufs T-Shirt gedruckte Comic-Cover aus dem Silver Age wie die der Variant-Covers bei Marvel und DC. Der abstruseste Messe(r)stand ist auf jeden Fall ein von zwei Japanern geführter, der sich auf Cosplay-Waffen in jeder Form spezialisiert hat, solange es Schwerter sind. Samurai-Schwerter, übergroße Klischee-Anime-Schwerter, trockene Schwerter, feuchte Schwerter, rasierte Schwerter, haarige Schwerter … … … stinkige Schwerter. Wobei die Verkäufer auch gemerkt haben, dass das Publikum dann doch nicht Zielgruppe ist und sich eher hinter ihren Schwertern verstecken als das gezielte Verkaufsgespräch zu suchen.

Panel: Rising India

Die Podiumsdiskussionen im großen Ratssaal folgten am Freitag leider der Maxime: Gut anfangen, dann stark nachlassen.

Sollte 2018 der Ratssaal der Stadt Erlangen auch nicht zur Verfügung stehen, wäre das ein echter Verlust, denn es gibt wenig Locations für Comic-Diskussionen, die sowohl für Panelisten als auch Publikum so angenehm und dem Ziel der Veranstaltung zuträglich sind wie die muckelige Politiker-Butze im ersten Stock. Wobei Paul Gravett sich als Moderator der ersten Podiumsdiskussion des Tages, des leider nicht sonderlich gut besuchten „Rising India“-Panels alle Mühe gegeben hat, den zentralen Vorteil des Veranstaltungsorts gekonnt auszuhebeln.

Paul Gravett ist das, was der Brite „soft spoken“ nennt. In der Tat so „soft spoken“, dass schon das Geräusch eines ausgelösten Kamerablitzes seine Stimme übertönt. Und photographiert wurde sehr viel bei diesem Panel. Die zwei ihm von der freundlichen Assistenz zugedrehten Mikrophone umspielte Gravett so geschickt wie der junge Maradona die deutsche Abwehr in den Achtzigern, indem er sich immer weiter zurücklehnte. Das, verbunden mit seinem hohen Sprechtempo und dem für europäische Ohren doch oft noch ungewohnten indischen Akzent der anderen Panel-Teilnehmer machte die Veranstaltung akustisch herausfordernd. Wer die Herausforderung aber annahm, wurde besonders in der zweiten Panel-Hälfte mit einigen Schmankerln bedacht, die als eigene Podiumsdiskussionen großes Potential hätten.

Der erste Teil der Diskussion geriet leider – auch jenseits der oben angeführten Schwierigkeiten – fordernd: Gravett versuchte eine kurze Einführung in die Welt der indischen Comics zu geben, die aber eben sehr viel in sehr kurzer Zeit und hohem Tempo auf das Publikum warf und vermutlich Experten als unnötig empfanden, jedoch kompletten Neophyten wenig Halt und Verortung verschaffte. Hier half auch nicht, dass Gravett in seiner Moderation einen sehr biographischen Angang bevorzugte und von seinen Gesprächspartnerinnen und -partnern erst einmal wissen wollte, wie sie zum Comic gefunden haben. Dabei flogen die Referenzen auf indische Verlage und Comics tief und heftig und in weiten Teilen über den Kopf des Publikums hinweg.

Gravett selbst war in seiner Moderation zu tief in der Materie drin und untergrub an mehreren Stellen mit eigenen Anekdoten oder Spezialfragen den Gedankenfluß der redenden Panelisten und schaffte es auch nicht, zeitnah alle Personen auf der Bühne ins Gespräch einzubinden. Nach dreißig Minuten Panel hatte er drei von sechs Gästen noch gar nicht ins Gespräch eingebunden. Bei einem – lobenswert – im gleichen Maße mit Frauen wie mit Männern besetzten Panel dominierten im Gespräch doch wieder die Männer. Prabha Mallya hatte nach einer dreiviertel Stunde Diskussion noch kein Wort von sich gegeben und Archana Sreenivasan, die sich immerhin zwei oder drei Mal von selbst ins Gespräch einschaltete, wurde von Gravett erst nach geschlagenen 62 Minuten überhaupt in die Diskussion geholt (nachdem Gravett direkt zuvor erfragt hatte, ob es ihm erlaubt sei, das Panel ein wenig zu überziehen) und gebeten, dem Publikum ihren biographischen Zugang zu Comics zu erklären, während die Diskussion auf dem Podium inzwischen schon längst bei verschiedenen thematischen Gesprächen angekommen war. Selbst an einer Stelle, an der über Frauen in der indischen Comicszene und deren Artwork geredet wurde, hatten die männlichen Podiumsteilnehmer die Wortführerschaft.

