Wie immer, wenn das neue Jahr gerade so anfängt, schauen wir zurück auf die besten Comics, die wir im vergangenen Jahr gelesen haben. Ein Teil der Comicgate-Autoren hat wieder seine Lieblingscomics des letzten Jahres zusammengestellt. Darunter ein paar der üblichen Verdächtigen, aber auch einige echte Überraschungen. Hier sind unsere Topcomics 2017 – mal mit, mal ohne Ranking.
Unsere Topcomics der Vorjahre: 2009, 2010, 2011, 2012, 2013, 2014, 2015 und 2016.
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DIE TOP 3 VON GERRIT LUNGERSHAUSEN
Capricorn Gesamtausgabe 3 & 4 (von 7)
von Andreas
Schreiber & Leser
Die meisten der wahrscheinlich besten Comics des Jahres habe ich noch gar nicht gelesen. Aber die Gesamtausgabe der Capricorn-Serie des französischen Comic-Genies Andreas entschädigt dafür ganz und gar, die Neuerscheinungen von Marc-Antoine Mathieu (Otto), Manu Larcenet (Brodecks Bericht) oder Frank Miller (DK III) – ich weiß, letzterer ist Geschmackssache – noch nicht gesehen zu haben. Capricorn ist eine französische Serie (1996–2017) um den ermittelnden Astrologen Cap, der sich zwischen diversen Geheimorganisationen und allerlei dunklen Mächten behaupten muss. Das beeindruckende Seitenlayout von Andreas lässt einen sprachlos staunen, und die enorme Komplexität der divergierenden Interessen aller Figuren kann es absolut mit den politischen Hahnenkämpfen bundesdeutscher Sondierungsgespräche aufnehmen. [Zu Gerrits ausführlicher Capricorn-Rezension]
Nick Cave – Mercy On Me
von Reinhard Kleist
Carlsen Verlag
Nach Johnny Cash (2006) und Elvis Presley (2007) ist Starcomicbiograph Reinhard Kleist nun in das musikalische Niemandsland ausgewandert und hat dem künstlerischen Anarcho-Allrounder Nick Cave einen Comic gewidmet. Graphisch begeistert mich der expressive Strich Kleists mehr als jemals zuvor. Nick Caves Leben wird in wilden Sprüngen erzählt, hagiographischer Mythos und biographische Wirklichkeiten verschwimmen in den Illustrationen der Songtexte, wie schon bei Cash – I See a Darkness, aber in diesem Fall erscheint es noch plausibler, Künstler und Kunstwerk miteinander verschmelzen zu lassen. Kleist lässt Nick Cave den Nimbus des wilden Künstlers und versucht sich nicht in psychologischen Erklärungen. Wundervoll, dass zeitgleich ein großformatiges Artbook mit ausgesonderten Zeichnungen aus der Feder von Reinhard Kleist erschienen ist.
Nameless
von Grant Morrison und Chris Burnham
Cross Cult
Bekanntermaßen sind Comics, die man mehrfach lesen möchte oder muss, eine sinnvollere Investition als Einwegcomics – allein aus platztechnischen Erwägungen. Die Miniserie Nameless, die zuerst bei Image Comics erschien, verdient ein Bücherregal für sich allein. Die Story dieses Horror-Comics im SF-Gewand ist schwer zu erzählen: Der Asteroid Xibalba möchte ärgerlicherweise auf seiner Flugroute durchs All die Erde kreuzen, und ein kleines kosmonautisches Wissenschaftlerteam soll die Apokalypse verhindern. An Bord befindet sich auch der titelgebende Held ohne Namen: Nameless. Und genauso namenlos sind die Schrecken, die wir Leser mit ihm erleben. Grant Morrisons Erzählweise, Reales und Fiktives, Erlebtes und Geträumtes miteinander zu verschmelzen, ist eine echte Herausforderung an den Leser. Die Zeichnungen von Chris Burnham sind gewaltig und machen den Band zu einem Leseerlebnis.
