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„Die Szene ist viel weiblicher geworden“: Interview mit Comic-Salon-Chef Bodo Birk

Wie bereits vor vier Jahren hat sich Marc-Oliver Frisch vor dem Comic-Salon mit Bodo Birk unterhalten, der das Festival im Auftrag der Stadt Erlangen organisiert.

Zu den Gesprächsthemen gehören unter anderem ein in den diesjährigen Preisverleihungen von Angoulême, San Diego und Erlangen erkennbarer Kulturwandel; sexuelle Belästigung in der Comicbranche; Interessenkonflikte in der Max-und-Moritz-Jury; und die logistischen Herausforderungen, die sich für den Comic-Salon 2018 abzeichnen.

Das Interview fand zwischen dem 11. April und dem 19. Mai per E-Mail statt. Die Links wurden nachträglich eingefügt.

Schlangen am Einlass zum Salon 2014. © Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Erich Malter

Schlangen am Einlass zum Salon 2014. © Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Erich Malter

Marc-Oliver Frisch: Es sind noch gut sechs Wochen bis zum Beginn des Comic-Salons. Welche organisatorische Herausforderung bereitet Ihnen im Augenblick am meisten Kopfzerbrechen?

Bodo Birk: Die Herausforderungen im Einzelnen sind gar nicht so spektakulär. Es ist vielmehr die Masse an Planungen und Entscheidungen, die zu diesem Zeitpunkt fast nicht mehr zu bewältigen ist. Im Moment arbeitet ein Team von zwölf Personen an den Salon-Vorbereitungen. Die Messeplanung wurde abgeschlossen, rund 200 Rechnungen sind verschickt und entsprechende Einnahmeanordnungen gebucht, allein das ist schon ein erheblicher Verwaltungsaufwand. Vor ein paar Tagen haben wir in einer eigens dafür organisierten Pressekonferenz unseren neuen Sponsor, die Datev eG aus Nürnberg, vorgestellt. Vor eineinhalb Wochen tagte die Max-und-Moritz-Jury, leider ist [Stand Mitte April] immer noch keine Pressemeldung mit den nominierten Titeln verschickt, weil uns nach wie vor Angaben und Bildmaterial zu den Nominierungen fehlen.

30 Ausstellungen wollen im Einzelnen geplant, kuratorisch betreut, gestaltet und organisiert werden. Gruppenausstellungen, wie die über Indien oder die Türkei, sind besonders aufwendig, da Exponate von zehn bis 15 Künstlerinnen und Künstlern pro Ausstellung abgestimmt, gesammelt, versichert und verschickt werden müssen. Parallel dazu eröffnen wir schon die eine oder andere Ausstellung, im Stadtmuseum läuft bereits „Das kleine trunkene Theater“ von Ruppert und Mulot, im Kunstpalais eröffnet am Samstag [, dem 23. April] „Böse Clowns _reloaded“, mit einer großen Sektion über den Joker, die wir vorbereiten müssen. Jeden Tag treffen schon Exponate bei uns ein, die gesichtet, gelistet und dokumentiert werden müssen. Auf der anderen Seite gibt es immer noch Ausstellungen, die keinen Ort haben, weil uns zugesagte leerstehende Ladengeschäfte wieder abgesagt werden und so weiter und so fort.

Das ganze Rahmenprogramm mit rund 150 Veranstaltungen muss jetzt fertig werden, pro Veranstaltung sind in der Regel wieder mehrere Personen zu koordinieren. Und natürlich muss die Pressearbeit und die Werbung jetzt durchstarten, und die Personalplanung mit rund 150 Helferinnen und Helfern, die alle personalrechtlich korrekt beschäftigt werden müssen und endlich wissen wollen, an welchem Tag sie von wann bis wann eingeteilt sind, geht in die heiße Phase. Nebenbei haben wir uns ja nicht ausschließlich um den Comic-Salon zu kümmern. In der kommenden Woche laden wir zum Pressegespräch anlässlich der 40. Auflage der Erlanger Schlossgartenkonzerte, die am 8. Mai starten, und wir beteiligen uns zeitgleich mit mehreren Projekten am bayernweiten Textilkunstfestival „Gewebe“. Es gibt mit den Kolleginnen und Kollegen jeden Tag so viel zu besprechen und abzustimmen, dass der Tag mehr als 24 Stunden haben müsste.

