Greg Rucka ist hierzulande kein allzu großer Name – trotz Lazarus, Black Magick und Gotham Central. Ob Stumptown dies ändern wird?
Um ihre Kasino-Spielschulden zu begleichen, nimmt die Privatdetektivin Dex Parios einen auf den ersten Blick einfachen Auftrag an: Sie solle, so wünscht es sich die kasino-leitende Großmutter der Verschwundenen, die 18-jährige Charlotte finden. Bei ihrer anschließenden Suche trifft Dex auf erheblichen Widerstand, ohne genau zu wissen, von welcher Seite dieser kommt.
Ihr zuverlässig aufsässiges Verhalten und die Verpflichtung Ruckas auf Krimi-Konventionen führen dazu, dass manche Szenen und Figuren wenig überraschend daherkommen und eher klischeehaft erscheinen: „Wissen Sie, wer ich bin?“, fragt der Unbekannte, der Dex von rabiaten Handlangern hat entführen lassen, und Dex antwortet, „Sie sind Hector Marenco.“ – „Das ist mein Name. Ich habe gefragt, ob Sie wissen, wer ich bin.“ Und da wissen wir natürlich schon: Das ist der reiche Kriminelle mit pompösem Haus am See, den man so gut zu kennen glaubt, als würde es ihn tatsächlich geben, den Drogenbaron, Waffenlieferanten und Schutzgeldkönig, der im Hintergrund die Strippen zieht. Immerhin entgeht Rucka bei seiner Hauptfigur dem Klischee, demzufolge der Hardboiled-Held sonst natürlich männlich ist.
Dex hat eine große Klappe, viel Humor und muss Sprüche, Schläge wie auch Kugeln einstecken, vor denen sie nur eine schusssichere Weste schützen kann. Stumptown ist spannend, wenn auch weniger spannend als unterhaltsam, aber auch weniger unterhaltsam als stimmungsvoll. Der eigenwillige Charakter der Heldin, deren Blessuren sie auszeichnen wie eine standhafte Boxerin, ist das eigentliche Thema der Serie.
Auch Marenco hat ein Interesse, Charlotte zu finden, wenngleich seine Motive zunächst im Dunkeln bleiben. Marenco hat zwei Kinder, die widerspenstige Isabel und den tumben Oscar, die darum wetteifern, den kriminellen Vater am tiefsten zu enttäuschen. Aber tatsächlich haben beide etwas mit Charlottes Verschwinden zu tun. Und schließlich müssen wir uns fragen: Liegt überhaupt ein Verbrechen vor?
Rucka erzählt nicht chronologisch, sondern beginnt in medias res, um dann uns desorientierte Leser*innen Stück für Stück an diesen Ausgangspunkt heranzuführen: „siebenundzwanzig Stunden zuvor“, „dreiundzwanzig Stunden zuvor“, „vierzehn Stunden zuvor“, „elf Stunden zuvor“ etc. Allzu ambitioniert ist dieses Erzählen aber nicht: Den Sprüngen kann man recht mühelos folgen, zugleich hält sich die Spannung, die er dadurch erzeugt, sehr in Grenzen.
Ähnlich weitschweifig wie der umständliche Titel des ersten Bandes, Der Fall des Mädchens, das sein Shampoo mitnahm (aber seinen Mini zurückliess), kommt auch das Vorwort von Matt Fraction (Sex Criminals) daher, das sich nur deshalb auf vier Buchseiten unterbringen ließ, weil der Verlag sich für die Schriftgröße „winzig“ entschied. Fraction ist voll des Lobes: „Stumptown ist die perfekte Bühne für alles, was in Gregs Kopf vorgeht – das Große und Fantastische, das Menschliche, das Reale, das Unheimliche. Es ist die Art von Idee, nach der Autoren ihr ganzes Leben lang suchen, bevor sie sie finden. Und bevor sie es wissen, haben sie sie gefunden. Greg hatte Glück. Und jetzt hatten wir Glück.“ Vorwortprosa.
Dass Greg Ruckas Stumptown, seit 2009 mit Unterbrechungen bei ONI Press erschienen, ausgerechnet jetzt in einer deutschen Ausgabe erscheint, ist kein Zufall: Im September 2019 wurde in den USA die erste Staffel der TV-Adaption veröffentlicht, und seit Mai 2020 wurde die Serie auch in Deutschland (Sky) verfügbar gemacht. Da ist es ganz naheliegend, den Comic nun auch auf Deutsch umzusetzen. Da die Serie nicht die erwünschte Resonanz erzielte, setzte ABC die Serie nach der ersten Staffel gleich wieder ab.
Greg Ruckas amerikanischer Erfolg mit diversen Serien (Queen & Country, Black Magick, The Old Guard, Lazarus, Gotham Central) mit einem Schwerpunkt auf Kriminal-Comics scheint sich nicht so leicht nach Deutschland übertragen zu lassen: Zwar hat Splitter einiges von Ruckas amerikanischen Erfolgen veröffentlicht, aber ich habe in meinem Leben noch keinen überzeugten Rucka-Fan getroffen. Und ausgerechnet die Agentenserie Queen & Country (2001–07), die für diverse Eisner Awards nomniniert wurde, ist in Deutschland gar nicht verfügbar.
Viele Panels in Stumptown erwecken den Anschein, mit großer Akribie nach Fotografien entstanden zu sein, so dass das Portland-Setting, dies betont auch Matt Fraction in seinem Vorwort, sehr realistisch daherkommt. Und sehr geschickt setzt Southworth etwa Dex‘ Untersuchung der Wohnung der Verschwundenen um: Ohne Wort folgen wir Dex durch die Zimmer und müssen mit der gleichen Konzentration die Spuren suchen wie die Privatdetektivin dies tut.
Das tröstet aber nicht vollständig darüber hinweg, dass die wirklich beachtlichen Seiten (oft auch gerade wegen der sparsamen Kolorierung von Lee Loughridge und Rico Renzi) eher selten sind. Die dunklen Zeichnungen mit ausgewählten Highlights untermalen den Noir-Stil des Krimis, begeistern aber auch nicht.
Der zweite Band soll im September 2021 bei Splitter erscheinen.
Keine Pflichtlektüre, aber auch nicht enttäuschend
Splitter Verlag, 2021
Text und Zeichnungen: Greg Rucka, Matthew Southworth
Übersetzung: Katrin Aust
160 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 24,00 Euro
ISBN: 978-3967920260
Leseprobe
Hier! Ich!
Rucka-Fan seit „Queen & Country“!
Auch wenn nicht alles von ihm überragend ist, hat er schon ein Händchen für starke Frauencharaktere – sei es nun als Agent (s.o.), Detective (Renee Montoya/Gotham Central), oder genetisch optimierten Supersoldat (Forever Carlyle/Lazarus).
Seine Ausflüge bei Batman und Daredevil waren auch immer mindestens unterhaltsam.
Und „Stumptown“ ist eine klassische Detektivserie im besten Sinne. Schade nur, dass da nach vier Sammelbänden nichts mehr dazugekommen ist