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Doomsday Clock

Unsere Autoren Jan-Niklas Bersenkowitsch und Christian Muschweck haben sich die DC-Serie Doomsday Clock von Geoff Johns und Gary Frank ganz genau angesehen. In ihrer ausführlichen Dialog-Rezension diskutieren sie, ob das umstrittene Watchmen-Sequel mehr ist als nur ein Publicity-Stunt.

Sofern nicht anders angegeben: Alle Abbildungen © DC Comics, Geoff Johns, Gary Frank. Panel aus Doomsday Clock 7

Christian: Zum Geleit möchte ich erst einmal etwas Kontext anbieten. Es gab ja schon unzählige Mega-Crossovers im DC-Universum. Das ist quasi in die DNA dieses Comic-Universum eingeimpft und begann schon in den 1960er Jahren mit der Crisis on Multiple Earths-Storyline von Gardner Fox und Mike Sekowsky. Schon hier trafen Helden unterschiedlicher Zeitlinien aufeinander und die Erzähler jonglierten mit dem Paradox sich widersprechender Erzählkontinuitäten. In den 1980er Jahren wollte man dem Wildwuchs an Parallelwelten ein Ende machen und im Zuge des Mega-Crossovers Crisis on Infinite Earths den DC-Superheldencomic auf eine einzige Zeitlinie einschwören. Ausgenommen davon waren nur speziell ausgewiesene Serien außerhalb des DC-Kosmos, wie beispielsweise das aus England zugekaufte V for Vendetta, Lizenzcomics wie The Shadow, experimentelle Comics wie Frank Millers Ronin oder natürlich Alan Moores Watchmen, das in klarer Abgrenzung zur normalen Zielgruppe für ein erwachsenes Publikum gedacht war.

Wie wir wissen, blieb es nicht bei dem geschlossenen Universum. Erstens sind seit 1986 schon wieder mehr als 30 Jahre vergangen, wodurch sich von ganz alleine zahlreiche innere Widersprüche ergaben. Außerdem ließ sich die reizvolle Idee von Paralleluniversen nicht einfach mit einer singulären Entscheidung der Verlagsleitung abwürgen und kam schon bald in den 1990ern wieder auf. Seither gab es zahlreiche Mega-Crossovers bei DC, die einerseits die Bindung zwischen den einzelnen Serien sicherten, andererseits aber durch teils abenteuerliche kosmische Gedankenspiele auch die Idee von Parallelwelten und eines alles überspannenden Multiversums durch die Hintertür wieder einführte. 2010 war diese Idee so weit mutiert, dass man mit dem Flashpoint-Crossover reichlich Unruhe in das Universum brachte, um im Zuge dessen unter dem Schirm des New 52-Konzepts einen sehr abenteuerlichen Neustart sämtlicher DC-Comics zu initiieren, in dem die Figuren quasi über Nacht – teils sehr unsanft – umgekrempelt wurden.

Seither wird immer wieder diskutiert, ob New 52 ein Erfolg war oder doch eher ein Fiasko. Nach fünf Jahren entschied man, wieder zum traditionellen Ansatz zurückzukehren und so gab es 2016 den neuen großen Relaunch unter dem Titel DC Rebirth, der die Serien auf die ursprüngliche Nummerierung zurücksetzte. Außerdem wurde bereits am Anfang der Rebirth-Crossovers angedeutet, dass auch die Figuren von Alan Moores Watchmen eine Rolle spielen würden. 2018 war es dann so weit. Doomsday Clock, das große Watchmen/DC-Crossover ging los.

Splash-Panel aus einem frühen DC-Crossover von 1964. © DC-Comics, Gardner Fox, Mike Sekowsky

Niklas: Ja, dann ging es los. Und ich habe mich immer gefragt: Wer braucht das? Um mich mal in der Diskussion einzuordnen: ich habe für diese Rezension Watchmen noch einmal gelesen. Ich war früher ein großer Fan. Heute respektiere ich es eher, als es zu lieben, aber ich kann nicht abstreiten, dass es erfolgreich das Bild einer dystopischen Gegenwart zeichnet, die kurz davor steht, zusammenzubrechen – oder zumindest scheint es so. Watchmen bleibt immer auf die Sichtweise seiner Figuren bezogen, die die Komplexität ihrer Situation nicht wahrnehmen können. Die Geschichte ist also sehr ambivalent und vielfach interpretierbar, während ich bei Doomsday Clock das Gefühl habe, dass Autor Geoff Johns unbedingt der Welt etwas ganz doll Wichtiges erzählen möchte. Christian, worum geht es denn in dieser ganz doll wichtigen Geschichte?

