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Kramer

Unsere Autoren Gerrit Lungershausen und Christian Muschweck haben sich die umfangreiche Comicerzählung von Natalie Ostermaier in einer ausführlichen Dialog-Rezension zur Brust genommen. Ist dieser Comic Hexenwerk und gehört er gar auf den Scheiterhaufen?

Alle Abbildungen © Zwerchfell

Christian: Bevor wir über die Qualität des Comics diskutieren, erst einmal ein paar Eckdaten: Kramer handelt vom berüchtigten Hexenjäger Heinrich Kramer, der um 1485 das sehr einflussreiche Buch Malleus Maleficarum verfasste, einschlägig bekannt unter dem deutschen Titel Der Hexenhammer. Dieses Machwerk trug dazu bei, dem grassierenden Hexenwahn der Bevölkerung des Spätmittelalters eine pseudorechtliche Grundlage zu bieten. Dank des zeitgleich aufkommenden Buchdrucks kam es zu einer raschen Verbreitung der darin enthaltenen Ideologie um Teufelsbuhlschaft, Hexenflug, Hexensabbat und Hexenmale, um nur einige Beispiele zu nennen, Natalie Ostermaier hat also wirklich einen spannenden Gegenstand für ihr Debüt gewählt.

Gerrit: Die Geschichte, die sie erzählt, ist eine mögliche, keine historische. Der 175-seitige Schwarz-weiß-viel-grau-Comic handelt von zwei Bettelkindern, deren eines des magischen Mäusemachens angeklagt wird, und von der unverheirateten Frau Elsa, die im Laufe der Befragung des Betteljungen von diesem beschuldigt wird, vom Teufel beseelt zu sein. Um solcherlei spätmittelalterliche Alltagsprobleme zu klären, muss Heinrich Kramer, die dritte Hauptfigur, anreisen und die Folterverhöre anleiten. Großer Erfolg ist ihm nicht vergönnt: Elsa wird freigesprochen, aber das wird ihr wenig nützen. Das klingt nach einer mitreißenden, spannenden Geschichte – ist sie das?

Christian: Ich finde die Art und Weise, wie Heinrich Kramer im Comic eingeführt wird, reichlich unspektakulär. Elsa wird ja schon vor Kramers erstem Auftritt von der Kirche gefoltert und befragt, von daher bringt der Auftritt von Kramer erst einmal keine Qualitätssteigerung mit sich. Das Interessante an der historischen Figur ist doch, dass er selbst der Kirche zu extrem war. In Innsbruck beispielsweise, wo er sich als Hexenjäger profilieren wollte, wurde er vom Bischof von Brixen zur persona non grata erklärt. Nachdem man ihn verjagt hatte, gab es in Tirol nie wieder eine Hexenjagd. Kurioserweise war es ja zudem das wichtigste Instrument der menschlichen Emanzipation, der Buchdruck, das seinen Hexenhammer im Nachhinein so einflussreich machte. Es ist immer schade, wenn die Wirklichkeit spannender ist als die Fiktion, die doch weit mehr in der Lage sein sollte, etwas zum Drama zu stilisieren. Ich will die Kirche nicht aus der Verantwortung nehmen, aber oft waren es eben auch die abergläubischen Bauern, die eine Hexe brennen sehen wollten, und manchmal geschah es auch aus Gehässigkeit oder Korruption. Aber Natalie Ostermaier hatte offensichtlich eine andere Zielsetzung als eine differenzierte Aufarbeitung des Hexenwahns.

Gerrit: Offenbar, aber wer sich ein komplexes Thema aussucht, fährt nicht gut damit, es zu banalisieren: In Kramer ist das Böse keine Metapher und auch kein fantastisches Element (im Sinne Todorovs), sondern ist in der Welt präsent wie Sonnenuntergänge und Fallobst. Die Hexenverfolgung als soziales Phänomen zur Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen blendet der Roman völlig aus. Das ist überraschend, weil die Autorin als zentrale Quelle ihres Comics eine Studie des Konstanzer Historikers Rainer Beck angibt, der die Akten zu einem Freisinger Kinderhexenprozess im frühen 18. Jahrhundert erschlossen und darüber eine 1.000-seitige Arbeit (Mäuselmacher) geschrieben hat. Daraus hat Ostermaier eine Story über die unterdrückte Sexualität eines Fanatikers gemacht, und das geht an der Wirklichkeit so weit vorbei wie Blumenkohl an der Mittagswirklichkeit eines Zweijährigen.

Christian: Jedenfalls hat Natalie Ostermaier keinen didaktischen Sachcomic gestaltet, so viel ist sicher. Ihr Kramer funktioniert eher wie ein Frank-Miller-Comic: grell und plakativ. Selbst ihr Farbkonzept, schwarz-weiß mit ein paar Farbtupfern, ist Miller-like. Wer über die Hexenprozesse lernen will, soll ein Buch lesen; Natalie Ostermaier dagegen nutzt ihr Wissen, um im historischen Kontext frei improvisieren zu können, ohne sich eine Blöße zu geben. Interessant finde ich ihre Entscheidung, mit Fantasy-Elementen zu arbeiten. Das ist bei der Hexenthematik nicht unproblematisch, denn die tatsächlichen Opfer der Prozesse waren ja gerade nicht mit dem Teufel im Bunde. Gleichzeitig finde ich es aber legitim, mit mittelalterlichen Vorstellungen zu arbeiten und in die Köpfe der abergläubischen Menschen hineinzusehen, denn dort sind sicherlich so einige Teufelchen und magische Überzeugungen zu finden.