Sie erwähnen den neuen Sponsor. War das Arrangement notwendig für das Fortbestehen des Salons?

Für das generelle Fortbestehen vielleicht nicht, für die Weiterentwicklung aber auf jeden Fall. Wir sind in den letzten Jahren in der glücklichen Situation gewesen, dass die Zukunft des Internationalen Comic-Salons in Erlangen nicht mehr in Frage gestellt wird. Die Bedeutung der drei großen städtischen Festivals, für die wir zuständig sind – der Internationale Comic-Salon, das Internationale Figurentheater-Festival und das Erlanger Poetenfest – stehen für den Stadtrat und den neuen Oberbürgermeister außer Frage, unsere Arbeit erfährt große Wertschätzung, und zwar über alle Parteigrenzen hinweg.

Präsentation des neuen Sponosrs. © DATEV eG

Präsentation des neuen Sponosrs. © DATEV eG

Dennoch, die Haushaltsmittel, die die Stadt Erlangen für den Kulturbereich zur Verfügung stellen kann, steigen nicht im gleichen Maße wie die Kosten, die für den Erhalt des Status quo notwendig sind. Reisekosten, Personal, Material, Hotels, Veranstaltungstechnik, in allen diesen Bereichen haben wir es mit erheblichen Kostensteigerungen zu tun.

Um nicht am Programm zu streichen, haben wir zuletzt unter anderem an der Werbung gespart. Das ist natürlich genau der falsche Weg, wenn man es sich zur Aufgabe gemacht hat, der grafischen Literatur mit dem Salon auch neue Zielgruppen zu erschließen. An dieser Stelle setzen wir in diesem Jahr einen erheblichen Teil unserer Sponsoring-Mittel ein. Wir werden im Stadtbild in Erlangen wieder präsenter werden und unsere Werbung im öffentlichen Raum nach Nürnberg und Fürth ausdehnen.

In Zukunft wollen wir auch deutschlandweit stärker in Erscheinung treten. Einen anderen Teil der Sponsoring-Mittel werden wir dazu einsetzen, den Salon in Zukunft noch internationaler auszurichten. Dazu kommt, dass die Datev als IT-Unternehmen große Kompetenzen im Bereich des digitalen Marketings hat und uns dabei – neben dem finanziellen Zuschuss – auch inhaltlich beraten wird. Und nicht zuletzt ist es immer auch ein gutes Signal, wenn sich ein großes Unternehmen zu einer Veranstaltung so uneingeschränkt bekennt, wie die Datev jetzt zum Internationalen Comic-Salon. Auch das trägt zur nachhaltigen Etablierung des Internationalen Comic-Salons bei.

Die Frankfurter Agentur Bulls Press, vom ersten Salon an Stifter des Max-und-Moritz-Preises, hatte sich nach 2012 verabschiedet. Gibt es inzwischen einen neuen Stifter?

Nein, wir hatten uns bei unserem Fundraising zuletzt ganz auf die Suche nach einem Hauptsponsor für den gesamten Salon fokussiert. Tatsächlich wäre es wohl nicht ganz einfach, in der Kommunikation zwischen Hauptsponsor bzw. Titelsponsor des Internationalen Comic-Salons und Stifter des Max-und-Moritz-Preises zu differenzieren. Wahrscheinlich würde sich immer einer der beiden Geldgeber zurückgesetzt fühlen. Da es für den Internationalen Comic-Salon und den Max-und-Moritz-Preis ja keine unterschiedlichen Etats gibt, unterstützt die Datev mit ihrem finanziellen Engagement natürlich gleichzeitig auch den Max-und-Moritz-Preis.

