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Starman – David Bowie’s Ziggie Stardust Years

War der Hype zu groß oder gerade angemessen? Gerrit Lungershausen und Christian Muschweck haben sich mit Reinhard Kleists David-Bowie-Comic Starman auseinandergesetzt, der Ende letzten Jahres ziemlich groß als Prestige-Hardcover bei Carlsen Comics erschienen ist.

Alle Abbildungen © Carlsen Verlag

Christian: Bevor wir über den Comic reden, sollten wir vielleicht erst mal klären, wie wichtig uns David Bowie ist. Bist du ein Fan und magst du eine Platte besonders? Ich bin immer unentschlossen, ob Diamond Dogs seine beste ist oder doch Scary Monsters.

Gerrit: Für einen echten Fan fehlt mir die musikalische Expertise, und da gebe ich mich Dir kampflos geschlagen. Ich würde mich eher als Sympathisanten bezeichnen. Ähnlich geht es mir mit Reinhard Kleist, der oft hochgelobt, manchmal für seinen Biographienfetisch (Johnny Cash, Fidel Castro, Lovecraft, Nick Cave etc.) auch etwas gescholten wird: Sein Knock Out! und vor allem sein Nick Cave (hier zur Rezension) haben mir allerdings gut gefallen. Seit wann begleitet Bowie dich schon?

Christian: Ich kenne Bowie aus den 1980ern, This is not America und China Girl waren damals die aktuellen Hits. Ich fand als Kind damals aber eher Zugang zu Duran Duran oder Queen, Bowie habe ich erst viel später interessant gefunden. Auch der Film Labyrinth von Jim Henson, in dem Bowie den König der Goblins spielt, hat mich damals nicht interessiert und wegen Bowie sogar eher abgeschreckt. Letzte Woche habe ich ihn das erste Mal gesehen: großartig. Inzwischen mag ich Bowie sehr, aber mit dem Ziggy-Stardust-Fetisch, den wohl viele haben, kann ich nicht viel anfangen. Michael Allred hat hat vor ein paar Jahren ja auch eine Bowie-Biografie gestaltet und mich hat das betont gar nicht interessiert, da ich seine David-Bowie-Verehrung schon in Red Rocket 7 eher aufdringlich fand. Als Musikfan greife ich da eher zu Schallplatten. Bowie-Comics würde ich intuitiv eher der Geschenkbuchabteilung zuordnen.

Gerrit: Sehr gut, dann haben wir beide ja die nötige Distanz zum Thema. In diesem ersten Band von Kleists mehrbändiger Comic-Biografie geht es um Bowies frühe Jahre, als er die exzentrische Kunstfigur des Ziggy Stardust verkörperte. Mit seinem Konzept, stetig neue Kunstfiguren zu schaffen (darunter den „Thin White Duke“), hat er Formen künstlerischer Selbstinszenierung vorweggenommen, die heute vielleicht nicht ganz selbstverständlich sind, aber längst nicht mehr schockieren. Kleist inszeniert das Auseinanderklaffen von ‚echter‘ Person und artifizieller ‚persona‘ zunächst als Zwiegespräch des Musikers mit seinem Spiegelbild. Das erscheint fast naheliegend, aber clever wird es, als in der Schlusssequenz Ziggy Stardust aus dem Spiegel mit dem Thin White Duke streitet. David Bowie ist verschwunden – seine Kunstfiguren haben sich verselbstständigt. Damit fügt Bowie sich nahtlos in Kleists Künstler-Biographien über die Selbstinszenierungsprofis Johnny Cash und Nick Cave ein.