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DIE TOP 5 VON CHRISTIAN MUSCHWECK
München 1945 Bd. 3
von Sabrina Schmatz
Schwarzer Turm
So kann’s gehen. Eigentlich wollte Sabrina Schmatz mit München 1945 nur eine Romanze vor dramatischer Kulisse erzählen, aber dann wurde sie sich der Verantwortung bewusst, die sie sich mit dem Setting aufgeladen hatte. Sabrina Schmatz erzählt mit einer fast unerreichten Leichtigkeit und ist doch nie leichtfertig. Das eigentlich abgegriffene Sujet der Trümmerzeit wirkt in München 1945 erfrischend neu, weil die Herangehensweise so anders ist als gewohnt. Deshalb begeistert bei dem Comic auch weniger der Stoff an sich, sondern der geschmeidige Erzählstil und die Entwicklung der Erzählerin. München 1945 ist seit den ersten Seiten zunehmend ambitionierter geworden, ohne dass das romantische Herzstück der Erzählung Schaden genommen hätte. Im Gegenteil wird die Liebesgeschichte immer spannender. Ich fiebere schon dem für 2018 angekündigten vierten Band entgegen.
Nameless
von Grant Morrison und Chris Burnham
Cross Cult
Eigentlich war ich mit Grant Morrison durch. Zu aufdringlich erschien mir sein Concept Writing für DC, man kam teilweise kaum mehr an dem Schotten vorbei, wenn man sich mit Superhelden beschäftigen wollte. Aber für Nameless hat er sich freigemacht von allem Superheldischen. Natürlich handelt es sich immer noch um einen Morrison-Comic mit vielen vertrauten Elementen, das Rad hat er mit Nameless nicht neu erfunden. Aber er hat mit Chris Burnham und Nathan Fairbairn die besten Künstler gefunden, die er sich für seine Gedankenwelt nur wünschen konnte. Morrison war schon immer so gut, wie seine Künstler ihn sein ließen, und Burnham und Fairbairn brauchten die Inspiration durch Morrison, um wirklich leuchten zu können. Guter Horror war schon immer eine Frage der Inszenierung und die ist bei Nameless außergewöhnlich gut gelungen. [Zu Christians Rezension]
Vereinte Kräfte (in Lustiges Taschenbuch 493)
Francesco Artibani und Paolo Mottura
Egmont Ehapa Media
Lange überfällig ist es, dass man nicht mehr müde lächelt über die Leser des Lustigen Taschenbuchs. Sicher, vieles aus der italienischen Disney-Schmiede ist Dutzendware, aber es finden sich auch erstaunlich viele Comicjuwelen darunter. Viele Episoden der Reihe „Der Neue Phantomias“ beispielsweise, die sowohl grafisch als auch erzählerisch die ausgetretenen Pfade weit hinter sich lassen. Auch die Nebenreihe „Agent DoppelDuck“ verblüfft immer wieder durch unkonventionelle Entwicklungen. In „Vereinte Kräfte“, dem ersten Crossover dieser beiden Helden, die ja eigentlich beide Donald sind, aber aus unterschiedlichen Universen, werden die Stärken beider Reihen deutlich: Die Grenzen zwischen einem Elseworlds-Ansatz, wie man ihn aus Superheldencomics kennt, und dem Duckverse, wie man es kennt, werden ausgelotet. Auf einmal scheint alles möglich.
Mickey’s Craziest Adventure
von Lewis Trondheim und Keramidas
Egmont Comic Collection
30 Euro für 48 Seiten? Das ist eine happige Ansage. Aber die liebevolle und – hüstel – „wertige“ Aufmachung mit Stoffrücken hat mich schnell überzeugen können, und auch erzählerisch ist Mickey’s Craziest Adventure herausragend. Trondheim und Keramidas verkaufen uns ihren Disney-Beitrag als Zusammenstellung verschollen geglaubter Comicseiten aus den 60ern (wer‘s glaubt). Das lässt sich auf zwei Ebenen lesen: Einmal als überdrehtes Abenteuer von Mickey und Donald, aber auch als moderne Spielerei mit der Form. Anhänger der ersten Lesart wünschen sich schon einen zweiten Band mit den „fehlenden“ Seiten, aber natürlich sind die Auslassungen Programm. Mit Leerstellen kann der geübte Leser des 21. Jahrhunderts schließlich umgehen. Die „lost pages“, die hier zusammengefasst sind, sollen ursprünglich in einem 12-Cent-Heft abgedruckt gewesen sein. Kein Wunder, dass diese Seiten so selten sind: Die alten Hefte waren so billig, dass man den Wert nicht erkannte und sie einfach achtlos wegwarf. Das wird mit der Stoffrücken-Ausgabe von 2017 sicher nicht passieren.
