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Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden

Ducks hat gute Chancen, hierzulande als einer der Comics des Jahres gewählt zu werden. Ein guter Grund, sich den Erfolg dieses Jahres noch einmal genauer anzusehen. Um Enten geht es aber nicht. Oder kaum.

Im Vordergrund die übermenschlichgroßen Maschinen, wohingegen die fliegenden Enten fast nicht mehr beachtet werden. © Reprodukt / Zwerchfell

Die Handlung von Kate Beatons Ducks führt uns in das Kanada zwischen 2005 und 2008. Katie beschließt nach ihrem geisteswissenschaftlichen Universitätsabschluss, etwas Geld zu verdienen, um die monatlichen Raten für ihr Studiendarlehen bedienen zu können. Und da es auf der Halbinsel Cape Breton (ganz im Osten Kanadas) nicht viele Jobs für Universitätsabsolventen in Geschichte, Literatur oder Kunst gibt, geht sie in den Bundesstaat Alberta im Westen des Landes, wo große Unternehmen synthetisches Rohöl aus Ölsanden gewinnen. Das ist harte Arbeit, wird aber gut bezahlt.

Es ist schnell zu erkennen, dass diese Abbaugebiete nicht zu den touristischen Highlights von Alberta gehören.

Sie arbeitet für verschiedene Unternehmen, allerdings nicht im Tagebau, sondern in der Materialausgabe oder in der Verwaltung. Und so bekommen wir einen Einblick in ein männliches Arbeitermilieu, in dem Frauen so exotisch sind wie Elefanten in Husum. Das ist die Ausgangslage und führt zu zwischengeschlechtlichen Begegnungen, die mal naiv, mal bedrohlich, mal gewalttätig ausgehen. Die (älteren) Männer flirten unbeholfen mit Katie, machen eindeutige Angebote beleidigen sie – und schließlich trägt dieses frauenfeindliche Klima dazu bei, dass ein junger Mann sie vergewaltigt.

Es gibt verschiedene Abstufungen von sexualisierter Gewalt. Eine der verhältnismäßig milderen Ausprägungen ist die ordinäre Anmache.

Die Liste der Lobeshymnen für Ducks ist lang: Für ihn erhielt 2023 den Eisner Award in der Kategorie „Best Graphic Memoir“ (schon der zweite in ihrer Karriere), Barack Obama empfahl den Comic kurz vor dem Weihnachtsfest 2022 auf Twitter als eines seiner Lieblingsbücher des ausklingenden Jahres und die Presse hat den Band sehr begeistert aufgenommen. Die kanadische Zeichnerin, Jahrgang 1983, hatte zuvor schon viel Aufmerksamkeit für ihren von 2007 bis 2018 veröffentlichten Webcomic Hark! A Vagrant erhalten. Der Comic, eine wilde Mischung kurzer Sequenzen, erschien 2011 erstmals in Buchform (dt. 2015, Obacht! Lumpenpack), die Fortsetzung Step Aside, Pops erschien 2015 (dt. 2021, Zur Seite, Kerl!).

Hier sieht man dieselbe Szene in der skizzenhaften Tumblr-Fassung von 2014 (links) und der Drawn-and-Quarterly-Buchausgabe (rechts) im Vergleich. © Kate Beaton / Drawn and Quarterly

Ducks ist der erste Comic von Kate Beaton, der nicht vorrangig humoristisch ist, und zudem der erste autobiografische Comic. Das Original erschien in dieser Form erstmals 2022 bei Drawn & Quarterly, und diese Ausgabe wiederum beruht auf einem Webcomic, den sie 2014 auf Tumblr veröffentlichte. Mancherorts wird der Comic auch als Reportage bezeichnet, aber das scheint dann doch etwas hoch gegriffen. Natürlich macht Beaton sichtbar, welche Auswirkungen die Arbeitsbedingungen fernab der eigenen Familien auf die Menschen haben, aber es bleibt eben doch ein persönliches Dokument, das keine Analyse der Umstände liefert. Sie hat die Episoden auch nicht mit offenkundigem journalistischen Anspruch verfasst, sondern als graphic memoir.