Der beigefarbene Astronaut fliegt durch den Comic

Christian: Der Schluss ist sowohl die konsequente Zuspitzung als auch gelungener Cliffhanger, der hungrig auf einen zweiten Band macht. Kleist gelingt es hier, sehr visuell zu erzählen und nicht nur das abzubilden, was eine Kamera einfangen würde. Wie in einer Karikatur geht es ihm eher darum, Ideen und innere Konflikte abzubilden, und entfernt sich dabei so weit es nur geht von der Version von Michael Allred, der sich in seiner Comic-Biografie von 2020 ja wirklich ausschließlich für Oberflächenreize interessiert hat. Manchmal ist Kleist dabei sehr plakativ und lädt ein Bild zu offensichtlich mit Symbolkraft auf, beispielsweise, wenn er einen Astronauten als Symbol für Entfremdung zeichnet. Auf der langen Strecke aber gelingt ihm hier eine eindrückliche Bildsprache. Außerdem ist das Bild des Astronauten seit David Bowies erstem Hit Space Oddity („Ground Control to Major Tom / Take your protein pills and put your helmet on“) nun mal programmatisch und die passende Metapher für Bowies eingeschlagenen Weg. Man kann also durchaus sagen, dass Kleist keine Angst vor platten Bildern hat, wenn sie sich so anbieten. Dass er mit Substanz erzählen kann, beweist er an genügend anderen Stellen.

Die Exposition erinnert an Kleists Cash- und Nick-Cave-Biografie

Gerrit: Comic-Biografien finde ich schnarchlangweilig, wenn sie nur als Illustration eines Wikipedia-Artikels daherkommen. Im letzten Jahr war die Angela-Davis-Biografie von Fabien Grolleau und Nicolas Pitz in meinen Augen so ein mutloser Versuch, mit einer prominenten Person als Porträtierte und wenig eigenen Ideen zu punkten. Das trifft auf Starman nicht zu. Schon die Exposition ist eine Herausforderung: Wir beobachten Bowie, der in seinem 1970er-Jahre-Outfit durch eine Shopping Mall drängt, in einem Schaufenster TV-Bilder bestaunt und in einer feuerrot eingefärbten Menge von Demonstranten badet. Es ist eine Illustrierung des Songs Five Years von dem Album The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars (1972), soweit ganz vergleichbar zu den Expositionen von Kleists Cash – I see a Darkness und Nick Cave – Mercy on Me, allerdings sind die Bilder hier nur teilweise in den 1970ern verortet. Während manche Details auf die Entstehungszeit des Songs hindeuten, verweisen andere deutlich in unsere Gegenwart: Trump, Fridays for Future, medizinische Masken und Smartphones. Die Apokalypse, die Bowie in dem Song besingt, ist eine entweder ganz gegenwärtige oder gar zeitlose Vision.

Christian: Reinhard Kleist hatte schon immer einen sehr spontanen Strich, der hervorragend mit der intuitiven Erzählweise korrespondiert. Konturen sind in wenigen Linien, oft mit einer einzigen Linie aufgerissen und in diesem Buch sogar noch reduzierter als sonst bei Kleist übrig, da auch den Farben Raum gegeben werden muss. Wann immer wir Bowie bei seiner Selbstinszenierung zusehen und auch, wenn er droht, sich in seiner Rolle zu verlieren, und Panik schiebt, dass er schizophren werden könnte, wird es grell bunt. Die poppigen Farben haben wir dabei dem wunderbaren Koloristen Thomas Gilke zu verdanken, der betont schlicht, aber effektvoll in irrealen Digitalfarben grell ausmalt und dabei tunlichst vermeidet, mit Kleists Tusche in Konkurrenz zu treten. An keiner Stelle findet sich auch nur ein einziger Farbverlauf, alles ist flächig. Gut so. Die nüchternen Passagen des Comics dagegen hat Kleist selbst mit Beige- und Brauntönen akzentuiert, wie wir sie bereits aus diversen anderen Kleist-Comics kennen. Kleist sollte öfter mal in reinem Schwarzweiß arbeiten. Keine andere Arbeit von ihm fand ich so ausdruckstark wie sein Knock Out! von 2019, das völlig in schwarzer Tusche und ohne Farbakzente gehalten war. Die Farbe, auch wenn nur einfarbig (vielleicht dann besonders), lenkt ab von Kleists größter Stärke, der reduzierten, einfachen Linie. Misslungen ist Kleists Farbgebung deswegen aber nicht. Bei Starman sehe ich auch ein, dass hartes Schwarzweiß unpassend wäre.