Erfrischend wurde die Diskussion, wenn Gravett sich mal zurücknahm und etwas aufkam, dass man auf deutschen Podiumsrunden viel zu selten sieht: Gäste, die nicht nur warten, bis sie gefragt werden, sondern miteinander reden, sich Fragen stellen und sich in bestimmten Situationen auch in einer Form streiten, die das Wort „Streitkultur“ verdient hat. Dabei erhielt das Publikum dann einen Blick in die indische Gesellschaft und Comicszene, der gerne hätte vertieft werden dürfen: So stritten sich Vishwajyoty Ghosh und Appupen herzhaft darüber, ob die indischen Comic-Cons tatsächlich „Abzocke“ (vom englischen Wort „to con“) seien, wie Appupen erklärte, der meinte, dass es da eben nicht um Comics gehe, sondern nur um den Verkauf von Merchandise und Bootleg-T-Shirts, während Gosh eher die Meinung vertrat, dass diese Comic-Cons und das Merchandise eben eine große Chance sein, um die Idee von Comics einem weiteren Publikum zugänglich zu machen.

Auch an anderen Stellen sind die Parallelen zwischen Europa und Indien (leider) erkennbar: Appupen erzählte vom zunehmenden Rechtskonservatismus der indischen Gesellschaft und einem seiner Projekte über einen so anti-radikalen Superhelden, dass er nicht einmal die freien Radikale in seinem Körper toleriert, der ihm jeden Freitag nach der Veröffentlichung im Internet „mehr Hass als Leser“ einbringe. Allerdings fand dieser Teil des Gesprächs leider so weit in der Nachspielzeit statt, dass auch keine Zeit mehr für Nachfragen an Priya Kuriyan blieb, der eine Verbindung zwischen Hinduismus und neoliberaler Ideologie sah und dann im Nebensatz noch die, in der deutschen Comicszene schon fast ketzerisch anmutende, These aufstellte, dass Künstler viel offener für Selbstkritik und Kritik ihrer Comics sein müssten, damit sie an dieser Kritik wachsen können.

Gleiches gilt auch für die sehr kurze Phase, in der die Frauen auf der Bühne über die Rolle von Frauen in der indischen Gesellschaft redeten, über ihre Hürden beim Zugang in die Comicszene und die Erwartungshaltung, die Frauen in Indien eben immer noch entgegenschlägt, was mit Scans aus Prabha Mallyas Kurzcomic „Bitch“ unterlegt wurde, die Mallyas Worten visuell noch zusätzliche Wucht verliehen.

Hier kann man zumindest noch erwähnen, dass es später eine eigene Podiumsdiskussion zu diesem Thema gab, aber eine an vielen Stellen interessante und lebhafte Diskussion der Künstler untereinander litt leider letztlich am schlechten Zeitmanagement des Moderators und darunter, dass Gravett diese Diskussionen immer wieder ausbremste. Mit einem klareren Fokus und stringenterer Thematik hätte der Comicsalon hier ein echtes Highlight haben können. Dass am Ende immer noch eine gute, interessante Diskussion stand, trotz der genannten Probleme, zeigt, dass der Salon hier bei der Auswahl der Gäste ein gutes Händchen hatte.

25 Jahre Manga in Deutschland – bald auch in Erlangen?

Moderatorisch deutlich strukturierter, aber eben auch deutsch-braver war die Gesprächsrunde zu „25 Jahre Manga in Deutschland“, die zwischenzeitlich zu einer so ausufernden Andreas-Knigge-Hagiographie wurde, dass dieser sich ganz understated gleich entschied, seinen Platz auf dem Panel gar nicht einzunehmen.