Christian: Gute Frage. Der Pitch war vermutlich “Lassen wir doch endlich mal die Watchmen-Figuren mit den DC-Helden interagieren”; und das klingt ja erstmal ziemlich an den Haaren herbeigezogen, zweitens wie ein feuchter Nerd-Traum und drittens nach purem Kalkül. Handwerklich ist das allerdings ziemlich gut geworden, da Gary Frank sehr geschickt mit dem gleichen strengen Neun-Panel-Gitter arbeitet, das auch Dave Gibbons damals bei Watchmen angewendet hat. Und ich muss sagen, dieses Erzählformat eignet sich einfach gut für Geschichten. Es hat ein bisschen was von Style over Content. Ich kann aber auch dem Plot einiges abgewinnen. Es ist zwar einerseits deprimierend, dass das Quasi-Happy Ende von Watchmen gleich zu Anfang kassiert wird und der Atomkrieg, der damals gerade noch abgewendet werden konnte, nun doch stattfindet, aber ich finde die Art und Weise, wie dieses passiert, schlüssig und stimmig. Adrian Veidts ganzer Masterplan von damals kommt an die Öffentlichkeit und die weltweite Empörung darüber führt zur fatalen Eskalation. Adrian Veidt war es also nur gelungen, eine vorübergehende Schockstarre zu erzeugen. Das ist gut ausgedacht und umgesetzt. Oder nicht?

Doomday Clock Nr. 1

Niklas: Das ist halt die Frage, der ich eine Gegenfrage vorstellen möchte: War Watchmen wirklich eine Superheldengeschichte oder eine Geschichte, in der ein paar Neurotiker in Kostümen herumrannten? Denn Doomsday Clock ist eindeutig eine Superheldengeschichte, in der Superhelden und deren Handlungen tatsächlich eine Rolle spielen. Das merkt man vor allem am Ende. Aber sag doch mal, waren die Superhelden in Watchmen tatsächlich Superhelden, die im DC-Universum leben könnten? Und wollen wir mal eben alles spoilern, was am Ende von Watchmen geschah?

Christian: Klar ist Watchmen eine Superheldengeschichte. Das erkennt man am besten an der Figur des Dr. Manhattan, der gottgleiche Kräfte hat. Und den Reality-Touch der anderen Figuren hatten in den 1980ern viele (Punisher, Green Arrow etc.), so dass Watchmen sich damals eher in seiner Gesamtkonzeption als geschlossene Erzählung vom Mainstream unterschied. Aber die Frage ist natürlich schon, warum man ein Buch, das als Abgrenzung gedacht war, nun doch im Mainstreamcomic einhegen muss. Denn damit wird der Wesenskern von Watchmen zerstört: Die Abgrenzung vom DC-Universum.

Aber wir müssen über den Inhalt von Doomsday Clock sprechen. Ich mochte die Grundprämisse mit dem Wiederaufflammen und sogar der Radikalisierung des alten Konflikts. Außerdem gefallen mir die neuen Figuren. Der neue Rorschach ist gut ausgearbeitet und das mörderische Pärchen Marionette und Mime ist einfach wunderbar in Szene gesetzt. Die Montage zwischen Rückblenden und erzählter Handlung, auch die Art und Weise, Handlungselemente zu spiegeln und zu verschränken schrammt gerade in den ersten Heften bisweilen hart an der Grenze zum Plagiat entlang, gleichzeitig erhalten wir dennoch eine erfrischend neu ausgedachte Handlung, die mich überraschen konnte. Was mir außerdem aufgefallen ist: Auch wenn die Story bereits nach den ersten beiden Kapiteln den Dimensionssprung in das DC-Universum vollzieht, gehört die Handlung der ersten sechs Kapitel weitgehend den Figuren des Watchmen-Universums. In der zweiten Hälfte dreht sich das nahezu komplett. Ist dir das auch aufgefallen?

Die Origin-Story von Mime und Marionette. Aus Doomsday Clock 4.

