Die Welt, 1600 Jahre nach Adam und Evas Vertreibung aus dem Paradies, ist ein trostloser, öder Ort geworden. Die Menschheit hat es sich mit Gott verscherzt, überall herrscht Raub, Mord, Vergewaltigung und Inzucht. Es ist die Zeit, in der Noah seine Arche baut, um einen Neuanfang zu starten. Doch Noah spielt in diesem Stück nur die zweite Geige. Autor Jason Aaron interessiert sich vor allem für Cain, den ersten Mörder, der nach dem Mord an Abel unter Gottes besonderem Schutz steht. Gott hat ihn mit dem Kainsmal versehen, das ihn vor Rache und Gewalt jeglicher Art bewahren sollte. Jason Aaron deutet die bekannte Geschichte um das Kainsmal so um, dass Cain fortan dazu verdonnert ist, ewig auf der Welt zu wandeln, um Zeuge deren Verfalls sein zu müssen. In einer Welt, die so grausam ist, dass bereits die Babys Narben und Wunden haben, ist er als einziger auf ewig unversehrt und narbenlos.
Sicher, The Goddamned ist beinharter Fantasystoff im Bibelsetting, aber schon die erste Szene macht deutlich, dass auch der Italowestern einigen Einfluss hatte. Gleich der pinkelnde Junge im ersten Bild erinnert an den Anfang von Sergio Leones Todesmelodie, und das Setting, ein pflanzenloses Dreckloch, weckt Erinnerungen an Sergio Corbuccis Django. Zudem ist Cains erste Handlung der Story typisches Wildwest-Material: Er stellt eine Räuberbande, die ihm seine Ausrüstung geklaut hat und nimmt widerwillig einen Auftrag an, bei dem er vielleicht etwas Gutes bewirken kann. Er ist gutaussehend wie Giulliano Gemma im Film Ringo (auch genannt Angel Face), und die Spannung, die schon dadurch entsteht, dass er zwar strahlend schön ist, aber den Ballast der Welt auf den Schultern trägt, erinnert an die tragischen Figuren, die Franco Nero und Jean Louis-Trintignant in Django bzw. Leichen pflastern seinen Weg verkörpert haben. Ein Mörder auf der Suche nach Vergebung, die er nie bekommen kann.
Man konnte ja schon seit längerem sehen, dass Jason Aaron viele Gemeinsamkeiten mit Garth Ennis hat, dem Autor von Preacher, Hellblazer und The Punisher. Oft schon hat Aaron Elemente von Ennis wieder aufgegriffen und variiert, am deutlichsten sicherlich in der ultrabrutalen Serie The Punisher Max, die Aaron in direkter Folge nach Ennis fortschrieb. Aber immer wieder zeigt sich auch, Jason Aaron schreibt die besseren Plots. Während Garth Ennis oft mäandert und dabei zu Wiederholungen neigt, plant Aaron seine Stories viel präziser bis in die verästelten Nebenstränge hinein. Man kann durchaus sagen, dass Ennis in Jason Aaron seinen Meister gefunden hat. Gleichzeitig ist Aaron aber noch bösartiger in der Erzählhaltung. Während Garth Ennis oft das Happy End in seinen dunklen Geschichten sucht, treibt Aaron jede noch so derbe Eskalation ungerührt voran. Das war in seinem Meisterwerk Scalped der Fall und wiederholt sich in The Goddamned noch einmal auf zugespitzte Art und Weise.
The Goddamned ist übervoll mit Versatzstücken, die man aus Garth Ennis‘ Comics kennt. Das beginnt schon bei der Unverwundbarkeit von Cain, die an den ebenso unzerstörbaren Cassidy aus Preacher erinnert. Das erreicht auch bei Aarons Comic absurde Dimensionen, wenn beiläufig erwähnt wird, dass Cain mal in einen Vulkan sprang, um ein Ende zu finden, mal unter einer Steinlawine den Tod suchte und jedes Mal unbeschadet und unversehrt wieder darunter hervorkam. Anders als bei Ennis fehlt hier aber der leichte Tonfall. Ennis ist gerne mal albern, Jason Aaron nie.