Lars von Törne moderierte souverän durch eine nostalgisch angehauchte Rückschau mit Jonas Blaumann, Joachim Kaps, Kai-Steffen Schwarz, Martina Peters und David Füleki, in der die älteren Herren in längst vergessenen Zeiten schwelgten, als Japan noch terra incognita für den deutschen Comicleser war und die Idee, dass man Akira nicht gespiegelt und nachcoloriert veröffentlichen könnte, völlig undenkbar erschien. In lockerem Plauderton wurde die Veröffentlichung von Dragonball als der Moment ausgemacht, als der Manga in Deutschland seine kritische Masse erreichte und seinen Siegeszug begann (wobei Jonas Blaumann hier eher Sailor Moon als Startpunkt sah) und erzählte, dass ohne das Veto der Lizenzgeber („Wir spiegeln die Mona Lisa ja auch nicht“) vielleicht bis heute noch Manga in gespiegelter Leserichtung in Deutschland erscheinen würden.

In charmanten Anekdoten ließ man Revue passieren, wie der Visionär Knigge mit seinem Manga-Programm Carlsens Comicabteilung quasi im Alleingang rettetete, wie die Magazine Banzai und Daisuki eine ganz neue Leserschaft an den Manga und Carlsens Telefonanlage zum Kollaps brachten und bei Zeichnertouren nur das beherzte Eingreifen der Bahnpolizei den von Fanboys und -girls verursachten völligen Verkehrskollaps bei Signierstunden in Bahnhofsbuchhandlungen verhindern konnten. Auch wenn Kaps immer wieder betonte, dass er so etwas heute nicht mehr würde machen wollen, war doch spürbar, dass das Herz der meisten Panelisten an an dieser „Aufbruchszeit“ des deutschen Mangamarkts hängt. David Füleki, eine Bereicherung für jedes Panel, an dem er teilnimmt, beschrieb seine damalige Beziehung zum Banzai-Magazin in so glühenden Worten, dass zu erwarten stand, dass er Jo Kaps gleich einen Antrag machen würde.

Wobei sich aber auch Füleki mit seinen inzwischen über 30 Jahren der mit Nostalgie einhergehenden „früher war alles besser“-Momente nicht ganz erwehren konnte und das langsame Sterben der Dojinshi-Szene beklagte, dass den jungen Mangaka die Motivation fehle, eine Geschichte erzählen zu wollen und dass heute eine viel stärker monetär ausgerichtete Szene existiere, die sich damit begnüge, Fanart und Merchandise (Poster, Karten, Shirts) zu produzieren, weil es damit für weniger Aufwand mehr Lob gäbe. Immerhin wirkte Peters hier entgegen, nahm die junge Szene in Schutz und erklärte, dass auch die Mangaszene sicher einer Wellenbewegung unterläge, wie die meisten anderen Szenen auch.

Ob es einen deutschen Stil gäbe oder in Deutschland nur individuelle Stile deutscher Mangaka, da wollte sich Peters dann nicht festlegen. Insgesamt sahen Füleki und Schwarz zunehmend eine globalisierte Comicwelt, in der Manga-Elemente in der Micky Maus und in US-Comics zu finden seien, während ihnen auf der anderen Seite deutsche Manga-Seiten präsentiert würden, die eigentlich nur „amerikanische Indie-Comics mit Manga-Köpfen“ seien. Oder wie Schwarz es dann zusammenfasste: „Eigentlich sind alles Comics.“

Worauf man sich einigte: In Erlangen finden Manga immer noch viel zu wenig statt, da müsse man mal etwas tun. Eine Diskussion, die inzwischen alt genug ist, um Bier kaufen zu dürfen und bald Autofahren kann. Und, wie Blaumann noch einmal festhielt: „Manga ist eben nicht nur Schund.“

Dass so ein Satz auf einem Comicfestival im Jahr 2016 auf einer Podiumsdiskussion fällt, zeigt, dass hier doch noch viel Raum nach oben ist und dass man sich – bei all dem vorher erwähnten Erfolg, den Manga auch in Deutschland haben – immer noch irgendwo in der kulturellen Defensive sieht.

Wir nennen es Podiums“diskussion“

Den panelierten Bock geschossen hat der Comicsalon dann aber mit der „Diskussionsrunde“ zum Thema „Abenteuer ‚Made in Germany’“, die Harald Havas moderierte und dabei auf der Bühne eine illustre Runde an Gästen hatte: Andreas Mergenthaler (verlegt für Cross Cult), Peter Snejbjerg (zeichnet einen Comic für Cross Cult), Ivan Brandon (schreibt einen Comic für Cross Cult) und Nic Klein (zeichnet einen Comic für Cross Cult). Zwar wurde im Programm schon angekündigt, dass es um „internationale Kooperationen“ gehe und und dass „der Ludwigsburger Verlag Cross Cult und sein Verleger Andreas Mergenthalter […] Vorreiter der Szene“ sind, aber insgesamt haftete der Veranstaltung so völlig ohne einen einzigen Gast, der nicht mit Cross Cult verbandelt ist, der Duft einer PR-Veranstaltung an.