Ein Sponsor für den gesamten Salon ist uns nicht zuletzt auch deshalb lieber, da sich bei einem Stifter, der in irgendeiner Weise mit dem Thema Comic verbunden ist, immer die Frage nach der Unabhängigkeit des Preises stellen würde. Bei Bulls Press wurde das Thema ja in der Comic-Szene mit schöner Regelmäßigkeit alle zwei Jahre aufs Tablett gebracht. Zu Unrecht, wenn ich das im Nachhinein noch einmal unterstreichen darf. Jetzt liegt die Vergabe des Preises ganz in den Händen einer unabhängigen Jury und die Medaillen und Preisgelder – 5.000 Euro für den besten deutschsprachigen Künstler/die beste deutschsprachige Künstlerin sowie 1.000 Euro für die beste studentische Publikation – bringt die Stadt Erlangen aus Haushaltsmitteln auf.

Eines von zehn Plakatmotiven zum diesjährigen Salon: „Aya“ – Marguerite Abouet & Clément Oubrerie © Gallimard, 2016

Eines von zehn Plakatmotiven zum diesjährigen Salon: „Aya“ – Marguerite Abouet & Clément Oubrerie © Gallimard, 2016

Eines der beherrschenden politischen und gesellschaftlichen Themen der letzten beiden Jahre ist die Flucht einer bisher ungekannten Anzahl von Menschen aus Krisengebieten nach Europa und nach Deutschland. Inwiefern sieht sich der Comic-Salon Erlangen verpflichtet, diese Entwicklung thematisch aufzugreifen?

Man kann nicht bei jeder Veranstaltung alle Themen gleichermaßen behandeln. Zur Zeit wird von Kulturämtern alles gleichzeitig erwartet. Gerade heute hatte ich stadtintern eine Diskussion darüber, dass es auch Projekte und Veranstaltungen gibt, die nicht immer alle gleichermaßen einbeziehen können. Neben der Arbeit mit Flüchtlingen wird ja auch die Integration Bildungsbenachteiligter erwartet, die Inklusion von Menschen mit Handicap, Veranstaltungen in leichter Sprache usw. Und das alles grundsätzlich natürlich vollkommen zu Recht. Beim letzten Erlanger Poetenfest, das Ende August 2015 stattfand, als die Flüchtlingskrise gerade zu eskalieren begann, haben wir uns ausführlich mit Hintergründen und Fluchtursachen beschäftigt. Jede Woche gehen wir mit der Jugendkunstschule, die auch eine Einrichtung des Kulturamts ist, in die Erstaufnahme-Unterkunft in Erlangen, malen, basteln, handarbeiten, spielen, musizieren …

In der Jury des Max-und-Moritz-Preises hat sich seit 2012 einiges getan: Drei langjährige Mitglieder haben die Jury verlassen, 2014 gehörten ihr erstmals zwei Frauen an, 2016 sind sogar drei der sieben Juroren Frauen — zusammen mit der meinungsstarken Co-Moderatorin Hella von Sinnen herrscht damit Parität. Das scheint sich nun auch positiv auf die Vielfalt der nominierten Titel auszuwirken. Reiner Zufall, oder haben Sie sich vorgenommen, künftig stärker auf Ausgewogenheit und frische Impulse zu setzen als in früheren Jahren?

Wie schön, dass Sie anmerken, dass sich die Jury in den letzten Jahren immer wieder einmal verändert hat. Wir sind ja einerseits sehr von der Qualität einer kontinuierlichen Jury-Arbeit überzeugt, andererseits hatten wir die Rufe nach Veränderung aus der Szene natürlich vernommen. Und dass zur Zeit relativ viele Frauen in der Jury vertreten sind, ist – wie ich meine – eine ganz normale Entwicklung, wenn man die deutsche Comic-Szene betrachtet. Zum Glück haben wir kein Problem, genügend kompetente Jurorinnen zu finden und, wenn man sich die Liste der Nominierten ansieht, schon gar kein Problem mit zu wenig guten Künstlerinnen.