Gerrit: Die biederen Beigetöne des Künstler-Alltags abseits von Pop und Pose finde ich völlig treffend: In welche Farben sollte man die Langeweile, die Bowie in der Heimat seines Londoner Vororts spürt, sonst tauchen? Das scharfe Schwarzweiß der Nick-Cave-Biografie passt da nicht so recht. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob die Kolorierung in Starman wirklich konsequent ist, denn es finden sich vergleichbare Szenen, die mal farbig, mal in beige gehalten sind.

Mir gefällt es wiederum, dass Kleist auch die Songinhalte visuell hervorhebt: Wenn wir in ein Lied geradezu eintauchen, springen uns die schrillen Farbtöne der 1970er an, wir sehen die Rasterpunkte und dezent dunkler eingefärbte Gutter, so dass die Songs wie ein Comic im Comic daherkommen. Man kann fast erahnen, dass dein Schwarzweiß-Wunsch beim Folgeband in Erfüllung gehen könnte: Der Thin White Duke ist wie geschaffen für den Verzicht auf Farbe.

Aber mir hat nicht alles gut gefallen: Einige Episoden, darunter etwa diejenigen mit Bowies Wegbegeleiter Iggy Pop, sind mir zu unverbunden mit der Gesamterzählung. Ein wenig scheint es mir, als würde Kleist eine Pflichtaufgabe brav erfüllen, indem er Iggy Pop und David Bowie im Studio zeigt und sie ihre unterschiedlichen Meinungen zu Iggys von Bowie produziertem Album Raw Power (1973) austauschen. Die Szene illustriert Bowies Musikexpertise, bleibt aber irgendwie für mich ein Fremdkörper.

Christian: Ich hätte Iggy Pop auch nicht gebraucht, vermute aber, er wird im zweiten Teil noch mal eine Rolle spielen. Insgesamt ist natürlich vieles gestrafft und gibt das Gefühl, dass auf kreativer Ebene zwischen der Ziggy-Stardust-Scheibe und Ziggys symbolischem Ende in Bowies Leben nicht viel passiert ist, was natürlich ganz und gar nicht stimmt, immerhin kam ja zwischendrin noch Alladin Insane und das ist nun wirklich ein überragendes Album. Gerade Bowies Textanteil schrammt auch oft an der Plattitüde und zielt zu streng darauf ab, auf möglichst prägnante und effektive Weise Bowie in aller Kürze zu charakterisieren. Schon witzig, wie er seiner Mutter auf Seite 103 erklärt, dass er jetzt Genderfolk trägt und ihr erklärt, das sei „ein Statement gegen die heteronormative Alltagskultur“. Das erinnert stark an Nicolas Cage, wie er in Wild at Heart  sagt: „This is a snakeskin jacket! And for me it’s a symbol of my individuality,“ Ob das von Kleist ähnlich ironisch gedacht war? Aber  David Bowie redet auch in Michael Allreds Bowie-Comic von 2020 nicht anders. Vielleicht haben die Visionäre in den 1970ern ja wirklich solche Sätze aufgesagt. Bowie war wohl schon sehr abgehoben. Bei Reinhard Kleist wirkt er trotzdem allzu menschlich. Mir gefällt das.

Gerrit: Reinhard Kleist hat ein gut funktionierendes Rezept für seine Biografien – strukturell, inhaltlich und ästhetisch. Auch die Orientierung an Jubiläen, bei Nick Cave zum 60. Geburtstag 2017, bei David Bowie posthum zum 75. Geburtstag, ist aus Marketinggründen nachvollziehbar. Ich würde mir aber auch mal wieder ein Wagnis wünschen, wie es sein Lovecraft-Comic (Feest 1994) war. Solange kann man aber auch mit dem Starman einige Freude haben.

9von10

Christians Fazit: Reinhard Kleist macht die schönsten Musikcomics.

 

 

 

8von10

Gerrits Fazit: Take your protein pills and put your Leselampe on.

 

 

Starman – David Bowies Ziggy Stardust Years
Carlsen Verlag, 2021
Text und Zeichnungen: Reinhard Kleist
Farben: Thomas Gilke und Reinhard Kleist
176 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 25 Euro
ISBN: 978-3-551-79362-1
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