In den 1980er Jahren war Alan Moores Saga of the Swamp Thing einer der großen Gamechanger in der amerikanischen Comiclandschaft. Aber was passierte eigentlich mit der Reihe, nachdem Moore die Autorenschaft an seinen Zeichner Rick Veitch weitergab? Auf jeden Fall wurde es ganz schön wild.
Auf den Comicmessen, auf denen ich mich bewege (München, Erlangen) besuche ich regelmäßig den Stand eines österreichischen Comichändlers, der eine besonders gut kuratierte Auswahl amerikanischer Comics anbietet. Unter anderem findet man bei ihm – und wohl nur bei ihm – sehr viele Comics von Rick Veitch. Das sind teilweise obskure Independent-Sachen, beispielsweise Ötzi von Veitchs Selbstverlag Sun Comics, aber auch Veitchs relativ große Arbeiten, die für das Vertigo-Label erschienen sind, darunter Can’t Get No oder Army@Love. Der Händler bietet sie aus Überzeugung an, weil er ein erklärter Fan von Veitch ist. Abgesehen von der inhaltlichen Ebene, die stets Spuren der alten Counter-Culture der Underground-Comix enthält, sind es auch Veitchs Tuschelinien, die er als ausgesprochen brillant anpreist. Wenn man erst einmal eine halbe Stunde mit diesem Händler geplaudert hat, bekommt man große Lust, sich näher mit Rick Veitch zu beschäftigen.
Die bekannteste Arbeit von Rick Veitch ist bereits in den 1980ern erschienen: sein Run der Saga of the Swamp Thing-Reihe, die Veitch ab der Nummer 65 von Alan Moore übernahm. Schon vorher hatte er bereits mehr als ein Dutzend Hefte nach den Skripten von Alan Moore gestaltet, nun durfte er auch als Autor ran und seine eigenen Stories umsetzen – und die Covers teils auch noch. Ganz schön viel Arbeit, die Veitch da jeden Monat zu stemmen hatte.
Nimmt man den aktuell bei DC erschienen Tradepaperback zur Hand, in der zum wiederholten Mal ein Reprint von Veitchs Swamp Thing gestartet wird (Titel „Wild Things“), kann man dem flüchtigen Eindruck erliegen, die Farben seien etwas grell. Die Originalhefte von 1987 vermitteln einen anderen Eindruck. Das Papier war damals nicht mehr das extrem saugende Billigpapier der alten Superheldenhefte, sondern gehobener Standard von DCs Deluxe-Schiene, gerade deswegen aber war die Papiertextur goldrichtig für Tatjana Woods Farben. Kein Glanz, die Farben waren gesättigt und kräftig, die Hell/Dunkel-Kontraste nahezu optimal und wenn Veitchs Skript es verlangte, waren die Farben oft auch überraschend experimentell. Gepaart mit Veitchs Sinn für ausgefallene Layouts, Panelstrukturen und auch Einsatz von Lettering handelt es sich bei diesem Run vor allem visuell um einen Höhepunkt der Saga.
Das wichtigste aber ist: Auch inhaltlich packt uns Veitch, was keine ganz leichte Übung war, nachdem Alan Moore seine Swamp-Thing-Story damit enden ließ, dass sich das Monster von der Aufgabe zurückzieht, ein Kämpfer für die Menschheit zu sein. Swampy entließ die Menschheit in die Verantwortung, selbst für ihr Fortbestehen zu sorgen. Aber natürlich geht das Leben weiter, und auch Alec Holland (also Swampy) und seine Freundin Abby kann man nicht einfach mit einem „happily ever after“ stehen lassen. Das wäre ja auch schade.