Eine geheimnisvolle Melodie
von Cosey
Egmont Comic Collection
Der Schweizer Cosey begeistert schon seit Jahrzehnten mit meditativen Erzählungen wie Die Reise nach Italien oder Auf der Suche nach Peter Pan. Aber auch Geheimnisvolle Melodie, Coseys erster und wahrscheinlich einziger Comic mit Disney-Figuren, ist ein typischer Cosey geworden. Er hat die gleiche entschleunigte Erzählweise und die bewährte klare Linie, die man von ihm gewohnt ist, nur eben etwas reduzierter und den cartoonigen Vorgaben angepasst. Cosey orientiert sich an den ursprünglichen Disney-Figuren und erzählt mit ihnen eine romantische Komödie im Stil alter Ernst-Lubitsch-Filme. Das ist eben der Cosey-Weg, nicht zu verwechseln mit Loisels Ansatz, dessen Disney-Beitrag Café Zombo sich sehr stark an den Gottfredson-Strips orientiert und auch unbedingt nähere Betrachtung verdient. Aber gerade Coseys verliebten Mäusen könnte ich noch viel länger zusehen. Deshalb ist sein Disney-Band auch einer meiner Favoriten 2017.
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DIE TOP 4 VON DANIEL WÜLLNER
The Best We Could Do (US)
von Thi Bui
Abrams ComicArts
Selten sind es Superhelden-Comics, die mich wirklich emotional bewegen. Dieses Gefühl setzt nur dann ein, wenn ein Autor mir seine Figuren und deren Entscheidungen glaubhaft vermittelt. Das gelingt Thi Bui in ihren graphischen Memoiren The Best We Could Do. Die Tatsache, dass ihre Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht, trägt zu diesem Gefühl bei. Bui ist Vietnamesin und mit ihrer Familie im Vietnamkrieg nach Amerika geflohen. Ursprünglich als Universitätsprojekt begonnen, sammelte Bui Bilder und Geschichten aus ihrer Vergangenheit. Geschickt verbindet sie ihre aktuelle Situation in den USA mit Rückblicken aus dem Krieg. Da sie gerade Mutter geworden ist, reflektiert sie über ihre neue Rolle, die Beziehung zu ihren Eltern und deren Entscheidungen. Sie stellt sich Fragen, warum ihre Eltern gerade zu diesen Menschen geworden sind, und beschreibt dazu deren Herkunft und Taten. Aus der selbstbewussten jungen Frau von damals ist durch die vielen Schicksalsschläge die heute stets kontrollierende Mutter geworden, die für ihre Kinder alles tun würde. Der griesgrämige und verbohrte Vater wird wieder zum kleinen Jungen eines egoistischen Vaters. Schlüsselmoment für die Familie ist die Flucht mit einem Boot. Von einer Seite auf die nächste brechen die Zeichnungen plötzlich ab. Stattdessen erwidert Familie Bui den Blick der Leser – von ihren Flüchtlingsfotos. Dies ist unsere Geschichte, sagen sie. Ähnliche Momente entstehen in Biopics, in denen die beschriebene Person selbst als Schauspieler auftritt. Welchen Menschen diese Erinnerungen aus Bui machen, verrät die Autorin nicht. Muss sie auch nicht, denn zu diesem Zeitpunkt hat sie eine bewegende Chronik einer vietnamesischen Familie erzählt und Vietnams Historie gezeichnet, die nicht so schwarz und weiß ist, wie unser kulturelles Gedächtnis das zur Vereinfachung gerne hätte.
