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Anibal 5 Gesamtausgabe

Anibal 5 muss mal wieder das Universum retten. Als Mensch-Maschinen-Hybrid im Dienste einer fiktionalisierten Europäischen Union mit leichten bis mittelschweren faschistoiden Zügen ist es seine Aufgabe, in den verschiedensten Formen die Feinde der EU erst zu infiltrieren und anschließend zu Tode zu penetrieren. Ein Penis, der im Ernstfall auch Napalm ejakulieren kann, steht ihm dabei wacker zur Seite (bzw. baumelt auch hin und wieder zwischen seinen Beinen). Doch eigentlich sehnt sich der etwas zu menschliche Android nur nach den weiblichen Schönheiten der irdischen Welt, von denen ihm Marilyn Monroe besonders gut gefällt …

Abbildungen: © Schreiber & Leser

Anibal 5 ist eine weitere Zusammenarbeit von Georges Bess mit dem Universalgenie Alejandro Jodorowsky dar, zu deren gemeinsamen Comics auch Juan Solo und Der weiße Lama gehören. Im Unterschied zu den anderen Werken fällt dieses nun relativ zäh und unausgegoren aus, was vor allem an der Grundidee lag, erotische Superheldencomics wie Jean-Claude Forests Barbarella zu persiflieren,  die Jodorowsky bereits in den 1960er Jahren hegte, als seine Uridee zu Anibal 5 entstand, ehe er es dann in den 1990ern fertigstellte. Und so verwundert auch die Ausrichtung des Comics nicht, die sich doch sehr vom Gesamtwerk unterscheidet. Anders als die sonstigen Werke des Szenaristen fällt die Fixierung auf allerlei Erotikmotive recht flach aus und auch der sonst überdeutliche spirituelle Aspekt bleibt leider aus – bzw. wurde stark zurückgedrängt.

Ziehen wir zum Vergleich Alef-Thau heran: In ewiger Wiederholung sieht sich der ohne Extremitäten geboren Held gezwungen, Gegenstände zu beschaffen, für die er mit einem Arm oder einem Bein belohnt wird. Dummerweise fehlt ihm immer genau jene Extremität, die zur Erlangung der Aufgabe scheinbar zwingend benötigt wird. Alef-Thau muss also lernen, dass es immer einen anderen Weg gibt und die scheinbar einzige Lösung nur einer falschen Illusion gleichkommt. Oder Pietrolino: Die (auf grafischer Ebene leider fürchterlich missglückte) Hommage an Jodorowskys Freund Marcel Marceau handelt von Verrat, in dessen Folge die Hände des titelgebenden Pantomimen zerstört werden und er, seiner Ausdrucksweise beraubt, (geistig) zu fliegen lernt.

Themen dieser Art werden in Anibal 5 leider ausgespart. Hier dreht sich alles um die irdische Seite des Tarot, um Lust und Besitz. Der Held wird auf einen Planeten entsandt, will aber lieber im heimischen Schlafgemach eine (völlig überzeichnete) Miss Schweden und Miss Japan beglücken oder mit einer riesigen Marilyn Monroe verkehren (es werden Erinnerungen an das derzeit grassierende Ant-Man/Thanos-Meme wach). Stattdessen nimmt er die Form diverser Kreaturen an, muss sich von Tigern penetrieren lassen und gerät im letzten Teil sogar an eine Radikalfeministin, die mittels Gedankenkontrolle die Frauen des Universums zur Rebellion gegen alle Männer zwingt, ehe Anibal 5 sie – bei Kritikern gilt diese Szene als durchaus umstritten – zu Tode vergewaltigt. Nebenbei zeichnet sich die besagte Episode als spannendstes Abenteuer im Sammelband aus, denn hier lässt Jodorowsky seinen Ideen völlig freien Lauf und provoziert seine Leser, denen – die bisherigen Kritiken legen es nahe – der Umstand entgeht, dass auch Anibal 5 zum Opfer eines Kollektivs verkommt. Dieses setzt ihn, zum Teil unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, den unterschiedlichsten und grausamsten Missionen aus, nur um ihn mit Sex zu betäuben. Dressiert wie ein Hund besteht sein Leben nur aus Eros und Thanatos.

Die Zeichnungen von Georges Bess befinden sich indes auf hohem Niveau und trösten insbesondere in den ersten Episoden über die teils sehr zähe Handlung hinweg. Seine Interpretation des Jodoversums gesellt sich zu den großartigen Werken eines Moebius und Juan Giménez.

Alles in allem zählt Anibal 5 zu den mittelmäßigeren Werken Jodorowskys. Trotz solider Zeichnungen und durchaus subtiler Kritik an politischen Kollektiven bzw. Bündnissen enttäuschen die meisten Geschichten, wobei die sexualisierte Gewalt, die allerdings für Jodorowskys Verhältnisse eher zurückhaltend ausfällt, neben dem zähen Storytelling das geringste Problem darstellt. Sie kann hier deutlich als Provokation gewertet werden (und geht als solche auch auf). Leider fehlt die sonst für den Autor typische spirituelle Tiefe beinahe völlig, und dennoch entblößt er so die Flachheit diverser kultisch-verehrter Sexsuperhelden. Was ihn letztendlich zu dieser Geschichte bewogen haben mag? Sein spiritueller Sohn Nicolas Winding Refn kam, so Jodorowsky in einem Interview, zu ihm und berichtete, Barbarella verfilmen zu wollen, was der Chilene wohl mit den Worten „Dann rede ich nicht mehr mit dir. Wenn du einen Comic verfilmen willst, gebe ich dir den Incal“ quittierte.

Jodorowsky provoziert seine Kritiker bis aufs Blut. Leider mit einigen Längen, die bei ihm sonst eher ungewöhnlich sind.

6von10Anibal 5 – Gesamtausgabe
Schreiber & Leser, 2018
Text: Alejandro Jodorowsky
Zeichnungen und Farben: Georges Bess
Übersetzung: Resel Rebiersch
136 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 29,80 Euro
ISBN: 978-3-946337-65-2
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