Rick Veitch eröffnet seine Geschichte mit einer Abby, die zu Hause im Dschungel Houmas auf die Rückkehr ihres geliebten Alec wartet und sich aus Langeweile eine von Alecs Früchten einwirft – also von diesen Früchten, die aus dem Körper des Sumpfdings wachsen. Die enthalten ein mächtiges Halluzinogen, was einen die Welt wahrnehmen lässt, wie sie wirklich ist – nicht für jedermann ungefährlich, aber in der Wirkung ähnlich, wie es der Schweizer Chemiker Albert Hofmann in seinem Buch LSD – mein Sorgenkind beschrieben hat. Veitch findet hinreißende Bilder für Abbys unbefangenen Konsum. Kaum hat sie in die Frucht gebissen, sieht die Welt aus wie Plakatkunst des Summer of Love 1967 – und Abby wirkt in ihren Hot Pants fast wie die Traumfrau eines Comics von Robert Crumb. Die nächsten Stunden wird sie sich beinahe verlieren und in einer Wahrnehmung zwischen Horrortrip und Erleuchtung wandeln, später wird sie unter Swamp Things Anleitung auch noch die Pforten zu Himmel und Hölle sowie den Limbus besuchen. Auch wenn ich mich vor einiger Zeit mal darüber ausgelassen habe, dass in manchen mystischen Comics des DC-Universums die Jenseitswelt allzu klar definiert ist, in Kombination mit einem Drogentrip und der damit verbundenen Auflösung der normalen Wahrnehmung macht diese Berührung der Grenzen absolut Sinn. Das ist gut geschrieben.
Während Abby sich ihrer recht zweifelhaften Freizeitbeschäftigung hingibt (aus Langeweile ein paar Drogen einpfeifen ist nicht gut) verhandelt Swamp Thing mit dem „Parliament of Trees“, das ihn ursprünglich in der Rolle als Mittler zwischen der Menschheit und der Natur haben wollte. Aber Alec ist nicht länger im Spiel: während seines zeitweiligen Exils im Weltall (Swamp Thing 54 bis 62) ist er vom Parliament für tot erklärt worden, der Samen für ein neues Sumpfding ist gesät worden, der nun auf seinen geeigneten Wirt wartet. Aber Alec Holland erhält ein Angebot: Wenn er wieder der Champion des Grünen werden möchte, dann kann er den neu gepflanzten Spross einfach aufessen und den vorgesehenen Platz wieder einnehmen. Alec Holland verzichtet. Zwar könnte er der Welt viel geben durch seine einzigartige Eigenschaft, sowohl ein Erd-Elementargott zu sein, als auch kosmische Erfahrungen gemacht zu haben, aber er will sich nun mal zurückziehen, also tritt er zur Seite und macht Platz für einen neuen Anfang. Außerdem widerstrebt es ihm, das aufkeimende neue Leben zu vernichten, womit sich Alec gegenüber dem gefühlsindifferenten Parliament gegenüber auch noch als waschechter Pro-Lifer positioniert.
Damit gelingt Rick Veitch auf den nur 24 Seiten seines ersten Hefts ein aufregender Auftakt, der Episches verspricht, hinreißende Hippie-Atmosphäre erzeugt und Superhelden politisch sieht, alles Qualitäten, die den 80er-Jahre „mature readers-comic“ so oft auszeichneten. Ganz egal, dass Alfredo Alcala hier die Tuschelinien zieht – das grafische Gelingen ist Rick Veitchs Verdienst, der nicht nur einen großartigen Blick für Schwarzflächen hat, sondern in den folgenden Heften immer wieder mit sehr experimentierfreudigen Panelstrukturen arbeitet: mal ein ganzes Heft in quer zu lesenden Doppelseiten, mit drei Bildstreifen parallel zueinander montiert (Swamp Thing 70), dann ein Heft mit quadratischen Layouts und Doppelseiten, in denen die Leserichtung sich nur anhand der Texte erschließt, ein bisschen wie das Jahrzehnte später Flix in Schöne Töchter perfektioniert hat. Vor allem aber das Ineinandergreifen verschiedenster Panelgrößen und Formen. Sehr ungewöhnliche, ausgefeilte, ästhetische Kompositionen – eigentlich visionär. Dass die Story bisweilen aus den Fugen gerät, wird da zur Nebensache.