Ob der hohe weibliche Anteil der Jury dazu geführt hat, dass in diesem Jahr einige Überraschungen unter den Nominierten sind, weiß ich nicht. Auch die Männer in dieser Jury interessieren sich nicht nur für Graphic Novels. Und auch die in den letzten Jahren ausgeschiedenen Juroren waren immer sehr dafür, das ganze Spektrum deutschsprachiger Comic-Publikationen zu beachten. Ich denke eher, dass es in diesem Jahr einfach auch jenseits der Graphic Novels einige sehr interessante Publikationen gibt, und das schlägt sich in der Nominierten-Liste logischerweise nieder. Also, kein Zufall, aber auch nicht unbedingt eine Geschlechterfrage.

Was ich meine: Nominierungen und Preisverleihungen haben ja durchaus auch politischen Charakter. Was halten Sie etwa von der diesjährigen Vergabe des Grand Prix in Angoulême, wo unter den 30 Nominierten keine einzige Frau war und die Suche nach einem Preisträger am Ende zur Farce geriet?

Mir ist schon vollkommen klar, was Sie meinen. Ich hätte nur allzu gerne vermieden, auf Angoulême zu sprechen zu kommen und vor allem, mich zur Mutter aller Comic-Festivals äußern zu müssen. Ich finde natürlich auch, dass eine Jury sich ihrer politischen Rolle bewusst sein muss. Zweifellos ist sie erst einmal der Qualität verpflichtet, aber es kann doch niemand ernsthaft behaupten, dass es bei Jury-Entscheidungen nicht immer wieder mehrere qualitativ gleichermaßen mögliche Entscheidungsoptionen gibt. Und dann sollte man schon darüber nachdenken, welches Signal von Nominierungen und Preisen ausgeht.

Auch wenn ich bei Ihrer letzten Frage noch ein wenig ausgewichen bin: Ja, die Max-und-Moritz-Jury hat sich in diesem, wie in den vergangenen Jahren auch, vorgenommen, eine möglichst ausgewogene Nominierungsliste zu präsentieren. Das heißt nicht, dass man sich wider eigener Überzeugung für weniger gute Titel entschieden hätte, nur um alle Facetten des Comics abzubilden. Und alle Facetten sind es ja auch nicht. Aber die Jurorinnen und Juroren achten sehr darauf, Qualitäten auch in Publikationen zu erkennen, die nicht unbedingt den persönlichen Geschmack des Einzelnen widerspiegeln. Aber das sind gruppendynamische Prozesse, denn steuern lassen sich Jury-Entscheidungen zum Glück nicht. Am Ende zählt ein Abstimmungsergebnis.

Erhält den Sonderpreis für ein herausragendes Lebenswerk: Claire Bretécher. © Dargaud – Rita Scaglia

Erhält den Sonderpreis für ein herausragendes Lebenswerk: Claire Bretécher. © Dargaud – Rita Scaglia

Den Preis für ihr Lebenswerk erhält in diesem Jahr ja Claire Bretécher und kein Mitglied der Jury würde, denke ich, verneinen, dass es für die Entscheidung eine Rolle gespielt hat, DASS sie eine Frau ist. Aber, ganz wichtig: Sie wird nicht ausgezeichnet, WEIL sie eine Frau ist. Sie hat als Frau dem Comic vielmehr vollkommen neue Themen eröffnet und damit überhaupt erst ermöglicht, dass heute viele Frauen in der Branche erfolgreich tätig sind und neben Abenteuer und Science Fiction ganz andere Stoffe verhandelt werden – auch von Männern.

Die Auszeichnung für Claire Bretécher ist aber keine Reaktion auf Angoulême. Ihr Name fiel schon in den zurückliegenden Jahren immer wieder, wir hatten nur gehofft, dass es möglich sein würde, dass sie zur Preisverleihung nach Erlangen kommt. In diesem Jahr hat die Jury sich dazu entschieden, sie auch zu ehren, wenn sie nicht nach Erlangen kommt, da es gesundheitliche Gründe sind, die sie daran hindern und da zu befürchten ist, dass sich diese Situation nicht mehr verbessert.

