Kaum schiebt man mal etwas auf die lange Bank, so wie den Erwerb des neuen Spirou-Comic von Dany und Yann, und schon wird einem der Comic vor der Nase wegzensiert und zum unwahrscheinlichsten Hard-to-get-Item der letzten Jahre. Die Rede ist natürlich von Spirou Spezial 42: Die Blaue Gorgone.
Es begann mit der Tik-Tok-Influencerin Charlotte (@chaa_pr), die in einem Video vom 27. Oktober 2024 die französische Ausgabe vorstellte. Sie sagt darin, dass weiße Personen im Buch wie Menschen aussähen, schwarze Personen dagegen wie Affen. Die Frauen dagegen seien hypersexualisiert. [1] Vier Tage später reagierte der Verlag Dupuis mit einem Statement auf seiner Website:
„Es tut uns zutiefst leid, wenn dieses Album schockiert und verletzt hat. Dieses Album ist Teil eines karikaturistischen Darstellungsstils, der aus einer anderen Zeit übernommen wurde.“
Das Album wurde zurückgezogen. Der Zeichner Dany lieferte einige Tage später ebenfalls ein Statement zu seiner Arbeit ab:
„Ich bewundere Franquin – frankophoner belgischer Comiczeichner und -autor, bekannt durch Serien wie Spirou und Fantasio – total und habe seine Codes beibehalten. Ich werde das nicht mehr so machen. Ich sehe ein, dass ich einen Fehler gemacht habe. Ich bereue es wirklich, dass ich Menschen verletzt habe.“ [2]
Im folgenden werde ich zunächst eine sehr subjektive Sicht auf das Album und dessen Künstler werfen, um danach eine eigene Einschätzung abzugeben.
Dany und Yann
Der Künstler Dany war eigentlich nie so mein Ding. Die von ihm gezeichnete Serie Arlequin (dt. Joker) nach den Stories von Jean van Hamme finde ich albern, die Flugzeugabsturz-Story Abenteuer ohne Helden (ebenfalls van Hamme) ist schwer abgegriffenes Katastrophen-Kino der 70er und Andy Morgan hat Dany erst übernommen, als die Reihe abgedroschen und auserzählt war. Die nette Funny-Reihe Olivier und Columbine lässt mich fatal an ein Szenario mit Marianne und Michael im Wunderland der Schlagermusik denken [3] und seine sexy Cartoons sind grässlicher Altherrenhumor. [4] Erst nach längerem Hinsehen habe ich registriert, wie atmosphärisch Danys Stil in Abenteuer ohne Helden tatsächlich ist und wie packend sein Andy-Morgan-Einstand „Krieg in der Steppe“ mit seinem beklemmend in Szene gesetzten Bürgerkriegsszenario. Dany ist ein Multitalent.
Meine erste Begegnung mit Yann war sein Beitrag zur Spin-Off-Serie zu XIII. Darin zeichnet er ein Zerrbild von Roman Polanski und Sharon Tate, das mich so sehr ärgerte, dass ich mir ursprünglich vorgenommen hatte, möglichst keinen Comic mehr von diesem Autor zu lesen. Andererseits ist mir bewusst, dass Yann mit Comics wie Bob Marone, Odilon Verjus oder Helden ohne Skrupel in den 1980er und 90er Jahren sehr einflussreiche, die Grenzen austestende Geschichten für ein modernes, erwachsenes Publikum geschrieben hat. Es dürfte angeraten sein, sich in nächster Zeit mit seinem Oeuvre vertraut zu machen.
Die blaue Gorgone vor dem Fall – eine enthusiastische Kritik
Die beiden Künstler bewiesen einen guten Riecher, als sie sich für „Die blaue Gorgone“ zusammentaten. Yanns überdrehte Story gewinnt durch Danys – eigentlich sehr abgegriffenen – Erotikstil, weil Yanns Story einen stimmigen Rahmen für Danys Figuren bietet. [5] Danys gewohnt schlüpfriger Stil im Stil seiner Oh-la-la-Comics bietet pure Oberfläche und Fassade. In „Die blaue Gorgone“ trifft dieser Stil auf ein cleveres Szenario und vermag so in einen produktiven Dialog mit der satirischen Story zu treten, so dass es gelingt, die Instafilter-geglättete Oberfläche ein Stück weit zu dekonstruieren.