Die erste Storyline konzentriert sich dabei zunehmend auf die Ränke des Parliament of Trees, dem es gelingt, das Swamp Thing so zu manipulieren, dass es beinahe auf ewig Wurzeln im Regenwald des Amazonas schlägt; die Bühne wäre dann frei für ein neues Swamp Thing. Um dieses zu zeugen, benötigt das Parliament of Trees neben dem Samen ein brennendes Unfallopfer – eine wahrlich dunkle Genese. (Daher der Titel „Dark Genesis“, unter dem die Saga of the Swamp Thing 1972 ihren Anfang nahm. Aber entsteht nicht Leben immer unter Schmerzen?) Gerade, als es zur alles entscheidenden Befruchtung kommt – ein Mensch brennt, alles steht bereit – erkennt Alec Holland, dass er in Begriff ist, seine Existenz aufzugeben. Nur mithilfe seiner außerirdischen Erfahrung gelingt es ihm, sich gegen die Vereinnahmung zu wehren, er neutralisiert die Earth Elementals, die ihn in die Falle gelockt haben und ist nun doch wieder der Repräsentant und Champion des Grünen. Was folgt, ist wohl am ehesten als Äquivalent eines Coitus Interruptus zu beschreiben: Der neue Keim wird durch diese Erschütterung – Swamp Things Aufbegehren gegen das Parliament – massiv verunsichert und verlässt den Körper des gerade entstehenden Monsters. Denn es darf ja nur ein aktives Earth Elemental des Grünen geben.
Die nicht vollendete Befruchtung hat zur Folge, dass ein unfertiges Swamp Thing – ab jetzt Wild Thing genannt – ohne den dringend benötigten Spirit durch Amerika stapft, beseelt nur von dem Wahnsinn seiner letzten Stunden. Es hilft, wenn man weiß, dass Wild Thing in seinen letzten Stunden als Mensch einen Selbstmordanschlag auf ein Medienhaus geplant hatte, bevor ihn seine fahrende Autobombe am Ende selbst in Flammen setzte. Nach Flammentod und Reanimation durch den beseelten Samen, der ihn dann aber doch nicht wollte, schnappt sich Wild Thing das nächstbeste Auto und startet eine wilde Amok-Fahrt. Das Auto gehört Roy Raymond, einer bekannten Mediengestalt des damaligen DC-Universe, der schon immer eine Reportage über das Swamp Thing (also das echte) machen wollte, deshalb lassen er und sein Partner Lipschitz es sich -´– um den Scoop zu sichern – durchaus gefallen, dass das Monster mit ihnen Auto fährt. Die beiden können ja nicht ahnen, dass Wild Thing sie die nächsten sieben Tage nicht mehr aussteigen lässt, dabei schlau genug ist, mit Raymonds Kreditkarte zu tanken und die Musik so laut aufdreht, dass man die verzweifelten Schreie der Zwangspassagiere nicht hört. Aber da es Raymonds Luxuslimousine ist, gibt es eine gut bestückte Bar mit Hochprozentigem und Snacks, so dass Raymond und Lipschitz ihren Albtraum zunächst betäuben, bis die Horrorfahrt sechs Hefte später im Straßengraben endet, Lipschitz mit dem Gesicht in der eigenen Kotze ertrunken, Raymond mit aufgelöstem Toupet, ausgefallenem Gebiss und verschobenem Facelift an der Schwelle zum Wahnsinn. Was in den ersten drei Heften (69 bis 71) noch lustig wirkt, endet in Swamp Thing 74 im nackten Grauen.
Rick Veitchs erste Swamp-Thing-Hefte erschienen zeitgleich mit den ersten Hellblazer-Heften, es gab als zeitgleich zwei Hefte mit den Abenteuern von John Constantine, der in Veitchs Swamp Thing eine ebenso tragende Rolle innehat wie das Sumpfding selbst. Dabei fällt auf: Veitch hat ein verdammt gutes Händchen für diesen Antihelden und verleiht ihm erstaunlich viel Tiefe. John Constantine ist der „working-class-magician“, eine Figur, die keine Regeln akzeptiert, keine Autorität anerkennt, eine klare Vision für eine bessere Welt hat und für die bestehende Ordnung nur beißenden Sarkasmus übrig hat – hervorragendes Material für einen subversiven Underground-Künstler wie Rick Veitch, der die Gelegenheit zu nutzen weiß. In nur wenigen Szenen fächert Veitch sehr kompetent die Welt auf, in der Constantine sich bewegt, Intrigen schmiedet und Informationen erhält, die über Wohl und Wehe der Welt entscheiden können.