Forbidden Brides of the Faceless Slaves in the Secret House of the Night of Dread Desire (US)
von Neil Gaiman und Shane Oakley
Dark Horse
Sieht so das Gegenteil einer Edgar-Allan-Poe-Erzählung aus? Wenn Realismus Fantasie ist und das Fantastische zur Norm wird. Gemeinsam mit Künstler Shane Oakley erzählt Neil Gaiman eine Schauergeschichte, bei der jedes Klischee in sein Gegenteil verkehrt wird: So sitzt der von Selbstzweifel zerfressene Autor in seinem dunklen Büro samt Raben und versucht, seine Geschichte zu vollenden. Doch egal welchen Topos er bemüht, am Ende kommt nur Alltägliches heraus: die Schöne, die von dämonischen Wölfen verfolgt wird, das Degenduell mit dem untoten Bruder oder das Blutritual im Keller. Warum will es ihm nicht gelingen, etwas wirklich Verstörendes oder wenigstens etwas Gruseliges zu Papier zu bringen? Wie zum Beispiel das bis ins Mark erschütternde Abgeben einer Steuererklärung oder die schaudernde Unterhaltung mit dem Milchmann. Damit sich diese Idee visuell trägt, hüllt Oakley die Figuren in dunkle Umhänge mit viel Faltenwurf und setzt auf die Nase jeder Hexe noch eine Warze extra. Mit seiner nachtblauen Kolorierung übertreibt er alle Klischees ebenso wie Gaiman es seinerseits auf der Textebene tut. Forbidden Brides of the Faceless Slaves in the Secret House of the Night in Dread Desire ist eine wunderbare Gruselparodie.
X-Men Grand Design 1 (of 2) (US)
von Ed Piskor
Marvel Comics
Mit speziellen Plastiktüten schütze ich meine alten Comics gegen den Gilb – diese fiese Oxidation, die aus Blütenweiß dreckiges Gelb macht. Bei Ed Piskor ist der Gilb Teil des Konzepts: Den gelblichen Hintergrund, den er extra für seine Comicserie Hip Hop Family Tree entwickelt hat, verwendet er auch bei X-Men: Grand Design. Darin erzählt Piskor auf wenigen Seiten die Entstehungsgeschichte der X-Men nach. Das ist weder eine neue Origin-Story, noch ist es X-Men für Dummies, sondern eine nostalgische Ode an die ersten Uncanny X-Men-Ausgaben aus den 60er Jahren. Zusätzlich zur Handlung der Serie fügt Piskor Querverweise ein, die auch in anderen X-Men-Comics auftauchen. Hier tun sie dies nur nicht als Fußnoten, sondern ergänzen die laufende Handlung direkt in den Panels: So erfährt der Leser den genauen Augenblick, in dem sich die Kraft von Phoenix für Jean Grey als Körper entschieden hat. Außerdem wird erzählt, wie der Unfall der Familie Summers damit zusammenhängt. Piskor lässt mit seinem Gilbgelb Erinnerungen wiederaufleben und weckt das Bedürfnis, aktiv am großen Design der X-Men-Geschichten teilzunehmen. Wenn mich jemand fragen würde, woher die Mutanten aus dem Kino kommen, dem würde ich die Lektüre von Grand Design empfehlen.
My Favorite Things is Monsters (US)
von Emil Ferris
Fantagraphics Books
Dieser Comic ist ein Monster. Er ist verstörend schön, auf kindliche Weise ehrlich und dabei brutal fantasievoll. Mit ihrem Debüt My Favorite Things is Monsters hat die 55-jährige Künstlerin Emil Ferris die Comicwelt 2017 nachhaltig beeindruckt. Auf dem Klappentext gratulieren ihr Art Spiegelman, Chris Ware und Alison Bechdel. Das amerikanische Feuilleton überschlägt sich mit Lob. Aber was macht Ferris anders? Sie mischt die beiden Grundzutaten eines jeden Comics – Zeigen und Erklären – auf erfrischend neue und intelligente Weise. Auf fast 400 Seiten erzählt Ferris die Geschichte der 10-jährigen Karen im Chicago der 60er Jahre. Ähnlich wie in Henry James’ Roman What Masie Knew zeigt und erklärt Ferris die Handlung aus der Perspektive des Kindes. Doch im Gegensatz zur kleinen Masie ist Karen weder unwissend noch naiv. Sie malt ihre Erlebnisse und ihre Fantasiegeschichten mit Kugelschreiber auf liniertes Papier – in einen Block samt Perforierungen und Spiralbindung. Dabei fallen Panelstruktur und feste Erzählhaltung weg. Das rigide Korsett des Comics verschwindet. Das schafft Freiraum. Denn nutzt Ferris aus, um zu Fabulieren: In Karens Fantasie verwandeln sich Figuren in Monster und wieder zurück, Fiktionen werden zur Realität und Gemälde öffnen neue Interpretationswege direkt in ihr Innerstes. So wird aus hingekritzelten Randnotizen in einem Schulblock eine Spurensuche – zurück in die Nazizeit. Ferris verbindet Trash mit Kunstgeschichte, Historie mit Fiktion. Für diese Art von Erzählung wurden Comics geschaffen. Diese Art von Erzählung schaffen nur Comics.