Dass eben nur ein Ausschnitt aus der Szene gegeben werden könne, und dass Cross Cult derzeit der einzige Verlag sei, der auch außerhalb der deutschen Szene mit deutschen Produktionen wahrgenommen werde (und man auch nicht nur über Graphic Novels und Studentencomics reden wolle), überzeugte als Begründung für die Verlagshomogenität auf der Bühne nicht.

Da half es nicht, dass nicht Havas, sondern Mergenthaler sich und die anderen Gäste vorstellen durfte und die ersten 20 (in Worten: zwanzig) Minuten der Veranstaltung damit gefüllt wurden, dass Mergenthaler – der seine Comics fein auf dem Podium ausgebreitet aufstellte – gleich vier Trailer für die ausgestellten Comics zeigen durfte. Dabei ließ er sich auch nicht davon abschrecken, dass die generische musikalische Untermalung nur blechern aus den Boxen des Laptops tönte und nicht über die Saalanlage erschallte, und dass die Besucher nach jedem einzelnen Trailer anderthalb bis zwei Minuten peinlich berührt schweigend auf eine schwarze Leinwand starrten, während die Salon-Technikexpertin jedes einzelne Mal herübereilen, den nächsten Trailer laden und irgendwie zum Beamer senden musste. Von den verzweifelten Blicken und peinlich berührten Hustern des Publikums ließ sich Mergenthaler nicht erweichen und erklärte nach dem dritten Trailer dann auch gnadenlos: „Einen haben wir noch.“

Immerhin wissen wir jetzt, dass Heiner Lünstedt meint, dass Gung Ho „ganz großes Kino“ (objektiv falsch) und dass Perry Rhodan „die größte SF-Serie“ sei. So it goes.

Die Linie des Panels ließ sich bis zum Ende nicht finden: Zwar sagte Havas, es ginge um den deutschen Abenteuercomic, aber irgendwie sprach mann dann doch über Lizenzabhängigkeiten, von denen Cross Cult weg wolle, von internationaler Zusammenarbeit, die das Internet ermögliche, davon, dass diese Kollaborationen Grenzen verschwimmen ließen und Weltbürger heranzögen und dass Humor ganz schlecht zu übersetzen sei.

In der Mitte des Gesprächs brach dann tatsächlich im Jahre 2016 die x-tausendste „sind Graphic Novels Comics, brauchen wir den Begriff, ziehen wir Grenzen, die es nicht braucht“-Diskussion auf, die – so wie jede einzelne Diskussion dieser Art – alle inzwischen totgenudelten Talkingpoints abfrühstückte, ohne der Debatte auch nur einen neuen Gedanken hinzuzufügen: Unsere Comics haben aber auch einen Wert und können wichtige Dinge sagen, nicht nur die Graphic Novels. Unterhaltung und Anspruch müssen kein Widerspruch sein. The works.

Immerhin gab dies Snejbjerg die Gelegenheit zum Zitat des Wochenendes:

„In my view: If there is a need to call something art, it’s because you want to get government money for it.“

Kann man als Einleitung für das nächste Comicmanifest verwenden.

Und Andreas Mergenthaler erklärte, dass bei diesen internationalen Produktionen deutsche Zeichner kaum eingesetzt werden könnten, nicht weil ihnen die Qualität fehle, sondern weil deutsche Zeichner halt immer ihr eigenes Ding durchziehen und nicht mit den Skripts anderer Leute arbeiten möchten. Deutsche Comiczeichner hassen also Geld, wir haben es schon immer geahnt.

Wer auch immer das Panel zusammengestellt hat, sollte sich fragen, ob solche Pseudo-Werbeveranstaltungen nicht der Ehrlichkeit halber auch schon im Titel so klassifiziert werden sollten. Der deutsche Abenteuercomic oder die von Havas wiederholt referenzierte These aus Marc-Oliver Frischs viel diskutiertem Tagesspiegel-Artikel, dass die deutsche Szene mehr Scheiß brauche, wurden höchstens am Rande gestreift.