In Angoulême wurde Claire Bretécher übrigens auch schon in den 80er-Jahren ausgezeichnet, um die Kollegen mal in Schutz zu nehmen. Es ist leicht, sich über die diesjährigen Fauxpas rund um den Angoulêmer Preis aufzuregen, es war ja nicht nur die Gender-Thematik. Wir tun uns im deutschsprachigen Raum mit so vielen herausragenden Comic-Künstlerinnen sehr leicht. In diesem Jahr sind unter anderem Barbara Yelin, Birgit Weyhe, Katharina Greve, Sarah Burrini und Anna Haifisch nominiert, und in der Jury wurde nicht eine Minute über Quoten nachgedacht. Wenn es nötig gewesen wäre, hätten wir darüber aber sicherlich gesprochen. Denn ein Bewusstsein für solche Fragen ist schon vorhanden.

Die Auszeichnung, die Claire Bretécher 1982 in Angoulême erhielt, war allerdings nicht der reguläre Grand Prix, sondern ein Jubiläums-Sonderpreis, der in unregelmäßigen Abständen zusätzlich zum Hauptpreis vergeben wird. Die einzige Frau, die in den 42 Jahren seines Bestehens den Grand Prix gewann, war Florence Cestac im Jahr 2000.

Wenn nun 2016 unter 30 Nominierten für den Grand Prix von Angoulême kein Platz für Frauen ist, während die amerikanischen Eisner-Awards mit 61 Einzelnominierungen von Frauen einen neuen Rekord in ihrer Geschichte aufstellen, scheint das doch eher eine Frage der Mentalität zu sein als eine der Qualität. Noch 2012 äußerte eine Vertreterin des Carlsen-Verlags auf dem Schlusspodium des Salons starke Zweifel daran, ob es überhaupt genügend kompetente Kandidatinnen gebe, um die Max-und-Moritz-Jury mit mehr als einer Jurorin besetzen zu können, und warnte vor „Alibi-Frauen“. Täuscht der Eindruck, dass die Comicszene da mitten in einem längst überfälligen Kulturwandel steckt, der manche noch überfordert?

Jetzt kommen wir langsam zu Fragestellungen, für die meine Kompetenz nicht mehr ausreicht! Ich bin ja nur Veranstalter, der sich alle zwei Jahre für einige Monate mit der Comic-Szene intensiver beschäftigt … Ich kann aber beobachten, dass sich die deutschsprachige Comic-Szene in den knapp 15 Jahren, in denen ich für den Internationalen Comic-Salon Erlangen verantwortlich bin, wahnsinnig verändert hat.

Zu dieser Veränderung gehört neben einem Generationswechsel in der Verlagsbranche und einer gänzlich veränderten Wahrnehmung der grafischen Literatur im Feuilleton und in den anderen Kultursparten auch, dass die Szene viel weiblicher geworden ist. Sowohl was die künstlerische Seite anbelangt, als auch bei den Verlagen. Und ich bin davon überzeugt, dass es vor allem der weibliche Einfluss ist, der dazu geführt hat, dass sich der Comic so stark neuen Themenfeldern geöffnet hat. Graphic Novels werden, im Gegensatz zu den klassischen Comics früher, genauso von Frauen wie von Männern gelesen. Gleichzeitig sind es vielfach Zeichnerinnen, die in den letzten Jahren die erfolgreichen Graphic Novels publiziert haben. Isabel Kreitz, Ulli Lust, Barbara Yelin, Birgit Weyhe oder international Alison Bechdel, Marjane Satrapi … Und dann wäre da noch die auch in erster Linie weibliche Manga-Community. Also ich denke, den Kulturwandel können wir feststellen, da lehnen wir uns nicht zu weit aus dem Fenster. Ob er noch jemanden überfordert, weiß ich nicht. Wie gesagt, ich glaube, im deutschsprachigen Raum ist er bereits selbstverständlich.

Und wenn die Kollegin des Carlsen-Verlags uns 2012 beim Salon-Abschluss mit dem Hinweis darauf verteidigt hat, dass es gar nicht so einfach sein könnte, kompetente Frauen für die Jury zu finden, dann hatte sie andererseits auch wieder recht. Denn für die Jury suchen wir ja nicht nur Leute, die kompetent sind, sondern auch unabhängig von Verlagen und eigenen Interessen. Bei Künstlerinnen ist auch klar, dass sie in der Zeit, in der sie der Jury angehören, keinen Preis gewinnen können. Es kann also trotz vieler toller Frauen in der Szene auch mal wieder schwierig werden, darunter geeignete Jurorinnen zu finden.