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DIE TOP 5 VON JAN-NIKLAS BERSENKOWITSCH
Der Beste:
Deae ex machina 4: Das Feuer der Ormuzd-Schale
von Frank „Erik“ Weißmüller
Kult Comics
Ich liebe Überraschungen und ich liebe es, meine Zuneigung für alte Sachen zu entdecken. Auf Deae Ex Machina Band 4 traf beides zu. Worum geht es? Drei Göttinnen reisen durch die Zeit und versuchen einen Wahnsinnigen davon abzuhalten, Millionen von Menschen zu töten. Nicht dass sie groß an der Menschheit hängen würden, aber mehr Tote bedeutet weniger Arbeit für sie. Also manipulieren sie die Sterblichen über mehrere Jahrhunderte hinweg in der Vergangenheit und Gegenwart, damit die Zukunft nicht ganz so duster aussieht.
Ein großes Problem der alten Bände war, dass nicht klar war, wo die Geschichte hingehen würde und dass es wenig menschliches Drama gab. Davon hat Deaes Schöpfer, Frank Weißmüller alias Erik, endlich nachgelegt und damit auch den bisher besten Band der Reihe geschaffen. Alte Fäden werden endlich aufgelöst, Charaktere wachsen dem Leser ans Herz und endlich zeichnet sich nicht nur ab, wo die Geschichte hingeht, sondern was Weißmüller thematisieren möchte. Alles passt zusammen in diesem komplexen Garn und es machte mir Spaß, die ersten Bände neu zu lesen und endlich all die kleinen Details zuvor zu verstehen. Die Zeichnungen sind auch noch einmal schlanker und schöner geworden (Erik hat seine Vorliebe für schöne Frauen genauso wenig verloren wie seine Obsession für Blut und Schweiß). Dieses Jahr soll der letzte Band endlich herauskommen und ich kann es kaum erwarten und hoffe, dass dieser ebenfalls mein liebster Comic in 2018 sein wird.
Der Nachdenkliche:
Stupor Mundi – Das Staunen der Welt
von Néjib
Schreiber & Leser
Die Zeichnungen von Stupor Mundi sind schlicht, die Figuren wortkarg und doch hat es so viel zu sagen. Es geht um die Wissenschaft, die Suche nach Wissen und dass es in den Händen weltlicher Herrscher tatsächlich Macht sein kann. In einem Schloss des mittelalterlichen Monarchen Friedrich II. der Staufer wurden Gelehrte versammelt, um das finstere Mittelalter zu erleuchten. Zumindest offiziell. In Wirklichkeit geht es um den Kampf des Kaisers gegen den Papst und Friedrich hofft, dass ihm ein arabischer Wissenschaftler mit einem revolutionären Verfahren zum Sieg verhelfen wird. Der Gelehrte tut es aus eigennützigen Gründen und macht sich damit nicht nur Freunde.
Stupor Mundi erzählt eine spannende Geschichte, aber seine nachdenklichen Töne über die Rolle des Wissens machen wirklich das Herz des Einzelbandes aus. Wissen allein macht den Menschen nicht besser, scheint Autor und Zeichner Néjib sagen zu wollen, es muss mehr geschehen. In der Ignoranz zu verbleiben, hilft allerdings auch nicht, da es Leuten wie Friedrich und dem Papst erst ermöglicht, über die Geschicke der Menschen zu verfügen, wie es ihnen beliebt. Im politischen Klima der heutigen Zeit ist der Comic leider hochaktuell. Hoffentlich wird uns das Licht des Wissens doch noch erleuchten.