Niklas: Tatsächlich war ich mehr damit beschäftigt, mich über Figuren wie Marionette und den neuen Rorschach zu ärgern. Denn die Grundprämisse allein passt schon nicht ins Watchmen-Universum. Leute die auf die Straße gehen und Adrian Veidt wegen seiner Verbrechen anklagen wollen? Einen reichen, weißen Mann, von dem inzwischen bestimmt Millionen von Arbeitsplätzen abhängen? Und das alles nur, weil man den Aufzeichnungen eines Nazis mit Schlapphut (Rorschach I) Glauben schenkt, obwohl das Buch bestimmt bei einer Zeitung abgedruckt wurde, die nicht einmal das Niveau der BILD halten würde? Tut mir leid, alleine da hakt es bei mir schon, es sei denn die einigermaßen realistische Welt von Watchmen hat tatsächlich den Sprung in die Fiktion gewagt, wie ich vermutet habe und sich jetzt kollektiv für eine zweidimensionale Weltsicht entschieden, die zu den Comics passen würde. Nein, schon bei der Startprämisse biegt sich Johns alles so zurecht, wie er es braucht, um seine Geschichte zu erzählen.

Mickey und Mallory, pardon, Mime und Marionette

Deswegen muss es jetzt auch Superschurken mit krassen Fähigkeiten geben, wie zum Beispiel Marionette und Begleiter. Zwei der langweiligsten Figuren, die ich je gesehen habe, von denen einer auch noch Superkräfte besitzt. Jetzt stellt sich die Frage: hat er diese Kräfte nach Betreten der DC-Welt bekommen oder hatte er die schon vorher? Liegt es daran, dass die DC-Welt jede Idee Wirklichkeit werden lässt und sie deswegen gerettet werden kann, im Gegensatz zur Watchmen-Welt? Wenn ja, warum hat man daraus nicht eine Geschichte gestrickt? Denn eigentlich greift Johns auch nur das auf, was Moore in Watchmen kritisierte: die Menschen flüchten sich bildlich in die Welt der bunten Bilder und kriegen dort ihre einfachen Lösungen präsentiert. Und diesmal ist das etwas Gutes, hurra. Selbstbeschiss ist gut, das ist irgendwie auch eines der Themen der Serie, wie man auch bei Rorschach II sieht. Der muss ja erst lernen, dass sein Vorbild im besten Fall nur ein Serienkiller war und bekommt von einer Vaterfigur eine gute Lüge aufgetischt, damit er weitermachen kann.

Nein, die Reise ins DC-Universum hat mich wenig beschäftigt, vor allem da die großen Player auch wenig zu tun haben. Und das obwohl uns immer wieder erzählt wird, wie wichtig unser Herr und Meister Superman ist. Aber vielleicht bin ich da auch zu zynisch, Christian, wie hast du das Ganze denn interpretiert?

Adrian Veidt, der intelligenteste Mensch der Watchmen-Welt, trifft auf Lex Luthor.

Christian: Ich erkläre mal kurz was der Mime so kann. Wenn er pantomimisch so tut, als habe er eine Pistole, mit der er schießt, so schießt er tatsächlich. Das ist ziemlich seltsam und unmotiviert. Ich verbuche das auch unter der Formel Stil über Substanz, denn die Kostüme und der Überraschungseffekt sind nett anzugucken. Es ist aber natürlich Schund. Ich glaube ja, dass diese magischen Tricks bereits im Watchmen-verse funktioniert haben, was erzählerisch auch in meinen Augen einen Bruch mit dem Original darstellt. Ich bin den beiden Schurken zwar gerne auf ihrer Reise in die Unterwelt des Jokers gefolgt, habe aber dennoch immer wieder zurückgeblättert, weil mir die Motivation der Handlung nicht immer klar war. Es passt schon alles zusammen und ergibt erzählerisch Sinn, aber es ist auch sehr konstruiert.

Man erkennt, dass Geoff Johns kopiert, was Alan Moore leicht von der Hand ging. Das geht soweit, dass er sogar seine eigene Version von „Tale of the Black Freighter“ einbettet. So wie in Watchmen ein Junge auf der Straße sitzt und fiktive Piratencomics konsumiert, so werden in Doomsday Clock über mehrere Hefte hinweg immer wieder Szenen eines fiktiven Film Noir eingeschnitten. Ebenso erfährt man in beigelegten Zeitungsausschnitten etwas über die Hintergründe dieses Films. Mir gefällt, wie sich Geoff Johns und Gary Frank die Struktur von Watchmen aneignen und mit eigenen Ideen füllen.

