Das Jubiläumsjahr BTHVN2020 hätte kaum imposanter ins Wasser fallen können. Freunde der klassischen Musik finden etwas Abhilfe in der Comic-Biografie Goldjunge von Mikael Ross: Da-da-da-daaaa!
Luddi hat es nicht leicht. Seine Musikalität macht Ludwig van Beethoven früh zu einem Außenseiter unter den Altergenossen, die den talentierten Jungen in den Schnee werfen und „van Kackhoven“ mit wenig Feinfühligkeit beibringen, wie sich gelber Schnee anfühlt. Luddis Vater entwickelt Ambitionen nur dann, wenn das Talent seines Sohnes ihm Saufgeld einzubringen scheint, darüber hinaus neigt der lieblose und selbstbezogene Vater zur Gewalt. Ein „Goldjunge“ ist Luddi, ein Goldesel für seinen Vater. Wenn er sich in die Musik vertieft, spielt all das keine Rolle mehr: „Ist die Musik nicht wie ein großer Fluss? Sie nimmt allen Unrat in sich auf und trägt ihn fort.“
Beethoven hinterlässt bleibenden Eindruck bei all seinen Zuhörer*innen, nur nicht bei seinem Vater, der ihm seine Eigenkompositionen zu spielen verbietet. Er bekommt die Gelegenheit, von Bonn nach Wien zu reisen, um bei dem berühmten Wolfgang Amadeus Mozart zu lernen, allerdings verliert er sein Referenzschreiben und damit die Chance, den großen Meister aufzusuchen und um Unterricht zu bitten. Tatsächlich ist zwar Beethovens Reise nach Wien überliefert, eine Begegnung mit Mozart aber nicht. Vielleicht, so spekuliert Ross in einer herrlich-derben Szene, ist er ihm ja im Scheißhaus begegnet…
Ross schildert den Musiker als Rotzbengel Luddi und weniger als Musikgenie BTHVN und unterwandert damit die Ex-post-Narrativen, die eine Kindheit auf den zielgerichteten oder hürdenreichen Weg zur künstlerischen Vollendung schildern. Luddis Kindheit ist erstmal die Kindheit dessen, dessen gesundheitliche Probleme sich früh andeuten: Derb und humorvoll schildert Ross die Durchfall-Probleme des jungen Genies, und auch der sich früh ankündigende Verlust seines Gehörs wird mehrfach inszeniert.
Ross betont selbst, dass Goldjunge sich einige erzählerische Freiheiten nehme und die einzelnen Geschehnisse nicht etwa allesamt aus einer gesicherten Überlieferung hervorgehen. Das ist auch allein aufgrund der Quellenlage nicht möglich. Zudem sind die Dialoge sprachlich modernisiert und versuchen erst gar nicht, einen zeitgerechten Duktus zu imitieren. Wo sie es dennoch tun, machen sich die Figuren gleich darüber lustig: „Welcher Ulk hat das geschrieben?“ Wir können froh sein, dass Ross nicht dem Bonner Dialekt Beethovens nachgeeifert hat…
Goldjunge geht zurück auf ein Dokument, das von Beethoven-Biografen lange Zeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde und erst seit 2006 stärker beachtet wird. Die„Aufzeichnungen über Beethovens Jugend“, von dem Bonner Bäckermeister Gottfried Fischer zwischen 1837 und 1857 verfasst, schildern die Jugendjahre des schon im Kindesalter als Musikgenie gerühmten Beethoven.
Ross sei Anfang 2019 von einer Mitarbeiterin der Berliner Staatsbibliothek darauf angesprochen worden, ein Beethoven-Comic-Projekt umzusetzen, und daraus entstand zunächst eine Kurzgeschichte. Das Thema habe ihn aber so sehr umgetrieben, dass aus der Kurzform schließlich ein eigener Band wurde.
Die Repräsentation eines Mediums im Rahmen eines anderen ist ein spannender Prozess, weil die jeweilige Besonderheit (Möglichkeiten ebenso wie Grenzen) darin sichtbar werden. Oder hörbar. Oder spürbar. Wenn ein Film im Roman beschrieben wird, Instrumentalmusik narrativ sein soll oder im Comic Musik dargestellt werden soll, dann geschieht etwas Unmögliches. Und dieser Aspekt ist so spannend, dass sich schon viele Forscher damit auseinandergesetzt haben. Der Verleger und Comicforscher Christian A. Bachmann hat etwa seine Dissertation Die Macht der Musik (2017) der Darstellung von Musikern und deren Kunst in Karikatur und Comic zwischen 1830 und 1930 gewidmet, und der Tübinger Comicforscher Lukas R.A. Wilde hat sich in diversen Beiträgen von 2014 bis heute mit der Darstellung akkustischer Phänomene in grafischen Erzählungen beschäftigt.
Die Strategien, Musik oder deren Wirkung ins Bild zu setzen, sind vielfältig: über die Darstellung der oder des Musizierenden in actu (wie etwa in Reinhard Kleists Nick Cave), die Integration von Noten, die Repräsentation von Songtexten (wie etwa in Zeps The End) oder die Wiederholung ikonischer Posen (wie in Michael Allreds Bowie) bis hin zur Darstellung abstrakter Farb- und Formkompositionen, die deutlich nicht-mimetisch sind und dadurch auf einen anderen Code verweisen. Rick Remenders und Wes Craigs Comicserie Deadly Class weicht auf die sprachliche Ebene (und die Handlungsebene) aus: Die Figuren gehen auf Konzerte, tanzen, hören gemeinsam Musik und unterhalten sich darüber. Sie tragen Fan-T-Shirts und haben entsprechende Poster an ihren Zimmerwänden.
Die meisten Musik-Darstellungen bedienen sich mehrerer Verfahren, um Musik grafisch umzusetzen. Schließlich, und diesen Weg wählt Mikael Ross bevorzugt in Goldjunge, lässt sich auch die Wirkung der Musik auf die Zuhörer*innen in Szene setzen: Bewunderung, Tränen, Rührung und Erstaunen: „Das … das ist unglaublich.“
Mikael Ross, der einige Aufmerksamkeit für Totem (2016) erhalten und viel Rummel mit Der Umfall (2018) erzeugt hatte (letzterer mündete in den Max-und-Moritz-Preis 2019), ist ein weiterer Erfolg gelungen. Das … Das ist wirklich unglaublich, nämlich unterhaltsam und spannend erzählt, wunderschön gezeichnet und überraschend und lehrreich, auch wenn nicht jede Anekdote in dieser Form überliefert ist. Ross sagte einmal von sich, dass er zeichnen, nicht aber erzählen könne. Falsch, ganz falsch.
Goldjunge soll im Mai auch in Frankreich erscheinen und ist von Fantagraphics für den amerikanischen Markt angekündigt worden. Das ist eine gebührende Anerkennung für Mikael Ross und eine Bereicherung für die englisch- und französischsprachigen Leser*innen.
Da-Da-Da-Daaaa!
Avant Verlag, 2020
Text und Zeichnungen: Mikael Ross
192 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 25,00 Euro
ISBN: 978-3964450418
Leseprobe
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