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Shame – Tochter des Bösen

Seit 100 Jahren hilft Mutter Tugend, die reinste Seele, mit ihrer Magie den Menschen in ihrer Umgebung. Von allen wird die alte Frau geliebt, egal ob alt oder jung. Nur ihr sehnlicher Kinderwunsch hat sich in all ihren Lebensjahren leider nicht erfüllt. Doch als der Dämon Spott seinen Samen heimlich pflanzt, erwartet Mutter Tugend plötzlich doch noch Nachwuchs. Das Kind, auf den Namen Schande getauft, ist von böser Natur und wird von seiner Mutter in ein, immerhin liebevoll ausgestattetes, Gefängnis gesteckt, wo das junge Mädchen ohne Kontakt zur Außenwelt aufwachsen soll.

Alle Abbildungen: © Splitter-Verlag

Alle Abbildungen: © Splitter-Verlag

Und wie so oft bei Kindern, die von ihren Eltern abgewiesen oder vernachlässigt werden, entwickelt auch Schande mit zunehmendem Alter ihre eigene Sichtweise auf die für sie ungerechte Welt, welche sie in ihrem Freiheitsdrang einschränkt. Instrumentalisiert von ihrem dämonischen Vater, sinnt sie auf Rache an ihrer vermeintlichen Rabenmutter und mutiert dabei zur gefürchteten Handlangerin des Bösen.

Die Geschichte, die sich der Kanadier Lovern Kindzierski ausgedacht hat, könnte man am ehesten als morbides Märchen betiteln. Der Autor, der eigentlich vorwiegend als Kolorist arbeitet, vermengt ein paar klassische Zutaten – wie z.B. die Abgrenzung zwischen Gut und Böse oder die sich auf einer grundsätzlichen Moralebene bewegenden Stereotypen – mit phantastischen Elementen und einer gelegentlich mitschwingenden Erotik. Der Racheschwur der zur jungen Dame herangereiften Schande ist dabei nur Inhalt von einem der ursprünglichen  drei Akte bzw. Bände, die der Splitter-Verlag in seinem Komplettband abgedruckt hat. Die Handlung nimmt nämlich eine entscheidende Wendung, als Schande selbst ein Kind gebärt, wobei Mutter Tugend eine wichtige Rolle spielt.

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Shame – Tochter des Bösen funktioniert jedoch nicht als die fesselnde Fantasy-Story, als die sie auf den ersten Blick erscheint. Dafür sind die Figuren und deren Spiel nicht beweglich genug. Zu starr, schablonenhaft agieren sie in einer hübsch anzuschauenden Welt zwischen traumwandlerischer Schönheit und überzeichneter Groteske. Vor allem durch die geschwollenen, bedeutungsschangeren Texte liest sich der Comic doch eher als hochtrabendes Märchen. Die zumeist halbnackt auftretenden, bildhübschen Frauen erwecken hingegen zu sehr den Eindruck, als wollte man hier eine phantastische Kulisse fabrizieren, vor deren Hintergrund man sich grafisch in jeglicher Hinsicht austoben darf. Und die den Weg bereitet für ein bemühtes Kokettieren mit erotischen Inhalten.

Immerhin hat Kindzierskis Erotik-Schauermärchen mit dem britischen Künstler John Bolton ein echtes Schwergewicht der Branche bei der Hand, um all die hervorstechenden Chrakteristika (schöne Frauen, Magie, Dämonen) gekonnt, plastisch und imposant zu bebildern. Insofern dürfte viele Leser, die Bolton von seinen Werken mit Neil Gaiman oder Clive Barker oder von seiner Serie Marada – Die Wölfin kennen, das Artwork allein zum Kauf animieren. Mit seinen oftmals fotorealistischen Gemälden und einer starken Kontrastierung von freundlich gestalteter Schönheit und verunstaltet bzw. abstrahiert gezeichnetem Bösem, ist es Bolton gelungen, bei dem inhaltlich schnell zu überfliegenden Comic zumindest dafür zu sorgen, dass die Grafik am Ende deutlich nachhallt.

Ein morbides Märchen, das vor allem durch seine Bilder spricht und in Erinnerung bleibt

Shame – Tochter des Bösen
Splitter-Verlag, 2015
Text: Lovern Kindzierski
Zeichnungen: John Bolton
Übersetzung: Gerlinde Althoff
184 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 29,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-217-5
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