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Batman: Arkham Asylum – Living Hell

Bevor sich Autor Dan Slott mit The Amazing Spider-Man Ende der 2000er in luftige Höhen aufschwang, tauchte er gemeinsam mit Zeichner Ryan Sook tief ins Verließ von DCs berüchtigtster Irrenanstalt ein. Panini haben wir es zu verdanken, dass die Miniserie Arkham Asylum: Living Hell (2003) nun zum ersten Mal in einem Band auf Deutsch erschienen ist. Obwohl Batman prominent das Cover ziert, handelt es sich um keine klassische Superheldenstory (Batman spielt auch kaum eine Rolle), sondern um eine mit phantastischen Elementen angereicherte Horrorfabel. Leider wird eine soziologisch spannende These über die Entstehung geistig abnormer Rechtsbrecher am Ende zugunsten einer wilden Geisterbahnfahrt verheizt.

Cover der deutschen Ausgabe © Panini

Das hat sich Warren White wohl anders vorgestellt. Im Versuch, dem Gesetz eins auszuwischen, plädiert der für zahlreiche Korruptions- und Aktienbetrugsdelikte angeklagte Geschäftsmann für „unzurechnungsfähig“. Nichtsahnend, dass es keine gute Idee ist, ausgerechnet in Gotham als geisteskrank zu gelten, wird der unbedarfte White von einem höhnisch grinsenden Richter ins Arkham Asylum eingewiesen – woraufhin White nur verblüfft fragen kann: „Arkham? Was ist Arkham?“ Draußen galt White als der „große weiße Hai“, der sich in der Geschäftswelt Respekt verschafft hat, in einer Anstalt, in der Psychopathen wie der Joker, Two-Face oder der Riddler einsitzen, ist er jedoch ein kleiner Fisch. White wird mit dem Massenmörder und Sektenführer Erasmus „Death Rattle“ Rayne in eine Zelle gesperrt und muss jede Nacht um sein Leben fürchten. Verzweifelt versucht er, seine behandelnde Ärztin Dr. Anne Carver davon zu überzeugen, dass er nicht verrückt ist. Dumm nur, dass Anne Carver schon längst nicht mehr am Leben ist, stattdessen wurde ihre Rolle von der Verwandlungskünstlerin Jane Doe übernommen. Die Serienkillerin studiert ihre Opfer so lange, bis sie sie umbringt, um danach ihre Identität anzunehmen. Mit White hat sie ihr nächstes Opfer auserkoren.

Dr. Anne Carver ist nicht, wer sie vorgibt, zu sein. © Panini

Während wir Whites Kampf ums Überleben innerhalb der Mauern Arkhams verfolgen, springen wir zeitlich immer wieder in die Vergangenheit. Zu einer nicht näher spezifizierten Zeit, in der das Arkham Asylum noch „House of Madness and Ill Humors“ hieß und wie ein mittelalterliches Burgverließ aussah, experimentiert Jason Blood (in der Welt von DC der Experte für alles Okkulte) mit Insassen, um Dämonen der Hölle an eine leibliche Form zu binden. Unnötig zu erwähnen, dass die Höllendämonen immer noch im Untergrund Arkhams ihr Unwesen treiben und im Finale von einem wahnsinnigen Insassen erneut befreit werden.

Dan Slott vermag es meisterhaft, die Spannung sukzessive zu steigern und seine Geschichte in einen wahren Alptraum münden zu lassen. Darin steht Living Hell dem vielleicht berühmtesten Porträt Arkhams – Grant Morrisons und Dave McKeans Graphic Novel Arkham Asylum: A Serious House on Serious Earth (1989) – um nichts nach. Leider gehen Slott aber gegen Ende ein bisschen die Pferde durch. Was als realitätsnahe Studie über den alltäglichen Wahnsinn innerhalb einer geschlossenen Anstalt beginnt, führt in einen spekulativen Horrortrip, in dem sich Dämonen, Geister und andere Höllenbewohner die Klinke in die Hand geben. Zugegeben: Man kommt angesichts dieser Eskalationsdramaturgie aus dem Staunen nicht mehr heraus und wagt es schon kaum, die nächste Seite umzublättern.

Arkham von seinen Ursprüngen (links, Zeichnungen: Irv Novick) bis zur düsteren Vision Grant Morrisons (rechts, Zeichnungen: Dave McKean) © DC Comics

Das Arkham Asylum wurde in den 70ern vom legendären Batman-Autor Dennis O’Neil zum ersten Mal eingeführt, wobei er mit dem Namen „Arkham“ bewusst auf die Bezeichnung jenes fiktiven Orts in Neuengland zurückgriff, der im Universum H. P. Lovecrafts eine so zentrale Stellung einnimmt. Da ist es auch kein Zufall, dass bei Slott im Finale sogar die Gottheit Cthugha ihren Auftritt hat, die direkt dem Lovecraftschen Cthulhu-Mythos entstammt. Angesichts dieser Anhäufung übernatürlicher Elemente verliert Slott allerdings den Faden. Die eigentliche Stärke von Living Hell besteht darin, eine „äußere“ Perspektive auf abnorme Geisteswelten zu etablieren, um dann in der Folge zu zeigen, wie sich aus der Notwendigkeit, sich seiner Umgebung anzupassen, der „kleine Fisch“ und gewöhnliche Verbrecher Warren White selbst zum waschechten Psychopathen mausert. Dahinter verbirgt sich eine interessante soziologische These, dass sich nämlich psychische Krankheiten (und die daraus abgeleitete kriminelle Energie) wesentlich ihrer Umgebung verdanken, sozusagen von den Umständen „produziert“ oder „gemacht“ werden. Dem entgegen steht jedoch, dass Slott in Living Hell keine Gelegenheit auslässt, das metaphysische Böse als Ursache zu beschwören und zugleich die klare Struktur einer Geschichte von jemandem, der nur vorgibt, verrückt zu sein und es angesichts seiner Umgebung dann tatsächlich wird – buchstäblich in den Feuern der Hölle verheizt. Es ist dann auch ausgerechnet der Geist seines verstorbenen Buchhalters, der White endgültig dem Wahnsinn verfallen lässt.