Der Unbekannte:
Afterlife Inc. Vol. 4: Man made God (UK)
von Jon Lock
Big Punch Studios
Afterlife Inc., Jon Locks Serie über ein anarchistisch-sozialistisch-korporativ geführtes Leben nach dem Tod, ist aus meiner Sicht einer der besten Comics, die niemand kennt. Dabei hat die Serie alles was es braucht, um ein großer Hit zu werden: Ein diverses Cast an Charakteren, ein großes und kreatives Setting (der Tod nimmt tatsächlich viele Gestalten an) und die Geschichten sind spannend und mysteriös zugleich. Lock veröffentlichte die ersten beiden Bände als Kurzgeschichtensammlungen und erzählte mit dem dritten einen unterhaltsamen Kampf zwischen „Stupid sexy Vampires“ und der Hauptfigur Jack Fortune und deren Firmenvorstand. In Band 4 ist die Atmosphäre düsterer und ernster und die Handlung tritt im Vergleich zum Vorgängerband zugunsten der Thematiken zurück. Es wird infrage gestellt, ob eine Gesellschaft tatsächlich einfach neu anfangen kann, wenn die alten Strukturen seit Ewigkeiten bestehen und deren Bürger beeinflussen. Und worauf bauen die Leute an der Spitze ihre Autorität auf? Auf Vertrauen, Unterdrückung oder aus Tradition? Ganz beantwortet Lock diese Antworten noch nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass er genau weiß, wo die Geschichte hingehen wird. Zwei Bände sollen noch kommen. Ich bin gespannt und hoffe auf ein glückliches Ende, selbst im Leben nach dem Tod.
Das Kleinod
Mr. Higgins Comes Home (US)
von Mike Mignola und Warwick Johnson Cadwell,
Dark Horse
Mr. Higgins Comes Home lebt von den abstrakten Zeichnungen des Zeichners Warwick Johnson Cadwell, da Mike Mignolas Geschichte diesmal sehr einfach ausgefallen ist. Wir durchstreifen dunkle Korridore eines Schlosses, das aus dem Tanz der Vampire stammen könnte und mit den Blutsaugern gefüllt ist. Sie planen die Zerstörung der Welt, aber statt an die Arbeit zu gehen, feiern sie lieber sich selbst. Die Guten, zwei Vampirjäger, sind auch nicht besser, sie haben das Herz am rechten Fleck, sind aber ineffektiv und schlecht im Improvisieren. Und zwischen ihnen steht der arme Mister Higgins, der einfach nur seine Frau wiedersehen möchte.
Es ist absurd, wie diese Trauergestalten versuchen, ihre Ziele zu erreichen, obwohl sie dafür so ungeeignet sind, wie den Lesern am Ende bewusst wird. Der Schluss ist es auch, der Mr. Higgins Comes Home zu etwas Besonderem für mich macht, denn er fasst die gesamte Geschichte mit lakonischem Humor zusammen und wirkt viel schrecklicher, als es aller existenzieller Horror je tun könnte. Manchmal verschwimmen die Grenzen zwischen Tragödie und Komödie so sehr, dass man sie nicht auseinanderhalten kann. Mr. Higgins macht vor, wie das aussehen kann.
Mignolas wahrer Nachfolger
The Complete Doc Unknown (US)
von Fabian Rangel Jr, Ryan Cody, Phil Sloan, Jim McMunn und John Broglia
Dark Horse
Fabian Rangel Jr’s Serie kaufte ich dieses Jahr digital im Sale und las sie in einem Rutsch durch. Danach kaufte ich den physischen Sammelband, weil man die Abenteuer des unbekannten Doktors unbedingt im Regal stehen haben sollte.
Rangel hat scheinbar fast alles eingebaut, was er cool findet: Untote, mystische Mächte, Helden, die Nazis vermöbeln und schräge Monster. Und es macht einfach Spaß in diesem kleinen Universum zu versinken, das der Autor innerhalb von drei Bänden kreiert und zu Ende bringt. Ist das Ergebnis immer rund? Nein, Rangel war da noch nicht so erfahren, aber die Figuren waren immer gut greifbar und er hat bei aller Coolness nie vergessen, gutes Drama einzubauen. Die beste Geschichte erzählt er mit dem Album „Boss Snake“, der Biographie einer Nebenfigur von Doc Unknown, deren emotionale Tiefe mich an die besten Momente von Hellboy erinnert. Und wie Mike Mignola macht Rangel vielleicht nichts neu, aber seine Geschichten lesen sich wieder frisch, nicht weil er den Lesern gibt, was sie denken was sie wollen, sondern weil er die Geschichten erzählt, von denen er weiß, dass er sie erzählen will. Für mich ist er damit der wahre Nachfolger des Hellboy-Papas, den Rangel in der Atmosphäre und im Aufbau der Bildsprache stark zitiert.