Rick Veitch spinnt daraus ein sehr anregendes Horror-Garn, wenn John Constantine und Swamp Thing daran arbeiten, einen geeigneten Kandidaten für das nächste Earth Elemental zu finden und dabei ein ums andere Mal etwas schiefgeht. Das hat hier einmal etwas von Omen, fühlt sich dort wie Final Destination an und ist schlussendlich doch eine völlig eigenartige Story mit überraschender Pointe: Ein ums andere Mal geht die dunkle Genese eines neuen Swamp Things (Flammenopfer plus Keim) schief, also setzt sich das Sumpfding irgendwann frustriert in den Wald und und denkt nach. Und denkt. Und denkt.
Ein ganzes Heft lang sortiert Sumpfding seine Gedanken und räsoniert über das Gefüge des Universums, die Bedeutung des Menschen für die Natur, der Logik hinter den Superhelden, den Göttern, der kosmischen Ordnung von Himmel und Hölle und ihrer Wechselwirkung mit dem menschlichen Bewusstsein – und schlussendlich erfasst er das grundliegende Wechselspiel zwischen Struktur und Chaos, dem alles zugrunde liegt. Rick Veitch entwirft in dem Heft „The Thinker“ (Swamp Thing 75) ein Panorama, das dem dreisten World-Building aus Marc-Antoine Mathieus DEEP IT kaum nachsteht – und wie in DEEP IT ist das Resultat aller Denkprozesse ein neues Konzept, um das Fortbestehen der Welt zu sichern. Nicht länger soll die Notwendigkeit bestehen, den Keim mit einem brennenden Unfallopfer paaren zu müssen, um ein neues Elemental zu zeugen, stattdessen soll Abby die Mutter des neuen Earth Elemental werden. Damit stehen auch nicht länger zwei gleichwertige Elementals in Konkurrenz zueinander, als wären sie die Monster in einem Godzilla-Film, stattdessen ist ein Elemental der Vater und das kommende Elemental ihm als Nachkomme untergeordnet.
Was banal klingt, ist verblüffend in seiner strukturellen Verwandtschaft zu Mathieus DEEP IT (unsere Rezension), in dem die evolutionäre Folge auf KI keine neue, parallel zu allen anderen Systemen existierende KI ist, stattdessen entsteht eine KI mit echtem Bewusstsein, die eine Art Geburt durchläuft. Das läuft bei Mathieu darauf hinaus, dass diese neuartige KI zwar potenziell alles Wissen der Welt in sich trägt, sich die Welt aber trotzdem wie ein Neugeborenes erarbeiten muss. Ebenso ergeht es dem zukünftigen Elemental, das zwar alles Wissen des Parliament of Trees in sich trägt, aber dennoch als Kind aufwächst. Oder eben, und nun sind wir auf der mythologisch-religiösen Ebene, so wie das Jesuskind, das eigentlich Gott ist, aber dennoch wie ein Kind aufzuwachsen hat. Und wem diese Analogie nun zu viel ist, der sollte wissen, dass Rick Veitch ganz ähnliche Gedanken für seine große Swamp-Thing-Erzählung tatsächlich geplant hatte – bis ihm eine Zensurmaßnahme von Seiten des Verlags jäh reingrätschte und seine ganze sorgfältige Planung in sich zusammenfallen ließ.
