Rezensionen
Schreibe einen Kommentar

Second Coming 1 – Die Wiederkunft

Christus is back – diesmal aber als Sidekick des Mittelklasse-Superhelden Sunstar, der mit dem Barmherzigkeits-Fetisch seines neuen WG-Partners nicht so gut zurechtkommt. Neugierig auf Second Coming von Mark Russell und Richard Pace? Zurecht!

Alle Abbildungen © Dantes Verlag

Wir steigen ganz am Anfang in die Story ein. Himmel und Erde. Am Anfang war das Wort. Adam, Eva, Apfel. Und dann: Jesus Christus. Gott schickt seinen Sohn auf die Erde und muss mitansehen, wie die Menschen ihn nicht bewundern, sondern festnehmen. Und kreuzigen. Da kann man als Schöpfer höchstselbst schon mal aus der Haut fahren: „Käse und verfickter Salzkäs!“ Oder wie der Fluch im englischsprachigen Original heißt: „Cheese and fucking crackers!“ Er verbietet Christus, wieder auf die Erde zurückzukehren, zumindest für einige Zeit.

Knapp 2000 Jahre später darf er dann doch, weil Gott plötzlich zum Fanboy des Superhelden Sunstar geworden ist: „Hei-li-ger Maulwurf! Kann der Typ etwa noch spektakulärer sein? Cool! Mach’s wie er … und du hättest da unten null problemo!“ Bei diesem Kerl könnte sein Sohn sich doch etwas abschauen, meint Gott und schickt ihn zurück unter die Menschen.

Sunstar ist ein Held von einem anderen Planeten, kann fliegen, ist außerordentlich stark und geht, zum Wohle seiner geistigen Gesundheit, regelmäßig in die Gruppentherapie. Er passt auch nicht ganz in den Superheldenkanon des Goldenen Zeitalters. Er hängt auch mal unrasiert auf dem Sofa herum, und seine Gegner greift er auch gern an, indem er seinen Schuh auszieht und sie damit bewirft. „Nutz das Überraschungsmoment“, ist sein heroischer Ratschlag an den Gottessohn.

Die beiden sind ein ungleiches Paar, der eine predigt Fausthiebe, der andere Vergebung. Einer erfolgloser als der andere. Niemand will auf Jesus Christus hören, so dass er wieder im Gefängnis landet. Und Sunstar, der vergewöhnlichte Superman-Verschnitt, bestraft auch manches Mal die falschen. In gewisser Weise macht er damit anschaulich, was manche Superheldenserien der 1980er schon anschaulich gemacht haben: Welches Recht haben Helden, über dem Gesetz zu stehen? Russell und Pace machen daraus aber keine Philosophie-Lehrstunde à la Watchmen, sondern eine Farce. Derb und saukomisch.

Gott ist kein gütiger Schöpfer, sondern ein zotiger Taugenichts („Ich verarsch dich nur!“), für den man wenig Sympathie aufbringen soll. Russell hat ein gutes Gespür für Pointen und verrückte Dialoge, wie er schon seiner Flintstones-Serie (2016–17) gezeigt hat. Und in Exit, Stage Left!: The Snagglepuss Chronicles hat Russell wiederum bewiesen, dass satirische Comics, die gleichermaßen fiktiv sind und dennoch gesellschaftliche Phänomene kommentieren, ihm sehr gut liegen. Second Coming zeigt zwei fehlbare (Super-)Helden, die auch keine Antwort auf die Theodizee-Frage finden. „Ich verstehe einfach nicht, wie ich so missverstanden werden konnte.“ Manchmal geht der derbe Humor in ein resigniertes Schweigen über – tolle Momente, großartige Bilder.