Stell dich aus, alte Hippe

Im Kreise der Comicgate-Redaktion herrscht einhellig die Meinung, dass die Pogo-Ausstellung des Comicsalons 2014 ein absolutes Highlight war und einen Standard für Ausstellungen gesetzt hat. Den können zumindest die kleineren Ausstellung in der Lades-Halle dieses Jahr nicht erreichen: Sowohl die Ausstellung zu Comics aus und über Indien als auch die zu Comics aus und über Afrika sind leider reine, kaum kontextualisierte Werkschauen, die einige umwerfende Seiten und Roughs umfassen, die aber zu wenig Erkenntnissen führen, die über „sieht schön aus, kaufe ich vielleicht“ hinaus gehen.

Während das bei diesen Ausstellungen schade ist, ist es bei der Ausstellung zu Comics und Satire in der Türkei – einem seit dem Fall Böhmermann ja nun auch in Deutschland heiß diskutierten Themenkomplex – geradezu strafbar fahrlässig. An den Wänden hängen umwerfende Artworks türkischer Künstler (leider teils nur aufgeblasene Scans mit JPEG-Artefakten), die Interesse wecken und Lust auf mehr machen. Da hängen Seiten, die eine eigene visuelle Identität verbinden mit Elementen aus amerikanischen U-Comix, die an spanische Funnies erinnern oder an den windschiefen Strich eines Jeff Lemire … und die dann umrandet werden von Texttäfelchen, die belangloser und uninformativer kaum sein könnten. Da werden lieblos die Namen von anderen Künstlern oder Magazinen aufgelistet, ohne irgendeine Erläuterung, was es mit diesen auf sich hat. Dazwischen ein paar mit Rechtschreib- und inhaltlichen Fehlern gespickte Floskeln, die sich lesen, als seien sie aus der Wikipedia oder der Werbebroschüre des Verlags übernommen („ein grafisch anspruchsvoller Comic für Erwachsene“, ein Comic, „der sich um eine besonders böse Katze dreht“, „seit 2016 ist er mit seinem Meisterwerk L’Atlas de continents mysterieux zurück in der Welt der 9. Kunst“) und fertig ist die Ausstellung.

All das führt zu einem Querschnitt, der mit Namen und Bildern überlädt, aber keinerlei Verständnis jenseits von „ach, in der Türkei gibt’s auch Comics“ führt. Dass eine Ausstellung keine totale Kontextualisierung bieten kann? Klar. Aber es gäbe dutzende Elemente, die man hier verbinden könnte: Eine chronologische Linie, ein Hinweis auf Comictraditionen in der Türkei, den Umgang mit diesen Comics im Rahmen der Zensur, die Frage, wer und wie groß die Leserschaft ist, wie der Stellenwert des Comics in der Gesellschaft zu verorten ist, ob der Comic in Istanbul und Ankara anders wahrgenommen wird als im Hinterland jenseits des Bosporus. Irgendwas.

Wenn ich einer Ausstellung einen so aufgeladenen Titel gebe und damit Relevanz andeute, dann ist ein ernsthafterer Umgang mit dem Material Pflicht. Lieblos Seiten an die Wand zu klatschen reicht da nicht. Und dann sind da eben noch die Vitrinen, in denen die satirischen Magazine ausgelegt werden. Und wenn die Diskussion nach dem Attentat über die Inhalte von Charlie Hebdo eines gezeigt hat: Ohne lokalen Kontext führt Satire international zu Missverständnissen. Unübersetzte, unkontextualisierte Magazine in ein paar Vitrinen zu legen, hat exakt keinen Aussagewert. Sind das linke Magazine? Rechte Magazine? Ist das die türkische Titanic oder doch nur ein harmloses Witzchenblatt?

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Am Rand der einer Vitrine liegt ein Magazin, auf dem ein wohl israelischer Soldat (Davidstern auf dem Helm) zu sehen ist, der in seiner Darstellung mindestens grenzwertig antisemitisch ist. Mindestens. Ein Kontext wäre nötig. Unbedingt. Ein paar Sätze zum Umgang der türkischen Satire mit dem Staat Israel vielleicht? So liegt da eine scheinbar schwer tragbare Karikatur auf einer deutschen Comicmesse in einer Vitrine, bar jeder Einordnung. So etwas sollte nicht sein und ein derart relevantes Thema, das durchaus auch Medieninteresse besitzt, so lieblos aufzuziehen, das ist wirklich betrüblich.