Der zweite große Erzählzyklus, den sich Rick Veitch für sein Swamp Thing ausgedacht hat beginnt zunächst ganz unprätentiös: Aliens bedrohen die Welt und insbesondere das Swamp Thing, das sich nicht in der Lage sieht, sich an irgendeinen Ort der Gegenwart zurückzuziehen, ohne sogleich aufgefunden und zerstört zu werden. Also entzieht sich Alec dem scannenden Blick der Aliens, indem er die Flucht zurück in die Vergangenheit ergreift. Die tatsächliche Motivation hinter dieser Zeitreise sowie die Wahl der zeitlichen Epochen und Orte, an denen er sich materialisiert, bleibt lange unklar, auch wenn sich nach und nach ein verbindendes Motiv abzeichnet. Alec Holland materialisiert sich in diversen Epochen, stößt gleich mehrmals auf stetig jüngere Versionen seines ewigen Widersachers Anton Arcane, trifft Figuren des DC-Universums der Vergangenheit wie Sgt. Rock, Baron von Hammer (Enemy Ace), Jonah Hex oder den dämonischen Jason Blood (The Demon), bis diese Reise am Hügel von Golgatha am Tag der Kreuzigung Jesu Christi ihre Bestimmung und ihr Ende findet. Zumindest hatte Rick Veitch diesen Verlauf ursprünglich im Sinn.
Swamp Thing 88 mit dem Titel „Morning of the Magician“ war von Michael Zulli bereits fertig gezeichnet, als Jenette Kahn, damals DC-President und -Chefredakteurin, aufgrund des religiösen Themas kalte Füße bekam. Es war die Zeit, als christliche Fundamentalisten Sturm gegen Martin Scorseses Film Die letzte Versuchung Christi liefen. Damals brannten Kinos wegen dieses Films und Jenette Kahn hatte Sorge, dass ein Swamp-Thing-Heft mit Jesus-Thematik schlechte Publicity nach sich ziehen könnte. Also zog man das Heft kurzfristig zurück und bat um ein neues Ende. Rick Veitch hielt diese Forderung für inakzeptabel und brach mit DC Comics. Da eine alternative Fortsetzung nicht eben schnell aus dem Hut gezogen werden konnte, pausierte die Serie über Juli und August 1989 und kehrte erst September mit einem alternativen Finale zurück, geschrieben von Comic-Neuling Doug Wheeler, immerhin mit einer souveränen Gestaltung von Tom Yeates, was der Storyline trotz alle Zerwürfnisse, die im Hintergrund stattfanden, eine überraschende Geschlossenheit beschert. Ursprünglich waren ja Jamie Delano und Neil Gaiman als Autoren-Tandem für den weiteren Verlauf der Serie angedacht, aber beide solidarisierten sich mit Veitch und standen nicht länger zur Verfügung. Für Redakteurin Karen Berger, die vier Jahre später das Vertigo-Imprint starten würde, war dies eine Katastrophe, zudem sollte Swamp Thing für den Rest seiner Laufzeit in Belanglosigkeit versinken. Der hat gesessen.
Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass bereits Rick Veitchs letzte Hefte eine Abkehr von der grafischen Virtuosität markierten. Dass er inhaltlich eher mit noch ein paar Ambitionen zulegt, war nicht von vorneherein absehbar. Die ersten Episoden der Zeitreise sind herausragende Horror-Stories, in denen Veitch gekonnt mit Figuren des Swamp-Thing-Mythos arbeitet und diesen mit allerhand Background anreichert. Es sind morbide Kriegsgeschichten, die in ihrer fiesen Stimmung durchaus nah an das heran reichen, was Rochus Hahn wenige Jahre später für seinen Dr. Dipperz im Sinn hatte. (In Menschenblut 3 aus den 1980er Jahren war bereits eine Rick-Veitch-Story abgedruckt. Man kannte sich offensichtlich.)