Ich bin wirklich gespannt, wie es mit ihm weitergehr, jetzt wo er spaßige Serien wie Namwolf (Werwölfe) oder Two Brothers (ein Luchador und sein Bruder verhaften für die Polizei Werwölfe. Passt) schreibt und ich hoffe, dass er weiterhin besser wird. Vielleicht übernimmt er irgendwann sogar Chris Robersons Platz als Autor von Hellboy and the B.R.P.D., der den Fans bisher nur den alten Kram neu aufgelegt vorlegte. Hoffen kann man ja.
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DIE TOP 5 SUPERHELDENCOMICS VON STEFAN SVIK
Platz 1: Wählt Loki
von Christopher Hastings und Langdon Foss
Panini Comics
Loki auf den Spuren des schlechtesten US-Präsidenten aller Zeiten. Wie kann es sein, dass eine Witzfigur, ein Phrasendrescher, ein Dummschwätzer und Nichtskönner mit so offensichtlich schlechtem Charakter Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird? Das fragt sich eine idealistische, junge Journalistin und liefert dem Stiefbruder von Thor mit ihrer Recherche sogar noch unfreiwillige Hilfe beim Wahlkampf. Fake-News, alternative Fakten, medialer Zirkus und geballter Schwachsinn: Wählt Loki ist der klügste und lustigste Superheldencomic 2017!
Platz 2: Marvel-Klassiker – Thor
von Stan Lee, Jack Kirby, Neal Adams u.a.
Panini Comics
Auch weil er die Vorlage (zumindest eine der Vorlagen, neben Planet Hulk u. a.) für den wunderbar schrägen Kinofilm Thor: Ragnarök (dt.: Tag der Entscheidung) enthält, ist dieser Sammelband mit Klassikern die helle Freude. Lee und Kirby auf der Höhe ihrer Kunst. Für einen Doodle bei Google haben die Fan-Stimmen nicht gereicht; schön, dass der König der Comics zumindest mit Neuauflagen wie diesem extra dicken Wälzer geehrt wird.
Platz 3: The Punisher
von Becky Cloonan und Steve Dillon
Panini Comics
Ein gestricktes Punisher-Logo! Eine Fahrt mit der Oma durch den Hühnerstall. In bester Tradition von Ennis und Dillon erzählt der aktuelle Punisher-Run herrlich überzogene, neue Abenteuer von Frank Castle. Nicht so sehr Ensemble-Leistung wie die Netflix-Serie, sondern guter alter Frank. Ruhe in Frieden, Steve Dillon, dein Werk bleibt unvergessen.
Platz 4: LDH – Liga Deutscher Helden 1: Vorboten
von Jan Dinter, Oliver Naatz, Martin Frei, Gerhard Schlegel u.a.
LDH Comics/Contentkaufmann
Es fängt bereits beim Hochglanzcover und dem Papier an: Diese Hefte sind auf dem selben Niveau wie die Panini-Superheldencomics von Marvel und DC. Zeichnerisch eine helle Freude. Für die deutsche Comicszene ein wundervolles Vehikel, um auf heimische Autoren und Zeichner aufmerksam zu machen und mal eine erfrischende lokale Note in dieses international so erfolgreiche Comicgenre zu bringen. Aktuell noch nicht ganz so charmant und ausgereift wie die Austrian Superheroes und dank einem Overkill an Dialekten und arg gewöhnungsbedürftigen Figuren wie dem Kölner Jeck noch etwas krude und von der Story her etwas zu unausgegoren, aber schön, dass es dieses Crowdfunding-Projekt überhaupt geschafft hat – sehr ermutigend für Deutschland!
Platz 5: Huck – Held wider Willen
von Mark Millar und Rafael Albuquerque
Panini Comics
Ein lieber Kerl. Schüchtern, hilfsbereit, von Beruf Tankwart und privat ein Junggeselle, der mit seinem Leben zufrieden erscheint. Dann ändert sich plötzlich alles, Supermächte und internationale Konflikte verwandeln Huck und sein verschlafenes Nest in den USA. Ein typischer Mark Millar, leider bei weitem kein Kick-Ass, aber auch mehr als Durchschnittskost. Gut gemachte Unterhaltung. Wunderbar gezeichnet. Ganz und gar liebenswert. Wäre schön, wenn 2018 das Jahr von Typen wie Huck wäre: Menschen, die Gutes tun, ihren Job anständig erledigen, ohne das an die große Glocke zu hängen. Maulhelden sind so 2017.
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