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Spirou und Fantasio Spezial 40: Tulpen aus Istanbul

1960, mitten im Kalten Krieg: Spirou und Fantasio eskortieren eine Kutsche, die einen übergelaufenen sowjetischen Wissenschaftler unauffällig von Istanbul zur Gartenschau nach Rotterdam befördern soll.

© Carlsen Verlag

Offiziell ahmt dabei die Kutsche nur in einem weihevollen wissenschaftlichen Reenactment den Weg der ersten Tulpenzwiebel nach, die 500 Jahre vorher in den Niederlanden ankam. Nicht ganz unwesentliche Probleme bei diesem Plan: a) ganz Europa wimmelt von aufgescheuchten Spionen auf der Jagd nach dem Überläufer, b) der für die offizielle Aufgabe der Kutsche zuständige Wissenschaftler nimmt seine Aufgabe, eine Tulpenzwiebel auf historisch korrekte Weise zu begleiten und zu beschützen, extrem ernst, c) auf dem ganzen Kontinent besitzt niemand mehr als eine Handvoll Gehirnzellen, und das schließt unsere Helden mit ein.

© Carlsen Verlag

Da die Zeitschrift Spirou seit jeher parallel zum französischsprachigen Original auch in einer flämischen Ausgabe erscheint und die auch jenseits der kleinen Grenze in den Niederlanden verkauft wird, ist Robbedoes dort mindestens ähnlich populär wie in Belgien und wird hier und da sogar für einen Holländer gehalten. Von niederländischen Teams gestaltete Abenteuer waren also nur eine Frage der Zeit, und zu den ersten gehörte die vorliegende Sause von Hanco Kolk, im Original bereits 2017 erschienen. Ebenso wie die jüngst von Carlsen vorgelegte „Happy Family“-Trilogie und anders als der dann doch in die französische Spezialreihe eingemeidete Comic von Flix, gehört „Tulpen aus Istanbul“ bei Dupuis weder in die reguläre Reihe, noch in die Sonderserie Spirou et Fantasio vu par… . Und auch in der Zeitschrift Spirou scheint die Geschichte nie erschienen zu sein. Da Hanco Kolk als (ein) niederländischer Meister der „Nouvelle Ligne Claire“ gilt, ist diese Vernachlässigung einigermaßen verblüffend. Auf den zweiten Blick drängen sich mögliche Gründe auf: Anders als der mindestens ebenso nationalspezifische, aber reichlich weihevolle „Spirou in Berlin“, anders auch als die weltanschaulich aufgeladenen französischsprachigen Spezialitäten von der „Hoffnung“ bis hin zu den bald aufschlagenden (anscheinend großartigen!) „Freunden von Spirou“, sind diese flämischen Sonderbände albern bis zur Gaga- Grenze. Und für gute lustige Comics gibt es in Deutschland bei aller sonstigen Ignoranz ein weit verbreitetes Gespür und einen Markt.

© Dupuis

Und gut und lustig ist Kolks schnittig designte Odyssee durch ein strunzdummes Europa ohne Frage. Zu den Running Gags gehören ein beinahe unaufhaltsamer sowjetischer Superspion, der seine Macht über die Menschen dem permanenten Wechsel ausdrucksvoller Kontaktlinsen verdankt und begeisgterte Ganzundgarnicht-Superspione in Kindergeburtstagsstimmung anlässlich einer Verfolgungsjagd. In ihrer schwärzesten Stunde hängen Spirou und Fantasio buchstäblich im „Eisernen Vorhang“, einem Stacheldrahtzaun, fest, und niemand sollte darauf setzen, dass die symbolträchtige Tulpenzwiebel heil ihr Ziel erreicht. Für mich ist das deutlich der lustigste Spirou seit „Panik im Atlantik“ (den allerdings Einige nicht leiden konnten).

© Carlsen Verlag

Während Spirou in der Nachfolge von Franquin sonst fast immer hübsch, dynamisch und voller Schraffuren ist, ist er hier flächig, glubschäugig, unter dicken Umrisslinien eingefroren in exaltierten Slapstickposen. Die expressiven Gesichter und Bewegungen stehen in reizvollem und sehr komischem Kontrast zu den provokant klaren, aufgeräumten Bildern. Anders als in der „Ligne Claire“ wechseln Perspektive und Bildausschnitt ständig, erinnern an angehaltene Trickfilme und nicht an Glasfenster. Es sind wohl vor allem die modernistischen Trickfilme aus dem damals tonangebenden amerikanischen Studio UPA (Mr. Magoo), vor denen sich Kolk hier verbeugt, dazu finden sich Spuren von Lolek und Bolek, den ungerührten Comics von Kamagurka und auch vom in den Niederlanden wohl unvermeidlichen Willy Vandersteen (Wastl). Und bilde nur ich mir einen leichten Einschlag Hans Traxler ein? Jede penibel ausgeführte Speedline und jede akkurat skizzierte Gebirgskette scheint diese planlose Knallfroschwelt zusätzlich zu karikieren, die bei aller Gemeingefährlichkeit rund, bunt und einladend aussieht.
Nun bietet die Idiotie der Spionage und der Spionageverehrung im Jahr 1960 im Jahr 2023 nicht gerade Stoff für eine beißende Satire. Und alle heute möglicherweise relevanten Themen werden weiträumig umfahren. Wer angesichts des Settings Spitzen über bspw. Kolonialismus oder russische Außenpolitik erwartet, liest hier definitiv falsch. Andererseits trägt die respektlose Harmlosigkeit des Bandes definitiv zum Vergnügen bei. Trotz einiger Twists und Turbulenzen plätschert das Holterdipolter allerdings eher aus, als zu einem Crescendo aufzudrehen, und der Humor ist nicht durchgängig frisch oder angenehm. Der unterm Strich allerdings dann doch sehr eigenwillige und bei aller Fröhlichkeit ambitionierte Stil schiebt diesen Nebenspaß aber dann doch in den Bereich der echten Glanzstücke.

Alle beschränkt, alle besessen: Spirou und Fantasio als launige Kalte-Kriegs-Satire mit originellen Einfällen und stilvoll überdrehten Bildern, aber ohne sonderliche Tiefe.

7von10Spirou und Fantasio Spezial: Tulpen aus Istanbul
Carlsen Comics, 2023
Text und Zeichnungen: Hanco Kolk
Farbassistenz: Marloes Dekkers
Übersetzung: Rolf Erdorf
Redaktioneller Text: Volker Hamann
64 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 12,00 Euro
ISBN: 978-3-551-79825-1
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2 Kommentare

  1. Marcus sagt:

    Die flämische Robbedoes-Ausgabe erscheint aber schon seit Mitte der Nullerjahre nicht mehr. Und mW ist dieser Band der bisher einzige eines niederländischen Zeichners. Cambré von „Happy Family“ ist ja Flame.

  2. Hallo Florian, nur eine kleine Anmerkung: Wie ich in meinen redaktionellen Texten zum Band schreibe, erscheint das »Robbedoes«-Magazin schon seit 2005 leider nicht mehr. Viele Grüße, Volker

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