In Heft 83 übergibt Veitch die Verantwortung für die Zeichnungen an Tom Mandrake, was der Serie viel von ihrer visuellen Wucht nimmt. Befeuert wird dieser Abstieg durch das von Mandrake gestaltete Kapitel in Swamp Thing 85, „My Name is Nobody“, das im wilden Westen spielt, eine etwas sperrige Geschichte mit vielen obskuren DC-Western-Figuren, einem schwer erschließbaren Storyaufbau und sehr konventioneller 80er-Jahre-Grafik, die auch der sonst so souveränen Koloristin Tatjana Wood keine Chance gibt, Akzente zu setzen. Mit Swamp Thing 86 ist dann zum ersten Mal Tom Yeates am Zeichenstift, der ein sehr gutes Händchen für historische Stoffe hat und eine Episode aus der Ära des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs sehr atmosphärisch in Szene setzt. Rick Veitch lässt auch in diesem Kapitel weitere obskure Figuren aus DCs historischen Reihen auf den Plan treten, aber diesmal schreibt er ihnen sehr gekonnt eine tragische Dimension ein, was ein Novum war.
Es lohnt sich sehr, der Storyline aufmerksam zu folgen, denn Veitch verschränkt auf sehr eigenwillige Weise seine Erzählung rückwärts mit einer entgegengesetzt laufenden, vorwärts strebenden Chronologie. Das ist wunderbar ausgeklügelt und verleiht im Nachgang auch der sperrigen Nr. 85 mit ihren Operettencowboys und -cowgirls großen Reiz – man muss das nur aufmerksam genug lesen, dann finden sich Verschränkungen und Drehungen wie in einem David-Lynch-Film. Eine letzte Kapriole schlägt die Story dann in Heft 87, in welchem Swamp Thing sich am Tag des Untergangs von Camelot materialisiert (Etrigan und Shining Knight haben Gastauftritte). Hier verdichtet sich der Plot: Der Heilige Gral kommt ins Spiel. Natürlich wäre der Schicksalstag am Schädelberg die konsequente Zuspitzung der Story, aber dann ließ die Zensur von „Morning of the Magician“ alles, was über Monate hinweg angebahnt wurde, in Beliebigkeit implodieren.
Doug Wheelers Fortsetzung ist – gemessen an den Umständen, unter denen sie geschrieben werden musste – alles andere als eine Katastrophe. Die Auflösung von Swamp Things Quest in der Steinzeit berührt: Ein sehr plausibler Sündenfall der Menschheit, die Ermordung der Neandertaler durch einen aggressiv-abergläubischen Clan von Homo Sapiens mit perfider Vernunft wird thematisiert, ein Szenario, das Tom Yeates in sehr atmosphärische Bilder zu setzen versteht. Als problematisch erweist sich lediglich der Subplot um dem Heiligen Gral, der nun schlichtweg keinen Sinn mehr macht; er wird von Wheeler und Tom Yeates auf wenigen Panels diskret abgearbeitet. Im Gegensatz zur sehr gelungenen Nr. 88 herrscht ab Wheelers Nr. 89 leider gepflegte Langeweile. Das weitere Abarbeiten von Veitchs zerschellter Geschichte bereitet Mühe und ist fast schon bedrückend behäbig in Szene gesetzt.
Die neue Reprint-Edition von DC gibt das vage Versprechen, dass es nach 35 Jahren nun doch noch zu einem Abdruck von „Morning of the Magician“ kommen könnte. Im März 2024 wurde sogar eine E-Mail-Adresse eingerichtet, an der man persönlich den Wunsch nach einer Veröffentlichung äußern durfte (Link: siehe unten). Angesichts dessen, dass bereits andere Comics den Weg aus dem Giftschrank gefunden haben, ist diese Maßnahme absolut angemessen. Dazu möchte ich anmerken, dass der Skandal dieser Zensurmaßnahme auch deshalb besonders hochkochen konnte, weil damals, ’89 – dem Jahrzehnt der großen Independent-Serien (Cerebus, Elfquest, Love and Rockets) und des Durchbruchs des Autorencomics im Mainstream (The Dark Knight Returns, Watchmen) – die Autoren Morgenluft witterten und sich ihrer Macht gegenüber den Verlagen bewusst wurden. Entsprechend zeigte Rick Veitch sich kämpferisch, entsprechend solidarisierten sich Neil Gaiman und Jamie Delano, damit aus dieser umstrittenen Entscheidung auf keinen Fall ein Präzedenzfall werden würde. Weinige Jahre später wurde DCs Vertigo-Imprint aus der Taufe gehoben, etwa zeitgleich starteten einige Marvel-Stars um Todd McFarlane, Jim Lee und Erik Larsen den Image-Verlag. Es lag etwas in der Luft.