Allgemeinheiten

• Eine der schönsten Ehrlichkeiten des diesjährigen Comicsalons ist auf jeden Fall, dass die Sonderausstellung zu „Flucht und Vertreibung“ bei Siemens stattfindet. Da schließt sich ein Kreis: Wenn es eine Firma gibt, die sich mit Flucht, Vertreibung und den Gründen dafür auskennt, dann ist es Siemens. Chapeau, Comicsalon. Well played.

• Erlangen weiß, womit man die Kohle macht. Statt das Leben von Heinrich Lades und den anderen Erlanger Oberbürgermeistern als biographischen Comicroman rauszubringen, produziert man lieber Actionfiguren für die echten Hardcorefans. Der Comicsalon färbt also inzwischen auch auf die große Regionalpolitik ab.

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• Wenn Sie auf dem Nerd-Shirt den Gustav Heinemann erkennen, dann gehören Sie zum alten Eisen. Nachdem Sarah Burrini vergebens versuchte zu erraten, wer dieser Gustav auf dem Shirt sein könnte, bekam sie den Hinweis, dass ältere Leute das wissen. In flüssiger Bewegung dreht sie sich fragend zu Jörg Faßbender um, der sofort „Heinemann“ nachschiebt. Den kennen die alten Leute, wie ich von Martin Jurgeit erfuhr, noch von Briefmarken. Was auch immer das sein mag.

• Dass sich Sarah Burrini direkt danach auch noch mit ihrem 3DS durch die mehrtägige Max-und-Moritz-Gala daddelte, ist ja eigentlich „cheaten“, wie die jungen Leute sagen. In Kombination damit, dass ein Comicgate-Giovanni-di-Lorenzo zugab, dass er experimentell über 25 Incognito-Fenster 25 Stimmen für den Max-und-Moritz-Publikumspreis abgegeben hatte (eine Stimme pro Titel), steht zu befürchten, dass die Max-und-Moritz-Gala heute Abend wiederholt werden muss. Hoffentlich hat niemand andere Pläne gehabt.

• Science-Fiction-Urgestein Oliver Ristau schwärmte in den höchsten Tönen von Dr. Jacqueline Berndts Vortrag „Den Blick in die Zukunft lenken: Manga, Frau, Science Fiction“. Da Ristau kein Blut, sondern die Tinte aus alten Heyne-Science-Fiction-Romanen in den Adern hat, ist das für Freunde des Genres sicher eine Empfehlung, sollten die Kollegen von Splashcomics eine Kamera im Raum gehabt haben.

• Am Freitag sind die Cosplays noch an einer Hand abzuzählen: Mandalorianer (in blau), Green Lantern (Alan Scott-Version, nicht blondiert), Wonder Woman (perückiert), Pumuckl (in Übergröße), Lucky Luke (Avantgarde-Werbefigur), Uli-Oesterle-Imitator (in Untergröße) und AXA-Vertreter (Tobi Dahmen im feinen Zwirn).

• Wiglaf Droste schrieb mal über deutsche Comicjurys: „Wer zuerst Auschwitz sagt, bekommt den Max-und-Moritz-Preis.“

• Apropos. Darf der All-Verlag eigentlich auf dem Wunderwaffen-Werbeposter die SS-Runen und das Hakenkreuz so unzensiert abdrucken? Wir fragen nur, ehe die bayerische Staatsanwaltschaft die Messehallen stürmen lässt und im Eifer des Gefechts auch gleich wieder alle Maus-Ausgaben beschlagnahmt, die hier zu finden sind.

• Plot für den nächsten Bond-Film: SPECTRE veranstaltet vor dem Markgrafentheater ein Massaker unter den dort anwesenden Comicmenschen und zerstört so auf einen Schlag die internationale Schiebermützenbranche, weil ihr schlagartig 95 Prozent der Kundschaft wegbrechen.

• Too old to rock and roll: Es ist festzuhalten, dass der Schwarze Ritter tot ist. Die alten Männer der Comicszene gehen um Mitternacht mit Fencheltee ins Bett und nur die Max-und-Moritz-Preisträgerinnen schleppen ihre Brote noch in die Salon-Kultkneipe, wo sie versuchen, Sie unauffällig bei irgendwelchen Pressefritzen aus der Hauptstadt abzuladen. Marc-Oliver Frisch, die Kritikerhaltung nie ablegend, gab zu Protokoll, dass das Brot von Flix vor über zehn Jahren deutlich besser war als das Brot von Katharina Greve.

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