Potenzial, das bei Living Hell buchstäblich in den Feuern der Hölle verheizt wird. Lovecraft-Fans dürften sich trotzdem freuen. © Panini

Dass es Slott eigentlich darum geht, Warrens Geschichte als eine Art „negativen Bildungsroman“ abseits von Geistern und Dämonen zu erzählen, verrät jene narrative Klammer, die aus dem unbedarften Finanzbetrüger vor Gericht einen verstümmelten Gangsterboss mit spitz geschliffenen Zähnen macht. Zeichner Ryan Sook gestaltet die beiden Panels, die den Anfangs- und Endpunkt dieser Entwicklung markieren, dementsprechend analog: Warren White, der metaphorische weiße Hai, mit leichtem Grinsen im Zentrum und von Kameras umgeben, wird wortwörtlich zum Hai mit spitzen Zähnen und abgezogener Haut – wieder im Zentrum des Panels, grinsend und nun selbst auf Ausschau nach Opfern.

Bookends eines negativen Bildungsromans: Warren White am Anfang und Ende des Buches. © Panini

Die Stärke des Buches liegt dann auch weniger in seinem Nägel-Beißer-Finale, sondern in den Porträts von Insassen, Wärtern und Ärzten, die en passant miterzählt werden. Slott fokussiert nämlich weniger auf die bekannten Übeltäter aus Batmans Schurkengalerie (Joker und Two-Face haben kurze Auftritte, brechen aber schon bald aus), sondern führt in Living Hell zum ersten Mal eine Reihe neuer Figuren ein, die mittlerweile fest im DC-Kanon verankert sind. Neben Warren zählen da etwa die bereits erwähnten Anne Carver, Jane Doe und Death Rattle dazu, aber auch der Wärter Aaron Cash, dem Killer Croc seine Hand abgebissen hat und der stattdessen eine Hakenprothese trägt. Am nachhaltigsten dürfte allerdings die tragische Geschichte von Humpty Dumpty in Erinnerung bleiben, die Slott und Sook im dritten Kapitel von Living Hell anhand von Rückblenden vor uns ausbreiten. Besessen davon, kaputte Dinge zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen, richtet er mehr Schaden als Nutzen an. Er bringt Züge zum Entgleisen, Uhrtürme zu Fall, und lässt Bankomaten Geld regnen. Da es sich bei Humpty Dumpty um eine neue Figur handelt, wurde er auch von Batgirl überführt (wäre es Batman gewesen, hätten wir sonst wohl schon von ihm gehört… so lauteten wohl die Überlegungen).

Eine von Dan Slotts besten Kreationen: der tragische Held Humpty Dumpty. © Panini

Hier zeigt sich, wie geschickt Slott darin ist, die Kontinuität im DC-Universum zu wahren. In den Rückblenden sehen wir riesige Objekte (Telefone, Schreibmaschinen, Instrumente…), die über Gotham thronen und von Humpty unbeabsichtigt zum Einsturz gebracht werden. Da unterbricht Warren Humptys Erzählung: „Warte mal, das warst du?! Deinetwegen hat der Senat das Sprang-Gesetz erlassen? Weswegen die Dinger aus der Skyline verbannt wurden?“ Hier verneigt sich Slott vor dem Silver Age Batman-Zeichner Bill Sprang (1915-2000), der es geliebt hat, riesige Requisiten in Actionszenen einzubauen und dem Geschehen dadurch einen surrealen Touch zu verleihen. Slott schafft es hier nicht nur auf elegante Weise, absurden graphischen Details vergangener Batman-Comics im Nachhinein einen Sinn zu verleihen, sondern Humptys Geschichte um den visuellen Charakter eines Kinderbuches zu bereichern. Derartige Episoden bilden das Herzstück eines Buches, das ansonsten ein bisschen im okkulten Getöse unterzugehen droht.

Dan Slotts Verbeugung vor dem Batman-Zeichner Dick Sprang. Oben: ein Riesenflipper als surrealer Kampfschauplatz in Batman #75 (1953), Zeichnungen: Dick Sprang © DC Comics. Unten: überlebensgroße Objekte, die Humpty Dumptys Gotham den Charakter eines Märchenlandes verleihen, Zeichnungen: Ryan Sook © Panini

Eine Horrorstory, die es in sich hat – auch wenn Potenzial verschenkt wurde.

6von10Batman: Arkham Asylum – Living Hell
Panini, 2024
Text: Dan Slott, Zeichnungen: Ryan Sook
Übersetzung: Ralph Kruhm
180 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 22,00 Euro
ISBN: 978-3-7416-4011-7

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