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Anthropozän

Vom Deutschen Museum, dem laut Wikipedia „größten naturwissenschaftlich-technischen Museum der Welt“, würde man nicht unbedingt eine Comic-Anthologie erwarten. Doch anlässlich einer großen Sonderausstellung entwickelte das Museum zusammen mit der Universität der Künste Berlin und der Agentur „Mint Wissen“ (die auch an dem Sachcomic Die große Transformation beteiligt war) ein Comicprojekt, das die Ausstellung begleitet und auch als großformatiges Album publiziert wurde.

© Henning Wagenbreth/Deutsches Museum

© Henning Wagenbreth/Deutsches Museum

„Willkommen im Anthropozän“ heißt eine Sonderausstellung im Deutschen Museum in München, die etwas mehr als ein Jahr lang läuft und sich dem Erdzeitalter widmet, in dem der Planet zunehmend vom Menschen beeinflusst wird. Der in der Geologie noch nicht fest definierte Begriff steht für eine Epoche, in der die Menschen durch Kultur, Technik und Wissenschaft, aber auch durch Kriege, Ressourcenabbau und Umweltverschmutzung die Erde für immer verändern. Die Ausstellung möchte ein Bewusstsein für diese immensen Veränderungen und die damit einhergehende Verantwortung für die Erde schaffen.

Die in dem vorliegenden Band abgedruckten Comics sind entstanden, um ein Bindeglied zwischen der Sonderausstellung und den regulären Ausstellungen des Deutschen Museums zu schaffen, denn als großes Museum für Naturwissenschaft und Technik haben praktisch alle Themen des Hauses mit dem Begriff „Anthropozän“ zu tun. Um diese Verbindung zu zeigen, wurden 30 Exponate des Museums ausgewählt, die exemplarisch für große Veränderungen stehen – sie verbleiben an ihrem Platz, ihnen wird aber ein Kurzcomic zur Seite gestellt, der auf die Sonderausstellung verweist.

Die 30 Comics wurden von 25 Studierenden der Berliner Universität der Künste gezeichnet, die dort die Illustratorenklasse von Henning Wagenbreth besuchen. Jeweils ausgehend von einem Ausstellungsstück (z.B. einer Dampfmaschine, einem Roboter, einem Röntgenapparat oder einem Atommüllfass) wird in acht Panels eine kurze Geschichte erzählt, die sich auf dieses Exponat bezieht. Das sind mal fiktive Episoden, mal dokumentarische Chroniken, teils aus einem sehr persönlichen Blickwinkel erzählt, teils als allgemeingültige Betrachtung. Jedes Exponat bekommt eine Doppelseite – rechts der Comic, links eine Illustration des Ausstellungsstücks, ein kurzer Kommentar des Künstlers sowie ein erklärender Text, der das jeweilige Thema erläutert.

© Till Lukat/Deutsches Museum

© Till Lukat/Deutsches Museum

Stilistisch sind die Comics von einer großen Bandbreite, wobei den meisten Arbeiten anzusehen ist, dass ihre Urheber eher nicht vom Unterhaltungscomic kommen. Ein gewisser „Kunstwille“, durchaus orientiert am Stil des Professors Wagenbreth (von dem auch das Cover des Bandes stammt), ist einem Großteil der Beiträge anzumerken. Mitunter führt das zu Ergebnissen, die zwar gut aussehen, aber eher steif und wenig lebendig wirken. Trotzdem gibt es interessante und frische Artworks zu entdecken, z.B. in den Comics von Leo Koppelkamm (Müll, Theodolit), Jonathan Hadari (Gentechnik), Wyn Tiedmers (Meeresforschung) oder den sehr technischen Zeichnungen von Klára Zahrádková (Bessemer Birne).

Gemeinsam ist fast allen Beiträgen eine betont sachliche Art, ihr Thema zu behandeln. Nicht jeder dieser Comics ist ein klassischer Sachcomic, aber die meisten bemühen sich um eine nüchterne und seriöse Darstellung. Womöglich war das von den Ausstellungsmachern gewünscht und vorgegeben, aber es ist schade, dass hier nur selten spielerische oder fantasievolle Ansätze verfolgt wurden. Bisweilen geraten die Strips doch arg schulbuchhaft und verlieren damit an Reiz.

© Benedikt Rohlmann/Deutsches Museum

© Benedikt Rohlmann/Deutsches Museum

Für die einzelnen Beiträge gab es relativ strenge formale Vorgaben: „Acht Panels à 8×6 cm, inklusive Text und Titel. Damit man dann frei ist mit dem Layout und damit es nicht zu kunterbunt wird, das ganze Projekt“, wie es in einem „Making of“-Text heißt. Alle Comics wurden zunächst in Schwarz-Weiß angelegt und später entweder mit Orange- oder Türkistönen als Sonderfarbe ergänzt. Wagenbreth erklärt das in seinem Vorwort: „Diese einheitliche Farbigkeit garantiert die Wiedererkennung der einzelnen Strips zwischen den anderen Informationsträgern im Museum.“ Zu der inhaltlichen Nüchternheit kommt also noch ein enges formales Korsett. Im Rahmen der musealen Präsentation mag das sehr sinnvoll sein, doch für den Buchleser, der die Beiträge am Stück liest, hätte etwas mehr Abwechslung, gerne auch mal etwas „Kunterbuntes“, gut getan. So wild und knallig wie auf Wagenbreths Buchcover geht es im Inneren leider nie zu.

Vermutlich funktioniert das gesamte Anthropozän-Projekt bei einem Rundgang im Museum deutlich besser als im Buch, das ja letztlich nur eine Zweitverwertung darstellt. Trotz der genannten Schwächen ist es jedoch erfreulich, dass sich Institutionen, die bislang wenig oder nichts mit Comics zu tun hatten, an das Medium heranwagen, und zwar nicht nur, um Kinder anzusprechen. Wenn solche Kooperationen öfter passieren, gelingt vielleicht auch ein etwas entspannterer Ansatz, der mehr Vielfalt zulässt.

Begrüßenswerter Austausch zwischen Comickunst und Wissenschaft, der mehr Leichtigkeit vertragen hätte

Anthropozän – 30 Meilensteine auf dem Weg in ein neues Erdzeitalter. Eine Comic-Anthologie
Deutsches Museum Verlag, 2014
Herausgeber: Alexandra Hamann, Reinhold Leinfelder, Helmuth Trischler und Henning Wagenbreth
82 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 14,95 Euro
ISBN: 978-3-940396-45-7
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