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Spirou & Fantasio Spezial 30 – Spirou bei den Sowjets

Ist Spirou eigentlich Belgier? Natürlich ist er eine in Belgien entstandene Comicfigur (auch wenn es bis heute Niederländer gibt, die ihren „Robbedoes“ für eine genuin niederländische Erfindung halten), aber ist die Figur selber, der pfiffige kleine Kämpfer fürs Gute im Pagenkostüm, Belgier? (Die Comics von Emile Bravo stehen, denke ich, auf einem eigenen Blatt.)

Alle Abbildungen: © Carlsen Verlag

In Spirou bei den Sowjets weiß er als stolzer Belgier, wie richtig gute Fritten gemacht werden: nämlich mit Rinderfett. Mit Hilfe dieses heiligen Nationalwissens bezirzen er und Fantasio die sadistische Aufseherin eines sibirischen Gulags, die sich von ihrem Geliebten „Tigrischka“ nennen lässt und ihn aus ohnmächtiger Bewunderung für Belgien heraus dazu gezwungen hat, ihr eine Kopie des Brüsseler Atomiums zu bauen.

Was ist denn hier passiert?

Spirou bei den Sowjets ist ein ironisch-nostalgischer Comic. Natürlich spielten bereits einige Bände der Spirou-Spezial-Reihe auf die Vergangenheit der Serie und die Geschichte der wirklichen Welt an. Spirou bei den Sowjets ist jedoch der erste dieser Comics, der offensiv einiges an Vorwissen voraussetzt – wer beispielsweise J. Edgar Hoover und das Ensemble von Gaston nicht kennt, wird die Geschichte kaum begreifen und vor allem nicht sonderlich genießen können.

Die eigentliche Story ist dabei recht einfach (Vorsicht, Spoiler!): Wir befinden uns mitten im Kalten Krieg, den Farben nach: in der Spirou-Serie der 1960er. Eichhörnchen Pips kriegt einen geheimnisvollen Strahl ab, und als der Graf von Rummelsdorf ihn untersucht, wird er entführt. Spirou und Fantasio folgen den Hinweisen bis in die Sowjetunion, wo der nun gehirngewaschene Graf an einer Bombe mitarbeitet, die die Krankheit des Kommunismus in der ganzen Welt verbreiten soll. Spirou und Fantasio landen in einer sibirischen Strafkolonie und erobern sie mit Hilfe von Fritten (siehe oben). Erst können sie die Bombe nicht mehr stoppen, und die ganze Welt wird furchtbar kommunistisch. Dann gelingt es ihnen, den Kommunismus vollständig auszurotten, und die Welt wird furchtbar neoliberal. Ende.

Das liest sich durchaus schmissig und spannend und, unter Magenschmerzen, auch mit dem einen oder anderen Lacher. Aber noch einmal: Was ist denn hier passiert?

Der diabolische kommunistische Wissenschaftler, der Rummelsdorf gefangen hält, sieht aus, als würden die diabolischen Wissenschaftler in Hellboy Angst vor ihm haben. Eine selbsternannt schöne Frau ist eine schrille Schreckschraube, ehemalige Topathletin und folgerichtig nach früherem Doping mit Hormonen faktisch ein Mann mit Bart.

Dachten die Verantwortlichen, sie würden so etwas wie Die Simpsons produzieren und haben zu spät bemerkt, dass sie eher bei einem besseren Clever & Smart-Abenteuer aus den 1980ern gelandet sind?

Die Story ist eine so direkte Ableitung vom Asterix-Band Kampf der Häuptlinge plus einem Prolog, der den von QRN ruft Bretzelburg (Spirou & Fantasio-Album von 1966) variiert, dass zum Budget hoffentlich auch ein Kranz auf Goscinnys Grab gehörte plus ein paar Blumen für Franquin und Greg. Diese beiden Klassiker spielen allerdings nicht zufällig ausdrücklich nicht an realen Schauplätzen. Eine modellhafte Satire kann in einer nach realem Vorbild erfundenen Gesellschaft viel genauer auf den Punkt kommen. Und sie vermeidet die Gefahr, in Denunziationen, Geifer oder Nationalchauvinismus abzurutschen, der Spirou bei den Sowjets nicht immer entgeht. Selbstverständlich spielt, wie der Verlag in mehreren Begleittexten betont, der Comic ironisch mit Klischees aus dem Kalten Krieg. Es ist nur so, dass er diesen Klischees trotzdem nichts entgegensetzt und sie in keiner Hinsicht unterläuft oder dreht.