Mögliche Interessenkonflikte sind ja auch unabhängig vom Geschlecht ein Dauerthema beim deutschen Comic. Dieses Jahr ist – nur ein Beispiel – ein Sammelband von Mawils Tagesspiegel-Comics für den Max-und-Moritz-Preis nominiert, während gleichzeitig ein Tagesspiegel-Redakteur in der Jury sitzt. Gibt es in solchen Fällen klare Regeln für das Abstimmungsverhalten der betreffenden Juroren?

Sie haben natürlich vollkommen recht! Die deutschsprachige Szene ist so klein, dass persönliche Beziehungen der Juroren zu Künstlern oder Kollegen in den Verlagen nie ganz auszuschließen sind. Auch wenn man es kaum glauben mag: Sogar ich habe Freunde in der Branche … Aber immerhin konnten wir in den zurückliegenden Jahren direkte wirtschaftliche oder verlegerische Verstrickungen vermeiden. Wenn es doch Interessenskonflikte geben könnte, wie jetzt im angesprochenen Fall von Lars von Törne und dem Tagesspiegel, oder früher auch bei Andreas Platthaus und Strips aus der FAZ, ist ganz klar: Die jeweilige Person äußert sich in der Diskussion nicht zum entsprechenden Künstler oder Comic und enthält sich entweder in der Abstimmung ganz oder stimmt für einen anderen Kandidaten.

Finale der Max und Moritz-Gala 2014. © Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Georg Pöhlein

Finale der Max und Moritz-Gala 2014. © Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Georg Pöhlein

Der Max-und-Moritz-Publikumspreis wird 2016 zum vierten Mal verliehen. Können Sie sagen, wie viele Menschen 2014 über diesen Preis abgestimmt haben und wie zufrieden Sie bislang mit der Rezeption des Preises sind?

Über den Max-und-Moritz-Preis haben vor zwei Jahren immerhin 10.864 Personen abgestimmt. Das finde ich schon einmal gar nicht so schlecht. Die Beteiligung am Nominierungsverfahren war in diesem Jahr schon so rege, dass ich sicher bin, dass wir die Zahl von 2014 mindestens wieder erreichen werden. Viel mehr darf man wohl nicht erwarten, wenn man keinen großen Online-Partner außerhalb der Comic-Branche hat. Wir sind damit jedenfalls zufrieden.

Im ersten Jahr des Publikumspreises waren wir durchaus mit großen Online-Medien in Kontakt. Die Bedingungen, die da formuliert wurden, fanden wir dem Max-und-Moritz-Preis aber nicht zuträglich. Wir denken nämlich schon, dass der Preis in erster Linie ein Jury-Preis bleiben soll und empfinden die Publikumsumfrage als eine interessante Ergänzung.

Von einigen Seiten wird kritisiert, dass die erste Phase des Publikumspreises, in der Titel vorgeschlagen werden können, nur innerhalb der Szene stattfindet. Andererseits ist es natürlich nur in den entsprechenden Foren möglich, eine ganz offene, moderierte Vorschlagsrunde auszurufen. Als wir im ersten Jahr das Publikum lediglich über die durch die Jury nominierten Titel haben abstimmen lassen, wurde zu Recht mehr Offenheit gefordert. Jetzt holen wir in den ersten beiden Runden die Expertise der Community ein, bevor wir die Abstimmung ganz öffentlich machen. Ich finde, dass das ein ganz schön ausgeklügeltes Verfahren ist. Sonst müsste man den Publikumspreis an Verkaufszahlen orientieren. Das wäre dann aber nicht mehr der Max-und-Moritz-Preis.

Sie sprechen von einer regen Beteiligung am aktuellen Nominierungsverfahren. Meiner Zählung nach haben in der ersten Runde insgesamt 133 Nutzer teilgenommen (im Panini-Forum, Comicforum und Animexx-Forum)—Mehrfachregistrierungen zwischen den drei Foren nicht ausgeschlossen. Es scheint also ein sehr kleiner Kreis zu sein, der letztlich darüber entscheidet, welche Titel für die späteren Runden zur Wahl stehen. Warum der Umweg über das Nadelöhr der Foren statt – beispielsweise – eines zentralen, frei zugänglichen Eingabe-Formulars auf der Webseite des Comic-Salons?