Realität gibt es in der Spirou-Welt der blauen Gorgone eigentlich nur noch in Form von Inszenierungen:
- Lara McCoy, die bildhübsche Werbeträgerin einer Fastfood-Kette, wird von der Aktivistinnengruppe „Blaue Gorgone“ entführt. Am Ende stellt sich heraus, dass Lara ihre Entführung selbst inszeniert hat.
- Ihr Verlobter Simon Santo, der Chef der Fastfoodkette, weiß vom doppelten Spiel seiner Partnerin nichts. Er nutzt die Tatsache der Entführung, um eine neue Erzählung um seine Produkte zu kreieren. Alle sollen mehr Burger essen, um so das Lösegeld für Lara zu sammeln. Die Kampagne heißt „Lara in Ketten“. Damit diffundiert die Realität in die gescriptete Werbekampagne. Fake und Realität werden eins. Die Realität der Entführung aber ist wiederum Fake.
- Simon Santo ist ein Donald-Trump-Lookalike, sein Name ist eine Anspielung auf den Saatgutriesen Monsanto. Santo betreibt greenwashing im großen Stil und inszeniert sich gönnerhaft. Am Ende inszeniert er sich nicht nur als Retter der Umwelt, er ist es. Eine neu gezüchtete Quallenart frisst den Plastikmüll der Weltmeere. Santo macht es aber nur wegen des Profits. (Aber was macht man eigentlich mit all den Quallen?)
- Umweltaktivismus wird medienwirksam inszeniert. Wir kennen das!
- Das Ego Simon Santos wird medienwirksam inszeniert. Wir kennen das!
- Der Graf von Rummelsdorf hat ein Potenzmittel für ältere Herren entwickelt. Die inszenieren sich jetzt ganz neu.
- Die jungen Kids geben sich sehr umweltbewusst. Aber vor allem sind sie geil auf Santos Burger.
- Alles was man tut, muss auf Social Media dokumentiert sein. Wenn es nicht auf Social Media ist, ist es nie passiert.
Die Grenzen des Austestens von Grenzen
Aber was ist denn nun mit dem Rassismus dieses Comics? Problematisch wird dies etwa ab der Hälfte, als Spirou und Fantasio vom Geheimdienst auf den Flugzeugträger USS Obama verschleppt werden, dessen Crew ausschließlich aus Afroamerikanern besteht. Vermutlich handelt es sich um eine Black Op (ein fades Wortspiel), zudem handelt es sich dank der schwarzen Kautschuk-Ummantelung um den ersten Tarnkappen-Flugzeugträger – Admiralin Denzelle Jackson fügt ergänzend an, selbst die Mannschaft sei zu fast 100% unsichtbar (da schwarz, is‘ klar).
Die Motivation, weshalb die Crew schwarz zu sein hat, verdankt sich demnach ein paar wenigen Kalauern, ein bisschen umgedrehter Rassismus darf auch nicht fehlen, dazu dürfen die Soldaten des USS auch besonders rabiat sein, richtige Kampfschweine. Einige Panels sehen wie der Klamauk aus, wie man das aus amerikanischen Blackface-Comedies des frühen 20. Jahrhunderts kennt. [6] Auch wenn ich Danys Ansatz für den Comic gerne verteidigen möchte, ist die Argumentation der Influencerin Charlotte in ihrem Video (siehe Fußnote 1) plausibel. Zugutehalten kann man Yann und Dany, dass die schwarzen Figuren nicht dumm oder kindisch dargestellt werden. Sie sind vollwertige Akteure. Es ist die Oberfläche des Comics, die den Ausschlag gab, dass Menschen sich verletzt fühlten.