Franquin, ohne den der vorliegende Comic in keiner Hinsicht denkbar wäre, war alles andere als ein kalter Krieger. Etwa zu dem Zeitpunkt, an dem Spirou bei den Sowjets offensichtlich spielt, wollte er bei der Zeitschrift Spirou sogar wegen einiger von ihm als militaristisch und säbelrasselnd empfundener Beiträge aufhören. Später gab er sich links-alternativ. Und ganz sicher war er andererseits kein Freund des real existierenden Sozialismus (siehe Bretzelburg und einige Schwarze Gedanken). Die krude Politisierung von Spirou bei den Sowjets entspricht also weder der Haltung von Franquins Spirou, noch setzt sie ihr etwas entgegen – sie passt ganz einfach nicht dazu.

Für sich genommen funktioniert die Parabel allerdings auch nicht gerade gut: Kommunismus ist eine Gehirnkrankheit/Pilzvergiftung, aber so ganz ohne wird die Welt zu einer hyperkapitalistischen Hölle. Das ist ja gleich doppelt falsch, und im Vergleich dazu sind Streit um Asterix oder Der Finanzschlumpf Meisterwerke der politischen Satire (von Obelix GmbH und Co. KG und Schlumpfissismus ganz zu schweigen).

Aussehen tut das Ganze allerdings einfach fantastisch, wenn auch nur bedingt originell. Die Zeichnungen von Tarrin (Die Gruft derer von Rummelsdorf) sind ein virtuoses Update von Franquins Spirou, mit wilderen Blickwinkeln und gestrichelteren Schatten, ständigen Szenenwechseln und aktuell unvergleichlichem Schwung. Die Dekors sind so detailversessen ausgefüllt, wie es Jidéhem bei humaneren Deadlines in den 1960ern wohl auch gerne getan hätte. Die Figuren sprengen die Panelränder und explodieren den LeserInnen förmlich entgegen (vermutlich rennen sie heimlich durch die Seiten, sobald du den Band zuklappst). Jede vor Energie summende Variation eines klassischen Franquin-Motivs, von Spirous Turbo bis zu Herrn Bruchmüller, scheint für Tarrin ein persönlicher Triumph und ein Liebesakt zu sein. Und auf dem hinteren Umschlag, der mit seinen leuchtenden Farben und charmant verstaubten Posen dann wirklich wie ein von der Zeit vergessenes Bild aus der Nachkriegszeit aussehen will, ist konsequenterweise dann sogar ein perfekt ausgeführtes Marsupilami zu sehen.

Wir haben bei Spirou in der letzten Zeit in diversen Nebenbänden u.a. Zyklotrops zusammengeschraubte Tochter erlebt, Rummelsdorf im Zweiten Weltkrieg und Spirou als Superheld. Niemand scheint so genau wissen zu wollen, wie es mit der Hauptserie längerfristig weitergeht, und die Gesamtausgabe neigt sich, zumindest im Original, deutlich den abschließenden Bänden zu.

Hoffentlich findet Dupuis bald eine Möglichkeit, die Serie wieder den skeptisch-fortschrittlichen, abenteuerlichen Spaß und das verspult-humanistische Chaos werden zu lassen, als die wir sie lieben. 

Komischer Kram mit wirklich großartiger Grafik. Nostalgische und anspielungsreiche Politsatire mit Stammtischhumor unter dem Niveau des Kalten Krieges.

6von10Spirou und Fantasio Spezial 30: Spirou bei den Sowjets
Carlsen Comics, 2020
Text: Fred Neidhardt
Zeichnungen: Fabrice Tarrin
Übersetzung: Ulrich Pröfrock
64 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 12,- Euro
ISBN: 978-3-551-77639-6
Leseprobe

 

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