Die verspätete Veröffentlichung von „Morning of the Magician“ wird die Zeit nicht zurückdrehen. Wir werden nie erfahren, wie sich das Swamp Thing unter Jamie Delano und Neil Gaiman entwickelt hätte. Man kann an diesem Fall aber auch gut erkennen, wie die Welt sich neu strukturiert, sobald etwas Unvorhergesehenes geschieht. Erst wuchs mit Nancy A. Collins ab Nummer 110 eine interessante Autorin nach, die sonst wohl nicht für Swamp Thing in Frage gekommen wäre, danach brach Mark Millar brachial mit der etablierten Soap-Opera, wie sie von Moore und Veitch auf den Weg gebracht wurde und die inzwischen auch immer das Paradigma in sich barg, welches Neil Gaiman mit seinem Sandman-Universum etabliert hatte. Brüche gab es in der Historie der DC-Serien zuhauf. Der Ausstieg von Rick Veitch war lediglich ein besonders aufsehenerregender.
Im festen Glauben daran, dass Comicautoren nicht nur Dienstleister und Roboter der Verlage sind, hoffe ich sehr, dass Veitchs ursprüngliche Vision demnächst ihre fällige Veröffentlichung findet. Ich schließe meine Ausführung mit einem Zitat des Wall Street Journal vom 26. Juni 1989, in dem die ganze persönliche Dramatik für Rick Veitch gut zugespitzt ist. Es verdeutlicht, wie viel Herzblut er in die Storyline fließen lassen hatte:
„Mr Veitch says, he has spent the past two years painstakingly laying ground for the emergence of Swamp Thing’s son, The Sprout, as a full blown comic character. ‚Like sticking my right arm in a meat packing machine,‘ Mr. Veitch says of the loss.“
Bedenkt man, dass Veitchs Ideen dem Ansatz Marc-Antoine Mathieus so sehr ähnelt, bekommt man eine Ahnung, was es für Veitch bedeutet haben muss, dass seine ambitionierte Vision zerstört wurde. Arbeitet man sich etwas tiefer in die Materie ein, zeichnet sich ab, dass Veitch noch weit größere Pläne für das DC-Universe hatte, was auch seine fast schon exzessive Verwendung alter DC-Figuren erklärt. Man fühlt sich fast schon an Alan Moores ebenso gescheitertes Projekt „Twilight of the Superheroes“ erinnert, manchmal fast schon an Jodorowskys Dune-Version. Vieles klingt nach Luftschlössern – vermutlich hat es irgendwann einfach zum Clash kommen müssen. Dennoch: Veitchs Swamp Thing hatte so viel Witz, dass es eine Freude wäre, das von ihm angedachte Finale noch erleben zu dürfen. Denn eines ist klar: Die fertig gezeichnete Jesus-Story ist visuell ansprechend, hat wunderbare Dialoge und geht textlich überhaupt in eine völlig andere Richtung, als die, die Wheeler einschlug. Das hätte witzig werden können. Oder aber: Das könnte noch witzig werden – FINGERS CROSSED.
Weiterführende Links:
Eine gute Zusammenfassung über das verlorene Swamp-Thing-Heft: ‚Swamp Thing Meets Jesus‘ – The lost issue…
Michael Zullis Vorzeichnungen zu „Morning of the Magician“
Eine gute Einführung zu Doug Wheeler: „How an Unknown Writer Ended Up Replacing Neil Gaiman“
Artikel mit einem weiterführenden Link zur E-Mail-Adresse, unter der man für den Abdruck des Rick-Veitch-Finales argumentieren/plädieren kann: Might DC Comics Finally Publish Rick Veitch’s Swamp Thing #88 In 2025?
Rick Veitchs Swamp Thing in The Comics Journal: Review by Tom Shapira