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Währenddessen… (KW 44)

Für Währenddessen hat Christian einige der neuen Disney-Taschenbücher gelesen. Niklas macht derweil ernst mit Ed Brubaker und Sean Phillips‘ Sleeper.

Ausschnitt einer Panelfolge aus „Tagebuch eines furchtlosen Ritters“, (c) Egmont 2021.

Christian: Meine erste Reaktion, als ich das neue Lustige Taschenbuch Premium + am Nürnberger Haupbahnhof durchblätterte, war, dass ich dachte, hier wäre ein Topolino-Taschenbuch falsch einsortiert worden. Dann aber nochmal aufs Cover geschaut, dann noch mal auf die Texte, und tatsächlich: Egmont ist für dieses Taschenbuch erstmals von üblichen Maschinensatz abgerückt, die Texte sind stattdessen in einem Handlettering-Schriftfont in Großbuchstaben. Das ist bei den Rittergeschichten, die unter dem Motto „Tagebuch eines furchtlosen Ritters“ stehen, ein echter Gewinn, denn Zeichnungen und Farben gehören zum Besten, was das LTB derzeit zu bieten hat und können es getrost mit den Glenat-Luxusausgaben aufnehmen. Ein fantasievolles What If-Szenario, das den Figurenkosmos um Donald und die Neffen in ein mittelalterliches Setting versetzt und dabei sehr spielerisch die alten Konflikte um Dagoberts erstverdienten Taler, den Geldspeicher oder auch Donalds Verwandlung in einen Superritter variiert. Die Witze sind dabei recht charmant geraten und die Stories flott erzählt. Ich hätte mir durchaus etwas mehr Ernst in den Geschichten gewünscht, etwas mehr episches Abenteuer und nicht nur den Fun-Stuff, den wir letztlich zu sehen bekommen, trotzdem sind die Abenteur auf Schloss Duckelot absolut liebevoll gestaltet und lesenswert. Vor allem die zahlreichen Splashpanels und die Panelübergänge, von Künstlern wie Alessandro und Lorenzo Pastrovicchio, Marco Mazzarello und vielen anderen gestaltet, sind eine Augenweide und sorgen dafür, dass man gerne in dem Taschenbuch blättert. Ich danke für die Umstellung im Lettering und hoffe, dass wir dieses nun öfter sehen werden. Ritter Donald und sein Esel Tiberius, der dank verzaubertem Amulett in ein edles Streitross verwandelt werden kann, dürfen gerne mal auf größere Fahrt gehen.

Panel aus LTB 550 von Sergio Cabella und Paolo Mottura.

Auch das reguläre Lustige Taschenbuch hatte die letzten Monate ein paar Höhepunkte zu bieten. In Band 55o sticht der Dreiteiler „Die Abenteuer des Sir Mausleton“ hervor, der sich an der realen Südpolexpedition von Ernest Shackleton orientiert. Für die dramatische Note in dieser Geschichte bewegt sich der Erzähler Sergio Cabella aber auf sicherem Plateau und belässt es dabei, dass Micky während seiner Reise unter der Trennung von seiner Minnie leidet, was sich in schwülstigen Liebesbriefen ausdrückt. Mal wieder ein Micky-Story für verliebte Mäuse, aber ordentlich gemacht und von Paolo Mottura mit einigem Sinn für große Bilder gestaltet.

Panel aus LTB 551 von Paolo Mottura.

Ebenfalls von Mottura, diesmal sowohl Story als auch Zeichnungen, ist die Donald-Geschichte „Auf Ruhmesrundfahrt“ in LTB 551. Die Geschichte ist ein Knüller und zeigt, dass Mottura am besten ist, wenn er seine eigenen Ideen auch direkt selbst in Bilder umwandeln kann. Donald wird verpflichtet, an einem historischen Fahrradrennen zu Ehren der Fahrradpionieren aus der goldenen Ära teilzunehmen. Anders als oft geht es nicht um gegenseitiges Austricksen, stattdessen steht der Teamgeist unter Fahrradnerds im Vordergrund. Die Szenen, in denen der völlig überanstrengte Donald im Zelt selig schläft, während sein Team schon die Zelte einpackt und zum Aufbruch bläst, dürften allen vertraut vorkommen, die je an mehrtägigen Rad- und Wandertouren teilgenommen haben. Man leidet richtig mit, wenn Donald seine Hoffnung auf ein gemütliches Frühstück angesichts der Emsigkeit um sich rum fahren lassen muss. Mottura gibt solchen Szenen reichlich Raum und kurbelt die Story an keiner Stellen nur routiniert runter. Ein echter Lcckerbissen und eine der interessantesten Stories, die dieses Jahr im LTB-Kosmos zu finden waren.

