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Erinnerungen an den globalen Bürgerkrieg 1

Die Welt steht in Flammen, bis auf einige Enklaven, in denen zwar nicht Zucht und Ordnung herrschen, aber eine futuristische Gehirnwäschegestapo immerhin alles im Griff hat. Marazano und Ponzio haben den Beginn einer dreiteiligen Serie vorgelegt, die französische Leser bereits bis zum Ende haben erleiden dürfen.

Alle Abbildungen: © Splitter Verlag

Captain Vivian und seine Crew arbeiten für die S.I., die in bester Abkürzungstradition (SA, SS, Gestapo, Stasi) für den Schutz der Bevölkerung und – gleichbedeutend damit – die Auslöschung des „Anderen“  verantwortlich ist. Die Aufgabe des fünfköpfigen Teams um Vivian (Natchez: der schweigsame Pilot, Ulrich: der Grünschnabel, Nadia: das love interest, Big Brother: der grobschlächtige Haudegen) besteht darin, die Welt von revoltierenden Bürgern zu befreien, die Unruhe stiften, anstatt zu arbeiten. Die Welt ist geteilt in chaotische Sektoren und wenige zivilisierte Enklaven, die von den Bewohnern der wilden Außenwelt bedroht werden. In der Enklaven-Zivilisation herrscht eine propagandafreudige Regierung, die mit ideologischer Indoktrination und wohldosierter Unterhaltung das Volk bei Laune hält. Grundsatz in dieser Arbeitsdiktatur: Wer nicht arbeitet, ist mehr Tier als Mensch. Misstrauisch wird die bewaffnete Kleingruppe erst, als eine Militärdrohne während eines Einsatzes plötzlich mehrere Gefangene scheinbar grundlos erschießt, die vermeintlich nur gefasst werden sollten. Darunter Greg Samsa – ein Schelm, wer dabei an Kafkas Gregor Samsa denken muss. Es muss mehr dahinter stecken als nur ein Unfall (klar!), und dass eigentlich ein großes Geheimnis gewahrt werden soll (ach so). Das werden wir dann wohl im zweiten Band erfahren.

Kafkaesk ist an dieser SF-Posse rein gar nichts: Die Figuren könnten nicht klischeehafter charakterisiert sein und lassen sich ohne große Veränderung in jeden missratenen Telenovela- oder SF-Plot einfügen. Die Dialoge sind unangenehm einfallslos und nichtssagend: „Und du, tu nicht so zuckersüß, du bist doch auch ganz heiß darauf …“ – „Du weißt wirklich, wie man mit Frauen redet.“ Oder: „Sind Vivian und Nadia zusammen? Das wusste ich gar nicht … – „Er auch nicht, zumindest noch nicht, aber Nadia hat ihn schon seit  ein paar Wochen im Visier. Würde mich wundern, wenn sie diese Gelegenheit nicht nutzt. Du hast Nadia in Aktion gesehen, sie lässt nicht von ihrer Beute ab und zielt immer verdammt gut.“ Subtil geht anders. Natürlich wird die Liebesaffäre am Arbeitsplatz von einer verflossenen Liebschaft gestört, die plötzlich das Feld betritt. Tolle Idee, darauf ist bestimmt noch niemand zuvor gekommen. Hinzu kommen die Zeichnungen, die wie eine schlecht überzeichnete Foto-Story daherkommen: Wir beobachten keine glaubhaft agierenden Personen, sondern schlecht posierende Darsteller. Dieser spezielle Stil von Ponzio, der zusammen mit Marazano schon am Schimpansenkomplex (Splitter, 2008-09) und am Pelikan-Protokoll (Splitter, 2013-15) gearbeitet hatte, mag Geschmackssache sein: meiner ist es definitiv nicht.

Dabei hätte das Setting so viel Potential: Man denke nur an die Kritik an einer allzu wirtschaftlich ausgerichteten EU („Fortress Europe“) oder das Auseinanderklaffen der sozialen Schere (wie weit geöffnet sie auch immer sei) sowie die Rolle von Massenmedien. All dies verspielen Marazano und Ponzio kolossal, indem sie ein interessantes Setting grafisch wie erzählerisch verkitschen, verhunzen und verderben. Wirklich schade. Das beste an diesem Comic ist der Hardcovereinband (dafür die zwei Punkte), danach geht es steil bergab.

Anschauungsbeispiel: So bitte nicht.

2von10Erinnerungen an den globalen Bürgerkrieg 1
Splitter, 2018
Autor: Richard Marazano
Zeichnungen: Jean-Michel Ponzio
Übersetzung: Tanja Krämling
56 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 14,80 Euro
ISBN: 978-3-96219-028-6
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