Es ist nun einmal komisch, wenn Jesus Christus in einem durchsiebten Überseekoffer auf Sunstars Schultern reist, damit seine Reisekrankheit keine hässlichen Konsequenzen zeitigt. Und es ist raffiniert gezeichnet, wenn Pace die Superman-Analogie ohne jegliche Worte doch ganz ausdrücklich gelingt: Im ersten Panel sehen wir Sunstar nämlich am Himmel schweben, über ihm ein Vogel und ein Flugzeug, eine dezente Anspielung auf die berühmte Phrase „Is it a bird? Is it a plane? No, it’s Superman!“ Keine spektakuläre Zeichenkunst, nicht sehr detailfreudig, aber auch nicht ungeschickt.

„Is it a bird? Is it a plane?“ Nein, es ist ein liebenswerter Superheld, der zu gewöhnlich ist, um wahr zu sein. Die Sequenz stammt aus der amerikanischen Ahoy-Originalausgabe. 

Der Comic steht in einer langen Tradition von Christus-Comics. Angefangen bei den Picture Stories from the Bible (DC, 1944f.) bis hin zu Punk Rock Jesus (2012–13) von Sean Gordon Murphy, den Chronicles of Wormwood (2006–07) von Garth Ennis oder American Jesus (2004–23) von Mark Millar und Peter Gross (hier rezensiert für Comicgate). Auch Mattthias Schultheiss‘ Spätwerk Daddy (2009, dt. 2011) versucht sich an einer Neuinterpretation von Jesus Christus.

Die Serie Second Coming erschien zuerst bei dem erst 2018 gegründeten US-Verlag Ahoy Comics, nachdem die Serie ursprünglich bei DC für März 2019 angekündigt war. Aber dann gab es Widerstand. Dem Comic wurde vorgeworfen, er sei „closer to blasphemous than biblical“, und eine Online-Petition sammelte mehr als 200.000 Stimmen gegen die Veröffentlichung des Comics bei DC. Mit einer haarsträubenden Argumentation erreichten die Fundamentalisten, was sie wollten. Im Februar 2019 reagierte der Verlag auf die Kampagne und machte inhaltliche Veränderungen zur Bedingung, um die Serie weiterhin zu betreuen. Nachdem Russel und Pace dies ablehnten, trennten sie sich von DC, einvernehmlich, wie sie immer wieder betonten, und sie suchten einen neuen Verlag, den sie schließlich mit Ahoy Comics gefunden haben.

Allein diese Publikationsgeschichte macht den Comic schon unterstützenswert. Tom Peyer, Verlagschef von Ahoy Comics, kommentierte es wie folgt: „There are going to be people who don’t want to read Second Coming, and that’s fine. It’s not for everyone. But I don’t think it should be controversial to maintain that the rest of us have every right to enjoy it.“ In seinem Vorwort zu der vorliegenden deutschen Ausgabe schreibt Mark Russell: „An dieser Stelle möchte ich dem Künstler Richard Pace und all den guten Leuten bei AHOY danken, die bei meiner Blasphemie mitgetan haben. Ich wünschte, ich könnte ihnen sagen, dass sie ihrer Karriere gerade keinen Eins-a-Suizid verpasst haben. Aber alles, was ich weiß, ist, dass die Fragen, die in diesem Comic gestellt werden, von Bedeutung sind – wie merkwürdig auch immer die darin gegebenen Antworten auf den ersten Blick aussehen mögen. […] Wir blasphemieren nicht, um den Glauben von Millionen herabzusetzen, sondern um der Welt etwas Neues anzubieten.“

Dieser Band enthält die zwischen Juli 2019 und Januar 2020 veröffentlichten ersten sechs Kapitel. Bei Ahoy Comics sind inzwischen auch die beiden folgenden je sechs Kapitel „The Begotten Son“ (Dezember 2020 bis Oktober 2021) und „Trinity“ (April bis September 2023) erschienen.

Christus-Satire mit spannender Hintergrundgeschichte

8von10Second Coming 1 – Die Wiederkunft
Dantes Verlag, 2023
Text: Mark Russell
Zeichnungen: Richard Pace
Übersetzung: Jens R. Nielsen
180 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 22,00 Euro
ISBN: 978-3-946952-90-9
Leseprobe

 

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.