Niklas: Der Kollege Muschweck hat mir mal erzählt, dass ihm die Hauptfigur aus Ed Brubakers und Sean Phillips Comicserie Sleeper viel zu kompliziert sei. Das kommt nicht von ungefähr.

Holden Carver ist ein komplizierter Mensch. Als Agent für die amerikanische Regierung spionierte er andere Nationen aus und brachte Leute unter die Erde. Jetzt unterwandert er als Schläferagent das Syndikat des Superschurken Tao, um ihn hoffentlich zu Fall zu bringen. Er tötet also nun für die Bösen, damit die Guten gewinnen. Das heißt, das hat er getan, bevor sein Vorgesetzter Lynch ins Koma versetzt wurde. Keiner weiß außer Lynch weiß, dass Holden ein doppeltes Spiel treibt und da dieser Leute tötet wie ein Superschurke und sich mit den Schurken anfreundet, muss er sich fragen lassen, ob er nicht doch einer von ihnen ist. Das Schaf im Wolfspelz sozusagen, wie es im ersten Sammelband der deutschen Ausgabe so schön beschrieben wird, der die ersten sechs Hefte dieses Superhelden-/Agententhrillermix aus den frühen 2000ern enthält.

Bild 1: Holden macht sich an die Arbeit.

Wer Action mag, kann Sleeper lesen. Wer sehen möchte, wie Leute mit Superkräften die Gestalten in Strumpfhosen erschießen, wird auch gut bedient. Und wem eine gehörige Portion Sex und Schimpfwörter wichtig ist, kommt auch auf seine Kosten. Aber wie auch sein Vorgänger Point Blank, funktioniert Sleeper vor allem als Charakterstudie am besten. Holden lamentiert mindestens einmal in den ersten sechs Heften, dass Lynch ihm sein Leben versaut hat und er nun auf der falschen Seite steht, aber solange es ihn nicht persönlich betrifft, denkt er nicht über die Moralität seiner Taten nach. Seine Gedankengänge drehen sich oft darum, wie sehr es ihn beschäftigt, dass er mal wieder Unschuldige ihn Gefahr gebracht hat. Aber gleichzeitig setzt er sich auch für seine Freunde innerhalb von Taos Organisation ein, wenn diese in Schwierigkeiten stecken, obwohl das seine Mission gefährden könnte. Er ist also gut zu den Schurken und schlecht zu allen anderen. Das macht ihm aber auch sehr menschlich, da er dank eines Unfalls keinen Schmerz mehr physisch fühlen kann, sein Geist aber weiterhin leidet. Wie jeder Mensch möchte auch er Gesellschaft und Nähe, er verliebt sich sogar in die mörderische Superschurkin, Miss Misery, eine von Brubakers faszinierendsten Kreationen. Diese ist auf den ersten Blick die klassische Soziopathin, eine von ihren Impulsen und dekadenten Neigungen kontrollierte Psychopathin, die Spaß an all dem Leid empfindet, das sie verursacht. Das stimmt auch, aber gleichzeitig stellt sich heraus, dass sie grausam sein muss, um nicht zu sterben. Damit passt sie gut zu Holden, dessen eigenes Überleben am Ende an vorderster Stelle steht, ein selbstzerstörerisches Paar, das sich am Ende selbst zerfleischen mag.

Zu dieser düsteren Geschichte passt auch Sean Phillips nüchterner Zeichenstil, der sehr realistisch aber auch lebendig die Welt von Sleeper zum Leben erweckt. Er gibt Sleeper den Look, den die Serie braucht, aber meine Liebe gehört in den ersten zwölf Heften den Farben. Die schaffen irgendwie den Spagat, bunt und trotzdem zurückhaltend zu wirken, dass ich nicht erklären kann, wie perfekt sie sind. Wenn Holden sich mal eben aus einer Mission bei Nacht und Nebel zurückzieht, nur um dann in einem rötlich beleuchteten Nachtclub einzukehren, erzeugt das eine Atmosphäre, die ich aus keinem anderen Comic kenne. Mal sehen, ob sie sich auch im zweiten Band noch hält.

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