Rezensionen
Kommentare 1

In der Haut eines Mannes

Irgendwo in Italien, irgendwann während der Renaissance: Die junge Bianca, Tochter aus gutem Hause, soll mit dem Kaufmannssohn Giovanni verheiratet werden. Bianca würde ihren Zukünftigen ja zu gerne kennenlernen, kann das aber schlecht einfordern. Zum Glück hat Biancas Patin in ihrer alten Kommode die Lösung: die magische Haut eines Jünglings, Lorenzo genannt, die sie vorübergehend zum Mann werden lässt.

Männer unter Männern führen das anregendste Leben. Alle Abbildungen © Reprodukt

Biancas erste Erfahrung als Lorenzo behagt ihr wenig. Ihr Zukünftiger hat keine große Meinung von Frauen, sieht die Hochzeit als lästige Pflicht und führt gerne zotige Gespräche. Kompliziert wird es, als Giovanni sich in Lorenzo verliebt, ein Beziehungskonflikt shakespeareschen Ausmaßes deutet sich an. Immer wieder macht sich Bianca nun nachts auf, denn die Zuwendung gefällt ihr. Fortan zieht Lorenzo bzw. Bianca mit Giovanni des Nachts um die Häuser, der sie in die „Schielende Katze“ mitnimmt, ein freigeistiges Refugium, in der Männer sich wie Frauen kleiden dürfen. Nebenbei lernt die Verwandelte von Giovanni auch in die Männerliebe eingeführt, Giovanni sieht in Lorenzo gar die Liebe seines Lebens. Wenn ihn nur die echte Bianca auch interessieren würde, wenigstens ein bisschen – aber wenigstens geht er nicht zu den Huren. Als die beiden heiraten, schlägt Giovannis Herz nur für Lorenzo.

Was beginnt wie ein Märchen, in dem eine junge Frau von verbotenen Früchten nascht, entfaltet sich zunehmend als wendungsreiche Gesellschaftskomödie: Ein Geistlicher will gegen das sündige Treiben in der Stadt vorgehen und hetzt gegen die ach so sündigen Frauen, nur damit diese sich einer noch strengeren Kleiderordnung unterwerfen, aber auch die Sodomiten werden zunehmend verfolgt – kurz, es wird schwieriger für alle. Bianca hat derweil alle Hände voll zu tun, ihr Doppelleben fortzuführen und gleichzeitig Giovanni davon zu überzeugen, dass sie auch als Bianca eine gute Partie ist.

Paradoxerweise spielt ihr das strenge Regime in die Hände, denn die festgefahrenen Strukturen werden unhaltbar und zwingen alle, ihre Haltungen zu überdenken. Die Frage, ob Lorenzos Haut Bianca tatsächlich verwandelt oder doch nur eine Verkleidung ist, spielt im späteren Verlauf jedoch kaum mehr eine Rolle – Zeichner Zanzim hält die wahre Natur des Gewands mit seinem poetischen Stil ohnehin von Anfang an in der Schwebe.

Frauen dagegen …

Die Geschichte erzählt viel, auch wenn wandelbare Geschlechterrollen – anfangs noch poetisch aufgeladen durch Zauber und Verwandlung – mit zunehmendem Verlauf vielleicht etwas zu modern auf angeborene Neigung reduziert werden, was die Poesie des Verwandlungsmotivs durchaus schmälert. Lediglich Biancas Blick wird tatsächlich erweitert, vermutlich ist also doch Zauberkraft im Spiel.

Bianca will die Männer kennenlernen und fällt zielstrebig in eine Subkultur – das ist fast schon eine subversive Unterwanderung des Märchenmotivs. Sie trägt ihre Erfahrungen aber auch weiter, öffnet Giovannis Haltung und trägt so die Fackel echten Fortschritts in die Gesellschaft, das ist die zeitgenössische Fortschreibung des Märchenmotivs. Zanzim gelingen zahlreiche sinnliche Szenen zwischen Giovanni und Lorenzo, später auch zwischen Giovanni und Bianca als sie selbst. Beide lernen viel voneinander und überwinden gemeinsam die Schranken der sie einengenden Gesellschaft, schlussendlich mündet die Geschichte konsequent in eine offene Ehe, in der Giovanni sein Schwulsein offen ausleben darf, Bianca einen Liebhaber bekommt und die beiden in diesem Konstrukt ein wunderbares Ehepaar mit Kindern sein können. Eine schöne Utopie, mit viel Humor auf den Weg gebracht.

Leider ist dies Huberts letzte Comicerzählung, er ist 2020 im Alter von 49 Jahren viel zu früh gegangen. Er wird als Ideengeber für weitere Arbeiten mit Künstlern wie den Kerascoëts oder eben Zanzim schmerzlich fehlen.

Ein modernes Märchen

9von10In der Haut eines Mannes
Reprodukt, 2022
Text: Hubert
Zeichnungen: Zanzim
Übersetzung: Ulrich Pröfrock
160 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 29,00 Euro
ISBN: 978-3956403415
Leseprobe

1 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.