Aus dieser Publikationsgeschichte erklärt sich auch die charakteristische Erzählweise, denn wir lernen das Leben in den Ölsanden durch eine Aneinanderreihung kurzer Szenen kennen, die manchmal recht unverbunden nebeneinanderstehen. Was im Internet und als fortlaufende Publikation hervorragend funktioniert, wird bei der zusammenhängenden Lektüre im Buchformat auch mal ermüdend, zumal die Schilderungen sich wiederholen. Gerade in der ersten Hälfte hätten dem Buch Kürzungen sehr gutgetan, denn dass die männliche Arbeiterwelt kein progressives Frauenbild hat, haben wir nach wenigen Seiten schon verstanden.

Ordinäre Sprüche durchziehen die ganze Geschichte. It’s a man’s world.

Dass nur die Frauen in dieser Welt zu Opfern werden, ist eigentlich gar nicht richtig, denn Beaton zeigt sehr schön, dass es eine allgemeine Gleichgültigkeit der Industrie gegenüber dem Wohlergehen der Mitarbeiter*innen gibt. Immer wieder gibt es auf den verschneiten Straßen tödliche Verkehrsunfälle, gegen die anscheinend nichts unternommen wird. Auch die Männer, die fernab ihrer Familien arbeiten müssen, um den Lebensunterhalt zu verdienen, sind letztlich nicht die Profiteure dieses Systems.

Die Ohnmacht gegenüber den Strukturen, dem System, den Machtverhältnissen ist so erdrückend wie die Präsenz der gigantischen Arbeitsmaschinen, die Beaton immer wieder inszeniert. Daneben werden die Menschen ganz klein, ganz unbedeutend und ganz austauschbar.

In dieser Industrie kommt der Mensch unter die Räder.

Was den Titel angeht, hat sie sich scheinbar für eine Strategie entschieden, die völlig gegenläufig zu ihrem Webcomicerfolg Hark! A Vagrant ist. In diesem Fall, so beschreibt sie in ihrem Vorwort der deutschen Ausgabe von Zur Seite, Kerl wählte sie einen Titel, der „vage bleibt, aber auch antiquiert und absurd klingt“, und natürlich erfordert er Rückfragen. Ducks wiederum bezieht seinen Titel aus einer Szene im letzten Drittel des Buches, als die New York Times über den Tod Hunderter Enten berichtet. Die Vögel waren am Rande der giftigen Absatzbecken verendet, weil die Unternehmen zuvor keine geeigneten Abschreckungsmaßnahmen vorgenommen hatten. Und nach dem Vorfall? Ein paar Vogelscheuchen, um die Öffentlichkeit zu beruhigen.

Dass Beaton mit dem Titel diesen Umweltskandal in den Vordergrund rücken wollte, erscheint abwegig, weil der Vorfall im Comic doch nur wenig Raum einnimmt, auch wenn vorbeiziehende Vögel immer wieder eine Rolle spielen. Es scheint vielmehr die Parallele der Unternehmensmaßnahmen zwischen dem Umweltskandal und den sexuellen Belästigungen zu sein. Ebenso wenig wie die Enten effektiv geschützt werden, nehmen die Vorgesetzten auch die Schilderungen Katies ernst.

In einem Interview sagte sie: „These were migratory animals who landed in a pond that they thought was a safe space, that they thought was natural. And it ended up being toxic. It was a dangerous place for them to land. And you could make the same argument for some of the people who landed there.“ Kurzum: eine gute Titelwahl.

Der Comic hat wirklich seine Qualitäten, aber auch seine Längen und Redundanzen, die vermuten lassen, dass Kate Beatons Stärken eher auf der Kurzdistanz liegen. Eine wirklich reflektierte Reportage ist diese graphic memoir eben gerade nicht – im Gegensatz etwa zu Joe Saccos Wir gehören dem Land. Auch wenn dieser Comic auf den ersten Platz in der Comic-Bestenliste des zweiten Quartals gewählt wurde, ist das kein Comic für die Best-of-Liste dieses Jahres.

Gut, aber nicht grandios

7von10Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden
Zwerchfell & Reprodukt, 2023
Text und Zeichnungen: Kate Beaton
Übersetzung: Jan Dinter
448 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 39,00 Euro
ISBN: 978-3956403835
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