Gerrit: Dass Ostermaier das mittelalterliche Weltbild der Figuren nicht in Frage stellt, schmeckt mir nicht so gut, aber ich muss Dir zustimmen: Kramer möchte nicht unterrichten – also muss es unterhalten. Kramer ist aber kein Sin City, wenn es auch eine ganz und gar sündige Welt ist, die Ostermaier zeichnet. Sie bleibt im Stil der anderen Gothic-Arbeiten, die man auf ihrer Webseite findet (Jim, Fressen und gefressen werden): schwarze Katzen und Oralverkehr. Ich mag Katzen, und die Zeichnungen von Ostermaier gefallen mir in der Tat überwiegend gut. Aber ich gewinne keinen Einblick in die Köpfe der abergläubigen Menschen. Beispiel Kramer. Er ist ein Opfer seiner massiven Triebunterdrückung. Und er ist des Teufels. Das ist doch massiver Küchenpsychologiekitsch. Du hast Recht, dass es gerade die Fantasy-Elemente sind, die den Comic ausmachen. Nur gefallen sie mir nicht.

Christian: Von der Erzählstruktur erinnert mich Kramer ein wenig an den Film Maniac aus den 80ern, in dem es um einen Serienkiller geht, der Frauen ermordet und skalpiert. Zum einen, weil gerade die Grausamkeit der Tat Dreh- und Angelpunkt der Erzählung ist, zum anderen, weil in beiden Geschichten am Ende ein irrationales Element die Wende herbeiführt. In Maniac erwachen Schaufensterpuppen zum Leben und zerfetzen den Killer, im Comic Kramer wird der Hexenjäger von einer Dämonin erst heimgesucht und dann in die Hölle gezerrt. Eine Umdrehung der Verhältnisse also, da hier der Hexenjäger der vom Teufel Besessene ist. Das finde ich durchaus schlüssig. Aber Natalie Ostermaier unterläuft diese Logik, da ihr Teufel nicht nur Kramer, sondern auch Elsa heimsucht und beide wie auf einem Spielfeld platziert. Die sich aufdrängende Folgerung aus dieser Anordnung ist, dass am Ende alle Figuren Opfer höherer Mächte sind – auch die Täter. Da jedoch von Anfang bis Ende alles einem festgefügten Plan folgt – in diesem Fall keinem göttlichen, sondern einem satanischen –, wirkt Kramer fast schon statisch. Natalie Ostermaier hat hier weniger eine Erzählung geschaffen als vielmehr ein illusionsloses Stimmungsbild, in dem die Menschheit zum Leid verdammt ist. Sie garniert dieses Stimmungsbild mit eindrucksvollen Folterszenen und alptraumhaften Visionen und lässt an den Rändern die Dämonen und Teufel ihr Spiel spielen. Angesichts dessen, dass wohl viele Künstler den didaktischen Weg gegangen wären, finde ich Natalie Ostermaiers Ansatz durchaus mutig und ich schätze ihren Wunsch, Kunst machen zu wollen, anstatt nur Tatsachen abzubilden.

Gerrit: Kramer bemüht sich um historische Akkuratesse und künstlerische Gestaltung zugleich. Beide Ansprüche löst dieser (by the way: ziemlich humorlose) Comic aber nicht ein, weil er zum einen trivialisiert und zum anderen nicht stringent ist. Der Historiker Rainer Beck beschreibt etwa die Verhöre der Kinderhexen als komplexe, widersprüchliche Szenen, wohingegen bei Kramer daraus ein Fragespiel mit Backpfeifen wird. Die Unentscheidbarkeit, ob der hinkende Teufel nun in dieser Welt wohnt oder nicht, wie Ostermaier es anfangs anlegt, scheint mir vielversprechender als die letztlich gewählte Variante „Der Teufel war’s.“ Aber auf den Scheiterhaufen gehört der Comic dennoch nicht, weil ihm für ein Comicdebüt auch so manches gelingt: Das Stimmungsbild, von dem du sprichst, gerät Ostermaier etwa in meinen Augen am besten, als sie auf alle drastischen Effekte und Fantasy-Elemente verzichtet und stumm der Perspektive Kramers folgt, der während einer Kutschfahrt die ländliche und ärmliche Umgebung beobachtet. Die Mimik der Figuren ist zwar reichlich exaltiert, aber doch sehr eindrücklich. Und die Tatsache, dass die Künstlerin für ihren Erstling ein so mutiges Thema gewählt hat, spricht auch für ihre Ambitionen. Insofern werde ich auch den nächsten Comic von Ostermaier lesen.

 

Fazit von Gerrit: Dem Scheiterhaufen noch entronnen.

 

 

 

Fazit von Christian: Dieses Hexenwerk hinterlässt einen bleibenden Eindruck.

 

Kramer
2018, Zwerchfell
Text & Zeichnungen: Natalie Ostermaier
192 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 20 Euro
ISBN: 978-3-943547-36-8
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