Beide, Aaron und Ennis, erzählen davon, dass es die Hölle auf Erden wäre, gäbe es tatsächlich den biblischen Gott, der mit seinen Auserwählten redet, aber während Ennis diese Idee nie zu Ende diskutiert, hält Aaron unbarmherzig den Fokus auf diese Prämisse und seziert sie. In einer Rückblende zeigt er Adam und Eva, frisch vertrieben aus dem Paradies, einen Platz in der Welt suchend. Voll Zuversicht spricht Adam zu seinen Kindern: „Es ist nicht das Paradies, Jungs, aber es ist nah dran. Und das Schönste, wir haben es für uns alleine.“ Seine Frau Eva ist anderer Meinung: „Du weißt, Adam, dass das nicht wahr ist. Gott wird uns nie …“. Weiter kommt sie nicht, denn Adam fährt ihr böse ins Wort: „Jungs, sagt eurer Mutter, sie soll nicht weiter lügen, die Hure. Sonst stopfe ich ihr den nächsten Apfel in die Fresse.“ Ja, diese Sprache muss man abkönnen, wenn man The Goddamend liest. Aaron reibt uns den misogynen Hintergrund der Erzählung über die Erbsünde deutlich ins Gesicht. Die Vertreibung aus dem Paradies war unfair und willkürlich, aber Adam tuts dem Schöpfer gleich und tritt nach. Aus derart verkorksten Verhältnissen stammend ist klar, dass auch aus den Kindern nichts Gutes werden kann: Cain tötet Abel und Gott lässt die ganze Menschheit vor die Hunde gehen. War es nicht in Preacher, dass Gott zur Rechenschaft gezogen werden sollte für sein Versagen? Ditto bei The Goddamned. Aber Preacher war nur eine schräge Komödie, The Goddamned ist ernst.
Enter Noah: Er ist der einzige, der in Kontakt mit Gott steht. Er baut allen Ernstes die Arche, um mit seiner Familie und den Tieren die angekündigte Flut zu überstehen und mit Gott den neuen Bund zu schließen. Fast möchte man schreien, so bescheuert klingt Aarons Vorhaben, bibeltreue Fantasy mit hohem Gewaltfaktor zu inszenieren. Versucht Aaron – obwohl bekennender Atheist – sich Mel Gibsons Passion of the Christ anzunähern? Aber Aaron hat diesen Noah sehr abgründig angelegt. In seinem Wissen, dass er der Auserwählte ist und der Rest der Welt dem Untergang geweiht, ist Noah der eigentliche Dämon der Story. Er misshandelt seine Mitmenschen und richtet Kinder zu Kampfhunden ab – im Gegensatz zu den Tieren, die selbstverständlich ihren Platz in der Arche finden dürfen. Die Gewissheit, Gott auf seiner Seite zu haben, lässt ihn zum rücksichtslosen Monster werden.
R. M. Guera inszeniert diese böse Untergangsphantasie in wuchtigen Bildern, die Aarons radikale Auslegung des Alten Testaments zum erschütternden und aufwühlenden Gesamtkunstwerk machen. Die Blasphemie ist plakativ und grell, verdichtet sich aber bei aller Thesenhaftigkeit auch zu einer pointierten Religionskritik, die man durchaus als Angriff auf den amerikanischen (und auch sonstigen) Fundamentalismus sehen kann. Ihr wollt Gott auf eurer Seite haben? Dann denkt bitte daran, was diese Annahme mit euch anrichtet und was das für die bedeutet, die nicht auf eurer Seite sind.
Die Geschichte um Cain und Noah ist übrigens mit dem vorliegenden Buch abgeschlossen und endet mit einer bösen Pointe. Für das zweite Buch, es wird den Titel The Virgin Brides haben, sind neue Figuren angekündigt. Ich hoffe trotzdem darauf, dass wir in späteren Folgen Cain noch einmal wiedersehen. Vielleicht bringt er ja wie der Saint of Killers in Preacher am Ende Gott um, um die Menschheit zu befreien. Bei allen Parallelen zu Ennis‘ Werk ist das durchaus vorstellbar. So oder so wird der Aaron-Touch noch einige Überraschungen bereithalten.
Dark Fantasy im Alten Testament. Präzise und verstörend.
Image Comics, 2017
Text: Jason Aaron
Zeichnungen: R. M. Guera
152 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 9,99 US Dollar
ISBN:978-1-63215-700-3
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