Ihre Zahlen treffen für die die erste Runde zu, also das Vorschlagen. Ich habe mich auf die zweite, die Nominierungsrunde bezogen. Da wurden in diesem Jahr immerhin 7.500 gültige Stimmen abgegeben. Und das, wie gesagt, war nur die Nominierung, noch nicht die jetzt laufende endgültige Abstimmung. Das darf man doch eine rege Beteiligung nennen, oder? Die Vorschlagsrunde bewegt sich tatsächlich in einem kleinen Rahmen. Aber, auf die Gefahr, dass ich mich wiederhole: Das war bislang eine bewusste Entscheidung, die erste Vorschlagsrunde mit der engeren Szene abzustimmen. Im Forum können Vorschläge diskutiert und Genre-Zuordnungen korrigiert werden. Und das alles vollkommen transparent, weil alle mitlesen können und der Moderator jede Entscheidung erläutert.

Man kann es, Sie haben vollkommen Recht, auch anders machen. Nämlich gar keine Vorschlagsrunde durchführen, sondern, wie bei vielen anderen Publikumspreisen in anderen Kultursparten, das Publikum nur über eine wie auch immer entstandene Liste abstimmen lassen. Oder eben, wie Sie es vorschlagen, auch die Vorschlagsrunde ganz offen realisieren. Wir wollten das Comicforum und seine Community einbeziehen, würden aber natürlich nie behaupten, dass das der einzig richtige Weg ist.

In der US-Comicszene kommen in den letzten Wochen, Monaten und Jahren immer mehr Fälle von sexueller Belästigung ans Licht, zu den Beschuldigten gehören bekannte Autoren (etwa Brian Wood oder Scott Lobdell) ebenso wie leitende Angestellte von Großverlagen (Dark Horse Comics und DC Comics, erneut DC Comics). Offenbar ist lange Zeit vieles verschwiegen worden, auch aus der nicht unbegründeten Angst der Betroffenen heraus, geächtet und angefeindet zu werden. Besonders oft scheinen sich diese Übergriffe im Umfeld der zahlreichen amerikanischen Comic-Conventions abzuspielen. Gibt es in Erlangen eine entsprechende Vertrauensperson, an die sich Betroffene gegebenenfalls wenden können?

Sie sprechen ein kompliziertes Thema an. Was ich mitbekommen habe, ging es in der US-Comic-Branche ja vor allem um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Und es wäre sicherlich verhängnisvoll zu glauben, dass das in der Comic-Branche, oder im Kulturbetrieb überhaupt, nicht passieren würde. Natürlich ist sexuelle Belästigung nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch bei Großveranstaltungen ein Thema.

Bei der Erlanger Bergkirchweih, unserem kurz vor dem Comic-Salon stattfindenden Bierfest, hat die Stadt Erlangen jetzt Stationen eingerichtet, die von Frauen in Not aufgesucht werden können. Allerdings geht es da natürlich um ganz andere Menschenmassen als beim Comic-Salon und vor allem spielt Alkohol da eine große Rolle. Natürlich ist mir aber auch bekannt, dass sich vor allem Cosplayerinnen immer wieder unangenehmen Situationen ausgesetzt sehen. Sexuelle Belästigung beginnt ja nicht erst mit dem Körperkontakt.

Ich bin ganz ehrlich, wir hatten bislang keine Maßnahmen beim Comic-Salon vorgesehen. Ich habe in den vielen Jahren, die ich jetzt mit dem Salon zu tun habe, weder von einem Fall sexueller Belästigung auf dem Comic-Salon gehört, noch habe ich auf dem Salon-Gelände kritische oder heikle Situationen beobachtet. Der Salon ist ja nun auch vergleichsweise übersichtlich und vor allem familiär, was bestimmt hilfreich ist.