Andreas Platthaus meinte in seinem F.A.Z.-Kommentar zum Verlagsrücktritt von „Die Blaue Gorgone“,
„Über die klassischen Schwarzen-Klischees mag man sich als Comicliebhaber noch amüsieren; vor allem aber Danys Frauendarstellungen sind rein voyeuristisch.“
Die Meinungen über Rassismus in der Karikatur sind offensichtlich alles andere als völlig eindeutig, offensichtlich besteht immer noch etwas Konsens, dass karikierende Darstellungen im Stil von Charlie Hebdo, MAD oder Robert Crumb möglich sein müssen. In Danys Frauendarstellungen sieht Platthaus die größere Anstößigkeit. Ein Ärgernis ist diese Einschätzung bis hierhin nicht, schließlich legten es Dany und Yann ja durchaus darauf an, zu provozieren. Die Reaktion war dann aber doch heftiger als erwünscht. Die 90er sind eben doch schon lange vorbei.
Platthaus vertritt die Meinung, der Verlagsverzicht habe aus „den falschen Gründen die Richtigen“ getroffen. Das ärgert mich. Es erinnert mich sehr an die (indiskutable) Aussage meiner Kindheit, als es hieß, dass jemand, der von der Polizei verhaftet wird, doch mit Sicherheit etwas angestellt habe, denn normalerweise bekämen Menschen doch keine Probleme mit dem Gesetz. Demnach wäre es rechtens, dass Dany für seine quasi-pornografischen Darstellungen an dieser Stelle gemaßregelt würde, weil dies an anderer, angemessenerer Stelle nicht passiert sei? Das lässt doch tief blicken.
Ich bedaure die Entscheidung von Dupuis, den Comic derart zügig aus dem Programm zu nehmen, denn es wirkt im Angesicht zahlreicher anderer Veröffentlichungen nicht ganz lauter. Was zum Beispiel ist mit Der kleine Spirou von Tome und Janry, der bereits seit weit über 30 Jahren in mehr als 20 Bänden ein wahres Feuerwerk an Sexismus, Body-Shaming und zahllosen anderen politischen Inkorrektheiten abfackelt und dabei eindeutig auf ein jugendliches Publikum abzielt? Was ist mit „Spirou – Ein Dorf sieht schwarz“, 1992 in Angoulême als bester Jugendcomic prämiert? Auch Tome und Janry sind Künstler aus der Ära der enthemmten 90er. Ihr Oeuvre ist hochverehrt, ihr Einfluss riesig. In der Spirou-und-Fantasio-Gesamtausgabe 16 findet sich folgendes Zitat von Tome: „Mit Philippe Vanddren hatten wir einen Vertrag, der uns viel Freiheit ließ. Die einzigen vertraglichen Einschränkungen betrafen mögliche Anspielungen auf Rassismus, Religion, Sex und Politik. Als wir den Vertrag unterschrieben, hatte ich nur einen Wunsch: alle Regeln zu brechen.“
Die Regeln wurden damals noch von anderen Akteuren aufgestellt, aber ein Stück weit haben die rigiden Verlagsregeln von damals eben auch schon die potenziellen Empörungen von heute mitgedacht. Damals war es richtig und wichtig, die Barrieren aufzuweichen. Autoren wie Tome, Janry oder Yann sind Pioniere, was die Öffnung des thematischen Spektrums zu gewagteren Themen und mehr Diversität angeht. Aber natürlich ist nicht alles gleich gut gealtert. Um es kurz und knapp auf den Punkt zu bringen: Damals wurden Konflikte ausgehandelt, heute werden neue Konflikte ausgehandelt.