Was die Rolle von Superman in Doomsday Clock angeht: Mir gefällt, wie die Superhelden in der globalisierten Welt vor zunehmend komplexen Aufgaben stehen. Das ist teils ganz schön deep für einen Superheldencomic, aber nicht langweilig. Allerdings rollt hier Geoff Johns mal eben auf die Schnelle ein Superhelden-Crossover aus, das beinahe Crisis-Dimensionen annimmt. Das grenzt schon leicht an Überforderung. Dennoch hat er auch diesen Teil der Erzählung gut orchestriert und entwickelt erstaunlich langsam und nachvollziehbar die dritte Erzählebene mit den parallelen Zeitlinien, die sich doch immer wieder kreuzen. Ich kann nicht sagen, dass ich alles verstanden habe, habe mich von der Erzählung aber gerne weitertragen lassen. Zuletzt verknüpfen sich die Erzählstränge, so dass die Miniserie doch eine sehr geschlossene Einheit bildet. Doomsday Clock wirkt auf mich wie eine Verführung in die Welt der großen Crossover des DC-Verlags. Gleichzeitig besitzt es eine Geschlossenheit, die ich von den üblichen Crossovers in dieser Form nicht kenne. Doomsday Clock ist ein eigenständiger Comic, der für sich alleine gelesen werden kann und doch die Faszination des unendlichen DC-Universums vermittelt. Das ist keine schlechte Leistung finde ich.9von10

Christians Fazit: Verspielt-versponnene Hommage
an einen Über-Klassiker.

Eine Menge Superheldensachen passieren in Doomsday Clock.

Niklas: Ja, handwerklich kann man da wirklich nicht meckern. Johns ist auch kein schlechter Autor. Der führt seinen Plot so zu Ende, wie er ihn angefangen hat und zieht sich nichts aus der Nase. Deswegen macht mich die Lektüre auch so ärgerlich, denn Johns sollte es eigentlich besser wissen. Stattdessen baut er diese veränderte DC-Welt um seine Superhelden auf, womit eigentlich das größte Problem der meisten Superheldengeschichten mal wieder deutlich gemacht wird: Die Welt muss so verbogen werden, dass Superhelden relevant sein können. Der Superheld ist eigentlich ein Fremdkörper in unserer Welt, der bei uns schnell arbeitslos wäre. Wenn es niemanden zu verprügeln gibt, sitzen sie wie die Minutemen im Versammlungssaal und haben sich nichts zu erzählen. Aber in der Welt von DC sind sie relevant und mächtig und werden gebraucht, weil jede Woche ein mächtiges Monster vorbeikommt, das verprügelt gehört. Und so löst am Ende auch Superman sein Problem: Er schlägt jemanden ins Gesicht und die Welt wird dadurch gerettet. Eine Figur, deren ganze Entwicklung aus Watchmen beiseite geschoben wurde, sieht das Licht, weil die Geschichte so gemacht wurde, dass es gar keinen Diskurs gibt. Superman ist im Recht, weil er Superman ist und dies seine Welt ist. Er ist die Antwort auf alle Fragen, alles dreht sich um ihn und er kommt überall rein, wie man auch am Ende sieht. Das finde ich eigentlich schrecklicher als alle nuklearen Katastrophen und Monster aus dem All.

Doomsday Clock ist am Ende eine weitere Crisis, die Alan Moore noch einmal richtig den Mittelfinger zeigt. Denn wenn man es meta sehen möchte, wird hier nur gezeigt, dass es egal ist, wieviel Herzblut du in deine eigene Welt und in dein Werk gelegt hast, am Ende ist alles vergeben, denn das letzte Wort hat Superman. Superman oder DC oder Warner oder irgendein anderer großer Konzern, dem gerade die Rechte gehören und der dich bis in die Hölle verklagen wird, da sie mehr Ressourcen besitzen als ein kleiner Autor. Man kann sich ihnen entweder anschließen oder wird vernichtet. Am Ende siegt DC. Am Ende sind alle Teil des gleichen Multiversums. So wird aus einer Geschichte, die von Hoffnung und muffigen Babyboomerwerten erzählen möchte, eine kosmische Horrorstory über die Vernichtung von Kreativität und Vielfalt.

Das hätte Alan Moore sich nicht besser ausdenken können.1von10

Niklas‘ Fazit: Kompetent gemachter Hochglanzschund.

 

Doomsday Clock 1-4
Panini, 2019 bis 2020
Text: Geoff Johns
Zeichnungen: Gary Frank
Übersetzung: Christian Heiß
108 bis 124 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 13,99 Euro (Bd. 1 – 3), 14,99 Euro (Band 4)
ISBN: 978-3741612701 (Band 1),  978-3741615146 (Band 2), 978-3741615153 (Band 3), 978-3741617782 (Band 4)

 
Leseprobe:

Leseprobe Band 2 Leseprobe Band 3 Leseprobe Band 4

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