Aber das muss natürlich nichts heißen. Wir werden im Team (übrigens inklusive mir zwei Männer und acht Frauen – so viel nur zum Thema männlich dominierte Comic-Branche) darüber nachdenken, wie wir Ihre Anregung aufgreifen können …

Eine Comicmesse ist ja für die Branche auch ein Arbeitsplatz. Und zudem ein Ort, wo sich berufliche und private Kontakte vermischen – was natürlich völlig menschlich und von vielen erwünscht ist, andererseits aber auch zu Übergriffen führen kann. Aus persönlichen Gesprächen sind mir mehrere voneinander unabhängige Berichte über verbale und körperliche Belästigungen auch in Deutschland bekannt, auch im Rahmen von Messen; es geht um Fans, aber auch um Autoren, Händler und Verlagsmitarbeiter. Es scheint ein Thema zu sein, das die Branche betrifft, aber öffentlich bislang nicht diskutiert wird. Eine klare Positionierung der größten deutschen Comic-Veranstaltung könnte da ein kleiner, aber wichtiger erster Schritt sein, um Solidarität mit den Betroffenen zu zeigen. Wäre so etwas von Seiten des Salons denkbar?

Ich kann Ihnen noch einmal in allem was Sie sagen nur Recht geben. Ich denke darüber nach, wie wir Ihre wichtige Anregung aufgreifen können, ohne gleich eine so spektakuläre Aktion daraus zu machen, dass der Eindruck entsteht, dass Comic-Veranstaltungen respektive der Erlanger Comic-Salon ein besonders großes Problem mit sexueller Belästigung hätten …

Messestände in der Heinrich-Lades Halle 2014. © Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Erich Malter

Messestände in der Heinrich-Lades Halle 2014. © Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Erich Malter

Die Organisation des Comic-Salons scheint auch 2018 nicht einfacher zu werden. Die Heinrich-Lades-Halle, seit 1990 das Zentrum des Salons, wird wegen Renovierungsarbeiten mindestens neun Monate geschlossen sein. Für den Comic-Salon ist eine Kombination aus Ausweichräumlichkeiten und Zelten im Gespräch, wie bereits 1988. Allerdings dürften es damals noch sehr viel weniger Besucher gewesen sein als in den letzten Jahren. Wie zuversichtlich sind Sie im Augenblick, einen Comic-Salon 2018 überhaupt realisieren zu können?

Wie wahr! Einfacher wird es 2018 sicherlich nicht. Tatsächlich sind wir aber wirklich sehr zuversichtlich, dass wir 2018 auch ohne Heinrich-Lades-Halle einen guten Salon werden realisieren können. Im Gegensatz zu früher genießt der Internationale Comic-Salon inzwischen auch in der Erlanger Politik große Anerkennung.

Die Option, den Salon ausfallen zu lassen oder zu verschieben, wurde nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Ganz im Gegenteil: Die ganze Stadtverwaltung einschließlich des neuen Oberbürgermeisters ist wild entschlossen, aus der Not eine Tugend zu machen und 2018 einen ganz besonderen Salon zu organisieren. Bei allen Sorgen, die uns hinsichtlich des zu erwartenden Mehraufwands natürlich umtreiben, sehen wir auch eine Chance darin, im Stadtbild noch präsenter zu werden.

Es gibt ja unter anderem im Theater-Bereich einige Beispiele, dass Stadttheater mit ihren Ausweichquartieren einen ganz neuen Schub in ihrer öffentlichen Wahrnehmung verzeichnen konnten. Mit dem Palais Stutterheim, dem Stadtmuseum, dem Kunstmuseum, dem Redoutensaal usw. stehen eine ganze Reihe geeigneter Häuser zur Verfügung. Und die Zelte von 1988 kann man auch ausbauen. Angoulême bewältigt ja fast zehnmal so viele Besucherinnen und Besucher wie wir und das Festival dort findet fast ausschließlich in Zelten statt. Es wird anders, aber gut!

Marc-Oliver Frisch ist freier Comic-Kritiker und -Übersetzer und promoviert über Comics an der Universität des Saarlandes. Man kann ihm bei Twitter folgen.

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