Aber das Rad dreht sich weiter: Das neueste Spirou-Spezial-Album „Die Schweinebucht“ ist, wie „Die blaue Gorgone“, in einem Stil verfasst, der an das MAD-Magazin erinnert, [7] diesmal ohne Titten und ohne Dunkelhäutige, gleichwohl politisch fragwürdig, wenn auch weniger schrill (und leider, im Gegensatz zur „Blauen Gorgone“, eher langweilig). Er dürfte eher nicht beanstandet werden, weil er meilenweit an den Diskursen unserer Zeit vorbeizieht. Die seltsame Mischung aus Nostalgie, Belanglosigkeit und einer kindgerechten Darstellung von Krieg wirkt bei „Die Schweinebucht“ viel stärker aus der Zeit gefallen und der Versuch, Franquin zu imitieren, ist fast aufdringlich. Hier ist wirklich völlig unklar, wer eigentlich Zielgruppe sein soll.
Ich weigere mich, zu glauben, dass „Die blaue Gorgone“ in irgendeiner Form rassistisch gedacht war und bewundere das satirische Niveau, das Yann und Dany erreicht haben. Andreas Platthaus schreibt in der F.A.Z.:
„‚Spirou und die blaue Gorgone‘ braucht niemand zu vermissen, doch besser wär’s, dass gar nichts dieser Art entstünde.“[8]
Ich vermisse „Spirou und die blaue Gorgone“ leider schon jetzt. Ich ahne aber, dass meine Faszination gegenüber dem Comic vor allem der Tatsache geschuldet ist, dass er vom Markt genommen und damit sehr rar geworden ist. Die Diskussion, die daraus entbrannt ist, ist eine wichtige und muss geführt werden. Dennoch hoffe ich demnächst auf eine Rehabilitation. Die derzeitige Entnahme verdeutlicht in aller Schärfe, dass eine Diskussion nötig ist. Der Paukenschlag ist vernommen. Die Fronten darüber, wie der Comic zu deuten ist, sind aber schon jetzt verhärtet.
Anmerkungen
[1] Das Video lässt sich auf der Website Black Austria abrufen: Rassistischer und sexistischer Comic-Band wird verkauft trotz Marktrückzug – Black Austria
[2] Zitate mit Dank an Black Austria für deren gründliche Arbeit und umfassende Dokumentation (Link siehe Fußnote [1])
[3] Schlager sind per se ja eher als reaktionäres Genre verschrien. Das ändert nichts daran, dass Christian Bruhn – mit Titeln wie „Zwei kleine Italiener“ oder „Aus Böhmen kommt die Musik“ sicher einer der größten deutscher Schlagerkomponisten – in den 1980ern die Titelmusik zur deutschen Version der Anime-Reihe Captain Future komponiert hat. Da hat der Schlagerkomponist mal eben hochgradig Visionäres aus dem Ärmel geschüttelt und wir können nur noch staunen. Man sollte vorsichtig sein mit voreiligen Einschätzungen.
[4] Im Jahr des Vergewaltigungsprozesses von Avignon gehören einige von Danys Cartoons tatsächlich auf den Prüfstand. Aber reicht das aus, um Dany für die Mitarbeit bei Spirou unmöglich zu machen? Die neue Führung scheint für Dany nicht viel übrig zu haben. Der Wind für Künstler wie Dany wird rauer.
[5] „Die blaue Gorgone“ weckt Erinnerungen an Paul Verhovens Film Starship Troopers, unter anderem wegen der cleanen, makellosen Figuren, den Duschszenen, der satirischen Überzeichnung, der ständigen Werbung und dem Gefühl, dass sich alles von Grund auf falsch anfühlt (was gewollt ist).
[6] Der Vorwurf der Minstrel-Darstellung wird inflationär verwendet. Wer verstehen will, was das bedeutet, ist gut beraten, sich Spike Lees Film Bamboozled anzusehen. „Die Blaue Gorgone“ wird man danach als minderschweren Fall einstufen.
[7] Auch Asterix und Lucky Luke waren durch das amerikanische MAD inspiriert. MAD-inspiriertes kann eine große Palette von Stilen beinhalten. Sowohl „Die blaue Gorgone“ als auch „Die Schweinebucht“ lassen sich problemlos hier einsortieren.
[8]Siehe F.A.Z.-Artikel „Spirou“-Band nach Rassismusvorwürfen zurückgezogen.
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